Liberalismus und Nationalsozialismus. Eine Beziehungsgeschichte

Liberalismus und Nationalsozialismus. Eine Beziehungsgeschichte

Veranstalter
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart
Veranstaltungsort
Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstr. 46b, 80636 München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2017 - 15.09.2017
Deadline
30.09.2016
Website
Von
Ernst Wolfgang Becker

Theodor-Heuss-Kolloquium 2017
Liberalismus und Nationalsozialismus. Eine Beziehungsgeschichte

Leitung: Frank Bajohr/Ernst Wolfgang Becker/Kristian Buchna/Johannes Hürter/Elke Seefried

Das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und sein Zentrum für Holocaust-Studien sowie die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus organisieren am 14./15. September 2017 am IfZ München ein Theodor-Heuss-Kolloquium zu „Liberalismus und Nationalsozialismus“. Dieses Kolloquium ist Teil des Schwerpunkts „Liberalismus im 20. Jahrhundert“, welchen die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus seit 2013 in mehreren Tagungen verfolgt. Das geplante Kolloquium 2017 widmet sich dem ambivalenten Verhältnis des deutschen und europäischen Liberalismus zum Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert.

Das Verhältnis von Liberalismus und Nationalsozialismus, dies haben Forschungen der letzten Jahre gezeigt, war weitaus ambivalenter, als liberale Narrative nach 1945 glauben machen wollten. Einerseits lassen sich tiefe politische und weltanschauliche Differenzen ausmachen. Der liberale Wertekanon, aus dem 19. Jahrhundert tradiert und auf Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit ausgerichtet, stand im diametralen Gegensatz zum antiliberalen, rassenideologischen und antisemitischen Ideenkern des Nationalsozialismus. Liberale Politiker und Intellektuelle sowie Publizisten aus dem Spektrum der wortmächtigen liberalen Presse drückten der Weimarer Demokratie zunächst ihren Stempel auf. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) agierte als Mitbegründerin der Ordnung von Weimar und verantwortete sie – neben der SPD und dem Zentrum – maßgeblich, und auch die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) übernahm trotz vieler Vorbehalte gegen die parlamentarische Demokratie Regierungsverantwortung.

Andererseits verwies die Forschung der letzten Dekade – so die Arbeiten Eric Kurlanders – auf ideelle Kontinuitäten und Parallelitäten, die sich nicht nur in der nationalistischen, sondern auch teilweise völkischen Prägung des Wilhelminischen Liberalismus manifestierten. Ebenso wurde argumentiert, im Weimarer Liberalismus hätten sich etatistische Ordnungsvorstellungen durchgesetzt, die Ideen eines nationalen und starken Staates gegenüber dem demokratisch-parlamentarischen Prinzip präferierten, und dies habe zur liberalen Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz im März 1933 beigetragen. Neu publizierte Quellen aus der „Stuttgarter Ausgabe“ – der Briefedition zu Theodor Heuss – und die aktuelle Debatte um das Wirken des Staatsrechtlers und Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg in den Jahren 1933 bis 1945 unterstreichen, dass Liberale in der NS-Zeit sich in einem extrem breiten Spektrum zwischen aktivem Widerstand, Emigration, verklausulierter Kritik, Anpassung und Mitwirken bewegten und sie sich partiell den Inklusions- und Exklusionsversprechen der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts-Ideologie öffneten. Nach 1945 bildeten die Liberalen einen Pfeiler des demokratischen Wiederaufbaus und der deutschen Lernprozesse, doch zeigen neuere Studien – etwa zur „Nationalen Sammlung“ Friedrich Middelhauves und zum Naumann-Kreis in der nordrhein-westfälischen FDP – auch die Wirkmächtigkeit nationaler, ja nationalsozialistischer Denkhaltungen auf Teile des liberalen Spektrums.

Angesichts dieser differenten Befunde ist es Ziel der Tagung, die bisherige Forschung zur Beziehungsgeschichte zwischen Liberalismus und Nationalsozialismus zusammenzuführen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Die geplante Konferenz soll das breite Spektrum von Wahrnehmungen, Denkmustern und Praktiken von Liberalen in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und in der NS-„Volksgemeinschaft“ untersuchen. Ebenso nimmt sie nationalsozialistische Wahrnehmungsmuster und Handlungsweisen gegenüber Liberalen in den Blick, um Interaktionsprozesse zu beleuchten. Damit soll die Liberalismus-Forschung stärker mit der neueren NS-Forschung verkoppelt werden, und zugleich sind Verbindungslinien zur Forschung über Bürgertum und Bürgerlichkeit im 20. Jahrhundert zu ziehen. Dabei sollen auch vergleichende und transnationale Perspektiven berücksichtigt werden, die auf europäische Liberalismen zielen.

