Wer heute Adelsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts betreibt, braucht sich nicht mehr für die Auswahl seiner Untersuchungsobjekte zu rechtfertigen. Stattdessen deuten die Anzahl der Tagungen und Veröffentlichungen des letzten Jahrzehnts sowie zwei Sammelbesprechungen1 darauf hin, dass die Bedeutung einer methodisch reflektierten und gesellschaftsgeschichtlich orientierten Adelsforschung anerkannt ist. Sie trägt unter Anderem zum Wissen über den Wandel von der Stände- zu Klassengesellschaft, der Konstituierung von Eliten und der Ausbildung von Gruppenmentalitäten bei. Dabei erstaunt rückblickend, dass bis Ende der 1990er-Jahre ein solch ausgeprägtes Desinteresse am Adel vorherrschte, wurde ihm doch allgemein eine wichtige, empirisch kaum unterfütterte Rolle bei der Fehlentwicklung der deutschen Geschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert zugeschrieben.
Darüber hinaus scheint sich Adel aber auch als Gegenstand anzubieten, mit dem man Kreise außerhalb der Historikerzunft (und des Adels selbst) für Geschichte interessieren kann. Dass selbst Tchibo in Verbindung mit dem Springer Verlag einen, wenn auch hoffnungslos unreflektierten Band zum Adel herausgegeben hat, deutet darauf hin, dass es ein über die Yellow Press hinausgehendes Interesse am Adel und seiner Geschichte gibt.2 Zahlreiche wissenschaftliche Ausstellungen der letzten Jahre und in Verbindung damit herausgegebene Sammelbände und Ausstellungskataloge3 bilden hier ein erfreuliches Korrektiv.
Im Folgenden sollen wichtige Forschungsergebnisse der letzten Jahre anhand von vier Themenbereichen untersucht werden. Berücksichtigt werden sollen die Frage, welche kulturellen Werte den Adel zusammenhielten, sodann das Verhältnis des Adels zu Region und Nation, ferner Untersuchungen zum adligen Lebensunterhalt in der Moderne und schließlich der Hochadel.
Der adlige Wertehimmel –Charakteristikum eines Standes in nachständischer Zeit?
Wohl kaum ein Begriff hat in den letzten zehn Jahren in der Forschung zur Adelsgeschichte eine solche Karriere gehabt wie jener der „Adeligkeit“. Hierbei handelt es sich um ein Kulturmodell, das in Analogie zur „Bürgerlichkeit“ entworfen worden ist und mit dem nach gemeinsamen kulturellen Leitbildern und Orientierungen der regional, sozial, konfessionell und rechtlich unterscheidbaren Gruppen des deutschen Adels gefragt werden soll. Am prägnantesten ist „Adeligkeit“ in den Untersuchungen von Marcus Funck und Stephan Malinowski ausgearbeitet worden – wenn auch mit inneren Widersprüchlichkeiten. Der Wertehimmel wird von ihnen anhand verschiedener Fixsterne vermessen. Demnach zeichnete sich „Adeligkeit“ durch ein besonderes Familienverständnis, besondere Naturnähe, die Praktizierung von Herrschaft und später Führung, durch die Gegenüberstellung von bürgerlicher Bildung und adligem Charakter sowie einen Kult der Kargheit aus. Problematisch erscheint an den Ergebnissen Funcks und Malinowskis zunächst das Verhältnis von Statik und Wandelbarkeit des Wertehimmels. Während in den konzeptionellen Überlegungen noch zum Schub autobiographischer Veröffentlichungen Adliger seit den 1920er-Jahren, welche Funck und Malinowski als empirische Grundlage für die Ermittlung des adligen Wertehimmels dienen, bemerkt wurde, dass „offenbar ... das Bedürfnis [wächst], solche Selbstvergewisserungen zu schreiben (und zu lesen) in Zeiten, in denen der Wertekanon und die Welt, die er zusammenhalten soll, schwer erschüttert werden“, und dass dies unter Umständen mit „verstärkten Reflexionen des adeligen Kulturmodells und der (reaktiven) Formulierung eines ‚adligen Projektes’ verbunden“4 gewesen sei, gerät die in der Theorie eingebaute Dynamik im Fazit zur Statik, die das adlige Kulturmodell über das Jahr 1918 hinaus präge. Der adlige Habitus wird „verstanden als tradiertes, durch Sozialisation und Berufskarrieren gefestigtes System von Wahrnehmungs- und Verhaltensdispositionen“, die eine Grundlage bieten könnten, „auf der sich adelstypische Reaktionen auf die Moderne analysieren lassen.“5 Josef Matzerath hat an dem Modell von Funck und Malinowski diesen Aspekt der Dauerhaftigkeit bestimmter Kernelemente kritisiert. Seine am sächsischen Adel der Zeit um 1800 erarbeiteten Konzeptionen, die aber über die Untersuchungsgruppe und -zeit hinausgehenden Geltungsanspruch erheben, betonen stärker „Binnenkommunikation“ und Geselligkeit des Adels, die ihm den permanenten Abgleich und dynamischen Wandel von Werthaltungen und Normen sowie deren situative Anpassung und Reinterpretation ermöglicht hätten. Was genau verhandelt und reinterpretiert wurde, führt Matzerath nicht aus.6
Neben der Frage nach Statik und Dynamik verfügen beide Konzepte jedoch über inhärente Schwächen, die bei genauerer Betrachtung deutlich werden. Charlotte Tacke hat zur tatsächlichen inhaltlichen Ausfüllung des Wertehimmels von Funck und Malinowski angemerkt, dass es sich bei den beschriebenen Bedeutungsgehalten der Schlagwörter eher um völkische als spezifisch adlige Muster der Weltwahrnehmung gehandelt habe.7 Auch wenn Tacke einen spezifisch adligen Wertekanon nicht völlig zurückweist, kann es sich somit nicht um dauerhaft im Adel tradierte Werte handeln, die Funck und Malinowski aus der Lektüre der seit den 1920er-Jahren erscheinenden Autobiographien gewonnen haben. Vielmehr dürfte es sich um solche Werte gehandelt haben, die mit der völkischen Bewegung seit den späten 1880er-Jahren aufkamen und offenbar vom Adel rezipiert und übernommen wurden. Dies würde auch mit den Bemerkungen Funcks und Malinowskis zum Entwurf eines „adligen Projektes“ nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 übereinstimmen. Das Konzept der Adeligkeit würde damit dynamischer und näher an das durch kommunikativen Austausch und Reinterpretation gekennzeichnete Modell Matzeraths heranrücken.
Andererseits ist bei Matzerath zu kritisieren, dass er sein kommunikatives Modell der Genese adliger Weltwahrnehmung nur mit dem Blick auf exklusive Teile der Adelsgesellschaft in der Auflösungsphase der ständischen Gesellschaft entwirft. Matzerath folgend hielten Adlige etwa vor allem die Begegnungen mit anderen Adligen für erinnernswert. Bürgerliche, so zeigt Matzerath, wurden in Tagebüchern des sächsischen Stiftsadels um 1800 kaum erwähnt. Hingegen findet sich bei Marko Kreutzmann der Hinweis, dass durchaus nicht alle Adligen über derart ausschließliche adlige Wahrnehmungskreise verfügten, wie bei Matzerath beschrieben.8 Und die von Matzerath als „innere Kavalierstour“9 beschriebene Versetzung Adliger im Staatsdienst in verschiedene Teile Sachsens, die es Einzelnen erlaubt habe, mit verschiedenen Adelsgruppen in Kontakt zu kommen und die eigene Weltsicht mit anderen abzugleichen, endet dort, wo man Matzeraths statistische Erhebungen über Adlige im Staatsdienst 1865/66 betrachtet. Denn die „innere Kavalierstour“ eines adligen Chausseegeldeinnehmers dürfte schon in Anbetracht seiner ökonomischen Lebensverhältnisse kaum zum Hineinwachsen in die sächsische Adelsgesellschaft beigetragen haben. Daher kann man davon ausgehen, dass nach 1800 adlige Kommunikationszirkel immer stärker aufbrachen und zunehmend mehr Adlige aus ihnen hinausfielen. Dass völkische Ideologeme Aufnahme im Adel fanden, deutet zudem darauf hin, dass eben nicht innerhalb des Adels neue Konzepte entwickelt wurden, sondern diese zumindest zeitweise von außen kamen, man möglicherweise erst auf sie reagieren musste. Wenn aber der adlige Wertehimmel nicht statisch war, am Ende des 19. Jahrhunderts völkische Begrifflichkeiten aufnahm, und nicht mehr alle Adligen einbezogen wurden, was ist dann noch „Adeligkeit“? Wer verfügte noch über einen adligen „Habitus“ und können wir das, was uns Adlige in Autobiographien über die Leitideen ihres Lebens erzählen, überhaupt in empirischen Handlungen nachweisen? Oder handelt es sich um Geschichten, mit denen der Adel gesellschaftliche Geltung beanspruchte?
Es ergeben sich aus der Literatur vier Schlussfolgerungen: Diese betreffen erstens das Verhältnis adliger Werte zu Werten anderer Sozialgruppen, zweitens die Frage, inwiefern diese Werte handlungsleitend wirkten, drittens die Methoden kultureller Abgrenzung des Adels innerhalb der Gesamtgesellschaft und schließlich viertens die Homogenisierung der Werte regionaler Adelsgruppen zu einem ‚deutschen’ Adel.
