Troia - Traum und Wirklichkeit

Troia - Traum und Wirklichkeit

Veranstalter
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg; Ausstellungsort: Forum der Landesbank Baden-Württemberg. Weitere Orte: 14.07.-14.10.2001 Braunschweig; 16.11.2001-17.02.2002 Bonn (10505)
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10505
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.03.2001 - 17.06.2001

Publikation(en)

Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hrsg.): Troia. Traum und Wirklichkeit. Stuttgart 2001 : Theiss Verlag ca. 500 S. 82 DM
Rainer Goettlinger

Noch nie war es so leicht, den genauen Standort einer Ausstellung ausfindig zu machen: ein 14 Meter hohes hoelzernes Pferd, das aus der Ferne wie Spielzeug wirkt und erst aus naechster Naehe seine wahren Dimensionen enthuellt, weist den Besuchern den Weg in das "Forum der Landesbank Baden-Wuerttemberg" gleich neben dem Hauptbahnhof.

Ein Grossteil der archaeologischen Funde war noch nie ausserhalb der Tuerkei zu sehen. Das Land am Bosporus, seit jeher Bindeglied zwischen Orient und Okzident, verweist voller Stolz auf dieses Beispiel kultureller Zusammenarbeit zwischen Laendern, die sich zunehmend nahestehen - immerhin leben Millionen Tuerken in der Bundesrepublik, und als Reiseland ist die Tuerkei den Deutschen ebenfalls seit laengerem vertraut.

Wer insgeheim hofft, den beruehmten "Schatz des Priamos" bzw. dessen Replik zu Gesicht zu bekommen, wird enttaeuscht sein. Man habe nicht an der heiklen Frage der Beutekunst ruehren wollen, hiess es dazu aus Stuttgart. Ebenfalls nicht in der Ausstellung zu sehen ist auch die kykladische Reliefamphora, die fuer das Plakatmotiv Modell gestanden hat. Wie alle (!) anderen bei griechischen Museen angefragten Objekte war auch sie "bereits anderweitig verplant".

Der Rezensent hat keines der beiden Stuecke ernsthaft vermisst, sondern erlag der Faszination einer Ausstellung, die ihresgleichen sucht. Raumangebot, Lichtfuehrung, der "rote Faden" - hier stimmte einfach alles! Kein laestiges Warten, bis der Nachbar endlich weitergeht und den Blick auf die Texttafel freigibt, keine plaerrenden Lautsprecher. Statt dessen ein Audioguide, der konsequent und fliessend in das Gesamtkonzept integriert ist. Unuebersehbar prangen die Nummern von den grossen selbstleuchtenden Leittafeln, so dass auch die weiter hinten Stehenden keinerlei Muehe haben, sie zu finden. Sind mehrere Nummern vorhanden, verraten ein paar Stichworte, worum es in dem jeweiligen Hoerbeitrag geht.

Als angenehm lesefreundlich erweisen sich auch die Vitrinenbeschriftungen: nichts verschwindet im Halbdunkel des eigenen Schattens, alles ist entweder von oben her angeleuchtet oder leuchtet selbst. Das kuehle Blau der Textstelen verleiht der zentralen Rotunde etwas Mystisches. Immerhin geht es hier um die Legende vom grossen troianischen Krieg, wie sie der griechische Dichter Homer im 8. Jahrhundert v. Chr. in seiner Ilias zu erzaehlen wusste und sich dabei auf muendliche Ueberlieferungen stuetzte.

Von Legenden berichten auch die antiken Vasenbilder im naechsten Abschnitt. Wer versucht ist, aus alter Gewohnheit einen Bogen um die schwarz- und rotfigurig bemalten Gefaesse zu schlagen, sei darauf verwiesen, dass in dieser Ausstellung die Auswahl eine durchaus spannende Fortsetzungsgeschichte ergibt: die Geschehnisse um Troia. Seine Fortfuehrung findet der Traum in den Troia-Rezeptionen von der Antike ueber das Mittelalter bis hin zur Neuentdeckung und kuenstlerischen Umsetzung antiker Vorlagen ab der fruehen Neuzeit.

