Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 15 (2011), 1

Titel der Ausgabe 
Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 15 (2011), 1
Weiterer Titel 
offenes Heft

Erschienen
Rostock 2011: Ingo Koch Verlag
Erscheint 
zwei Ausgaben pro Jahr, jeweils im Juli und Dezember
Anzahl Seiten
113 S.
Preis
8,00 €

 

Kontakt

Institution
Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern
Land
Deutschland
c/o
Geschichtswerkstatt Rostock e.V. Kröpeliner Tor 18055 Rostock Tel.: 0381-1216415 Fax: 0381-3607240
Von
Bispinck, Henrik

Editorial

Zeitgeschichte als die Geschichte der Miterlebenden, der Erlebnisgeneration bereitet sich auf einen Umbruch vor, der sich mit dieser Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ einmal mehr abzuzeichnen scheint. Die DDR-Zeit steht deutlich im Mittelpunkt dieses Heftes. Dies ist jedoch mitnichten Ausdruck einer strategischen Neuausrichtung dieser Zeitschrift.

Sicher, die Zeitgenossen kaiserzeitlicher, selbst Weimarer Verhältnisse sind heute kaum noch unter den Lebenden. Auch an die Zeit des Nationalsozialismus und der frühen Nahkriegszeit erinnern sich heute vor allem Menschen, die diese als Kinder oder Jugendliche erlebten, wohingegen die Gruppe der diese Perioden Gestaltenden im Schwinden begriffen ist. Die Redaktion wird sich mit dieser Entwicklung weiter auseinandersetzen. Die Menschen in Deutschland haben – statistisch betrachtet – eine immer höhere Lebenserwartung. Der Zeitgeschichte eine ebensolche einzuräumen erscheint da nur folgerichtig.

Für dieses Heft ergab sich die thematische Konzentration jedoch aus dem Umstand, dass eine Reihe von geplanten Beiträgen aufgeschoben werden musste, da die angefragten Autoren darum gebeten hatten. Das ursprüngliche Rahmenthema „Musik“ wird also später behandelt werden.

Hinter die Erscheinung zu sehen – dies ist der erklärte Antrieb von Daniel Hechler und Peer Pasternack, den Umgang der Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern mit ihrer DDR-Geschichte zu analysieren. Der Ausgangspunkt ist ein Vorurteil (im Wortsinn), wonach schlichtweg der Wille zur Aufarbeitung fehle. Soviel sei vorweg genommen: Die Einschätzung der Autoren fällt weitaus differenzierter aus. Der DDR-Geschichte im Kleinen, ja im Kleinsten, widmet sich der Beitrag von Wolfgang Gräfe. Er schildert den 1963 peinlich gescheiterten Versuch der Greifswalder Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit, die dortige evangelische Studentengemeinde mit einem Abhörsender, einer „Wanze“, zu überwachen. Der Überwachungsauftrag des Ministeriums für Staatssicherheit steht auch im Mittelpunkt der Untersuchung von Daniela Münkel. In der Rubrik „Das Dokument“ stellt sie einen Auszug aus der gerade erschienenen Edition „Die geheimen Berichte an die SED-Führung“, Jahrgang 1961, über die Stimmung der Bevölkerung in den drei Nordbezirken der DDR im September 1961, also nach der Grenzabrieglung vor. Einen interessanten anderen Blick auf die DDR finden wir in dem Bericht Peter Nöldechens, der sich als Korrespondent der „Westfälischen Rundschau“ im Norden der DDR auf Spurensuche nach dem Jerichow Uwe Johnsons gemacht hatte und über dessen Literatur Mecklenburg entdeckte. Eine Entdeckung anderer Art dürfte der Erinnerungsbericht von Tilo Braune über die Entstehung der „Eldenaer Jazz Evenings“ zu Beginn der 1980er Jahre verheißen. Initiative und Selbsthilfe unter Nutzung, Instrumentalisierung oder Umgehung der vorgegebenen Strukturen gehören zur nachgerade mythischen Sozialisationserfahrung DDR-Geborener. Wie die 1980 geborene Idee, „‚dem einzigen Dorf der DDR mit Universität‘ […] ein wenig Jazz einzuhauchen“, zur bis heute spürbaren materiellen Gewalt wurde, weil sie ein Lebensgefühl ausdrückte, ist eine Geschichte (noch dazu die einzige Musikgeschichte in diesem Heft, der noch weitere folgen sollen), die geeignet ist, manche Vorstellung über die DDR, insbesondere in Bezug auf das nördliche „Tal der Ahnungslosen“, gegen den Strich zu bürsten.