1. Wenn Adlige darüber reden, wie sie sind und woran sie glauben, sollte dies nicht als adliges Spezifikum aufgefasst werden, sondern muss mit der Umwelt abgeglichen werden. Die Stellung des Adels war auch im 18. Jahrhundert aus verschiedenen Richtungen kritisiert worden. Besonders die ökonomische und die juristische Kritik war, folgt man Barbara Stolberg-Rilinger, von besonderer Bedeutung.10 Teile des Adels reagierten auf diese Angriffe in ihren Selbstbeschreibungen und stilisierten sich zu gesellschaftlichen Vorreitern. So kann man sehen, wie sich Friedrich Reichsgraf zu Rantzau zwischen 1770 und 1790 in seinen Tagebüchern im Spiegel von Hausväterliteratur und Aufklärung als Persönlichkeit darstellte, die sowohl ökonomisch umsichtig als auch Zeitströmungen gegenüber aufgeschlossen gewesen sei.11 Neuere Forschungen zur Kulturkritik zeigen, dass sich Weltdeutungen im 19. Jahrhundert eben nicht mehr permanent entwerfen ließen, sondern konstanter Kritik unterworfen waren.12 Vor diesem Hintergrund müssen auch adlige Selbstentwürfe interpretiert werden. Denn ein dauerhaft statisches Selbstverständnis dürfte im 19. Jahrhundert für den Adel gar nicht möglich gewesen sein. Dafür waren die Veränderungen und Umbrüche zu vielfältig. Anpassung an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel war permanent erforderlich und es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Anpassung nicht auf das Selbstverständnis ausgewirkt hat.
Besonders die Bemühungen um den Entwurf einer konservativen Weltdeutung im 19. Jahrhundert und deren kontinuierlicher Wandel zeigen Parallelen zu adligen Selbstbeschreibungen der Jahrhundertmitte.13 Untersuchungen zum radikalen Nationalismus am Ende des 19. Jahrhunderts zeigen dann die Ursprünge der Begrifflichkeiten, die Funck und Malinowski als adligen Wertehimmel beschrieben haben. Gleiches gilt für die völkische Bewegung, die Stefan Breuer als eine spezifische Mischung aus rückgewandten und modernen Elementen beschrieben hat. Darin dürfte zu einem nicht unwesentlichen Teil die Attraktivität für den Adel gelegen haben.14 Denn abseits vom Altkonservatismus, der sich am Ende des Kaiserreichs immer stärker auf die Verteidigung des Status quo versteifte15, boten radikaler Nationalismus und völkische Bewegung eine spezifische Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, in die auch der Adel eingebaut wurde bzw. werden konnte. Diese Anpassung des adligen Wertehimmels an ideologische Gedankengerüste im 19. Jahrhundert scheint aber auch zur Aushöhlung des Adelsbegriffs beigetragen zu haben. Nicht zuletzt Alexandra Gerstner hat mit ihrer Studie „Neuer Adel“ auf diese Offenheit des Begriffs ‚Adel’ für Reinterpretationen hingewiesen. Hätte es einen festen, von gesellschaftlichen Strömungen unabhängigen Kern von „Adeligkeit“ gegeben, so darf man wohl vermuten, wäre der Begriff viel zu fest besetzt gewesen, als dass er mit neuen Interpretationen hätte angefüllt werden können.16 Ein Gegenbegriff zum Adel, wie zum Beispiel Elite, wurde jedoch erst nach 1945 populär.
Dass der adlige Wertehimmel auf den ersten Blick so statisch erscheint, muss demnach darin begründet sein, dass man ihn durch ein Konglomerat an Begriffen definieren kann, die einerseits über Jahrhunderte existierten: Familie/Geschlecht, Land, Herrschaft etc. Aber die semantische Ausfüllung der Begriffe änderte sich und konnte je nach weltanschaulicher Perspektive vorgenommen werden.17 Land konnte wirtschaftlich oder agrarromantisch interpretiert werden – Familie/Geschlecht sozial oder rassisch interpretiert, auf die Kleinfamilie, den eigenen Ast oder die Gesamtheit der Träger des gleichen Namens bezogen werden – Herrschaft rechtlich oder qua Führerschaft verstanden werden. Alles schien dank identischer Begriffe gleich zu bleiben und doch änderte sich aufgrund des semantischen Wandels der Begriffe das meiste. Und dieser permanente unbewusste Wandel der Begriffsinhalte ist Teil der
Begriffskontinuität, ermöglicht sie wohl erst. Dies kennzeichnet dann eben doch noch eine lange Kontinuität, wenn sie auch im Vergleich zu Funck und Malinowski eher oberflächlich ausfällt. Aufgabe der Forschung muss es sein, stärker die hinter den Begriffen stehenden Bedeutungshorizonte und ihren Wandel zu entschlüsseln. Funck und Malinowski hatten angenommen, dass der Wertehimmel es dem Adel erlaubt habe, an ihm die „Reaktion“ auf Veränderungen der Moderne zu orientieren. Nicht am Wertehimmel kann sich die „Reaktion“ dauerhaft orientieren, der sich wandelnde Wertehimmel ist zu einem guten Teil die „Reaktion“ selbst.
2. Wenn Adlige darüber reden, wie sie sind und woran sie glauben, sollte dies nicht als Gerüst interpretiert werden, an dem sich Handlungen dauerhaft orientieren mussten. Vielmehr verbergen sich dahinter auch immer Bemühungen, sich und dem Adelsstand Geltung zuzuschreiben. Die im ‚Kult der Kargheit’ zum Ausdruck gebrachte Sparsamkeit bedeutete eben nicht immer das Gleiche, sondern war in erster Linie ein moralischer Anspruch, der mit der eigenen Vermögenslage, zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch mit ständischen Vorstellungen, korrelierte.18 Die Betonung von Sparsamkeit konnte auch je später desto mehr verbergen, dass man sich einfach nicht mehr leisten konnte. Außerdem bot dieser Anspruch sich an, die immer schärfer hervortretenden ökonomischen Unterschiede im Adel symbolisch zu überbrücken. Bildung konnte abgelehnt werden, gleichzeitig aber die Ergebnisse der Aufklärung rezipiert werden.19 Wahrscheinlich verfügte der Adel auch nie über so viel institutionalisiertes kulturelles Kapital wie am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – zu der Zeit also, zu der seine rhetorische Bildungsfeindschaft am prononciertesten war.20 Paul von Lettow-Vorbeck trat nach dem Ersten Weltkrieg in die Reichswehr ein, um, ehrgeizig wie er war, seine Karriere in der Republik fortsetzen zu können. Er scheint sich also zumindest zweitweise mit den neuen demokratischen Machthabern arrangiert zu haben. Als dann aber der Kapp-Lüttwitz-Putsch bessere Optionen zu eröffnen schien, wechselte Lettow-Vorbeck erneut die Seiten. Opportunismus ermöglichte es Adligen offenbar, (temporär) ideologischen Ballast abzuwerfen, wenn es den eigenen Interessen diente.21 Daneben gab es aber auch eine Reihe von Adligen, deren Lebenswege sie nicht am Anfang der 1930er-Jahre zu Anhängern Hitlers machten, obwohl sich ihre Weltdeutung bis 1918 nicht von der späterer adliger Anhänger des Nationalsozialismus unterschied. Diese Adligen konnten stattdessen den Weg in den Pazifismus finden, wobei aber keineswegs die Selbstwahrnehmung als Adliger mit über Bord geworfen werden musste. Der adlige Wertehimmel legte also keineswegs die Entwicklungsrichtung der politischen Ansichten nach 1918 fest.22
3. Wie versucht sich Adel zu definieren, in der Gesellschaft abzugrenzen und als Stand zu erhalten? „Our own understanding of nobility has become so different from what was earlier prevalent that it tends to be projected back in time.” Aber: „Noble identity was not eternal and unchanging, depended decisively on its context, and existed in relation to the whole. When the frame of reference changed, then so did self-understanding.”23 Die oben ausgeführten Argumente und Forschungsdiskussionen erlauben es am Ende kaum noch, von einem spezifisch adligen Habitus zu sprechen. Vielmehr erscheint das, was im 18. und 19. Jahrhundert als Tugendadel bezeichnet wurde, zutreffender. Das Konzept hatte einen großen Vorteil, denn es besagte, „ererbter Adel disponiere den Einzelnen nicht nur in besonderem Maße zur Tugend, sondern verpflichte ihn auch in besonderem Maße dazu.“24 Der Adel konnte also diese an Tugenden geknüpften Vorbildrollen für sich reklamieren und sich an wechselnde „frames of reference“ anpassen. Zentrale Begriffsinhalte neuer weltanschaulicher Gebäude konnten in adlige Begriffe langer Dauer eingebaut werden und durch die Möglichkeit der Rückprojektion ein „immer schon so gewesen“ suggeriert werden. Dass der Adel bei all diesen Reinterpretationen sich nicht selbst auflöste, dürfte verschiedene Gründe haben. Seit den späten 1850er-Jahren entstanden Adelsvereine, die für die Sammlung des Adels sorgten. Die verstärkte Präsenz des Adels im Militär nach der preußischen Heeresvergrößerung der 1860er-Jahre, die Wiedereinführung zum Beispiel des Johanniterordens und die bleibende Bedeutung der Höfe sorgten für eine Wiederverstärkung der adligen Binnenkommunikation, auch wenn immer wieder Adlige aus dem Adel herausgefallen sein dürften. Außerdem dürfte noch ein weiterer Effekt der Adelsreformen zu beachten sein. In unterschiedlichen Regionen konnten neoständische Abschließungen des Adels in unterschiedlicher Intensität durchgesetzt werden. Das Paradebeispiel der Reprivilegierung ist der rheinische Adel, dem es in den 1830er-Jahren gelang, ständische Sonderrechte durchzusetzen, die ihn noch nach 1900 vom Bürgerlichen Gesetzbuch ausnahmen. Andere Adelsgruppen waren hierin weniger oder gar nicht erfolgreich. Eine vergleichende Untersuchung fehlt bislang.25 Dies bedeutete auch, dass die Notwendigkeit der symbolischen Distinktion unterschiedlich ausgeprägt war. Nicht jede Gruppe des deutschen Adels musste sich gleich stark an wechselnde „frames of reference“ anpassen, um Führungspositionen zu behaupten.
