Trotz der weiten Verbreitung und der vielfältigen Praxis der Oral History ist sie im Rahmen der akademischen Lehre nicht fest verankert. Praktische und theoretische Kenntnisse in der Vorbereitung und Durchführung von Interviews müssen sich Studierende, wie alle anderen Interessierten, bisher mehr oder weniger selbst aneignen. An den Historischen Instituten der bundesdeutschen Universitäten wird Oral History nicht kontinuierlich unterrichtet, sondern – wenn überhaupt – meist von Lehrbeauftragten übernommen, die selbst ein oder mehrere Interviewprojekte durchgeführt haben. Teil des Curriculums ist es jedoch nicht. Um dies zu ändern, müssten Studienordnungen umgestaltet werden. Angesichts des Interesses, das Studierende der Oral History entgegenbringen, wäre dies zu wünschen. Auf diese Weise könnten die Studierenden den Umgang mit einer komplexen Quelle und Methode erlernen und sich mit der Bedeutung von Erinnerung und Erzählung, dem Verhältnis von Fakten und Deutungen, mit interdisziplinären Einflüssen auf methodische Vorgehensweisen und mit der Rolle der verschiedenen Ebenen von Zeit beschäftigen, die in einem Interview sichtbar werden. Ganz unabhängig von Interviews sind dies Themenbereiche, die für Geschichtsstudierende relevant sind.
Mit all diesen Fragen beschäftigte sich ein Panel des sechsten Treffens des „Netzwerk Oral History“, das am 15. und 16. Januar 2018 in Berlin stattfand. Das Panel, zu dem Linde Apel und Karin Orth eingeladen hatten, löste eine lebhafte Diskussion aus und führte zum Wunsch vieler Teilnehmer*innen des Treffens, die Diskussionsbeiträge nachlesen zu können. Daraus entstand die Idee, ein Heft bei BIOS zu gestalten, in dem die Beiträgerinnen anhand einer oder mehrerer Lehrveranstaltungen zur Oral History ihre Konzeption vorstellen. In allen Texten geht es um folgende Fragen: In welchem organisatorischen Rahmen fand die Lehrveranstaltung statt? Um welche Hochschule handelt es sich, welchen Umfang hat die Lehrveranstaltung zur Oral His-tory und wie viele bzw. welche Studierende nahmen/nehmen teil? Was sollen die Studierenden lernen, und wie wird dieses Lernziel vermittelt? Und wie werden die Veranstaltungen von den Studierenden angenommen und bewertet bzw. was kommt aus Sicht der Dozierenden dabei heraus? (aus der Einleitung der Herausgeberinnen Linde Apel und Karin Orth)
Linde Apel und Karin OrthOral History in der akademischen Lehre. Einführung in den Schwerpunkt
Albert LichtblauOral History lässt sich nicht unterrichten?
Linde ApelErinnern, erzählen, deuten. Oral History in der universitären Lehre
Lara Keuck, Seraphina Rekowski und Anke te HeesenAngewandte Geschichtswissenschaft oder: Historisierung der Anwendung. Für eine Wissenschaftsgeschichte der Oral History
Karin OrthStudentische Oral History-Interviews zu Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg
Kristina SchulzOral History-Projekte in der Lehre: Migrationsgeschichte(n)
Susanne FreundOral History in der Lehre. Was sollen künftige Archivar*innen lernen?
Eva OchsOral History an der FernUniversität in Hagen
Verena Lucia NägelOral History-Interviews zum Holocaust in der universitären Lehre. Die internationalen Summer Schools der Digitalen Interview-Sammlungen an der Freien Universität Berlin
Sarah Scholl-Schneider und Johanne LefeldtZwischen didaktischen, digitalen und diversitätsbedingten Herausforderungen. Impulse für adäquate Lehr- und Prüfungsformate zur Vermittlung des qualitativen Interviews als ethnografische Methode
Loretta WalzFilmische Interviews – führen und unterrichten
Nicole L. ImmlerOral History und Narrative Theorie: Vom Erzählen lernen
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Michael Feldhaus und Monika SchlegelBerufsmobilität und das Arrangement der Lebensbereiche in Familien