1937. Perfektion und Zerstörung

Veranstalter
Kunsthalle Bielefeld (14196)
rda_hostInstitution_reex
14196
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2007 - 13.01.2008

Publikation(en)

Kellein, Thomas (Hrsg.): 1937. Perfektion und Zerstörung. Tübingen 2007 : Wasmuth & Zohlen Verlag UG, ISBN 978-3-8030-3319-2 528 S., 391 Abb. € 32,00 (Museumsausg.)/€ 49,90 (Buchhandelsausg.)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Schmidt, Bielefeld

Der Anlass für die Ausstellung war die 70. Wiederkehr des Jahrestages der ersten Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München. Der Titel „Perfektion und Zerstörung 1937“ ist doppeldeutig zu verstehen: Einerseits wird die Perfektion der NS-Kunst gezeigt – perfekt in dem Sinn, dass der Modellcharakter des jeweiligen Exponates hervorsticht; perfekt aber auch in dem Sinn, dass in keinem europäischen Land in den späten 1930er-Jahren die moderne Kunst so radikal vertrieben wurde wie in Deutschland. Insoweit muss man von Zerstörung sprechen. Zerstörung war es auch insofern, als die Herstellung neuer Zusammenhänge der Kunstproduktion erschwert wurde.

Der Auswahl faschistischer Kunstproduktion stehen im Eingangsbereich Werke damals verfemter Zeitgenossen gegenüber, die von der Kunsthalle, obwohl zum Teil schon im Besitz der Vorgängerinstitution, nach 1945 auf dem freien Kunstmarkt zurückgekauft wurden. Erdrückend in seiner Monumentalität und Perfektion wirkt in der Ausstellung Arno Brekers „Prometheus“. Im Gegensatz zur Schweriner Breker-Ausstellung von 2006 dürfte die Bielefelder Schau aber kaum Proteste auslösen, weil sie Brekers Werk nicht isoliert betrachtet. Hier ist das Problem anders gelagert: Immer wieder sind Besucherstimmen zu vernehmen, die nicht verstehen, was an den ausgestellten Werken der Nazi-Kunst anstößig sein soll.

Den Einstieg bildet im Hauptraum des ersten Stocks „Das böse Erwachen“: die Reaktion deutscher Künstler auf die systematische Verfolgung alles Nonkonformistischen, die ja schon 1933 begann. Wer auch immer prominent und unliebsam war, darüber hinaus ein akademisches Amt bekleidete, der wurde entlassen: Max Beckmann, Willi Baumeister, Paul Klee – um nur einige zu nennen. Die Preußische Akademie der Künste in Berlin verlor ihre bedeutendsten Repräsentanten der Moderne: Otto Dix, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka und viele andere. Zum Teil blieben sie noch in Deutschland und erfreuten sich sogar staatlicher Gunst: Für kurze Zeit stand „bei der Frage einer das ‚Dritte Reich’ repräsentierenden Staatskunst [...] der deutsche Expressionismus zur Debatte“ (Katalog, S. 50). Emil Nolde sollte auf Wunsch des Berliner NS-Studentenbundes die Leitung der „Vereinten Staatskunstschulen“ angetragen werden (S. 51). Und der Künstler trat „in völliger Verkennung der politischen Wirklichkeit des Nationalsozialismus“ (ebd.) der NS-Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig bei. Noch 1935 erwarb das Folkwang-Museum in Essen einen Grafik-Zyklus bei ihm. Zwei Jahre später gehörten viele seiner Werke zu den Paradebeispielen „Entarteter Kunst“. Auch Ernst Barlach erlag anfangs einer Selbsttäuschung und reichte „noch 1936 Entwürfe zum Wettbewerb um die künstlerische Ausgestaltung der Olympischen Spiele ein“ (S. 51). Kurz nach den Spielen wurden zwei seiner Skulpturen eingeschmolzen; 1937 erhielt er Ausstellungsverbot. Solche Drangsalierungen haben sicher seinen frühen Tod befördert: Barlach starb 1938 an einem Herzinfarkt.

