Die in vergleichender Perspektive noch wenig untersuchten Rathäuser waren schon seit ihrem Aufkommen im Hoch- und Spätmittelalter multifunktionale Gebäude, Kommunikationsräume und Orte zweier konkurrierender Wertesysteme: Einerseits sollten die Entscheidung der städtischen Machthaber sowie die Vorgänge, die zu den Entscheidungen führten, offenkundig und transparent sein, andererseits sollte aber der Inhalt aller Beratungen und Diskussionen innerhalb der obrigkeitlichen Kreise streng geheimgehalten werden. Nicht nur im politischen Zeremoniell und als Stadtregierungs- und Gerichtsgebäude (Wohnort des Gerichtsdieners, „Bürger“-Gefängnis) funktionierte dieses multifunktionalen Gebäude, sondern auch als Verwaltungs- und Wirtschaftseinrichtung und schließlich – und nicht nur während der Wochen- und Jahrmärkte – als Lager. Das idealtypische Rathaus bot auch Vorratsräume zur Versorgung der Stadtbewohner (etwa Salzgewölbe, Getreidespeicher, während der Marktzeiten) und Wohnräume für Stadtbedienstete (etwa Stadtschreiber, Ratsdiener). Das Rathaus war aber auch Ort der hoheitlichen Verwaltung von Maßen, Waagen, Waffen („Rüst- und Zeugkammer“) und Feuerlöschrequisiten. Auf dem Herrschaftsort Rathaus wurden auch häufig Zeichen der Marktfreiheit und -gerechtigkeit aufgesteckt, vor dem Rathaus stand häufig der Pranger. Die Rathäuser spielten im kommunalen, vom Rat diktierten Raumkonzept auch als städtische Fest- und Gesellschaftshäuser eine bedeutende Rolle – der größte, in der Verfügungsgewalt des Rates stehende Veranstaltungssaal (etwa der „obere“ oder der „lange“ Saal, die Gmain-Stube) innerhalb der Städte befand sich im Regelfall dort. Der Rathaussaal wurde fallweise für Tanzveranstaltungen (beispielsweise im Fasching) oder für die Abhaltung von Hochzeiten („ehrentanz“), die der Rat abhängig vom sozialen Rang der inner- und außerstädtischen Petenten (darunter auch Adelige) entweder genehmigte oder verweigerte, genutzt. Aber auch Wahlveranstaltungen und Bürgertaidinge hatten ihren Ort im Regelfall im Rathaus. Die Rathäuser größerer Städte und Märkte besaßen vielfach neben Kapellen (oder zumindest Lavabo-Nischen) eine Ratsstube, eine Bürgerstube (Gmain-Stube), eine häufig „Kanzlei“ genannte Stadtschreiberstube und mitunter eine eigne „Raitkammer“. Außerdem befand sich in der Regel ein feuersicheres, mit Eisentür bewehrtes „gwölb“ (oft auch „gehaimb“) mit Archivtruhe bzw. dem Archivkasten im Rathaus. Aber auch in der „richterlaadt“ verwahrte man wichtige Dokumente und mitunter Geld. Im Erdgeschoß konnten sich Fleischbänke oder auch die „Brot-Tische unter dem Rathaus“ bzw. die Brotladen befinden.
Die bislang kaum bezüglich ihres, die Abstimmungsmodalitäten verdeutlichenden, Mobiliars untersuchten Ratsstuben waren neben mehr oder minder prächtigen Öfen entweder mit Tischen und/oder Bänken ausgestattet, in Enns beispielsweise saßen Stadtschreiber, -richter und Innere Räte am Tisch; die Genannten dagegen sozialräumlich getrennt auf insgesamt vier Bänken. In Waidhofen/Ybbs saß der Rat hierarchisch nach Eintrittsdatum geordnet an einem Tisch. Die diesbezüglich noch kaum ausgewerteten Kammeramtsrechnungen würden zudem Messingleuchter, Laternen, Hafnerkrüge (und ab dem 16. Jahrhundert vermehrt Zinnkrüge), „gewirchte Handtücher“ und Tischtücher zu Tage fördern. Daneben waren die Rathäuser aber auch partiell Sakralräume, wie das Beispiel Retz mit einer eigenen Rathauskapelle und der dort angesiedelten Corporis-Christi-Bruderschaft verdeutlicht.
Wenn die Rathäuser in der Habsburgermonarchie baulich auch nicht mit ihren Nürnberger oder Augsburger Verwandten mithalten konnten, so bestehen die Wiener, Linzer, Steyrer oder Budweiser Rathäuser doch den Vergleich mit einem schlossartigen Adelspalais bzw. mit den frühneuzeitlichen Landhäusern der Stände (etwa Brünn/Brno, Graz, Pressburg/Bratislava, Innsbruck) mit Leichtigkeit. Viele Rathäuser verfügen zu Betonung ihrer politischen Wichtigkeit und zur Erhöhung der Repräsentationsfläche über einen Turm. Daneben – als wären nicht schon ausreichend Funktionen augezählt – fungierte das Rathaus als Gerichts- und Gefängnisort.
Neben der baulichen Ausgestaltung der Rathäuser zeigt vor allem der künstlerische Schmuck der Rathäuser den Distinktionswillen des jeweiligen Stadtrates. Selten nur waren die Fassaden von Rathäusern minimal geschmückt, sondern die Innen- und Außengestaltung der Ratshäuser umfasste auch in den österreichischen Kleinstädten ikonographisch meist drei Bereiche:
(1) Die Ratssitzungszimmer verwandelten sich im Laufe der Neuzeit in „Landesfürstensäle“, wo einerseits den Habsburgern gehuldigt wurde.
(2) Das zweite zentrale Motivbündel der bürgerlich-obrigkeitlichen Ikonographie bildete neben der Huldigung an die Habsburger auch die „gerechte“ Herrschaft, die gemalte oder skulptural ausgestaltete Allegorie von „guter“ und „schlechter“ Regierung und die Visualisierung von bürgerlichem Gemeinsinn und Kommunalismus.
(3) Als dritter Zweig einer kommunalen Ikonographie lassen sich die bürgerlich-genealogischen Porträts der Amtsinhaber und die schon mittelalterlich bis ins 19. Jahrhundert belegten Wappendarstellungen interpretieren.
Die Tagung spürt den Dynamiken des Rathausbaues im Spätmittelalter, der Frühen Neuzeit und im bürglich-liberalen-konservativen 19. Jahrhundert nach, indem vor allem der Vergleich von Rathausregionen angestrebt wird. Das Rathaus dient heute nicht nur als Ort der Repräsentation, sondern immer mehr auch der Eventkulturen (am Beispiel Wien etwa AIDS-Ball, Feiern von Fußballmeisterschaften, Weihnachtsmarkt etc.).
Organisatoren:
Susanne C. Pils (susanne.pils@wien.gv.at)
Martin Scheutz (martin.scheutz@univie.ac.at)
Christoph Sonnlechner (christoph.sonnlechner@aau.at)
Stefan Spevak (stefan.spevak@wien.gv.at)