Freilich sind ausgerechnet in diesen ersten Ausstellungsabschnitten die Audiotexte ein wenig zu ueppig geraten, was durch das laengere Verweilen der Besucher in diesen Bereichen unnoetige Enge schafft. Der Umfang der Beitraege reduziert sich jedoch im weiteren Verlauf. Zum Teil handelt es sich dabei auch um Musikeinspielungen, die einen angenehmen Hintergrund zur den kunsthistorischen Betrachtungen bilden, an deren Ende Jerrers "Weltgeschichte fuer Kinder", die der achtjaehrige Schliemann las, schliesslich zur Wirklichkeit um Troia hinueber- oder besser hinaufleitet.

Dort nun oeffnet der praehistorische Siedlungshuegel, fein saeuberlich seziert, den Blick in eine Vergangenheit, welche die Legenden an Faszination noch bei weitem uebertrifft. Doch ehe der Besucher die nachgestellte grosse Umfassungsmauer abschreiten darf, in deren unterem Teil sich Ergebnisse und Erkenntnisse langjaehrigen Forscherfleisses praesentieren, gilt die Aufmerksamkeit zuerst noch der Suche nach der sagenumwobenen Staette, die schliesslich in den Grabungen Heinrich Schliemanns auf dem Huegel Hisarlik gipfelte. Von den Kisten, in denen sein Nachfolger Carl William Blegen in den dreissiger Jahren seine Funde verstaute, sind in der Ausstellung einige im Original zu sehen, und sogar das zur Verpackung benutzte Zeitungspapier blieb erhalten. Wie lange die mumifizierte Spinne wohl schon in einer der Kisten liegt?

Der wahre Schatz der Archaeologie sind jedoch nicht die Funde, sondern die Rueckschluesse, die sich aus der jeweiligen Fundsituation ableiten lassen. Modernste wissenschaftliche Methoden und Geraete verhalfen den Forschern unter anderem zu der Erkenntnis, dass eine seit langem vermutete Unterstadt tatsaechlich existiert hat. Noch ehe der erste Spatenstich gesetzt war, zeigten die auf Satellitenfotos uebertragenen Ergebnisse der Magnetometrie bereits erstaunlich detailliert den Grundriss der Siedlung. Computergestuetzte Rekonstruktionen, wie sie auf einigen Monitoren - leider ohne Interaktion - gezeigt werden, visualisieren exemplarische Bauphasen der Burg und unterstuetzen so die raeumliche Vorstellungskraft.

Doch mehr noch als das Handwerkszeug der Archaeologen fasziniert die Vielfalt der Funde, die sie dem Boden damit entlocken konnten. In der Vitrinenreihe sind sie nach Themen geordnet: hier das Bronzesiegel mit luwischer Hieroglypheninschrift, dort einige schoene Stuecke aus dem sog. Schatz C, dazu reiche Vergleichsfunde aus anderen tuerkischen und z.B. auch georgischen Fundstaetten. Eine praechtige Parade, die mittels in Augenhoehe angebrachter illustrierter Beschriftungen auch abwechslungsreich und spannend dokumentiert ist.

Wer nach all der trockenen Theorie nun Lust verspuert, den Grabungsleiter Prof. Manfred Korfmann auf das geschichtstraechtige Areal zu begleiten und seinen gestenreichen Ausfuehrungen zu lauschen, kann dies mit Hilfe einiger installierter Monitore tun, ohne dass dabei auch nur der geringste Laut an des Nachbarn Ohr dringt, der gleich nebenan seine Aufmerksamkeit auf eine Projektion des Stadthuegels gerichtet hat und konzentriert das Durcheinander der verschiedenen Siedlungsschichten zu entwirren versucht: der Ton zu den Filmen wird naemlich per Infrarot in die Handgeraete uebertragen. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Die Ausstellung endet in einer Ansammlung von Kunstwerken und Kuriositaeten, die alle "irgendwie" mit Troia zu tun haben: Gemaelde und Skulpturen, Buecher, Comics, hohle Pferde aller Art, Gesellschaftsspiele, ja sogar eine Kondommarke.

Als eine Art Tribut an die Gegenwart wird hier wohl auch das Internet gesehen: ein installierter Monitor versammelt Hunderte verkleinerter Screenshots auf einem einzigen Bild, nur wenige ausgewaehlte Beispiele lassen sich auf erkennbare Groesse bringen. Ja, noch nicht einmal die ausstellungseigene Website, deren "Troiaexplorer" hier endlich einmal ohne minutenlange Ladezeiten zu geniessen waere, wird dem Besucher angeboten!