Trotz des Aderlasses „zeichnet die inoffiziell überlebende deutsche Kunst, entweder im Exil oder im Verborgenen, das drastische Bild des bösen Erwachens. Die Künstler stellen nicht nur die Angriffe und Ungewissheiten dar, denen sie ausgesetzt sind. Sie schildern das Nahen der Katastrophe, die mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust vorprogrammiert ist.“ (S. 54f.) Dass neben Edgar Ende, Richard Oelze und Felix Nussbaum zum Beispiel aber der in Nazi-Deutschland nicht unbedingt verfemte Franz Radziwill unkommentiert hängt, will nicht so recht einleuchten. Und dass bei Beckmann die dunklen Farben in seinen Gartenlandschaften „als Metaphern der Bedrohung und Unfreiheit verstanden werden“ sollen (S. 56), kann man nur dem Katalog entnehmen oder dem ca. 20-minütigen Film, der im Vortragssaal nonstop läuft.

Dies ist ein erster Kritikpunkt der an sich verdienstvollen Ausstellung: Für den unbedarften Besucher sind die Erläuterungen eher dürftig. Einen Audioguide gibt es leider nicht. Das ist bedauerlich angesichts der Fülle von Exponaten – 400 Werke wurden aufgehängt bzw. -gestellt. Und sie vermitteln in der Tat einen guten Überblick zum künstlerischen Schaffen um 1937. Der Blick richtet sich teils weit über die deutschen Grenzen hinaus: Wand an Wand mit dem deutschen Erschrecken hängt etwa die italienische Kunst jener Zeit. „Aeropittura“ als Fortsetzung des Futurismus mit anderen Motiven – „eine neuartige Auseinandersetzung mit den Themen Bewegung, Geschwindigkeit, Zeit, Raum und Licht“ (S. 118). Da war kein Erschrecken über die faschistische Bewegung zu erkennen.

Im zweiten Stock der Kunsthalle wird zunächst einmal großflächig die Kunst der UdSSR gezeigt. Auch hier findet sich Technikbegeisterung, wenn zum Beispiel Alexander Deinekas „Zukünftige Flieger“ oder Wladimir Ljuschins „Der Schrecken der Lüfte: ‚Krokodil’...“ präsentiert werden. Deineka zeigt die Rückenansicht von Kindern, die auf ein startendes Wasserflugzeug blicken; das „Krokodil“ fliegt im Auftrag der gleichnamigen Satirezeitschrift. In Fotos wird der „neue Mensch“ unter anderem von El Lissitzky und Rodtschenko gefeiert. Wie im ersten Stock wird dem Triumph auf der einen Wandseite die Depression auf der Rückseite zugesellt: Walker Evans, Margret Bourke-White und andere dokumentieren die Große Depression in den USA nach dem New Deal. Hier hätte man gern auch Zeugnisse des Optimismus aus der Auftragsproduktion von Roosevelts New Deal gesehen.

Schaut man sich in der Abteilung Skulptur etwa Gerhard Marcks’ „Schwimmerin“ oder Aristide Maillols „Pomona“ an und vergleicht sie mit daneben stehenden Werken von Richard Scheibe, Ludwig Kasper oder Georg Kolbe, so fällt auf, dass sie „das am klassischen Ideal geschulte Motiv der reglos und aufrecht stehenden Gestalt nahezu bruchlos“ aufnehmen (S. 289). Sie folgen ebenso dem Ideal der Perfektion wie Arno Breker, dessen gesellschaftlichen und politischen Rang allerdings keiner von ihnen erreichte. Immerhin durfte Scheibe, der während der NS-Zeit immer ausstellen konnte, 1953 das Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944 im Bendlerblock errichten, „ein stehender männlicher Akt, der mit Ausnahme der gefesselten Hände ganz seinen früheren, von den Nazis geschätzten Skulpturen entspricht“ (S. 324). Auch hier fehlen Hinweise zur näheren Einordnung.

