Moderne Patronage. Formen und Legitimationen personaler Verflechtung im 19. und 20. Jahrhundert

Moderne Patronage. Formen und Legitimationen personaler Verflechtung im 19. und 20. Jahrhundert

Veranstalter
Prof. Dr. Jens Ivo Engels; Prof. Dr. Volkhard Huth; Volker Köhler M.A.; Robert Bernsee M.A.; Institut für Geschichte, TU Darmstadt; Institut für Personengeschichte, Bensheim
Veranstaltungsort
Kurhaus Trifels
Ort
Annweiler
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.10.2015 - 23.10.2015
Deadline
15.02.2015
Von
Köhler, Volker

Personale Verflechtungen, Seilschaften und persönliche Gefälligkeiten sorgen oft für Schlagzeilen. Unabhängig davon, ob es sich um Vergabepraktiken der FIFA oder um rasche Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft handelt: Stets schwingt der Verdacht des Illegitimen mit, wenn hinter beruflichem oder gesellschaftlichem Aufstieg nicht Leistungen stehen, sondern vor allem persönliche Beziehungen. Zugleich gilt aber auch für die Gegenwart: Persönliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern verschiedenster, aber auch gleicher Organisationen sind unabdingbar für den reibungslosen Prozess des politischen und gesellschaftlichen Betriebes. Dieser Befund lässt sich für die gesamte Epoche der Moderne verallgemeinern: Auch Napoleon, Bismarck, Krupp und Adenauer stützten sich auf Netzwerke. Das Prinzip der Leistung allein sollte idealerweise über die Besetzung einer wichtigen Position entscheiden. Dennoch ist unzweifelhaft, dass persönliche Verflechtung, Verwandtschaft und Klientelismus weiterhin entscheidende Faktoren für den Erfolg in Gesellschaft, Politik und auch Wirtschaft waren.

Zwar gibt es vereinzelt Hinweise auf solche Zusammenhänge. Doch Historikerinnen und Historiker, die zum 19. und 20. Jahrhundert arbeiten, haben sich diesem Phänomen noch so gut wie nicht systematisch zugewandt. Dies ist umso erstaunlicher, als personale Verflechtung seit geraumer Zeit wichtiger Gegenstand der Frühneuzeitgeschichte ist, wo es in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten geradezu einen Boom der Patronageforschung gegeben. Für die Neueste Geschichte gibt es weder einen vergleichbaren Forschungszusammenhang, noch stehen Begriffe und Konzepte bereit, die entsprechende Untersuchungen anleiten könnten.

Die geplante Tagung soll dazu beitragen, dies zu ändern. Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass sich die ‚personale Verflechtung‘ oder ‚Mikropolitik‘ in der Moderne von der Vormoderne unterschied. Zwar ist zu vermuten, dass grundlegende Patronageregeln wie das Do ut des-Prinzip oder die Grundsätze des Gabentauschs (Marcel Mauss) erhalten blieben. Doch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wandelten sich und beeinflussten damit auch das Patronageverhalten. Die Organisatoren begreifen Patronage und Verflechtung ausdrücklich nicht als Überbleibsel vormoderner Praktiken. Daher sollen sie auch nicht in erster Linie als Phänomene ländlicher Peripherien oder konservativer Eliten gesehen werden, die an überkommenen Strategien festhielten. Vielmehr geht es darum, sie als historisch veränderbare Phänomene und als integrale Bestandteile auch jener Sektoren zu begreifen, die durch mehr oder minder rasante Modernisierung geprägt waren.

Spezifisch ‚moderne‘ Formen der Patronage ergaben sich aufgrund neuer politischer Organisationsformen, aber auch neuer Patronageressourcen und erhöhter soziale Dynamik. In den neuen Organisationen bildeten sich unter den Mitgliedern alternative Konzepte gruppenbezogener Solidaritäten und Begünstigung heraus, die sich anders als in der Vormoderne konstituierten. Diese Gruppensolidaritäten wirkten ihrerseits – so die Hypothese – nicht nur organisatorisch, sondern auch ideologisch: Mitglieder begünstigten andere Mitglieder, zumal bei der Besetzung öffentlicher Ämter, weil sie die gleichen politischen Ziele teilten, aber auch, weil sie der gleichen Organisation angehörten (‚Organisationspatronage‘). Die Industrialisierung oder die Einführung von Leistungsverwaltungen brachten neue Ressourcenquellen für den politischen Gabentausch mit sich. Damit ergab sich für Angehörige neuer sozialer Gruppen die Chance, als Patrone aufzutreten. Die Beschleunigung sozialen Auf- oder Abstiegs dynamisierte auch die Patronagebeziehungen.

Das Ziel der Tagung besteht konkret darin, in europäischer Perspektive zu untersuchen, wie (a) die personalen Begünstigungsmechanismen innerhalb von Organisationen funktionierten, (b) auf welche nach innen und außen gerichteten Legitimationsstrategien sie sich stützen konnten und (c) in welcher Wechselbeziehung klienteläre Strukturen mit ihrer sozialen Umwelt standen, etwa wenn es darum ging, ihren Angehörigen Vorteile zu verschaffen.

Die Spannbreite möglicher Untersuchungsfelder ist dabei äußerst groß: Sie reicht von Parteien und Vereinen über Gewerkschaften und Regierungsorganisationen hin zu Freimaurern und Unternehmerverbänden. Von besonderem Interesse sind dabei Organisationen, die bereits in der Vormoderne bestanden (etwa Kirchen) oder ältere Solidaritätskonzepte mit neuen Organisationsformen verbanden (etwa die Deutsche Adelsgenossenschaft oder organisierte Kriminalität). In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Interesse, wie ältere Begünstigungskriterien – Verwandtschaft, Stand, Konfession oder Landsmannschaft – in die neuen Organisationsformen integriert, ob sie umgedeutet oder überformt wurden.

Hiervon ausgehend soll auf der Tagung nach typischen Merkmalen ‚moderner‘ Patronage ebenso gesucht werden wie nach einem begrifflichen Instrumentarium, um künftig den Weg für vergleichende oder transferhistorische Studien freizumachen.

Die Tagung findet in Kooperation des Instituts für Geschichte der TU Darmstadt, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, mit dem Institut für Personengeschichte (Bensheim) statt. Tagungsort ist das idyllisch am Rande des Pfälzerwaldes gelegene „Kurhaus Trifels“ in Annweiler.

Vorschläge für einen Beitrag in deutscher oder englischer Sprache sind bis 15.2.2015 zu richten an:

korruptionsforschung@pg.tu-darmstadt.de
Wir bitten darum, uns einen Abstract (max. 5.000 Zeichen) sowie einen Lebenslauf in Kurzform zu übersenden.

Programm

Kontakt

Volker Köhler

TU Darmstadt, Institut für Geschichte Dolivostraße 15
64293 Darmstadt

korruptionsforschung@pg.tu-darmstadt.de

http://www.korruptionsforschung.tu-darmstadt.de/