Internationale Aufmerksamkeit erregte das „Museum des Zweiten Weltkriegs“ in Danzig in den letzten Monaten besonders wegen seiner politischen Brisanz. Es gab einen Widerstreit zwischen einer polnisch-national geprägten Erzählung und einer multiperspektivischen Betrachtung der Kriegsjahre. Dieser Streit gipfelte sogar in einem Gerichtsprozess, welcher zwischen den Ansprüchen des Museums und jenen der aktuellen polnischen Regierung eine Entscheidung zu Gunsten des Museums herbeiführte. Das Museum strebt den Status eines internationalen Zentrums zur Erforschung des Zweiten Weltkriegs an. Ob auch die Dauerausstellung den Ansprüchen einer ausgewogenen Darstellung gerecht werden kann, wird im folgenden nachgegangen.
Ein imposanter Museumsbau in rot eingefärbtem Stahl und Glas ragt empor in den Himmel Danzigs. Die Architekten des Kwadrat Studio Architektoniczne aus Gdingen beabsichtigten die Silhouette eines großen Schiffes zu erschaffen, welche bei einer Fahrt auf der Motława deutlich das Erscheinungsbild des Stadtviertels prägt. Die Dauerausstellung des „Museums des Zweiten Weltkriegs“ im dritten Untergeschoss des Gebäudes umfasst eine Fläche von 5.000m². Besucher/innen betreten die Ausstellungsräume über einen sehr langen Korridor. Dieser wirkt beklemmend wie eine Schlucht, da sich rechts und links drei Stockwerke Beton 14 Meter hoch auftürmen und durch die darüber liegende Glasfassade Licht eindringt.1
Die Dauerausstellung ist in drei Sektionen geteilt: „Der Weg zum Krieg“, „Die Schrecken des Krieges“ und „Der lange Schatten des Krieges“. Museumsbesucher/innen starten den Rundgang mit einem prägnanten Film über die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Anschließend folgen zahlreiche Ausstellungsräume entlang des Korridors, die dem Themenkomplex „Der Weg zum Krieg“ zugeordnet werden. Die Besucher/innen folgen einem vorgegebenen Verlauf durch die einzelnen Räume, der immer wieder zum Korridor führt. In der Sektion „Die Schrecken des Krieges“ wird der Korridor als Erweiterung der Ausstellungsfläche genutzt. Vitrinen zeigen zahlreiche Exponate, die den Kriegsalltag verdeutlichen – mit Hilfe von Hörproben des zeitgenössischen Musikgeschmacks, über Ernährung bis hin zur Kleidung werden einzelne Aspekte kurz behandelt.
Einer der ersten Ausstellungsräume zeigt eine Inszenierung einer durchschnittlichen polnischen Straße der Vorkriegszeit mit Wohnhäusern und Geschäften, welche alltägliche Produkte feilbieten. Dieser Straße werden die Besucher/innen am Ende der Ausstellung erneut begegnen. In den einzelnen Räumen sind Kriegshandlungen komprimiert dargestellt. Diese können selbstständig multimedial im Detail nachvollzogen werden. So widmet sich ein Raum der Thematik des Luftkrieges: Eine Junkers Ju 87 „Stuka“ ist an Decke und Wand befestigt. In mannshohen Vitrinen sind Fliegeruniformen, Fliegerbomben, Kartenmaterial und Videowiedergaben ausgestellt. Briefe und Tagebücher von Soldaten der Luftwaffe in Form von Digitalisaten vermitteln einen präzisen Eindruck des Luftkrieges. Dieser Raum wirkt sehr vereinnahmend und weckt Neugier auf die Perspektive der Soldaten.
