Ursprünge der Seidenstraße

Veranstalter
Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (rem) in Zusammenarbeit mit dem Martin-Gropius-Bau, der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und dem Heritage Bureau der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang der Volksrepublik China (10399;10193;11325)
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10399;10193;11325
Ort
Berlin / Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.10.2007 - 01.06.2008

Publikation(en)

Wieczorek, Alfried; Lind, Christoph (Hrsg.): Ursprünge der Seidenstraße. Sensationelle Neufunde aus Xinjiang, China. Stuttgart 2007 : Theiss Verlag, ISBN 978-3-8062-2160-2 320 S. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elisabeth Heil, Ahrensfelde / Matthäus Heil, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin

Die „Seidenstraße“ ist geradezu Inbegriff für eine Frühform der Globalisierung. Sie steht für einen reichen Waren- und Kulturaustausch zwischen China einerseits und dem Iran und dem Mittelmeerraum andererseits über ein weites Wegenetz, das selbst extreme Gebirgs- und Wüstengebiete wie in Xinjiang durchzog. Vor 100 Jahren führten Expeditionen ins Tarimbecken zu interessanten Entdeckungen, aber erst nach 1990 begannen in dieser Region gezielte Forschungen und neue Ausgrabungen, oft im Wettlauf mit Plünderungen oder drängenden Baumaßnahmen. Es ist eine Weltpremiere, dass die Ausstellung in Berlin und Mannheim nun diese Neufunde zu den „Ursprüngen der Seidenstraße“ präsentieren kann. Wir haben (ohne Audio-Guide) die Ausstellung in Berlin besucht und uns gefragt, was ein Besucher – angezogen vom derzeitig boomenden Asieninteresse, aber ohne spezifische Vorkenntnisse – an Wissen hinzugewinnt. Unser Eindruck ist eher zwiespältig.

Die äußerliche Präsentation ist sehr gelungen: In hellen Sälen laden schöne, gut platzierte Vitrinen zum eingehenden Betrachten der Objekte ein. Die dunklen Beschriftungen auf hellen Kärtchen oder Wandfahnen sind ermüdungsfrei zu lesen, Karten und Landschaftsaufnahmen ergänzen die Schau. Endlich einmal keine wegverstellenden Vitrinenwände in Dunkelkammern und keine billigen Effekthaschereien! Die gezeigten 190 Objekte, 4000 bis 1300 Jahre alt, faszinieren tatsächlich. Wegen der extremen Trockenheit und schnellen Dehydrierung haben sich organische Materialien in großer Zahl und geradezu „frischem“ Zustand erhalten. An Trockenmumien sind Gesichtszüge ablesbar, Textilien strahlen in überwältigender Farbkraft, und wir sehen Speisen für die Toten. Daneben gibt es Keramik, Holz- und Lackwaren, Schmuckstücke aus Gold und Geräte aus Bronze. Entgegen ihrem Titel führt die Ausstellung aber an diesen Objekten nicht den Nachweis, dass der große Kulturaustausch zwischen Ost und West schon in frühester Zeit begann. Die Überreste lokaler Kulturen des Tarimbeckens werden einfach nach Fundorten chronologisch präsentiert. Übergreifende Zusammenhänge sind jedenfalls kein Leitthema der Ausstellungsmacher. Ob ein Objekt Handelsware oder aus lokaler Produktion ist und dabei fremde Einflüsse aufweist, wird dem Besucher nicht auseinandergesetzt, zumal keine Vergleichsstücke aus anderen Fundgebieten gezeigt werden, auch nicht in Abbildungen. Die Objektbeschriftungen, von der Agentur Linon Medien (Berlin) aufgrund der Katalogtexte verfasst, machen weder Normalfall noch Besonderheit deutlich. So kann der Besucher auch an den spektakulärsten Stücken (etwa dem hellenistischen, singulär erhaltenen Gobelinfragment) achtlos vorbeilaufen. Zudem zeigen sich grobe Unstimmigkeiten zwischen Objekt und Ausstellungstext und Interpretationsdifferenzen zum Katalogtext (so wird ein mächtiges Keramikgefäß als „Tasse“ betitelt, Kat. 180; der Gemmenring mit wulstiger Tierkopffassung ist wohl kaum zum Siegeln zu gebrauchen, vgl. Kat. 179; Bedeutung von langen Holzstangen als „Phalli“, vgl. S. 109, Kat. 20).