4. Dies führt zu der abschließenden Frage, inwiefern es einen Wertehimmel des ‚deutschen’ Adels gab. Marcus Funck und Stephan Malinowski haben vor allem auf der Ebene der „unwritten assumptions“26 und des Habitus die Existenz eines ‚deutschen’ Adels postuliert. Dabei wird eingeräumt, dass sich tagespolitisches Handeln durchaus unterscheiden konnte, wie die Ablehnung des Nationalsozialismus im bayerischen Adel zeige.27 Wenn allerdings die „unwritten assumptions“ nicht so tief verankert und unveränderlich waren wie Funck und Malinowski annahmen, stellt sich die Frage nach Kohärenz und Differenz im Adel neu. Gab es tatsächlich „unwritten assumptions“ des deutschen Adels oder bildeten sie sich erst im 19. Jahrhundert aus – und wenn ja, wie? Zu Zweifeln trägt auch bei, dass eine zur Beschreibung des Adels gern genutzte, scheinbar monolithische Region wie ‚Ostelbien’ mit der Untersuchung Patrick Wagners zweifelhaft geworden ist.28 Welche Auswirkungen zum Beispiel pommerscher Pietismus und ostpreußischer Liberalismus auf adliges Selbstverständnis hatten, müsste noch näher untersucht werden. Dabei dürfte vor allem der in der Adelsforschung weitgehend ungebräuchliche interregionale Vergleich dazu beitragen, Entwicklungen hin zu einem Wertesystem aufzuweisen, das von weiten Teilen des deutschen Adels geteilt wurde.
Adel und Nation – Adel und Region
Das 19. Jahrhundert war ein Zeitalter, das in extremer Form Loyalitäten forderte und herausforderte. Entscheidend für den Adel, wie für andere Gesellschaftsgruppen, war der Nationalismus, wobei bislang offen ist, wie genau der Adel um 1800 zu ihm stand. William D. Godsey hat den Kategorien Raum und Nation in seiner Untersuchung über die im ehemaligen Mainzer Domkapitel vertretenen Adelsfamilien zwischen 1750 und 1850 größere Beachtung geschenkt. Er betont für seine Gruppe die Verschiebung der „geo-cultural landscape“ von einem großen mitteleuropäisch-pränationalen Raum, der von Paris bis Wien und von Norddeutschland bis Norditalien reichte, hin zu einem an nationalen Grenzen orientierten Raum. Adlige mussten sich nach 1800 für die eine oder andere Seite der Grenze entscheiden – statt transregional musste der Adel sich jetzt national verstehen. Daneben zeigt Godsey am Wandel der Termini vom „alten Adel“ zum „Uradel“, wie sich Adlige in die nationale Geschichte einschrieben. Einzig die Habsburgermonarchie habe nach 1815 noch die Möglichkeit geboten, pränationale Konzepte von Raum und Adel weiterzuleben. Im 19. Jahrhundert habe sich dann im nicht-österreichischen Deutschland ein konservativer Nationalismus entwickelt, den Godsey am Freiherrn vom Stein veranschaulicht.29
Demgegenüber hat Marko Kreutzmann schon für die Zeit vor 1800 wesentlich stärkere nationale Bindungen des Adels betont. „Der Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach [darunter auch Mitglieder reichsritterlicher Familien, D.M.] war um 1800 Träger eines nationalen Bewusstseins, das sich vor allem aus seiner engen Bindung an das Alte Reich und dessen Institutionen speiste, aber auch bereits ethnische und kulturelle Momente in sich vereinte. ... Mögen auch vielfach alte Begriffe und Formeln weiter verwendet worden sein, so entfernten sich doch ... im 19. Jahrhundert die Vorstellungen, welche die von den neuen Kräften des Bürgertums dominierte, liberal-nationale Bewegung mit der Forderung nach nationaler Einheit verband, grundsätzlich von dem, was das am Alten Reich orientierte, patriotische Empfinden des Adels ausmachte.“30
Die beiden Positionen, zu denen sich aus der Forschungsliteratur speziell zum Adel wenig Weiteres hinzufügen lässt, zeigen, dass das Themenfeld von Adel und Nationalismus im frühen 19. Jahrhundert noch weitgehend unbestellt ist. Das dürfte damit zusammenhängen, dass der Adel zumeist regional untersucht wird und Fragen des Nationalismus aufgrund der regionalen Selbstverortung des Adels häufig aus dem Blickfeld geraten. Ob der Adel 1800 schon national dachte oder es erst lernen musste, ist offen. Zudem wäre zu untersuchen, inwiefern das gerade für die kleinen und mittleren Staaten des Alten Reiches sowie für den reichsunmittelbaren ritterschaftlichen Adel entworfene Bild sich auch auf landständische Adelsgruppen übertragen lässt.31 Daneben ist auch mit alternativen Loyalitäten zu rechnen, die nicht zuletzt darin Ausdruck fanden, dass man 1848 auch von einer preußischen Nationalversammlung sprechen konnte. Noch in den 1930er-Jahren wird die Distanz des bayerischen Adels gegenüber dem Nationalsozialismus auf die Vorbehalte gegenüber dem preußisch dominierten Nationalstaat zurückgeführt.32
Über diese Ergebnisse hinaus ist auch aus anderer Perspektive Kritik vorgetragen worden. Gabriele B. Clemens hat in ihrer vergleichenden Untersuchung zu Geschichtsvereinen in Italien und Deutschland im 19. Jahrhundert drei für die Adelsforschung interessante Ergebnisse präsentiert. Erstens waren in den untersuchten deutschen Vereinen überproportional viele Adlige vertreten. Die von den Vereinen publizierten Schriften kamen, Clemens folgend, dem Adel und der Manifestierung seiner Stellung entgegen. Zweitens gingen die Gründungen in erster Linie von den Landesherren oder ihrem Umfeld aus. „In der Gründungsphase ... waren jeweils große Teile des Kabinetts vertreten, so dass man sich fragt, ob hier wirklich das Interesse an der Landesgeschichte oder Staatsräson den entscheidenden Impetus für diese auffallend homogene Beteiligung bildete.“33 Drittens war die Geschichtsschreibung der Vereine nicht darum bemüht, nationale Geschichte zu schreiben, wie lange angenommen, sondern die Geschichte der Einzelstaaten. Dies betone noch einmal die Bedeutung der Vereine für die Staatsräson.
Dies verweist auf einen Aspekt, der nicht übersehen werden darf, wenn man über Adel und Nation spricht. Die Jahre 1803/06 hatten die mitteleuropäische Landkarte massiv verschoben. Ganze Adelspopulationen fanden sich erstmals unter der Herrschaft eines Landesherrn, was zumeist für die Reichsritterschaft zutraf, andere landadlige Gruppen wechselten den Landesherren. Ergebnisse zu Westfalen zeigen, dass sich der Landadel nicht in Loyalitätsverhältnisse zum preußischen Staat begab, sondern eher zur peripheren Gegenelite wurde.34 Auch die lauten Klagen der Standesherren in Süddeutschland über ihr Schicksal als Untertanen ihresgleichen haben vielfachen Eingang in die Forschungsliteratur gefunden. Unter ihrer Führung konnte sich auch in Oberschwaben eine konfessionell unterschiedene Peripherie dem Zentrum Stuttgart gegenüberstellen.35 Über die Wahrnehmung des ehemals reichsritterschaftlichen Adels für das Jahrhundert nach der Mediatisierung ist hingegen wenig bekannt. Die brutalen Methoden, mit denen der württembergische König gegen den mediatisierten Adel vorging, zeigen indes, dass es häufig, ebenso wie bei den Geschichtsvereinen, um eine Regionalisierung von Loyalitäten ging.36 Dass Ludwig I. den Zusammenschluss des Adels in Bayern, der von den ehemaligen fränkischen Reichsrittern angeregt worden war, nicht erlaubte, dürfte mit der Bemühung um die Unterordnung des Adels unter den Staatsverband und die Einordnung in den Untertanenverband zu erklären sein.37 Der welfische Adel Hannovers hegte nach der preußischen Übernahme ebenfalls noch längere Zeit Vorbehalte gegenüber dem preußischen Staat.38 Von der Analyse dieser Dialektik zwischen national deutscher und regionaler Loyalität dürfte für die Adelsforschung noch reicher Gewinn zu erwarten sein. Darüber hinaus muss geklärt werden, ob sich zum Beispiel in Bayern, Baden oder Württemberg aus den verschiedenen Adelsgruppen am Anfang des 19. Jahrhunderts ein Landesadel entwickelte oder ob sich der Adel durch ‚ausländische’ Diensttraditionen dem Zugriff der neuen Herrscher zu entziehen versuchte.