Der praechtige, reich bebilderte Begleitband, der im Theiss Verlag erschienen ist, geht in seinem Umfang weit ueber den Inhalt der Ausstellung hinaus. Von Dutzenden namhafter Autoren spannend und fluessig geschrieben, legt er im Anschluss an die Einfuehrung durch Prof. Manfred Korfmann in fuenf Hauptkapiteln die Wurzeln des Traums wie auch der Wirklichkeit um Troia frei.

Am Anfang stand ein Buch - Homer und die Ilias: War Homers Troia/Ilios eine Erfindung oder bewahrte Erinnerung? Wie war das Machtgefuege im zweiten Jahrtausend vor Christus? Was wussten die Aegypter, die Griechen? Welche Befunde kann uns die Archaeologie liefern? Und wie gelangte die durch Homers Buch schriftlich gewordene Troia-Geschichte durch die Jahrtausende schliesslich zu uns, so dass der junge Heinrich Schliemann Gelegenheit hatte, sie zu lesen?

Troia - Bedeutung fuer die griechische und roemische Welt: Dieser Abschnitt behandelt die Bedeutung des Troianischen Krieges fuer das Geschichtsbild der Griechen und Roemer von der griechischen Kunst bis in die roemische Kaiserzeit, er stellt Geschichte und Ausgrabungsbefunde einander gegenueber.

Der Troiamythos vom Mittelalter bis in die Neuzeit: Troianer allerorten - im kartographischen Bild des Mittelalters, in den Troiadichtungen des Mittelalters und der fruehen Neuzeit, in der Kunst der Renaissance bis hin zur Aufklaerung - ueberall begegnet uns der Mythos um Troia.

Der Ort und die Landschaft - Troia und die Archaeologie: Die Alluvialebene der Troas, urspruenglich ein Meeresarm, bietet heute einer reichen Tier- und Pflanzenwelt Raum und ist eine wichtige Station des Vogelzuges. Den Anfaengen der Archaeologie um Heinrich Schliemann folgten neue internationale Grabungen, die unser Bild von den ersten menschlichen Spuren ueber den praehistorischen Siedlungshuegel, die Metallzeiten und die Troianische Hochkultur - von der wir heute wissen, dass sie eine anatolische war - bis hin zum Untergang der Stadt in der fruehen Eisenzeit betraechtlich erweiterten und das Troiabild der Wissenschaft veraenderten.

Troia - ein Thema des 20. Jahrhunderts: Homer und Schliemann im spaeten 20. Jahrhundert - der letzte Abschnitt des Buches behandelt verschleppte Motive und den Mythenwandel in Theater, Literatur und Kunst. Erwaehnung findet auch der letzte Kampf um Troia: der Historische Nationalpark.

Als Herausgeber zeichnen das Archaeologische Landesmuseum Baden-Wuerttemberg, das Troia-Projekt des Instituts fuer Ur- und Fruehgeschichte und Archaeologie des Mittelalters der Eberhard-Karls-Universitaet Tuebingen sowie die beteiligten Museen in Braunschweig und Bonn.

Seit Beginn der Ausstellung in Stuttgart ist nun auch die Website verfuegbar und harrt ihrer Entdeckung durch interessierte Besucher, die in ihrer Mehrheit wohl eher zufaellig oder durch Hinweise anderer Seitenanbieter darauf stossen duerften. Bei einem Grossereignis von begrenzter Dauer und angesichts des technischen Aufwandes ist dieses alleinige Vertrauen in passive Mechanismen des Bekanntwerdens, die ja nun einmal ihre Zeit brauchen, nur schwer nachvollziehbar und stellt den Wert der Investition, der sich ja auch an den Besucherzahlen messen lassen muss, ernsthaft in Frage.

Die Bereiche "Ausstellung" und "Festival" praesentieren sich in zeitgemaessem Design und liefern, ohne den Inhalt der Ausstellung vorwegzunehmen, alles Wissenswerte ueber die Konzeption, die drei Veranstaltungsorte, das umfangreiche Begleitprogramm sowie das in Braunschweig stattfindende Troia-Festival. Hingegen richtet sich der "Troiaexplorer" an ein Publikum, das sich die gebotenen Inhalte erspielen statt erlesen will und dafuer auch vor der langen Ladezeit einer 760 KByte grossen Flash-Datei nicht zurueckschreckt. Dem einleitenden Text zufolge handelt es sich um ein "virtuelles Zeitreisetool, das Geschichte und Geschichten um den Mythos Troia interaktiv erlebbar werden laesst". Der Rezensent erlebte statt dessen bei 95 % Ladezustand einen Browserabsturz, so dass ihm der Genuss, den "InfoSlider" durch die Zeitstufen zu schieben, leider versagt blieb.

Aber da ist ja noch der "virtual walkthrough", also die Rundumpanoramen der Rekonstruktionen von Troia I und VI. Anstelle des ueblichen, u.a. auf den Seiten der Bundeskunsthalle eingesetzten Quicktime VR haben die Produzenten sich fuer Live Picture entschieden. Es mag am PC oder Browser des Rezensenten liegen, dass auch dieses Tool irgendwie haengenblieb, doch machten andere Besucher mit anderen Rechnern dieselbe Erfahrung. Aber auch ohne technische Stoerung haette er eine Betrachtung "ein wenig mehr von links, ein wenig mehr von rechts" wohl kaum als den angepriesenen "virtuellen Rundgang" empfunden.

Der Bereich "Dialog" bietet schliesslich neben einem Gaestebuch (mit den ueblichen Eintraegen) die Moeglichkeit, den Katalog oder die CD-ROM zu bestellen. Es bleibt dem Kaeufer allerdings nicht erspart, diese Artikel auf der Website des Verlages erst wieder zu suchen. Der vorbildliche Kinderfuehrer zur Ausstellung bleibt leider unerwaehnt, ebenso das Spiel. Dafuer werden aber ein paar Bildschirmschoner angeboten.

Einen Pressebereich, aus dem interessierte Journalisten sich digitale Texte und Bilder herunterladen koennen, ohne die Projektmitarbeiter mit ihren Wuenschen belaestigen zu muessen, gibt es nicht.

Der Besuch der Ausstellung lohnt sich allein schon deshalb, weil sehr viele Objekte aus der Tuerkei stammen und das Land wohl in absehbarer Zeit kein weiteres Mal verlassen werden, denn es ist geplant, sie nach Abschluss der Tournee auf Dauer in einem noch zu errichtenden Museumsgebaeude in der Naehe der Ausgrabungsstaette zu praesentieren.

Sehenswert ist aber auch die aufwendige Inszenierung, die zusammen mit der publikumsgerechten Aufarbeitung eines der spannendsten Themen der Menschheitsgeschichte den Hoehepunkt im Ausstellungsgeschehen des Jahres 2001 markieren duerfte. Der Aufwand von ueber 4 Millionen Mark ist angesichts der kulturellen Bedeutung des Themas und der erwarteten Besucherzahlen ohne Zweifel gerechtfertigt. Dasselbe gilt fuer den geforderten Eintrittspreis. Als stoerend empfindet der Rezensent lediglich, dass fuer den Audioguide, der ja fester Bestandteil des Ausstellungskonzeptes ist, ein Extra-Obolus erhoben wird.

Das Begleitbuch sollte in keinem anspruchsvollen Buecherregal fehlen. Das Konzept der Website hingegen erscheint viel zu wenig durchdacht.

Im Vorfeld der Ausstellung kam es zu einer Informationspanne: der Rezensent, der noch zur ersten Pressekonferenz 1999 gebeten worden war, erhielt zum wichtigeren zweiten Termin keine Einladung mehr. Natuerlich bittet niemand erneut um Aufnahme in einen Verteiler, in den er sich aufgrund anderer Aussendungen bereits eingetragen waehnt. So wurde das Versehen erst offenkundig, als in den Veroeffentlichungen anderer Verlage immer mehr Fakten erschienen, die nur einer weiteren Pressemitteilung entnommen sein konnten.

Die Panne an sich ist angesichts des grossen Aufwandes fuer die Vorbereitung dieser Ausstellung sicher verzeihlich, nicht aber das Ausbleiben einer Entschuldigung.

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