Landschaftswahrnehmung war als Forschungsthema bisher weitgehend einer Ästhetik des Blicks verpflichtet, wie etwa in der Malerei und Architektur, aber auch in der Tourismusforschung. Die Perspektive war dabei zumeist die von Außenstehenden – von Tourismusfachleuten, städtischen Gelehrten oder akademischen Landschaftsgestalterinnen und -gestaltern. Dieser Band verlagert den Beobachtungsstandpunkt in die Mitte der Landschaft. Die Beiträge thematisieren zum einen die alltägliche Wahrnehmung durch deren Bewohnerinnen und Bewohner anhand von autobiografischen Texten und Interviews, aber auch die Wahrnehmung einer vertrauten Landschaft unter außergewöhnlichen Umständen wie im Fall von Hochwasser. Zum anderen wird die Perspektive von Reisenden untersucht, die nicht nur über die bereisten Landschaften berichten, sondern in ihren Reiseberichten, Tagebüchern und Fotografien auch sich selbst in diesen Landschaften verorten und inszenieren. Die traditionelle Vorrangstellung des Sehsinnes in der Landschaftswahrnehmung steht damit zur Diskussion, denn eine Landschaft, die bereist, bewohnt, bearbeitet oder auch fotografiert wird, verfügt über ein wegsames oder unwegsames Relief, eine als angenehm oder unangenehm empfundene Witterung, bestimmte Klangkulissen sowie auch emotionale Aufladungen unterschiedlichster Art. Daher erfordert die Auseinandersetzung mit Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen einen erweiterten Landschaftsbegriff, wie er im aktuellen Wissenschaftsdiskurs zunehmend an Bedeutung gewinnt.
INHALT
Einleitung
Rita Garstenauer Aus der Mitte der Landschaft. Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen (7)
Aufsätze
Edith Auer/Günter Müller Aus nah und fern. Blickwinkel auf Landschaft als Teil der Lebenswelt (16)
Kristina Popova Dorf – Berg – Heimat. Landschaftsbezüge in lebensgeschichtlichen Erzählungen muslimischer Frauen in Bulgarien (60)
Gerhard Strohmeier „Müh’ und Plag’, Spaß und Freud’“ Zur Wahrnehmung von Schnee (75)
Manfred Seifert Landschaft und Lebenswelt. Topografische Wahrnehmungsstrukturen und Diskursmuster von Handwerkern bis Anfang des 20. Jahrhunderts (92)
Katrin Brösicke Kriegsteilnehmer als Vermittler von Landschaftsbildern (114)
Sönke Friedreich Realsozialistische Binnenexotik. Die touristische Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen von DDR-Reisenden (129)
Tobias Schweiger Zur Bedeutung von Landschaft in österreichischen Privatfotografien der Nachkriegszeit (143)
Jakob Calice „Endlich haben wir nach drei Tagen wieder Grün gesehen.“ Die Landschaft der normalen, karnevalesken Hochwasserkatastrophe (153)
Petra Schneider Fahrt durchs Nirgendwo. Expertenvernunft, Alltagsgefühle und die Krux der modernen Raumproduktion (171)
Forum
Britta Fuchs/Katharina Gugerell Vorausschauend zurückblicken. Die Bedeutung von Geschichte in der Landschaftsplanung (193)
Ralph Andraschek-Holzer Topografische Ansichten und ihr Wert für Fragen der Wahrnehmungsgeschichte (212)
Gerhard Siegl/Markus Schermer/Ulrike Tappeiner/Erich Tasser Kultur.Land.(Wirt)schaft – Strategien für die Kulturlandschaft der Zukunft (235)
Margareth Lanzinger/Edith Saurer Auf dem Weg zur Sichtbarkeit. Die „unsichtbare Grenze“ zwischen Tret und St. Felix (Trentino/Südtirol) (243)
Abstracts (249)
Autorinnen und Autoren (253)