Hier ist auch eine Schwäche der Arbeit von Clemens zu konstatieren. Denn die Differenzierung des Adels, die Clemens unter den Mitgliedern der Geschichtsvereine vornimmt, ist nicht hinreichend. Anstatt den niederen Adel nach untitulierten, Freiherren und Grafen einerseits, Briefadligen andererseits, zu differenzieren und danach zu fragen, inwiefern sie über ihre Dienststellung an den Monarchen gebunden waren, hätte auch die geschichtliche Herkunft der Adligen stärker in den Blick genommen werden können. Handelte es sich um ehemaligen Reichsadel, Dienstadel oder in Württemberg auch um Personaladel? Dies hätte bezüglich des Verhältnisses des Adels zu Region und Nation noch zusätzliche Erkenntnisse versprochen. Auch hätte es erlaubt, der Frage nachzugehen, ob die Geschichtsvereine die Integration des Adels der neu hinzugewonnenen Gebiete erreichten. Oder, was auch vorstellbar wäre, ob sich die neu ins Untertanenverhältnis getretenen Adligen lieber Geschichtsvereinen der Peripherie beispielsweise in Oberschwaben anschlossen. Dass hier keine einfachen Erklärungen greifen, zeigt sich schon darin, dass sich im württembergischen Geschichtsverein auch Standesherren unter den Mitgliedern fanden. Gerade ihnen ist aber bislang eine eher kritische bis feindliche Haltung gegenüber den deutschen Mittelstaaten attestiert worden.39 So zeigt sich, dass man mit Dichotomien zwischen Nation und Region nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen kann und sich die adligen Individuen immer zwischen den Ebenen bewegten.
Diese Verhältnisse der (Um-)Bildung von Adelsregionen hätten auch in einer anderen Studie stärker betont werden können. So begegnet man etwa in Marko Kreutzmanns Arbeit dem „Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach“ in Form von zwei untersuchten Familien, die erst zeitnah zum Untersuchungszeitraum 1770-1830 zugewandert waren. Inwiefern diese Adelsfamilien für die kleinräumige staatliche Struktur typisch waren, wird aber ebenso wenig untersucht wie die Frage, ob die Familien aus dem Lebensraum auch tatsächlich räumliche Identität generierten oder ihre Loyalität nur gegenüber dem Landesherrn galt.40
Adliger Lebensunterhalt – Kontinuitäten und Wandlungen
Das Untersuchungsfeld des adligen Lebensunterhaltes ist bislang von einer Einseitigkeit gekennzeichnet, die sich wohl nur durch die Sonderwegsforschung und ihre Prämissen erklären lässt. Der Blick ist weitgehend auf die Agrarwirtschaft eingeengt. Von hier aus, so die Annahme, hätten die sich im „Todeskampf“ (Max Weber) befindenden ‚ostelbischen Junker’ rücksichtslose Interessenpolitik betrieben, Bauern in ihrem Interesse manipuliert und die Entwicklung des Deutschen Reiches zum liberalen Verfassungsstaat verhindert. Diese Hypothesen sind inzwischen von den verschiedensten Forschungsrichtungen zurückgewiesen worden.41 Nicht zuletzt die Adelsforschung hat das Bild des „Todeskampfes“ der Rittergutsbesitzer entmythologisiert, teils zurückgewiesen und teils differenziert.42 Stephan Malinowski hat eher den grundbesitzlosen „Kleinadel“ und das „Adelsproletariat“43 für die Entwicklung „vom König zum Führer“ verantwortlich gemacht.44 Diese Deutungsverschiebung hat zur Folge, dass die Forschung neuen Aufgaben gegenüber steht. Der Blick auf den Erwerb des Lebensunterhalts Adliger muss auch abseits des Grundbesitzes nach Veränderungen im 19. Jahrhundert suchen. Während die Einseitigkeit der Adelsforschung unter anderem auch damit zusammenhängen dürfte, dass geschlossene Aktenbestände, die Auskunft über adlige Lebensverhältnisse geben, vor allem in den Gutsarchiven überliefert sind und uns damit vorrangig über Landwirtschaft und von ihr abhängige Familien informieren, steht die weitere Forschung vor der Aufgabe, alternative Quellenbestände zu erschließen. Es ist daher vielleicht auch nicht verwunderlich, dass Ansätze zur Klärung der Frage nach dem adligen Lebensunterhalt abseits der Landwirtschaft vorrangig aus benachbarten historischen Untersuchungsgebieten kommen. Im Folgenden sollen neben diesen neuen Perspektiven auf adligen Lebensunterhalt aber auch die neueren Ergebnisse zur adligen Landwirtschaft vorgestellt werden.
Das erste berufliche Betätigungsfeld kann man, so scheint es, relativ zügig abhandeln. Die wenigen statistischen Arbeiten zum Adel im 19. Jahrhundert zeigen, dass Tätigkeiten in ‚bürgerlichen Berufen’ außerhalb des klassischen Kanons Landwirtschaft, Verwaltung, Militär bis 1918 inakzeptabel blieben.45 Diese statistischen Erhebungen sind allerdings aufgrund einer wichtigen Ausgangsprämisse noch näher zu verifizieren. Denn die von Ilona Buchsteiner untersuchten Familien besaßen stets, mindestens in der ersten Generation, Grundbesitz, was auf eine gehobene Adelsschicht schließen lässt. Auch sind die von ihr benutzten Familiengeschichten bei der Angabe bürgerlicher Berufe im 19. Jahrhundert nicht immer zuverlässig. Andere Hinweise auf sich vergrößernde adlige Berufsfelder im 19. Jahrhundert sind eher indirekt. Einerseits stellt sich die Frage, wovon die Leutnants a.D. lebten, die sich für die Mitte des 19. Jahrhunderts in großer Zahl im Gotha nachweisen lassen. Josef Matzerath hat darüber hinaus die sächsischen Staatshandbücher für das Jahr 1865/66 ausgewertet, die die sächsischen Staatsdiener und Offiziere verzeichnen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich in den Zentralbehörden neben 213 Adligen in „standesgemäßen“ 212 Adlige in „unstandesgemäßen“ Berufen befanden46 – sich das akzeptable Berufsfeld also deutlich geöffnet hatte. Dass sich die Öffnung des Spektrums adliger Professionen nur innerhalb der Staatsdienerschaft vollzogen haben sollte, erscheint wenig wahrscheinlich. Für die Armee ist eine Prüfung anhand der Staatshandbücher nicht möglich, da sie Unteroffiziere nicht verzeichneten. Die bislang von der Forschung attestierte Selbstbeschränkung des Adels auf bestimmte Berufe könnte also nur Ausfluss eines Quellenproblems sein. Andererseits ist in Rechnung zu stellen, dass sich mit dem Ausbau von Heer und Verwaltung im Kaiserreich die Chancen in den traditionellen adligen Berufsfeldern deutlich verbesserten. Es könnte somit sein, dass das Berufsbild für die Zeit zwischen 1815/30 und 1860 durch die Retrospektive des Kaiserreichs verzerrt wird.
