Medizin und öffentliche Gesundheit. Konzepte, Akteure, Spannungsfelder

Medizin und öffentliche Gesundheit. Konzepte, Akteure, Spannungsfelder

Veranstalter
Historisches Kolleg, Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach
Veranstaltungsort
Historisches Kolleg, Kaulbachstr. 15, 80539 München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.11.2016 - 11.11.2016
Deadline
28.10.2016
Von
Jörn Retterath, Historisches Kolleg, Stiftung zur Förderung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des Historischen Kollegs

In den letzten Jahren hat die Diskussion um das Konzept einer Öffentlichen Gesundheit/Public Health deutlich nachgelassen, doch ist das Thema in anderer Gestalt sehr aktuell: Die Diskussion über Antibiotikaresistenzen auf dem G-7 Gipfel im Frühjahr 2015, die Befassung mit der weltweiten Ausbreitung von Seuchen (z.B. Ebola) wie auch die Debatte über einen möglichen Impfzwang gegen Masern unterstreichen, wie sehr Medien und Politik sich dem Thema einer Öffentlichen Gesundheit annehmen. Zugleich ist ein gegenläufiger Trend auszumachen, der in erster Linie das Individuum im Zentrum der Gesundheitsfürsorge sieht und mit Hilfe einer individualisierten/personalisierten Medizin oder verschiedener Formen der Selbstkontrolle und Selbstoptimierung die individuelle Gesundheit steigern möchte. Öffentliche Gesundheit und Individualgesundheit erscheinen in einer weit verbreiteten Lesart als zwei gegensätzliche, zumindest eigenständige und voneinander unabhängige Phänomene. Auch die neuerdings gegebene Möglichkeit, mit Hilfe eines einfachen Bluttestes, bereits vorgeburtlich Kinder mit Down-Syndrom zu identifizieren und die Schwangerschaft abzubrechen, imponiert nicht als eine vom Staat vorgegebene klassisch eugenische Forderung, keinen „degenerierten“ Nachwuchs zur Welt zu bringen. Vielmehr handeln die Betroffenen in einem vermeintlich wohlverstandenen Eigeninteresse, freilich vor dem Hintergrund drohender Stigmatisierungen, sollte ein Kind mit Down-Syndrom tatsächlich zur Welt kommen.
Die angesprochenen Fragen, die um Gesundheit im Spannungsfeld von Medizin, individuellem Wohl, öffentlicher Verantwortung, Freiheit und Normierung kreisen, haben einen starken Gegenwartsbezug. Mit Hilfe einer Historisierung sollen diese Fragen unter neuen Perspektiven erörtert werden. Die Auseinandersetzung mit den historisch unterschiedlichen Bedeutungen von Gesundheit, der sich wandelnden Rolle der Medizin sowie mit den sich verändernden intellektuellen, kulturellen und materiellen Gegebenheiten, in denen Denken und Handeln der verschiedenen Akteure verortet werden kann, können Einsichten ermöglichen, die auch eine weiter gehende Verortung der oben angesprochenen Themen ermöglichen. Die in der Vergangenheit identifizierbaren Vorläuferkonzepte moderner öffentlicher Gesundheitsvorstellungen und deren Rezeption, die im Lauf der Jahrhunderte erfolgten Umdeutungen, das Auftreten neuer Akteure, die Herausforderungen durch neu auftretende Seuchen sowie Erkrankungen auf somatischem und psychischem Gebiet, einschließlich der Thematisierung von Pflichten, Freiheiten und Verantwortungen von Individuen und Gemeinschaften für die Herstellung einer Öffentlichen Gesundheit, sollen dabei zentrale Punkte der Diskussion sein. Ebenso sind auch die moralischen und ethischen Implikationen dieser Diskurse und Praktiken vor dem Hintergrund zeitgenössischer Normen anzusprechen, nicht zuletzt auch das in der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno thematisierte und auf die Öffentliche Gesundheit übertragbare Problem, dass die Aufklärung stets mit dem „sozialen Zwang sympathisiert“ habe und deswegen die Einheit des Kollektives in der Negation des Einzelnen bestehe. Drei zentrale Felder aus diesem Themenkomplex sind zu unterscheiden und im Rahmen der Tagung zu behandeln:
1) Vorläufer, Rezeptionen, Begriffe und Konzepte,
2) Akteure, Mittel und Erkenntnisgenerierung,
3) Dynamiken, Spannungsfelder und ethisch-moralische Herausforderungen.

