Grenzüberschreitungen: Migrantinnen und Migranten als Akteure im 20. Jahrhundert

Grenzüberschreitungen: Migrantinnen und Migranten als Akteure im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Dozentur für Migrationsgeschichte / Forschungsplattform „Migration: Kompetenzen bündeln – Impulse setzen – Grundlagen schaffen“ am Walter-Benjamin-Kolleg der Universität Bern / AG „Frauen im Exil“ in der Gesellschaft für Exilforschung e.V.; organisiert durch Dr. Wiebke von Bernstorff (Hildesheim), Dr. Heike Klapdor (Berlin) und PD Dr. Kristina Schulz (Bern)
Veranstaltungsort
Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
01.02.2018 - 02.02.2018
Deadline
01.05.2017
Website
Von
Blaser, Vera

Forschungen zur Geschichte von Migration im 20. Jahrhundert sind mehrheitlich als Untersuchungen massenhafter Zu- und Abwanderung konzipiert. Dies gilt für die seit den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum mit dem Namen Klaus Bade verbundene sozialgeschichtliche Migrationsforschung, für auf die Möglichkeiten von Assimilation gerichtete Ansätze der Einwanderungsforschung bzw. immigration studies und für Untersuchungen der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen von Migration.
Wenngleich diese Ansätze unverzichtbares Wissen über das Ausmass, den Kontext und die Formen des historischen Migrationsgeschehens generieren, gelingt es ihnen nicht, Migrantinnen und Migranten als aktiv Handelnde ins Zentrum zu rücken und subjektive Erfahrungen von Migration in ihren vielfältigen Facetten aufzuarbeiten. Hier setzt die Tagung an. Sie wendet sich Frauen und Männern als AkteurInnen zu, die Praktiken, Ausdrucks-, Darstellungs- und Kommunikationsformen entwickeln und fragt nach ihrer Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht in politischen und sozialen Zusammenhängen:
Welche Faktoren haben individuelle Migrationsentscheidungen beeinflusst und wer war daran beteiligt? Wo konnten Migrantinnen und Migranten im Übergang in ein anderes gesellschaftliches Umfeld Handlungs- und Wirkungsmächtigkeit (Stichwort agency) entfalten? Mit welchen Strategien antworteten sie z.B. auf Deklassierungserfahrungen, etwa wenn Bildungsabschlüsse und Berufsqualifikationen im neuen Umfeld nicht anerkannt wurden oder die Möglichkeit der sprachlichen Verständigung eingeschränkt war? Welche Praktiken der Begegnung und der Einflussnahme entwickelten sie und in welchem Umfeld? Wie lässt sich Migrationserfahrung überhaupt erforschen, wenn Menschen sich erst einmal am neuen Ort niedergelassen und eingerichtet haben? Welche Bedeutung kommt dabei künstlerischen und literarischen Zeugnissen der Migration zu? Gibt es spezifische Formen des individuellen und kollektiven Erinnerns an diejenigen Wanderungsprozesse, die für die meisten europäischen Gesellschaften bis heute konstitutiv sind?
Die Tagung widmet sich diesen auch für das Verständnis des gegenwärtigen Wanderungsgeschehens wichtigen Fragen aus historischer Perspektive. Im Zentrum stehen Migrationen im europäischen Kontext im 20. Jahrhundert, wobei Europa hier als Abgangs-, Durchgangs- oder Ankunftsregion gilt. Der titelgebende Begriff „Grenzüberschreitungen“ berücksichtigt dabei einerseits Erfahrungen der konkreten Ortsverlagerung, ihre Vor- und Nachgeschichte sowie ihres Stellenwerts in den Lebensläufen von Migrantinnen und Migranten, und andererseits die Praktiken von Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, die Neuankömmlinge in der Ankunftsgesellschaft erleben und mitunter auch selbst vornehmen. Untersucht werden sollen auch Formen literarischer/künstlerischer/ ästhetischer/medialer Verarbeitung und deren Konzeptualisierung, etwa in Begriffen von „Transit“ oder „Passage“.
Der zweite Ausgangspunkt der Tagung ist die Beobachtung, dass sich augenblicklich eine neue Kluft zwischen historisch-kulturwissenschaftlich orientierter Exil- und Migrationsforschung einerseits und gegenwartsorientierter sozial-, politik- und rechtswissenschaftlich orientierter Flüchtlingsforschung andererseits abzeichnet, und dabei das Potential einer interdisziplinären Zusammenarbeit verloren zu gehen droht. Wie keine andere Forschungsrichtung hat sich beispielsweise die interdisziplinäre Exilforschung mit den Lebenswegen von Menschen befasst, die aus ihrem Herkunftsland fliehen mussten und dabei Erfahrungen von Verlust, Entwurzelung und Entfremdung im Schatten von Gewalterfahrung machten. Können ihre Erkenntnisse für die Untersuchung anderer Formen von Migration im 20. Jahrhundert fruchtbar gemacht werden? Vermögen andersherum neuere Ansätze der gegenwartsorientierten Migrationsforschung, wie etwa der Begriff der Transitmigration, postkoloniale Theoriebildung oder Überlegungen aus der Gender-Perspektive ein neues Licht auf das historische Exil zu werfen? Zur Debatte stehen damit auch gängige Differenzierungen unterschiedlicher Migrationstypen, etwa freiwillige/unfreiwillige Wanderungen, Pendel- und Transmigrationen, Diaspora und Exil. In welchem Verhältnis stehen diese Begrifflichkeiten zueinander? Die Konferenz lädt dazu ein, die Möglichkeiten der inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit auszuloten und damit – um das Wortspiel aufzunehmen – Fächergrenzen zu überschreiten.
Der Call for Paper richtet sich an Forscherinnen und Forscher, die Migrantinnen und Migranten als Akteure untersuchen, ohne jedoch die strukturellen Voraussetzungen und Begrenzungen individuellen Handelns aus dem Blick zu verlieren. Mögliche Themenbereiche für Vorträge sind:

- Theoretische und methodische Aspekte der historischen Erforschung von Migrationsentscheidungen und Handlungsspielräumen von MigrantInnen (Fragen der Quellenkritik, Einsatz von Oral History, Zusammenhang von Struktur und agency)
- Potentiale der Verschränkung von vergangenheits- und gegenwartsbezogenen Ansätzen in der Migrations-, Exil- oder Flüchtlingsforschung
- Orte und Praktiken der Begegnung, sei es in Gesellschaften à part (z.B. in migrantischen Selbsthilfeorganisationen oder Exilgemeinschaften), sei es als integrierte Milieus (z.B. in gewerkschaftlichen, parteipolitischen, zivilgesellschaftlichen oder lebensweltlichen Zusammenhängen)
- Biographische Brüche (Erfahrungen, Reaktionen, Strategien) und ihre Thematisierung in Kunst/Literatur/Film/Presse u.a.m.
- Geschlechtsspezifische Erfahrungen und Verläufe von Migration sowie ihre intersektionelle Verschränkung
- Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Migrantinnen und Migranten (Identitätspolitiken, Fragen der politischen Repräsentation, Historiographie, Erinnerungskultur)
- Orte und Akteure transnationaler Aktivitäten

Tagungssprachen sind Deutsch, Englisch, Französisch.

Durchgeführt wird die Veranstaltung als Verbindung aus eingeladenen Vorträgen und solchen, die mittels dieses Call for Papers gewonnen werden. Ausdrücklich angesprochen ist der wissenschaftliche Nachwuchs. Interessierte Forscherinnen und Forscher sind gebeten, bis zum 1.5.2017 ein Abstract sowie eine Kurzvita (je max. 1 Seite) an Vera Blaser (vera.blaser@hist.unibe.ch) zu senden. Eine Benachrichtigung erfolgt im Juni 2017. Die Vorträge können 20 Minuten nicht überschreiten.

Vorbehaltlich der Zusagen von Förderinstitutionen wird angestrebt, die Reise- und Aufenthaltskosten der Referierenden ganz oder teilweise zu übernehmen. Falls die Finanzierung aus eigenen Mitteln erfolgen kann, bitten wir um kurze Mitteilung.

Programm

Kontakt

Vera Blaser
vera.blaser@hist.unibe.ch


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Deutsch
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