Dieser Verzerrungseffekt könnte auch auf die Offizierslaufbahn zutreffen. Vor der preußischen Heeresreform Anfang der 1860er-Jahre bestand das preußische Offizierskorps aus 6.700 Mann, von denen etwa zwei Drittel adlig waren. Bis 1914 stieg die absolute Zahl adliger Offiziere auf 6.664, während der Anteil des Adels auf 30 Prozent sank. Angesichts dieser quantitativen Bedeutung der militärischen Laufbahn wären nähere Untersuchungen über den Zuschnitt der Lebensverhältnisse adliger Offiziere wünschenswert. Denn die Militärgeschichte hat darauf hingewiesen, dass ein Offiziersposten nicht mit sicherem Lebensunterhalt verwechselt werden darf. In Preußen erreichte man vor den Heeresvergrößerungen der 1860er-Jahre meist erst nach 20 oder mehr Dienstjahren eine Stellung, die den Lebensunterhalt sichern konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt erforderte die Karriere also hohe Alimentierungen der Familie oder Verschuldung. Letztere konnte dann möglicherweise ein erzwungenes Ausscheiden zur Folge haben. Dank der Kriege und der Heeresvergrößerungen seit den 1860er-Jahren sanken nach 1864 die Beförderungszeiten und damit die notwendigen Alimentierungen spürbar, Offizierskarrieren wurden wieder erschwinglicher. Der Blick auf die Offizierskarriere für die Zeit des Deutschen Bundes wird daher möglicherweise rückblickend zu stark durch unsere Kenntnis über das Kaiserreich geprägt.47
Ein ähnliches zeitliches Verlaufsmodell lässt sich auch bei Dietmar Grypas Untersuchung für den preußischen diplomatischen Dienst während der Zeit des Deutschen Bundes erkennen.48 Dieser wurde durch drei Generationen geprägt, deren erste noch aus Personal verschiedener untergegangener Staaten des Alten Reichs bestand. Diese erste Generation wurde seit den späten 1820er-Jahren durch eine Gruppe von preußischen Landeskindern ersetzt, die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt wurde, wobei der Adelsanteil wieder zunahm. Nach 1860 rückte dann eine dritte Generation ein, die nicht mehr nach ihrer wissenschaftlichen Ausbildung ausgewählt wurde. Vielfach handelte es sich um Offiziere ohne spezifische Qualifikationen, aber mit großer Ergebenheit gegenüber Bismarck. Gleichzeitig wurde die Abhängigkeit der Diplomaten noch dadurch erhöht, dass die Gehälter deutlich anstiegen. Während nämlich in der zweiten Generation ein eigenes Vermögen Voraussetzung für die Karriere war, sind wohl in der dritten Generation auch Adlige ohne größeres Privatvermögen aufgerückt. Der diplomatische Dienst des Kaiserreichs darf also in seiner Struktur nicht mit jenem Preußens zur Zeit des Deutschen Bundes verwechselt werden. Außerdem kam es in den 1820er-Jahren zu Gehaltskürzungen im diplomatischen Dienst, deren Ausmaß für den Adel bei Grypa nicht deutlich wird. Weiterhin kam es in dieser Zeit aber auch zu Stellenstreichungen im diplomatischen Dienst und in der preußischen Staatsverwaltung insgesamt.49 Erst in den 1860er-Jahren verbesserte sich die Lage wieder deutlich. Welche Folgen diese fiskalpolitisch motivierten Maßnahmen für die Einkommensverhältnisse des Adels hatten, der sich Ende der 1820er-Jahre in seinen Grund besitzenden Teilen noch von der Agrarkrise erholen musste, ist bislang noch nicht untersucht worden. Daneben gibt es weitere Themen, die noch der Erforschung harren. Eines davon ist das Verhältnis des Adels zum Dienst in den Kolonien, besonders der Kolonialarmee. Sie stand auch solchen Adligen offen, die in der Heimat gescheitert waren. Auch sie bot somit ein finanzielles Auskommen und stellt insofern kein überflüssiges Thema dar.50 Stattdessen erlaubt es der Kolonialdienst, der Frage nachzugehen, mit welchen Mitteln der Adel in der Moderne versuchte, seinen Lebensunterhalt unter widrigen Umständen zu sichern. Und schließlich werden hier Modi sichtbar, unliebsame Adlige nicht allzu öffentlich werden zu lassen. Ein anderes Thema stellt relative und absolute Armut im 19. Jahrhundert dar. Insbesondere das Schicksal der unverheirateten Frauen erfordert mehr Aufmerksamkeit. Faktisch eröffneten sich ihnen erst zum Jahrhundertende akzeptierte, öffentlich sichtbare Arbeitschancen.51 Und nicht jede „Tante“ fand eine Existenz im „Tantenflügel“ des Gutshauses oder in einem Damenstift.
Betrachtet man schließlich den überwiegenden Teil der aktuellen Forschungsdiskussion zum adligen Lebensunterhalt, der sich mit Grundbesitz und Landwirtschaft beschäftigt, so werden drei verschiedene Erkenntnisinteressen deutlich: Erstens geht es um das adlige Verhältnis zum Wirtschaften, zweitens um Fragen des erfolgreichen Bestehens adliger Landwirtschaften in den Umbrüchen und Krisen des 19. Jahrhunderts und schließlich drittens um das Ausgreifen adliger Grundbesitzer in die ‚bürgerliche’ Industriewirtschaft.
Im Hinblick auf das wirtschaftliche Selbstverständnis des Adels, scheint bislang eine gespaltene Sichtweise vorzuliegen. Zunächst wird betont, dass zwar adliges Landleben für das Selbstverständnis konstitutiv war, nicht jedoch der Betrieb einer effektiven Landwirtschaft. Der Adel habe sich gegenüber dem bürgerlichen Grundbesitzer durch vermindertes Gewinnstreben und größeres Interesse an dauerhaftem Besitzerhalt ausgezeichnet.52 Dem widerspricht aber einerseits die hohe Gütermobilität im 19. Jahrhundert, die zeigt, dass auch in Teilen des Adels Anhänglichkeit an den Grundbesitz nicht dauerhaft war und Spekulation eine Option darstellte.53 Außerdem hat Matthias Steinbrink betont, dass schon die Hausväterliteratur wesentlich mehr Markteinbindung und Ausnutzung von Preisschwankungen empfahl, als es die durch Otto Brunner geprägte Sichtweise lange wahrgenommen hat. Auch wenn Wirtschaften für das adlige Selbstverständnis nicht konstitutiv gewesen sei, so Steinbrink, habe es doch die Grundlage für das adlige Leben, in seinem Untersuchungsfall der späten Frühen Neuzeit, geboten.54 Auch Friedrich Reichsgraf zu Rantzau hat sich in seinen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschriebenen und von Iris Carstensen ausgewerteten Tagebüchern durchaus als zupackender Gutsherr stilisiert, der um die Verbesserung der Wirtschaft bemüht gewesen sei. Da es sich um gezielte Aufzeichnungen für seine Nachkommen handelte, kann man davon ausgehen, dass hier ein Leitbild vermittelt werden sollte. Welche wirtschaftlichen Leitbilder am Ende für welche Teile des Adels konstitutiv waren, müsste noch näher bestimmt werden. Dabei zeigt die Untersuchung Eckart Conzes zu den Grafen Bernstorff, dass es kein einheitliches adliges Wirtschaftsverständnis gegeben zu haben scheint. Denn bei den Grafen Bernstorff gab es im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowohl Familienmitglieder, die vorausschauende effektive Land- und Forstwirtschaft betrieben, als auch solche, die nur von der Substanz lebten und denen jeder Sinn für effektives Wirtschaften abging.55
Dahinter könnte sich ein zweiter Aspekt verbergen, der allerdings häufig nur am Rande Erwähnung findet. Hierbei handelt es sich um die (bürgerlichen) Verwalter und Gutsinspektoren, die zu zahlreichen Erfolgsgeschichten adliger Landwirtschaft zwischen Altem Reich und Weimarer Republik beigetragen haben dürften.56 Ihre Tätigkeit könnte das adlige Selbstverständnis von den täglichen Sorgen um die Wirtschaft durchaus entlastet haben. Dies dürfte besonders für die Besitzer von größeren Güterkomplexen von Bedeutung gewesen sein, wie sie in dem von Ivo Cerman und Luboš Velek herausgegebenen Sammelband zum mitteleuropäischen Adel zahlreich vertreten sind. Andeutungen finden sich dazu in den Aufsätzen immer wieder.57 Als beispielhaft kann die mit den Thurn und Taxis befasste Untersuchung Siegfried Grillmeyers gelten, die sich nicht lediglich an der Familie, sondern auch am Haus orientiert, welches das Personal einschloss. Gerade die Verwaltung trug bei den Thurn und Taxis in den Umbrüchen um 1800 dazu bei, dass die wirtschaftliche Lage des Hauses vergleichsweise stabil blieb.58 Daneben fehlen vielfach Untersuchungen zu den Besitzdiskontinuitäten. Den Motiven des Güterverkaufs des Adels wird kaum nachgegangen, obwohl an ihnen in Einzelfällen durchaus ein Desinteresse am adligen Grundbesitz nachgewiesen werden könnte. Gleichfalls fehlt es weitgehend an Untersuchungen zum wirtschaftlichen Scheitern adliger Großgrundbesitzer.59 Auch wenn die beachtliche Besitzkontinuität einiger Familien des Adels auf ihre Ermöglichung und ihre Motive untersucht werden muss, so scheint der Verkauf oder Verlust manchmal das strukturell wichtigere Merkmal adligen Grundbesitzes zu sein. So hielten im Vogtland zum Beispiel nur sieben von 41 adligen Familien zwischen 1763 und 1945 ihren Grundbesitz fest.60 Dies sind Phänomene, denen noch genauer nachgegangen werden sollte.