Erwünscht sind Beiträge zu folgenden vier Schwerpunktthemen:

1. Inhaltliche Abgrenzungen und Anknüpfungen bis 1933:

Welche Rolle spielten seit Mitte des 19. Jahrhunderts virulente Ideologeme wie ethnischer Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus im deutschen und europäischen Liberalismus? Welche Raumkonstruktionen und Raumvorstellungen lassen sich in einem „liberalen Imperialismus“ (Jens-Uwe Guettel) ausmachen? Inwiefern radikalisierten oder pragmatisierten sich liberale Ordnungsvorstellungen und Ideen zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik?

2. Liberalismus und Nationalsozialismus: Wahrnehmung und Interaktion bis 1933/39:

Wie nahmen deutsche Liberale den italienischen Faschismus, wie den Nationalsozialismus wahr, und welche Interaktionsprozesse lassen sich herausarbeiten? Welche Einschätzungen und Deutungen dominierten im britischen, französischen oder italienischen Liberalismus mit Blick auf den Nationalsozialismus? Wie wurde der Liberalismus nach 1919 in völkischen Gruppierungen und in der NSDAP wahrgenommen, bewertet und bekämpft? Welche Rolle spielten Generationalität, soziale Herkunft, Konfession und (bürgerlicher/antibürgerlicher) Habitus für Abgrenzungs- und Interaktionsprozesse?

3. Liberale im Nationalsozialismus und im Exil:

Welche Motivlagen, Ordnungsvorstellungen und Handlungsweisen prägten liberale Lebensläufe 1933 bis 1945? Welche liberalen Netzwerke, Gesprächskreise und Vergemeinschaftungen überdauerten das Ende der Weimarer Republik, und warum? Wie wurden die nationalsozialistische Machtübernahme, wie das eigene Scheitern und das Ende der Weimarer Republik wahrgenommen, diskutiert, bewertet und erinnert? Welche Zukunftsentwürfe pflegten Liberale 1933 bis 1945, und inwiefern trug der Widerstand eine liberale Signatur? Wie positionierten sich liberale Journalisten im NS-Regime, welche Arbeitsmöglichkeiten hatten sie, welche Handlungsmöglichkeiten und Nischen offerierten mögliche Netzwerke? Wie und auf welcher politischen und ideellen Basis integrierten sich (ehemalige) Liberale in das NS-Regime und die nationalsozialistische Volksgemeinschaft? Welche Rolle spielten Liberale – und insbesondere Juristen – in der NS-Administration auf der Reichs- und Länderebene, in Arisierungsprozessen, im Kontext von Kriegsverbrechen und Holocaust? Wie nahmen emigrierte Liberale – wenig erforschte prominente Beispiele sind etwa der Ökonom Gustav Stolper, der Publizist Ernst Jäckh oder der Jurist und Historiker Erich Eyck – die Entwicklung in Deutschland wahr, und inwiefern prägte deren Wirken und Wissen politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen in den Exilländern?

4. Liberale und die nationalsozialistische Vergangenheit nach 1945:

Wie gingen Liberale nach 1945 mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus um? Welche Lernprozesse zeichneten sich ab (etwa im Ordoliberalismus oder im „westernisierten“ Konsensliberalismus)? Welche Bedeutung hatten personelle und ideelle Kontinuitäten vom Weimarer Rechtsliberalismus (etwa dem Jungdeutschen Orden) in die FDP? Wie prägten und konstruierten liberale Zeitungen und Zeitschriften – wie die „Zeit“ – das Bild vom NS-Regime und vom Widerstand, und welche Folgen hat dies bis heute? Wie war der konkrete Umgang der FDP mit ehemaligen Angehörigen von NS-Organisationen? Und wie blickten europäische Liberale auch im Zuge der Totalitarismusdebatte auf den Nationalsozialismus zurück und thematisieren Fragen von Schuld und Verantwortung?

Die Tagung richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und wissenschaftler wie auch an etablierte Forscherinnen und Forscher. Ausdrücklich erwünscht sind Vorträge aus aktuell laufenden und noch nicht publizierten Arbeiten. Tagungssprache ist Deutsch. Die Veranstalter übernehmen die Reise- und Übernachtungskosten nach Maßgabe des Bayerischen Reisekostengesetzes sowie die Verpflegung vor Ort.

Bitte senden Sie Ihr Exposé (nicht länger als 500 Wörter) mit Kurzbiografie (in einer PDF-Datei) bis zum 30. 9. 2016 an folgende Adresse: seefried@ifz-muenchen.de.

Programm

Kontakt

Prof. Dr. Elke Seefried (seefried@ifz-muenchen.de)