Die biographische Skizze in dieser Ausgabe bezieht sich auch auf die Greifswalder Universität, durchbricht aber den dominanten DDR-Fokus. Günter und Ralf Ewert präsentieren nach Porträts über Alfred Lublin und Victor van der Reis die Geschichte eines weiteren Mediziners, der 1933 die Medizinische Universitätsklinik verlassen musste: Heinrich Lauber. Wie bei seinen Kollegen referieren die Autoren die zusammengetragenen Zeugnisse für den Lebensweg Laubers (von seiner Geburt über seine akademische Karriere in Deutschland bis zu seinem englischen Exil, das ihm bis zu seinem Tod Heimat bot) als einen Forschungsbericht.

Berichte über die Arbeit an zeitgeschichtlichen Themen im Land gehören wie immer zum Profil von „Zeitgeschichte regional“. Simone Labs hatte im Herbst 2009 eine Tagung „Omas Pole“ über Zwangsarbeit in Mecklenburg während des Zweiten Weltkrieges organisiert. Der „Polenfriedhof“ von Conow im Landkreis Ludwigslust spielte in deren Verlauf eine Rolle. RegionalschülerInnen aus Malliß recherchierten und engagierten sich mit ihrer Lehrerin im Rahmen eines Geschichtsprojektes „Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit im Bereich Ludwigslust“ für eine fundierte öffentliche Wahrnehmung dieses Gedächtnisortes in ihrer Region. Des Weiteren gibt der Leiter des Archivs der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburgs Johann Peter Wurm einen Überblick über das Programm einer im November 2010 im Schweriner Dom durchgeführten Tagung „Kirche im Sozialismus – Die Landeskirche Mecklenburgs 1945-1989“. Schließlich referiert Andreas Wagner ausführlich Ergebnisse und Verlauf der im Frühjahr 2011 auf Rügen durchgeführten Tagung „Waffenverweigerer in Uniform“ über die Geschichte der Bausoldaten in Prora. Die unter breiter Beteiligung von ehemaligen Bausoldaten und Fachleuten vom Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismusforschung, der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, der Robert-Havemann-Gesellschaft, dem Prora-Zentrum und Politische Memoriale e.V. durchgeführte und von der Landeszentrale für politische Bildung und der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen unterstützte Veranstaltung ist ein deutliches Zeichen für das engagierte fachliche Bemühen, dem allenthalben kolportierten Mythos vom KdF-Seebad die Realgeschichte, die jahrzehntelang durch Kasernierte Volkspolizei und NVA/Bausoldaten geprägt war, entgegenzustellen. Die Wirkmächtigkeit jenes Mythos dokumentieren die vielen Berichte anlässlich der Eröffnung der „längsten Jugendherberge“ im Block V zum Feriebeginn 2011 eindrücklich – ein Argument mehr, die NS-Geschichte nicht aus der Zeitgeschichte zu entlassen.

Den Abschluss dieses Heftes bilden die diesmal etwas ausführlicheren, weil uns (nicht nur regional) nahen Berichte „Aus anderen Ländern“ und eine gute Anzahl von Rezensionen sowie die Übersicht über Neuerscheinungen in unserem Land.

Ihre Redaktion

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

AUFSÄTZE

Matthias Manke: „Schwer aber hat uns die Verlegung des Hauptarchivs getroffen.“ Die Vereinigung des Hauptarchivs Neustrelitz mit dem Geheimen und Hauptarchiv Schwerin im Jahre 1935 (S. 5–12)

Daniel Hechler/Peer Pasternack: Zwischen Aufarbeitung und Traditionsbeglaubigung. Der Umgang der Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern mit ihrer DDR-Geschichte (S. 13–23)

Wolfgang Gräfe: Ein Abhörsender des MfS in der Greifswalder Jakobikirche 1962–1963 (S. 24–35)

DAS DOKUMENT

Daniela Münkel: Nach dem Mauerbau: Bevölkerungsstimmung und besondere Vorkommnisse in den drei Nordbezirken. Dokumentation der Berichterstattung durch das Ministerium für Staatssicherheit (S. 36–46)

BIOGRAPHISCHE SKIZZE

Günter Ewert/Ralf Ewert: Henry Charles John Lauber (früher Heinrich Karl Johann Lauber, 24. Oktober 1899 – 19. März 1979). Emigrant aus der Medizinischen Universitätsklinik Greifswald (S. 47–57)