Anschließend durchlaufen die Museumsbesucher/innen ein Ensemble von Räumen, welche das Leid der Kriegsgefangenen und der Bevölkerung in belagerten Städten einfängt. Grausige Bilder, erschreckende Zahlen, sehr enge, beklemmende Durchgänge, Tagebucheinträge, kleine Fenster, durch welche man in die ärmlichen Wohnverhältnisse der Betroffenen schaut, verdeutlichen sehr eindrücklich die alltägliche Grausamkeit des Krieges. Die nächsten Räume befassen sich mit der deutschen Besatzungspolitik und der Kollaboration mit den Besatzern in Europa. Geschmacklos wirkt dabei das abschließende Quiz zum Themenkomplex: Der Raum ist im Stil einer Vorabendquizshow aufgebaut und die Fragen werden auf eine illuminierte Scheibe in der Mitte von drei Computerpulten projiziert, an welchen die Besucher/innen ihre Antworten eingeben können.
Nach einer letzten Überquerung des Korridors, betritt man durch einen circa zweieinhalb Meter hohen Schriftzug TERROR einen sehr düsteren Raum, in dessen Mitte ein wohlbekannter Eisenbahnwaggon der Reichsbahn monumental inszeniert ist. Von dort ausgehend durchwandert man als Seitenpfad die Ausstellungsräume, welche die Praxis von Verfolgung, Deportation, Verschleppung, Zwangsarbeit und den Alltag in den Konzentrationslagern zeigen. Die Beleuchtung ist hier deutlich schwächer und für die Gestaltung wurde viel oxidiertes Eisen verwendet. Dementsprechend liegt ein schwerer metallischer Geruch in der Luft, welcher das beklemmende Gefühl noch intensiviert. In einer Aufreihung von hölzernen Nischen werden in Vitrinen und auf Bildschirmen facettenreich Aspekte des Lagerlebens dargestellt. Immer wieder werden die Besucher/innen mit den Erfahrungen einzelner Betroffener konfrontiert. Untermalt werden diese Berichte durch Objekte des Alltags, wie selbstgefertigtes Spielzeug, Hygieneartikel, Häftlingskleidung sowie im Lager entstandene Malereien und Gedichte.
Wieder im Raum mit dem Reichsbahnwaggon angelangt, trifft man dort auf die Logistik der Transporte – dargestellt durch Kartenmaterial, Dokumente und eine riesige Wand aus Koffern. Der Themenkomplex Terror verlässt man durch einen schmalen dunklen Gang, welcher durch Glasinstallationen Betroffenheit auslöst: Raumhohe beleuchtete Glasfassaden stellen sich den Besucher/innen in den Weg. Sie sind mit mehreren hunderten Fotos der Opfer des Naziterrors und Sowjetterrors in Polen bedruckt und verdeutlichen dem Betrachtenden, dass Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und jeden Alters aus ihrer Lebenswelt gerissen wurden und der Gewalt zum Opfer fielen.
Nach den „Schrecken des Krieges“ betreten die Besucher/innen den nächsten Themenkomplex durch eine überdimensionale Buchstabeninstallation OPÓR (=Widerstand). Diese Räume sind sinnbildlich als Untergrund dargestellt. Mithilfe der Inszenierung eines Raumes oberhalb der Ausstellungsfläche werden die verschiedenen Sphären des Widerstandes aufgezeigt. So wird einerseits die offizielle deutsche Darstellung der Kriegsverläufe abgebildet, zugleich ist der Fußboden jedoch von Flugblättern übersät und aus dem Radio tönen Sendungen der Alliierten. Widerstandskämpfer/innen und -gruppen verschiedener Länder werden vorgestellt. Spektakulär wird an anderer Stelle die Verschlüsselungsmaschine Enigma in Szene gesetzt: Die Wände sind komplett von einer Hologrammfolie überzogen und je nach Blickwinkel erscheinen entweder eine unverständliche Zeichenfolge oder kriegswichtige Botschaften. An Computerpulten können Codierungen selbst ausprobiert und Botschaften verschlüsselt werden.