Bezüglich des Verhältnisses von Adel und Industrie hat sich der Kenntnisstand in den letzten Jahren kaum erweitert. Es wird betont, dass der Adel sich vor allem auf landwirtschaftsnahe Industrie konzentrierte, die aber im Kaiserreich einem starken Konzentrationsprozess unterlegen zu haben scheint.61 Zwar wurden auch in den letzten Jahren die Gehversuche einzelner Adliger in der ‚bürgerlichen’ Industriewirtschaft untersucht. Diese Studien scheinen aber die Forschungsthese zu bestätigten, dass diese Projekte lediglich der traditionellen Statuswahrung dienen sollten und insofern keinen Mentalitätswandel verursachten.62 Dass man jedoch bereit war, zur Statuswahrung in Industrie zu investieren, stellt wohl schon einen ersten Wandel dar. Doch auch hier verdienen, abgesehen von der Frage, ob das Selbstverständnis des Adels tatsächlich völlig unberührt blieb, die Aspekte von Scheitern und Gelingen sowie dem Einfluss ‚bürgerlicher’ Berater mehr Beachtung.63 Harald Winkel vermutete schon 1968, dass scheiternde adlige Unternehmer überproportional stark wahrgenommen wurden. Außerdem macht er darauf aufmerksam, dass die Fähigkeit, in die Industrie zu investieren, neben mentalen Barrieren auch von der Form der Agrarablösung, den Familiengesetzen und dem Vorhandensein von erwerbbarem Grundbesitz abhing. Zum Teil waren keine großen Vermögen für die Industrie liquide bzw. wurden sie zuerst in die Verbesserung des Grundbesitzes gesteckt, der weite Teile des 19. Jahrhunderts hindurch eine durchaus sinnvolle Kapitalinvestition darstellte. Außerdem wird man das Verhältnis des Adels zur Industrie nicht nur auf die großen Unternehmungen beschränken dürfen, sondern auch nach den kleineren Aktieninvestitionen fragen müssen.64
Schließlich bleibt für die Forschung noch ein starker regionaler Bias zu konstatieren. Viele Untersuchungen haben sich auf die Staaten und Regionen östlich der Elbe beschränkt. Liegen über die Standesherren noch eine Reihe neuerer Arbeiten vor65, so fehlen ausführliche Untersuchungen zum Beispiel für die seit 1806 in Bayern, Hessen, Baden, Württemberg und der Rheinprovinz inkorporierten ehemaligen Reichsritter. Zwar hat William D. Godsey entgegen älteren Arbeiten zur schwäbischen Reichsritterschaft66 vor 1806 hervorgehoben, dass die finanzielle Lage der im Mainzer Domkapitel vertretenen Reichsritterfamilien am Ende des 18. Jahrhunderts gut war und die Revolution zwar einen nicht zu unterschätzenden Verlust, aber keine Katastrophe bedeutete.67 Doch dürften westlich der Elbe die wirtschaftlichen Anpassungszwänge noch wesentlich höher gewesen sein als in ‚Ostelbien’. Schließlich fehlte nicht nur häufig eine größere Eigenwirtschaft, was eine erhöhte Abhängigkeit von bäuerlichen Abgaben mit sich brachte, die zudem noch bis 1848 sukzessive abgelöst wurden. Zusätzlich fielen mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 und der Mediatisierung 1806 auch die kirchlichen Tätigkeitsfelder und die Verwaltungen der verschwundenen Staaten fort. All dies wird zu erheblichen Veränderungen der Wirtschaftsweise und der Diensttraditionen beigetragen haben.
Hochadel und Monarchismus – Gruppenkonstitution und gesellschaftliche Prägekraft
Betrachtet man den Hochadel als exklusive Spitze der Adelspyramide, so lassen sich drei unterschiedliche Forschungsstränge ausmachen. Bereits älter ist die Forschungstradition zu (politischen) Biographien einzelner Vertreter des Hochadels und der höfischen Welt.68 In beiden Fällen ist zumeist nicht explizit die Eingebundenheit in adlige Wertewelten oder den adligen Wertekanon untersucht worden. Nichtsdestoweniger sind diese Untersuchungen auch für die Adelsgeschichte von Bedeutung. Daneben hat sich in den letzten Jahren ein Forschungsstrang etabliert, der nach der Ausbreitung des monarchischen Gedankens in der Gesellschaft, seinen Popularisierungsmedien und der Relevanz des Monarchismus bis in die Gegenwart fragt. Es ist kaum überraschend, wenn auch unzureichend, dass diese Fragen zumeist vom Ende der Monarchie her gestellt werden. Der dritte Strang ist bisher nur durch eine Arbeit vertreten. Er beschäftigt sich mit der Binnenvergesellschaftung und -kommunikation des Hochadels als distinkter Sozialgruppe.
Im traditionellen politisch-biographischen Kontext eröffnet die Arbeit von Dieter J. Weiß zum bayerischen Kronprinzen Rupprecht ein Themengebiet, das Beachtung verdient.69 Wenn diese Arbeit sich auch vor klaren Wertungen der Handlungsweisen des Kronprinzen scheut und das Material zum Teil interpretatorisch nicht ausschöpft, so werden doch für die Adelsforschung relevante Umrisse deutlich. Durch die Erziehung auf die Rolle des Monarchen vorbereitet, wurden die deutschen Kronprinzen durch die Ereignisse von 1918 aus ihrem von frühester Kindheit an antizipierten Lebensweg herauskatapultiert. Zwar fielen sie finanziell vergleichsweise weich – der Umgang der Republik mit den überflüssig gewordenen Relikten des Kaiserreichs war durchaus nicht übermäßig hart70, auch wenn er individuell als hart aufgefasst wurde. Sie konnten aber, wie die Arbeit Weiß’ zum Kronprinzen Rupprecht implizit zeigt, in der Republik ein erhebliches Unruhepotenzial darstellen, indem sie sich der Republik weitgehend verweigerten. So adressierte Rupprecht Hindenburg in seinen Briefen als Generalfeldmarschall, nicht als Reichspräsident. Er hielt in München weiterhin, wenn auch stark verkleinert, Hof. Und noch nach 1945 erwartete er, dass sich die bayerischen Ministerpräsidenten bei ihm vorstellten.71 Auch blieben die Kronprinzen für Anhänger monarchischer Sehnsüchte präsent und dürften mit ihrer Verweigerung gegenüber der Republik die Haltung ihrer Anhänger legitimiert haben.
Dies führt zum zweiten Forschungsstrang, der nach der Bedeutung des Monarchismus für die deutsche Geschichte fragt. Dabei spielt die Frage eine Rolle, inwiefern, durch wen und mit welchem Ziel der Monarchismus schon vor 1918 ausgehöhlt worden war, so dass neue Führer die gesellschaftliche Führungsposition der Monarchen übernehmen konnten. Schon das 19. Jahrhundert hatte, auch in Deutschland, eine Vielzahl von durch Monarchen abgesetzte Monarchen erlebt. Dass dies die Legitimität der Monarchie nicht stärken konnte, erscheint evident.72 Daneben lassen sich auch Prozesse der Selbstdelegitimierung des Hochadels und die Entstehung von Führerdiskursen und -sehnsüchten beobachten.73 Eine erfolgreiche Neuerfindung der Monarchie im Deutschen Reich der Zeit um 1900 gab es nicht, obwohl es gegenüber den gescheiterten Bemühungen, die in letzter Zeit stark betont worden sind, wohl auch erfolgreiche Strategien der Herrschaftssicherung gab und es somit noch zu keiner vollkommenen Entzauberung der Monarchie kam.74 „Entwickelte sich also“, so hat Christopher Clark letztlich gefragt, „das Führerkonzept ... aus dem monarchistischen Diskurs, oder handelte es sich um etwas Eigenes, das im Vakuum der gescheiterten Monarchie gedeihen konnte?“75 Clark kommt zu dem Ergebnis, dass beides der Fall war. Dennoch bleibt dann die Frage zu klären, wieso bis kurz vor der Revolution 1918, noch bis in die SPD hinein, an der Monarchie als Staatsform festgehalten wurde. Lothar Machtan hat hier mit seiner klar wertenden Arbeit über „Die Abdankung“ das Feld eröffnet. Ihm zufolge scheiterte die Monarchie am Ende ebenfalls an langfristigem Legitimationsverlust, an der Unfähigkeit ihres Personals und an der Ignoranz gegenüber den Gefühlen der Bevölkerung und Parlamentarisierungswünschen am Ende des Ersten Weltkriegs.76 Jedoch erscheint noch nicht hinreichend geklärt, in welcher Mischungslage diese kurz-, mittel- und langfristigen Prozesse zum Sturz der Monarchie beitrugen, wie tief die Delegitimierung der alten Eliten einerseits, der Idee der Monarchie andererseits ging und welche Folgen dies für die Weimarer Republik hatte. Nach einer Hypothese, die Arne Hofmann präsentiert hat, könnten es in den 1920er-Jahren weniger die strikten Monarchisten als die um vieles größere Gruppe der „‚weniger monarchistischen’ Monarchisten“77 gewesen sein, die sich von den Prätendenten der Monarchie ab- und neuen Führern zuwandte und damit zum Scheitern der Republik beitrugen.
Der dritte Strang ist bisher nur durch die Arbeit von Silke Marburg vertreten. Sie beschäftigt die Frage, was den Hochadel als Gruppe zusammenhielt. Marburg hat hier klare Positionen abgesteckt. Sie lehnt eine „definitorische Engführung von Hochadligkeit auf spezifische Herrschaftsfunktionen, auf die Teilhabe an höfischer Repräsentationskultur oder auf die Ebenbürtigkeitsfrage“ ab und betont stattdessen die „Erinnerungskultur“.78 Vor diesem Hintergrund war gemäß Marburg vergemeinschaftendes Handeln und die Reaktion auf Zeitereignisse für den Hochadel möglich. Für ihre Kernuntersuchungszeit beschreibt Marburg die von König Johann von Sachsen zwischen der Revolution 1848 und seinem Tod 1873 vertretenen Konzepte der Sozialgruppe (Hoch-)Adel, der Handlungsorientierung und Selbstlegitimation, Heiratsstrategien sowie der Binnenkommunikation und Begegnungen im Hochadel. Allerdings wird hier stärker der Erfolg des Handelns beschrieben, als dass den Brüchen nachgegangen würde – also den Stellen, an denen auch die strengen Hausgesetze deviantes Verhalten (vor allem bei Heiraten) nicht verhindern konnten. Insofern dürften Erinnerungskultur und Binnenkommunikation für die Gruppenkohäsion und die Weiterentwicklung des monarchischen Verständnisses wichtig gewesen sein, aber es waren eben auch Elemente wie die Ebenbürtigkeitsforderungen der Hausgesetze, die (für den Einzelnen durchaus hart) Homogenität des Verhaltens zu erzwingen versuchten. Zudem fielen die Standesherren79, jenes spezifisch deutsche Sonderprodukt, das gemäß Bundesakte ebenfalls Teil des Hochadels war, aus den sächsischen Heiratskreisen heraus – der Hochadel war somit fraktioniert. Nichtsdestotrotz zeigt die Arbeit, dass für den Hochadel noch zahlreiche Untersuchungen wünschenswert wären.