ERINNERUNGEN

Peter Nöldechen: Wege nach Jerichow. Auf Uwe Johnsons Spuren in Mecklenburg vor 1989 (S. 58–62)

Tilo Braune: „Das sanfte Jazzfestival von der Küste“. 30 Jahre „Eldenaer Jazz Evenings“ (S. 63–69)

REGIONALE GESCHICHTSARBEIT

Simone Labs: Der „Polenfriedhof“ von Conow (S. 70–72)

Johann Peter Wurm: Tagung „Kirche im Sozialismus“ – Die Landeskirche Mecklenburgs 1945–1989 (S. 73)

Andreas Wagner: Erste Tagung zur Geschichte der Bausoldaten in Prora (S. 73–76)

AUS ANDEREN LÄNDERN

Robert Gahde: Leben am Wasser: Flüsse in Norddeutschland. Tagung am 18./19. Februar 2011 in Hamburg (S. 77–80)

Dennis Riffel: Einweihung der Gedenkstätte für das KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen in Baden-Württemberg (S. 80–82)

Carmen Lange: Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald nach umfassender Neugestaltung wieder eröffnet (S. 83–87)

Karl Lau: Die „Gedächtniskirche Rosow“ als deutsch-polnische Gedenkstätte für Flucht, Vertreibung und Neuanfang (S. 87–92)

REZENSIONEN/ANNOTATIONEN (S. 93–107)

Dietrich Güldenhaar: Seebad Heringsdorf, Ilmenau 2008; Andreas Bartelmann: Ostseebad Kühlungsborn, Ilmenau 2009; Erwin Rosenthal: Ostseebad Misdroy, Ilmenau 2008; Ute Spohler: Seebad Zinnowitz, Ilmenau 2010; Wolfgang Eggert: Ostseeheilbad Zingst, Erfurt 2010 (Kai Agthe)

Heidrun Lorenzen/Volker Probst (Hg.): Bildende Kunst in Mecklenburg 1900 bis 1945. Zwischen Regionalität und Internationalität, Rostock 2010 (Michael Lissok)

Angrit Lorenzen-Schmidt/Klaus-J. Lorenzen-Schmidt/Rüdiger Ruppert (Bearb.): „Da kann sich so eine Landratte nicht reindenken“. Das Tagebuch des Rostocker Schiffsingenieurs Fritz Ruppert von 1910 bis 1939, Rostock 2010 (Heide Gerstenberger)

Annette Hinz-Wessels/Jens Thiel: Das Friedrich-Loeffler-Institut 1910–2010. 100 Jahre Forschung für die Tiergesundheit, Berlin 2010 (Wolfgang Wilhelmus)

Irmfried Garbe: Die erste Deportation von deutschen Juden vor 70 Jahren aus Pommern. Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2010, Greifswald 2010 (Andreas Wagner)

Natalja Jeske: Das KZ-Außenlager Barth. Geschichte und Erinnerung, Kückenshagen 2010 (Wolfgang Wilhelmus)

Jan Musekamp: Zwischen Stettin und Szczecin. Metamorphosen einer Stadt von 1945 bis 2005, Wiesbaden 2010 (Gero Lietz)

Ulrich Schacht: Vereister Sommer. Auf der Suche nach meinem russischen Vater, Berlin 2011 (Andreas Wagner)

Jan Peters: Menschen und Möglichkeiten. Ein Historikerleben in der DDR und anderen Traumländern, Stuttgart 2011 (Wolfgang Wilhelmus)

Gert Wendelborn: Christentum und Sozialismus. Als Theologieprofessor in der DDR, hg. von Friedrich-Martin Balzer, Bonn 2010 (Kai Agthe)

Christoph Wunnicke: Der Bezirk Neubrandenburg im Jahr 1989, Schwerin 2010 (Christian Schwießelmann)

Rahel Frank/Martin Klähn/Christoph Wunnicke: Die Auflösung. Das Ende der Staatssicherheit in den drei Nordbezirken, Schwerin 2010 (Annette Leo)

Wolfram Axthelm (Hg.): 20 Jahre CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern. Aufbruch in die Demokratie, Neubrandenburg 2010 (Christian Schwießelmann)

NEUERSCHEINUNGEN (S. 108–110)

KURZVORSTELLUNG DER AUTOREN (S. 111)

ADRESSEN DER AUTOREN (S. 112)

IMPRESSUM (S. 113)

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