Ein gleitender Übergang zum letzten Themenfeld „Langer Schatten des Krieges“ wird durch die Darstellung des Leides der zahlreichen Flüchtenden und Vertriebenen geschaffen. Beeindruckend ist die Installation zur Nachkriegsjustiz: Jener Raum wird durch eine Zweiteilung charakterisiert. Eine erleuchtete Seite zeigt die bestraften Kriegsverbrecher der Nürnberger Prozesse. Gegenüber können Besucher/innen auch eine Schattenseite mit einer Auflistung der Namen unbestrafter Naziverbrecher betrachten. Es finden hier sich neben Josef Mengele auch Klaus Barbie und Hans Globke auf der Liste.
Im vorletzten Raum treffen die Besucher/innen auf jene Straße, welche sie zu Beginn der Dauerausstellung in der Pracht der Vorkriegszeit kennengelernt haben – nur diesmal gezeichnet vom Krieg mit zerstörten Wohnhausfassaden, Einschusslöchern und einem Panzer auf der Straße zwischen Geröll und Schutt. Beim Betrachten entsteht so eindrücklich ein Bewusstsein für die Zerstörungskraft des Krieges. Verlassen wird die Ausstellung durch eine große Szenerie des geteilten Europa - versinnbildlicht durch die Berliner Mauer. Auf beiden Seiten der Trennmauer werden Videoprojektionen der Nachkriegsjahrzehnte gezeigt. Kalte und heiße Konflikte wechseln, man erlebt den Fall des „Eisernen Vorhangs“, die Wiedervereinigung und die Jahrtausendwende mit ihren neuen Herausforderungen, wie Terrorismus und Globalisierung.
Der Audioguide ist in deutscher Sprache erhältlich und leitet die Museumsbesucher/innen durch die Ausstellungsräume. Hauptinformationen zum thematischen Schwerpunkt des jeweiligen Raumes werden in zwei- bis dreiminütigen Einspielungen dargestellt. Für vertiefende Informationen kann man weitere Beiträge anwählen, deren Ziffern teilweise weniger gut sichtbar an Texttafeln und Exponaten angebracht sind. Die Erläuterungen des Audioguides sind knapp und verständlich gestaltet. Zusammenhänge werden erklärt und Quellen vorgelesen. Besonders angenehm und erhellend sind die Erklärungen der verwendeten Symbolik und Intention der Ausstellungsgestalter.
Neben der Dauerausstellung findet sich noch eine Kinderausstellung, die vier Räume umfasst. Die Besucher/innen bis zwölf Jahre erleben eine Zeitreise in einem Wohnzimmer einer Warschauer Familie: Dies wird einmal kurz nach Kriegsausbruch, anschließend während der deutschen Besatzung und schließlich noch einmal zum Kriegsende gezeigt. Ein Fokus wird dabei auf die sich veränderten Alltagsgegenstände gelegt. Zudem bietet ein Klassenzimmer in der Ausstattung der 30er Jahre ca. 40 Schüler/innen die Möglichkeit in Schulbänken Platz zu nehmen und in die Vergangenheit einzutauchen. Die Kinderausstellung wirkt liebevoll und realistisch gestaltet.
Die Dauerausstellung des Museums des Zweiten Weltkriegs ist geprägt von dem Streben einen facettenreichen und multinationalen Einblick in die Kriegsereignisse zu geben. Dem Anspruch einer ausgewogenen Darstellung wird die Ausstellung in weiten Teilen gerecht. Zudem setzt sie immer wieder auf die Emotionalisierung der Besucher/innen durch eindrucksvolle Bildsprache und weckt dabei die Neugier, sich in einzelne Themenfelder zu vertiefen.
Anmerkung:
1 Bilder zur Ausstellung finden sich auf der Website des Museums unter: http://www.muzeum1939.pl/en/press/galleries/photos/current_events/?oid=bb01e1878ab9f3ece4adf255a3b9f418 (10.08.2017).