War es 1924 „Der fliegende Ton“ Friedrich Wilhelms Murnaus, der dem Stummfilm bildlich einen Ton verpasste, so bannte René Magritte keine zehn Jahre später mit der brennenden Tuba („L’échelle de feu“) den brennenden Ton auf die Leinwand und gab dem Fanal der Nazis eine surrealistische Antwort. Das Motiv, 1936 ‚Die Entdeckung des Feuers’ genannt, ziert das Plakat zur Ausstellung. Breiten Raum nimmt die Antwort der Surrealisten auf die Nazi-Ideologie ein. Magrittes ‚Die doppelte Realität’ zeigt in der rechten Bildhälfte den gleichen Frauenkopf einmal aufrecht, einmal auf dem Kopf stehend. Links daneben sieht man einen hellen Ausschnitt (Fenster?) mit einer zweigeteilten Kugel. Herausragend ist auch Max Ernsts „Hausengel“, der in zwei Versionen gezeigt wird. Entstanden als Reaktion auf die Niederlage der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg, war der „Hausengel“ für Ernst „eine Art Trampeltier, das alles, was ihm in den Weg kommt, zerstört und vernichtet“ (zit. auf S. 420). Die große Version von Ernsts „Hausengel“ zeigt eine springende Gestalt, Arme und Beine breit gespreizt mit furchterregendem Gesicht: „Für die Surrealisten gilt, je komplexer das Monster, je erschreckender seine Wirkung, desto anhaltender werden die Details studiert. Der Ordnungsgedanke hat mit dem Interesse an der überwältigenden Geschichte zu tun. Dalí, Tanguy, Ernst und Bellmer sind bei ihrem analytisch-synthetischen Drang zur Anatomie nicht allein.“ (S. 389) Natürlich wird auch Picassos Antwort auf den ersten Luftterrorangriff in einem Krieg zitiert – das berühmte „Guernica“-Bild. Fünf Fotos von Dora Maar zeigen unterschiedliche Stadien der Entstehung. Außerdem finden sich zwei Vorstudien sowie Radierungen, die vom Erschrecken des Künstlers reden und von seinem Versuch, diesen Schrecken zu bannen.

Nicht zuletzt fand 1937 auch die Weltausstellung in Paris statt. Dort wurde ebenfalls auf den Fortschritt durch Technik gesetzt. Paradigmatisch dafür stehen Sonja und Robert Delaunay; sie malten den „Palais de l’Air“ und den „Palais de Chemins de Fer“ aus. Sonja Delaunays Wandbildentwürfe ‚Propeller’, ‚Armaturenbrett’ und ‚Flugzeugmotor’ künden ebenso vom Optimismus und von der Utopie eines anderen (besseren?) Lebens wie ihre ‚Skizze für Portugal’ für den Eisenbahnpavillon. Aber dergleichen konnte sich schwer behaupten gegen die Monumentalarchitektur des sowjetischen bzw. deutschen Pavillons: Beide waren 160 m lang (!); auf dem sowjetischen Pavillon stand eine 24 m hohe Plastik (‚Arbeiter und Kolchosbäuerin’ von Vera Muchina), während den deutschen Pavillon ein nicht viel kleinerer Adler von Kurt Schmid-Ehmen krönte. Diesen Pavillon hatte Albert Speer gebaut. In Frankreich wurde sein Stil so kommentiert: „Die Architektur ist leer und protzig, sie steht stilistisch ungefähr auf der Stufe von 1906.“ (zit. auf S. 464) Das erscheint nach wie vor treffend.

Es ist ein anregender Rundgang. Selten bekommt man einen so konzentrierten Einblick in die künstlerischen Positionen jener Zeit, die zwischen offener Propaganda, Anpassung, innerer Emigration und Widerstand oszillierten. Der Wunsch nach erschöpfender Information, der die Macher bewegt hat, bringt den Besucher, der in der Regel nur einmal kommt, an den Rand der Erschöpfung. Leider, es sei noch einmal darauf hingewiesen, sind die (Text-)Informationen während des Rundgangs indes nicht sehr erhellend. Dringend zu empfehlen ist es daher, sich vor dem Rundgang den Einführungsfilm anzuschauen – nicht nur der besseren Vorinformation wegen, sondern auch, weil er gut gemacht ist. Der Katalog ist ebenfalls eine nützliche Informationsquelle – mit seinen über 500 Seiten allerdings eine schwergewichtige.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension