Der vorliegende Band präsentiert eine Analyse der wechselseitigen Beziehung zwischen Demographie, Demokratie und Geschichte in Deutschland und Israel, die – jeweils für ihr Land – von vornehmlich deutschen bzw. israelischen Historikern, Demographen und Politologen erörtert werden. Ungeachtet der zwischen ihnen bestehenden, tiefgreifenden historischen und gesellschaftlichen Unterschiede verstehen sich beide Staaten als säkulare westliche Demokratien, deren Mehrheitsbevölkerung sich von Minderheitengruppen bedrängt fühlen. Zuwanderung und das Anwachsen von Minderheitengruppen gelten als wesentliche demographische Faktoren. Bindeglieder zwischen den beiden Länderbetrachtungen sind die deutsch-jüdischen Demographie an der Wende zum 20. Jahrhundert sowie das Aufgreifen von aus Deutschland übernommenen demographischen Ansätzen in der Pionierzeit des jüdischen Palästina.
In den Blick genommen werden unter anderem die »Konstruktion« demographischer »Fakten«; Probleme der Migrations-Gesetzgebung; Auswirkung der Demographie auf die politischen Praktiken und das demokratisches Verständnis; Legitimierung von Praktiken der Diskriminierung bzw. Integrierung durch die Beistellung demographischer Argumente; sowie die Heraufbeschwörung imaginärer gesellschaftlicher Modelle, die ihrerseits Erwartungen oder auch Ängste erwecken.
José Brunner EditorialS. 9
Religion – Konfession – Nation
Michael C. Schneider, Düsseldorf Zahlen und Bekenntnisse – Die preußische Konfessionsstatistik vor dem »Kulturkampf«. S. 25
Veronika Lipphardt, Berlin Zwischen »Inzucht« und »Mischehe« – Demographisches Wissen in der Debatte um die »Biologie der Juden«. S. 45
Sergio DellaPergola, Jerusalem Assertion and Denial – Population Data and Public Discourse on World Jewry and Israel. S. 67
Von Geburt bis Tod – Biologie und Kultur
Ursula Ferdinand, Berlin Von der »Rationalisierung des Sexuallebens« zur sexologischen Erklärung des Geburtenrückgangs – Das bevölkerungswissenschaftliche Werk Julius Wolfs (1862-1937). S. 86
Thomas Bryant, Berlin Von der »Vergreisung des Volkskörpers« zum »demographischen Wandel der Gesellschaft« – Geschichte und Gegenwart des deutschen Alterungsdiskurses im 20. Jahrhundert. S. 116
Deutsche Demographie vor, im und nach dem »Dritten Reich«
Matthias Weipert, Stuttgart Nationaler Wiederaufstieg durch Bevölkerungspolitik – Demographiedebatten in der Weimarer Republik. S. 128
Bernhard vom Brocke (Marburg/Kassel) Bevölkerungswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland. S. 145
Alexander Pinwinkler, Wien Figurationen des Peripheren – »Bevölkerungsgeschichte« in der frühen Bundesrepublik Deutschland im internationalen Kontext. S. 164
Von Berlin nach Jerusalem – Demographie im Zionismus und in Israel
Etan Bloom, Tel Aviv The »Administrative Knight« – Arthur Ruppin and the Rise of Zionist Statist-ics. S. 183
Moshe Sicron, Jerusalem Population and Politics – The Role of Demographic Data in the History of Palestine/Israel. S. 204
Anat Leibler, San Diego, CA Establishing Scientific Authority – Citizenship and Israel’s First Census. S. 221
Migration – Ost und West
Christian Saehrendt, Berlin Der Horror vacui der Demographie – 100 Jahre Abwanderung aus dem deutschen Osten. S. 237
Ingo Haar, Berlin Die deutschen »Vertreibungsverluste« – Zur Entstehungsgeschichte der »Dokumentation der Vertreibung«. S. 251
Fred A. Lazin, Beer Sheva Israel’s Demographic Needs versus »Freedom of Choice« – The Case of Soviet Jewish Émigrés, 1967-1990. S. 273
Demographische Szenarien – Demokratischer Diskurs
Herwig Birg, Berlin/Bielefeld Was auf Deutschland zukommt -– Die zwingende Logik der Demographie. S. 292
Josef Schmid, Bamberg Demographische Krise als Lernprozeß – Die Bevölkerungsfrage und das wiedervereinigte Deutschland. S. 310
Christoph Butterwegge, Köln Biologisierung und Ethnisierung des Sozialen im Demographiediskurs der Bundesrepublik. S. 330
Yoav Peled, Tel Aviv Von ethnischer Demokratie zur Ethnokratie? – Demographie und Staatsbürgerschaft im heutigen Israel. S. 351
Rezensionen
Yossi Ben-Artzi, Haifa Haim Goren, ›Real Catholics and Good Germans‹.The German Catholics and Palestine, 1838-1910, Jerusalem 2005 (Hebrew). S. 365
Alon Rachamimov, Tel Aviv Arieh J. Kochavi, Confronting Captivity: Britain and the United States and their POWs in Nazi Germany, Chapel Hill and London 2005. S. 369
Natan Sznaider, Tel Aviv David Bankier/Jacob Golomb (eds.), Karl Jaspers, The Question of Guilt, Jerusalem 2006 (Hebrew). S. 373
Galili Shahar, Jerusalem/Gainesville, Fl. Gilad Margalit/Yfaat Weiss (Hg.), Erinnerung und Vergessenheit. Deutschland und der Holocaust, Tel Aviv 2005 (Hebräisch). S. 380
Dissertationen
Chen Tzoref-Ashkenazi The Indo-Germanic Connection: Friedrich Schlegel’s Search for the Indian Origin of the Germans. S. 387
Zohar Maor Mysticism, Regeneration and Jewish Rebirth: The Prague Circle in the Early Twentieth Century. S. 392
Dimitry Shumsky From Bilingualism to Binationalism: Czecho-German Jewry, the Prague Zionists, and the Origins of the Binational Idea in Zionism, 1900-1930. S. 397
Rakefet Zalashik The Development of Psychiatry in Palestine and Israel, 1892-1960. S. 402