Programm

Mittwoch, 9. November 2016

16:00 Uhr Begrüßung durch das Historische Kolleg
Heinz-Peter Schmiedebach (Berlin): Einführung

I. Konzepte und Herausforderungen

16:45 Uhr Alfons Labisch (Düsseldorf): Der „öffentliche Werth der Gesundheit“. Oder: was bringt eine Gesellschaft dazu, gesund zu sein und bleiben zu wollen. Die historische Perspektive

17:35 Uhr Rainer Müller (Bremen): Public Health – Global Health: neu denken, neu konzipieren. Die aktuelle und künftige Perspektive

18:25 Uhr Georg Marckmann (München): Ethische Bewertung von Public Health-Maßnahmen: Methodische Grundlagen und praktische Anwendung

Donnerstag, 10. November 2016

Konzepte und Herausforderungen (Fortsetzung)

9:00 Uhr Karl-Heinz Leven (Erlangen-Nürnberg): Hippokratische Medizin, spartanische Bräuche, Staatsutopien – Öffentliche Gesundheit als Idee uns Auftrag in der Antike?

9:50 Uhr Friedrich Lenger (Gießen): Stadthygiene: Gesundheit und städtischer Raum in Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

10:40 Uhr Kaffeepause

11:10 Uhr Eva Brinkschulte (Magdeburg): Der medizinische Sonntag - Ritualisierung der Gesundheitsaufklärung in der DDR. Elfriede Paul (1900–1981) und das „Magdeburger Modell“

12:00 Uhr Gabriele Moser (Heidelberg): Kommentar
anschl. Diskussion

13:00 Uhr Mittagspause

II. Dynamiken und Spannungsfelder

14:30 Uhr Martin Lengwiler (Basel): Prävention zwischen Staat und Subjekt: Aufriss einer Geschichte der Vorsorge im 19. und 20. Jahrhundert

15:20 Uhr Eberhard Wolff (Basel/Zürich): Von der „Public Health“ zur „Gesundheitsgesellschaft“?

16:10 Uhr Kaffeepause

16:40 Uhr Martin Dinges (Stuttgart): Die späte Entdeckung der Männer als Adressaten der öffentlichen Gesundheitsförderung

17:30 Uhr Mariacarla Gadebusch Bondio (München): Das Janusgesicht der Partizipation

Freitag, 11. November 2016

III. Dynamiken und Spannungsfelder (Fortsetzung)

9:00 Uhr Monika Ankele (Hamburg): „Jede Verhütung des Verfalls der Arbeitskraft ist […] Gewinn für die Allgemeinheit.“ Arbeit/slosigkeit, Psychiatrie und öffentliche Gesundheit in der Weimarer Zeit

9:50 Uhr Philipp Osten (Hamburg): Film und visuelle Medien in der Gesundheitsaufklärung 1898–1945

10:40 Uhr Kaffeepause

11:10 Uhr Christoph Gradmann (Oslo): Natur, Technik, Zeit. Infektionskrankheiten und ihre Kontrolle im langen 20. Jahrhundert

12:00 Uhr Paul Weindling (Oxford): Migration und Gesundheit im 20. Jahrhundert: Erfahrungen von zur Migration gezwungenen Medizinern 1933–1945

12:50 Uhr Flurin Condrau (Zürich): Schlusskommentar
anschl. Diskussion

ca. 13:40 Uhr Ende der Tagung

Kontakt

Dr. Elisabeth Hüls
Historisches Kolleg
Kaulbachstr. 15
80539 München
elisabeth.huels@historischeskolleg.de

http://www.historischeskolleg.de