Als es im März 2011 in Fukushima zur Havarie des Reaktorblocks 1 kam, wurde klar, was sich in Japan neben einem katastrophalen Erdbeben und einem fatalen Tsunami noch ereignet hatte: der Beginn einer Störfall-Kaskade, die die Verletzlichkeit der globalisierten Welt, ihre technischen Voraussetzungen und ihre medialen Rahmenbedingungen schlaglichtartig vor Augen führte. Damit wird der Störfall zu einer eigenen Kategorie der Wissensproduktion, der gemeinhin unhinterfragte Normalitätsvorstellungen irritiert und – Bundeskanzlerin Merkel sprach schon am ersten Tag des Atom-Dramas von einem »Einschnitt für die Welt« – Praktiken der Evaluierung, der Prozessierung und der Prävention in Gang setzt.
In diesem Sinne fragt das Heft 2/2011 der ZfK nach dem epistemologischen Status des Störfalls, nach seinen politischen Dimensionen, nach Verlaufskurven historischer Störfälle und nach ästhetischen Aneignungen, die ihn entgegen der Normalerwartung als ein Anderes ausstellen und in seinen Wirkungen reflektieren. Der Debattenteil des Heftes konzentriert sich auf Fragen nach der Autonomie der Migration.
THEMA
Lars Koch und Christer PetersenStörfall – Fluchtlinien einer Wissensfigur
Christian KassungElektrische Spuren. Überlegungen zu einer Medien- und Wissensgeschichte technischer Störfälle
Claus PiasStörung als Normalfall
Eva HornUnglückliche Verkettung der Umstände. Sicherheitswissenschaft und Unfall
Urs StäheliDie Beobachtung von Wirtschaftsstörungen
Peter Matussek"Stolpern fördert." Störfälle als Inspirationsquelle
Jörn AhrensAnthropologie als Störfall. Gesellschaftliche Bearbeitungen von Gewalt
Olaf Briese"Ordo Naturae." Aspekte einer wesentlichen Täuschung
Niels WerberStörfall oder Weisheit der Natur? Der Massenselbstmord der Lemminge und die Demografie
Ulrike VedderHirntot, untot, komatös – Störfälle zwischen Leben und Tod
Lorenz EngellLeoparden küsst man nicht. Zur Kinematographie des Störfalls
Sebastian GießmannNetzstörungen. Erzählungen vom Ende der Netzwerke
DEBATTE
Beate Binder, Moritz Ege und Alexa FärberDebatte: Autonomie der Migration
Manuela BojadžijevDas "Spiel" der Autonomie der Migration
Repliken und eine Gegenantwort
Ayşe Çağlar und Nina Glick SchillerWider die Autonomie der Migration: Eine globale Perspektive auf migrantische Handlungsmacht
Jochen Oltmer'Autonomie der Migration' oder 'Eigen-Sinn' von Migranten?
Sandro MezzadraKeine Freiheit ohne Bewegungsfreiheit
Gabriele DietzeDen 'anderen' Polylog wahrnehmen
Manuela BojadžijevReplik