Auch der großformatige, reich bebilderte Katalog kann inhaltlich nicht immer überzeugen. Er besteht aus einem Teil mit einführenden Aufsätzen (S. 21–97) und einem anschließenden mit Beschreibung der Fundorte und der zugehörigen Objekte sowie kleinen Exkursen (S. 99–303). Die Autoren sind vor allem Museumsmitarbeiter, ergänzt um einige Forscher, die in letzter Zeit zu nahen Themen publiziert haben. Anscheinend hat keiner von ihnen an den hier vorgestellten Grabungen mitgewirkt oder kann als Experte für die frühen Xinjiang-Kulturen gelten. Die Ausstellung ist leider nicht Ergebnis einer langen, ertragreichen Forschungsarbeit, schon gar nicht der beiden Herausgeber (Dagegen vermittelten bei der großen Skythen-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau im Sommer 2007 führende Experten Erkenntnisse aus erster Hand). Von ihnen hat Alfried Wieczorek, Leiter der Reiss-Engelhorn-Museen, überhaupt nur ein Grußwort unterzeichnet (wie bei allen „seinen“ Mannheimer Katalogen), während Christoph Lind die Einführung schrieb und darin das Ausstellungsprojekt als „ersten Schritt“ einstufte. Die Funde seien nicht repräsentativ, die archäologische Situation zu vielschichtig, um Lebenswelten rekonstruieren zu können (S. 26). Jeanette Werning bietet sodann Übersichten zu den Ausgrabungen in Xinjiang und den Klimabedingungen (S. 31–47). Ulf Jäger befasst sich mit der Vielfalt der Ethnien, Sprachen und Schriften entlang der Seidenstraße und erörtert an zwei Ausstellungsbeispielen die Probleme einer ethnischen Zuordnung (S. 49–61). Helwig Schmidt-Glintzer beleuchtet die Politik chinesischer Kaiser gegenüber den Reiternomaden im Tarimbecken (S. 63–71). Die Geschichte der Entdeckungsreisen und der Archäologie in Xinjiang breitet Erling von Mende aus, unter beiläufiger Erwähnung der Expeditionen von 1902–1914 unter deutscher Beteiligung, die Tausende von Bildwerken und etwa 40.000 Texte nach Berlin brachten (S. 89–97).

Es sind informationsreiche Beiträge, von denen sich jedoch der Aufsatz von Annemarie Stauffer als besonders lesenswert abhebt (S. 73–87): Ihre genauen Beobachtungen an Textilien führen zu faszinierenden Erkenntnissen über Reichtum und Vielfalt des Handels- und Kulturaustausches. Mal wurden Rohmaterialien gehandelt, mal fertige Stoffe, mal sind wandernde Weber anzunehmen, mal das Imitieren fremder Muster in der heimischen Produktion. Mit ihrem reichen Wissen über Webtechniken, Färbemethoden und Stoffmuster und ihrem Schatz an Vergleichsbeispielen öffnet Stauffer den Blick auf den Kosmos der Händler und der Werkstätten entlang der frühen „Seidenstraße“. Insbesondere sei auf ihre Besprechung der Highlights der Ausstellung, des Gobelinfragments mit iranisch gekleidetem, aber bartlosem Mann und hellenistischem Kentauren in herausragender, eventuell parthischer Wirktechnik sowie der Bekleidung des Mumienmannes aus Yingpan mit römisch-antiken, aber iranisch umgedeuteten figürlichen Darstellungen, schattierter Wollfärbung vom Schwarzmeerraum und Webtechniken verschiedener Herkunft, hingewiesen. Schmerzlich vermisst man ähnliche Aufsätze über Holzschnitzereien, Lackwaren, Keramik, Bronzearbeiten, Waffen, Geräte und Schmuck, die weitere Handels- und Kulturbeziehungen aufzeigen. Nach Werning sehen sich die bemalte Keramik aus Hami-Tianshan Beilu und der chinesischen Qijia-Kultur zum Verwechseln ähnlich (S. 39). Das hätte ausgeführt werden müssen! Vereinzelte Hinweise auf Vergleichsfunde, die gelegentlich Objektbeschreibungen im zweiten Teil ergänzen, sind hierfür kein Ersatz.

Für den Katalogteil hat Werning die Einleitungen zu den einzelnen Fundorten auf der Basis chinesischer Grabungsberichte verfasst. Stark schwankt die Qualität der Objektbeschreibungen der verschiedenen Autoren: Kurze, präzise und informative Texte (z.B. Kat. 7, 10 und 61) wechseln mit langatmigen Ausführungen, meist bei den Textilien. Manche zählen alle Löcher und Flecken auf und belehren mit Selbstverständlichem wie „Decken werden zum Zu- oder Bedecken verwendet“ (Kat. 3, vgl. Kat. 4). Diese Texte hat nicht Stauffer geschrieben, weshalb es auch zu Unstimmigkeiten mit ihrem Aufsatz kommt, beispielsweise zu Kat. 113. Auf dem zweiten, nicht ausgestellten Gobelinfragment ist nach Stauffer ein Dolch mit Tierkopf (S. 84) zu sehen, der Umzeichnung von Tanja Vogel zufolge ist dies eine Gürtelplatte, wobei weder Gürtel noch Dolchgriff erkennbar sind. Zu einem Reflexbogen (Kat. 78) wird lediglich allgemeines Lexikonwissen referiert, aber nicht darauf geachtet, dass der vorliegende Bogen asymmetrisch konstruiert ist. Manch Offensichtliches wird vor allem bei den Holzarbeiten falsch dargestellt. Auf der „Schachtel mit Wolfsdekor“ sind auch ein gehörnter Tierkopf im Wolfsleib und ein weiterer Wolfskopf (Kat. 91) zu erkennen. Die Abbildung eines Bechers, in den nach Katalogtext Widder und Steinböcke geschnitzt sind, zeigt einen Hirsch mit großem Geweih (Kat. 93). Widder und Steinbock zieren (vermutlich?) die nicht abgebildete Gegenseite. Hier fehlt eine klärende Abrollzeichnung, wie sie dem allseits fotografierten Holzbecher mit zwei Tierpaaren (Kat. 58) beigegeben wurde. Die farbigen Punkte auf einem lackierten Holzkamm (Kat. 133) werden ausführlich beschrieben, besonders die „schwungvoll mit dem Pinsel aufgetragenen federartigen, mondsichelförmigen Bögen, [...] in deren Mitte jeweils ein Punkt liegt.“ Original und Katalogabbildung zeigen deutlich, dass die roten Lackpunkte bis heute auf dem schwarzen Lackgrund gut haften, dass aber bei den braunen Punkten die Mitte herausplatzte, weshalb bogenförmige Reste um eine schwarze Fehlstelle übrig blieben. Die Mängelliste ließe sich verlängern. Auf solcher Grundlage konnte die Agentur keine besseren Ausstellungsbeschriftungen erstellen!

Man fragt sich am Ende, wie es zu solchen Missgriffen gekommen ist. Einige Formulierungen könnten die Vermutung nahe legen, dass die Texte nicht in Kenntnis der Originale geschrieben wurden, sondern aufgrund schlechter Fotos und chinesischer Inventarkarten oder ähnlichem. Und in China scheint die wissenschaftliche Fundaufarbeitung erst in den Anfängen zu stecken bzw. auf niedrigem Niveau zu sein. Man wird sich als Leser hüten müssen, alles den Autoren anzulasten, zumal einem die Vorgänge während der Ausstellungsvorbereitung nicht bekannt sind. Zumindest haben die Herausgeber Texte und Objekte nicht abgeglichen. Wie auch immer: Solche Fehler sollten nicht im Druck erscheinen. Sorglosigkeit spiegelt auch die Bildauswahl im ersten Katalogteil. Es fällt schon beim Durchblättern auf, dass Fotos einiger Objekte mehrfach verwendet wurden; beim Lesen der Aufsätze bemerkt man, dass sie hier ohne Textbezug als Lückenfüller eingeschoben sind. Dagegen vermisst man Detail- und Vergleichsabbildungen, für die ohne diese Doppelungen ausreichend Platz gewesen wäre: etwa die Rekonstruktionszeichnung einer herausragenden Borte oder Nahaufnahmen besonderer Gewebebindungen oder Kordeln (Kat. 104, 106, S. 76f.). Allerdings ergeben Vergleichsbeispiele keinen Sinn, wenn wichtige Details auf den Aufnahmen der Ausstellungsobjekte nicht zu erkennen sind (siehe Seidenkaftan Kat. 136 und S. 79–81). Nachlässig sind auch die Bildunterschriften: Ein Gefäß mit Gießtülle (Kat. 70) wird zum Trinkbecher (S. 25), Figuren eines Kaftanmusters heißen mal Eroten und Heroen, mal Satyrn (S. 56, 84, Kat. 162). Bocksbeine sind jedenfalls nicht zu sehen.

Eine Ausstellung jagt die andere, Museen und Ausstellungshäuser stehen im Wettbewerb um die größten Sensationen des Jahres, gieren nach Weltpremieren und Besucherrekorden. Auf der Strecke bleiben solide Forschung, echte Begeisterung für die Objekte und engagierte Vermittlung, die den Besucher ernst nimmt und ihn am Wissen teilhaben lässt. Die Neufunde aus Xinjiang hätten es wahrlich verdient, besser bearbeitet und vorgestellt zu werden. Überregionale Zusammenhänge werden zwar häufig postuliert, sie hätten aber zum Leitthema der Ausstellung erhoben und an den wunderbaren Objekten aufgezeigt werden müssen. Das eigentlich „Sensationelle“ bleibt einem Besucher ohne tiefe Vorkenntnisse verborgen. Sehenswert sind die Funde aus Xinjiang allemal, und sie werden leuchtend und farbenfroh in Erinnerung bleiben, ein Großteil des Kataloges nicht.

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