Fazit
Blickt man auf den gegenwärtigen Forschungsstand, so kann man zwei Ergebnisse festhalten. Einerseits fällt auf, dass unsere Kenntnis immer noch stark fragmentiert ist. Die Forschung zeichnete sich lange durch regionale Disparitäten aus, deren Überwindung erst langsam einsetzt. Der preußische Nordosten überwiegt zwar noch, doch auch andere Regionen sind in den letzten Jahren vermehrt in den Blick genommen worden.80 Dass Monographien und Sammelbände sich oftmals auf bestimmte Adelsregionen konzentrieren folgt dem adligen Selbstverständnis, birgt aber die Gefahr, regionale Besonderheiten über zu betonen. Dann zeigt sich ein sozialer Bias. Dem Grund besitzenden Adel wird unverhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit geschenkt, während andere Gruppen weniger oder noch gar nicht in den Fokus der Forschung gelangt sind. Auch die Kategorie Geschlecht und ihre Auswirkungen auf das alltägliche Leben sind noch nicht ausreichend untersucht worden. Adel ist zumeist unhinterfragt männlich.81
Andererseits hat sich unsere Kenntnis über die Geschichte des deutschen Adels in den letzten zehn Jahren bedeutend erweitert. Eine Vielzahl von anregenden Arbeiten ermöglicht es uns heute, auf ihrer Grundlage ganz andere Fragen zu stellen als noch vor einigen Jahren. Eindeutigkeiten lösen sich auf und die Vielfältigkeit und Wandelbarkeit des adligen Daseins zwischen Altem Reich und Nationalsozialismus treten in Erscheinung. Dabei dürfte die zukünftige Forschung diesen Wandel des Adels und seine Anpassung an veränderte Gesellschaftsbedingungen noch stärker als Grundlage seines Überlebens in der Moderne hervorheben – nicht allein die Protegierung des Adels durch die Regierungen ermöglichte ihm seine Fortexistenz im 19. Jahrhundert. Daneben dürfte mit zunehmender Erforschung auch die Vielfältigkeit akzeptierter Lebensformen Adliger im 19. Jahrhundert stärker in den Blick treten als bisher.82 Die Liberalen Adelskritiker des 19. Jahrhunderts und in ihrer Folge die Sozialgeschichtsschreibung haben immer nur bestimmte Teile des Adels, und diese einseitig, thematisiert und damit den Blick auf Adlige insgesamt verengt.
Anmerkungen:
1 Willam D. Godsey, Nobles and Modernity, in: German History 20 (2002), S.504-521; Charlotte Tacke, „Es kommt also darauf an, den Kurzschluss von der Begriffssprache auf die politische Geschichte zu vermeiden.“ ‚Adel’ und ‚Adeligkeit’ in der modernen Gesellschaft, in: Neue Politische Literatur 52 (2007), S. 91-123. Vor allem auf den hervorragenden Aufsatz von Tacke sei hier für den Forschungsstand und die Diskussion der Zeit 2000-2005 verwiesen. Eine nochmalige ausführliche Behandlung der dort besprochenen Literatur wird hier nicht vorgenommen.
2 Adrian Rosenholm, Adelsfamilien und Schlösser. Wie Fürsten, Grafen und Prinzessinnen leben – Einblicke in Geschichte und Gegenwart des europäischen Adels, München 2008.
3 Wolfgang Jahn u.a. (Hrsg.), Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone, Stuttgart 2008; Mark Hengerer / Elmar L. Kuhn (Hrsg.), Adel im Wandel. Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 3 Bde., Neufildern 2006.
4 Marcus Funck / Stephan Malinowski, Geschichte von oben. Autobiographien als Quellen einer Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Adels in Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Historische Anthropologie 7 (1999), S. 236-269, hier S. 241.
5 Ebd., S. 246.
6 Josef Matzerath, Adelsprobe an der Moderne. Sächsischer Adel 1763-1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation (=VSWG Beihefte 183), Stuttgart 2006, S. 109-250.
7 Tacke, Kurzschluss.
8 Marko Kreutzmann, Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770-1830 (= Veröffentlichungen der hist. Kommission für Thüringen, Kl. Reihe 23), Köln 2008, S. 116-137.
9 Silke Marburg / Josef Matzerath, Vom Stand zur Erinnerungsgruppe. Zur Adelsgeschichte des 18.und 19. Jahrhunderts, in: Dies. (Hrsg.), Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel 1763-1918, Köln 2001, S. 5-15, hier S. 11-12.
10 Barbara Stolberg-Rilinger, Nur ein bloßes „Gedankending“? Der deutsche Adel in der Anpassungskrise um 1800, in: Werner Frese (Hrsg.), Zwischen Revolution und Reform. Der westfälische Adel um 1800 (= Westfälische Quellen und Archivpublikationen 24), Münster 2005, S. 9-24, hier S. 17-20.
11 Iris Carstensen, Friedrich Reichsgraf zu Rantzau auf Breitenburg (1729-1806). Zur Selbstthematisierung eines holsteinischen Adligen in seinen Tagebüchern (= Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte 6), Münster 2006.
12 Georg Bollenbeck, Eine Geschichte der Kulturkritik. Von Rousseau bis Günther Anders, München 2007; Ralf Konersmann, Kulturkritik, Frankfurt am Main 2008.
13 Doron Avraham, In der Krise der Moderne. Der preußische Konservatismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderung 1848-1876, Göttingen 2008; Wolf Nitschke, Adolf Heinrich Graf v. Arnim-Boitzenburg (1803-1868). Eine politische Biographie (= Studien und Texte zur Erforschung des Konservatismus 5), Berlin 2004.
14 Peter Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890-1914 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 176), Göttingen 2007; Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008.
15 James Retallack, The German Right 1860-1920. Political Limits of the Authoritarian Imagination, Toronto 2006, S. 325-405.
16 Alexandra Gerstner, Neuer Adel. Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus, Darmstadt 2008.
17 Als Ausgangspunkt für die Begriffsbestimmung Funck / Malinowski, Geschichte; Dies., “Charakter ist alles!“ Erziehungsideale und Erziehungspraktiken in deutschen Adelsfamilien des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 6 (2000), S. 71-91.
18 Zur Ausfüllung des Begriffs um 1800 Josef Matzerath, An der Tafel Graf Günther von Bünaus auf Dahlen (1768-1841). Zur Küche des Adels im frühen 19. Jahrhundert, in: Martina Schattkowsky (Hrsg.), Die Familie von Bünau. Adelsherrschaft in Sachsen und Böhmen vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Leipzig 2008, S. 247-257. Für die Zeit nach 1920 Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2004, S. 90-104.
19 Dazu die zahlreichen Aufsätze in Ivo Cerman / Luboš Velek (Hrsg.), Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und ihre Folgen (= Studien zum Mitteleuropäischen Adel 1), München 2006.
20 Tacke, Kurzschluss, S. 96-97.
21 Uwe Schulte-Varendorff, Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck, Berlin 2006.
22 Karl K. Walther, Hans Hasso von Veltheim. Eine Biographie, 2. überarb. Aufl. Halle (Saale) 2005. Außerdem deutlich skeptisch bezüglich des Verhältnisses von adligem Selbstverständnis und Ablehnung des Nationalsozialismus: Malinowski, König, S. 460-475. Vgl. auch einzelne Aufsätze in: Adel und Nationalsozialismus im deutschen Südwesten. Hrsg. v. Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Leinfelden-Echterdingen 2007.
23 Willam D. Godsey, Nobles and Nation in Central Europe. Free Imperial Knights in the Age of Revolution, 1750-1850, Cambridge 2004, S. 10 u. 140.
24 Stolberg-Rilinger, „Gedankending“, S. 18.
25 Carl H. Beusch, Johann Wilhelm Graf von Mirbach-Harff und die adlige Standespolitik des rheinischen Adels im Vormärz, in: Frese, Revolution, S. 159-195. Auch die althessische Ritterschaft hatte sich zusammengeschlossen, und für den Adel im Königreich Hannover lassen sich ebenfalls Tendenzen zur Abschließung feststellen. Ulrike Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover 1814-1866 (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 203), Hannover 2001, S. 349-404.
26 Funck / Malinowski, Geschichte, S. 244.
27 Malinowski, König, S. 372.
28 Patrick Wagner, Bauern, Junker und Beamte. Lokale Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts (= Moderne Zeit IX), Göttingen 2005.
29 Godsey, Nobles.
30 Kreutzmann, Lebenswelt, S. 413.
31 Kreutzmann geht auf dieses Problem nicht ein. Ebd., S. 397.
32 Malinowski, König, S. 372.
33 Gabriele B. Clemens, Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (= Bibliothek des DHI Rom 106) Tübingen 2004, S. 396-396.
34 Heinz Reif, Der katholische Adel Westfalens und die Spaltung des Adelskonsveratismus in Preußen während des 19. Jahrhunderts, in: Karl Teppe (Hrsg.), Westfalen und Preußen. Integration und Regionalismus, Paderborn 1991, S. 107-124.
35 Ebd.
36 Als Überblick vgl. die hier nicht weiter aufzuzählenden Aufsätze zu den einzelnen reichsständischen Familien in Hengerer / Kuhn, Adel, Bd. 2.
37 Hanns-Hubert Hofmann, Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. und 19. Jahrhundert (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte), München 1962, S. 477-479.
38 Dieter Brosius, Das „angestammte Herrscherhaus“: Welfische Traditionspflege nach der preußischen Annexion Hannovers 1866, in: Thomas Biskup / Martin Kohlrausch (Hrsg.), Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918, Frankfurt am Main 2008. Relativ problemlos scheint der Transfer der Loyalitäten in der Provinz Sachsen abgelaufen zu sein. Allerdings zeigt Daniela Feistauer auch, dass aufgrund der Prägung des Alten Reichs die Aufstiegschancen innerhalb von Verwaltung und Militär für die zur Provinz Sachsen gehörenden Adligen altpreußischen, altsächsischen und kurmainz-eichsfelder Ursprungs höchst unterschiedlich waren. Daniela Feistauer, Aufstiegschancen des Adels der preußischen Provinz Sachsen in Staat und Militär 1815-1871, Frankfurt am Main 2005.
39 Clemens, Sanctus, S. 65-80.
40 Kreutzmann, Lebenswelt.
41 Ein guter Überblick über die Gesamtdiskussion bei Retallack, German Right, S. 35-75.
42 Vgl. dazu die Arbeit von René Schiller, Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert (= Elitenwandel in der Moderne 3), Berlin 2003. Ein weiteres Eingehen auf diese Diskussion unterbleibt, es sei hier auf die ausführliche Besprechung bei Tacke, Kurzschluss, S. 102-106; verwiesen.
43 Malinowski, König, S. 37.
44 Prägnant noch einmal zusammengefasst: Stephan Malinowski, Ihr liebster Feind. Die deutsche Sozialgeschichte und der preußische Adel, in: Sven O. Müller / Cornelius Torp (Hrsg.), Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 203-218.
45 Vgl. v.a. die statistischen Erhebungen bei Ilona Buchsteiner, Pommerscher Adel im Wandel des 19. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 343-374; Dies., Mecklenburgischer Adel im Umbruch, in: Dies. (Hrsg.), Rostocker landes- und agrargeschichtliche Forschungen nach 1990, Rostock 2001, S. 83-95.
46 Matzerath, Adelsprobe, S. 573.
47 Ralf Pröve, Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (= EDG 77), München 2006, S. 36-38, 75-77.
48 Dietmar Grypa, Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen (1815-1866). Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen Geschichte 37), Berlin 2008.
49 Ebd., S. 358-359 u. 338.
50 Die Überflüssigkeit solcher Untersuchungen betonte allerdings Winfried Speitkamp auf einer Tagung zum Hessischen Adel. Vgl. den Tagungsbericht von: Michael Seelig, Adel in Hessen (15. bis 20. Jahrhundert) – Teil II: Lebensführung und Selbstverständnis des Adels im gesellschaftlichen Wandel, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2555&count=31&recno=3&sort=datum&order=down&search=adel+hessenp;search=adel+hessen> (21.12.2009).
51 Monika Wienfort, Wirtschaftsschulen, Waldbesitz, Wohltätigkeit, in: Walter Demel / Ferdinand Kramer (Hrsg.), Adel und Adelskultur in Bayern (= ZBLG Beiheft 32), München 2008, S. 395-418, hier S. 399-402.
52 Vgl. Funck / Maliniowski, Oben.
53 Zur Gütermobilität in der Provinz Brandenburg: Schiller, Rittergut. Er ist allerdings eher an den langfristig angesessenen Adligen interessiert. Vgl. dazu auch die Anmerkungen bei Tacke, Kurzschluss, S. 103-106.
54 Matthias Steinbrink, Adeliges Wirtschaften zwischen Haus und Markt, in: Demel / Kramer, Adel, S. 213-232.
55 Eckart Conze, Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2000, S. 207-237. Dazu die Bemerkungen bei Tacke, Kurzschluss, S. 106-107.
56 Zu den Erfolgsgeschichten: Kreutzmann, Lebenswelt, S. 315-326; Conze, Bernstorff, S. 225-237; Konstantinos Raptis, Zur Wirtschaftslage des böhmisch-niederösterreichischen Adels im frühen 20. Jahrhundert. Großgrundbesitz, Fideikommiss und Vermögensstand der Grafen Harrach, in: Ivo Cerman / Luboš Velek (Hrsg.), Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne (= Studien zum Mitteleuropäischen Adel 2), München 2009, S. 201-222. Außerdem die teils ins Hagiographische abgleitenden Aufsätze von Raimund Paleczek, Die Modernisierung des Großgrundbesitzes des Fürsten Johann Adolf zu Schwarzenberg in Südböhmen während des Neoabsolutismus (1848/49-1860), in: Ebd., S. 135-184; Milan Hlavacka, Die Modernisierung des Großgrundbesitzes von Georg Christian Lobkowicz in den 1860er- und 1870er-Jahren, in: Ebd., S. 185-199.
57 Cerman / Velek, Wirtschaft, passim. Auch die Rolle von Pächtern könnte man dabei untersuchen. Vgl. dazu die Anmerkungen bei Kreutzmann, Lebenswelt, S. 309.
58 Siegfried Grillmeyer, Habsburgs Diener in Post und Politik. Das „Haus“ Thurn und Taxis zwischen 1745 und 1867 (= Historische Beiträge zur Elitenforschung 4), Mainz 2005.
59 Für die Aufgabe eines Gutes: Kreutzmann, Lebenswelt, S. 308-15. Für das Scheitern: Conze, Bernstorff, S. 207-224.
60 Tim S. Müller, Verlusterfahrung und Konsolidierung. Adliger Rittergutsbesitz zwischen Rétablissement und Bodenreform – Eine Regionalstudie aus dem sächsischen Vogtland, in: Cerman / Velek, Wirtschaft, S. 285-299.
61 Ein statistischer Überblick über die ‚ostelbische’ landwirtschaftsnahe Industrie des Großgrundbesitzes: Scott M. Eddie, Landownership in Eastern Germany Before the Great War, Oxford 2008, S. 175-207. Konkrete Untersuchungen stehen noch aus.
62 Thierry Jacob, Das Engagement des Adels der preußischen Provinz Sachsen in der kapitalistischen Wirtschaft 1860-1914/18, in: Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert (= Elitenwandel in der Moderne 1), Berlin 2000, S. 273-330; Aleš Zárický, Der Geburtsadel an der Schwelle des Industriezeitalters. Das Beispiel der Familie Larisch-Mönnich, in: Cerman / Velek, Wirtschaft, S. 121-131. Allerdings veränderte sich durchaus das Erziehungsprogramm. Vgl. Uwe Lagatz, Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1772-1854). Standesherr und Unternehmer, in: Eva Labouvie (Hrsg.), Adel in Sachsen-Anhalt. Höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln 2007, S. 293-314, hier S. 294.
63 Ansätze liefert der Beitrag von Dana Štefanová, Gutsherren und wirtschaftliche Aktivitäten. Eine Fallstudie zur ‚Schwarzenberg Bank’ 1787-1830, in: Cerman / Velek, Wirtschaft., S. 63-83. Außerdem der deutlich hagiographische Aufsatz von Lagatz, Stolberg-Wernigerode.
64 Harald Winkel, Die Ablösungskapitalien aus der Bauernbefreiung in West- und Süddeutschland. Höhe und Verwendung bei Standes- und Grundherren, Stuttgart 1968. Über die spezifische Wahrnehmung des Scheiterns ebd., S. 159.
65 Grillmeyer, Diener; Hans K. Schenk, Hohenlohe vom Reichsfürstentum zur Standesherrschaft, Künzelsau 2006.
66 Gert Kollmer, Die schwäbische Reichsritterschaft zwischen Westfälischem Frieden und Reichdeputationshauptschluß. Untersuchung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Reichsritterschaft in den Ritterkantonen Neckar-Schwarzwald und Kocher, Stuttgart 1979.
67 Godsey, Nobles, S. 16-47
68 Karl Möckl (Hrsg.), Hof und Hofgesellschaften in den deutschen Staaten im 19. und 20. Jahrhundert (= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 18), Boppard a. Rhein 1990; Eberhard Fritz, Knecht, Kutscher, Koch, Kammerdiener, König. Zur Sozialgeschichte des königlichen Hofes in Württemberg (1806-1918), in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 66 (2007), S. 249-292. Kaum Neues und daneben weitgehende Interpretationen bei mäßiger empirischer Grundlage bietet die Arbeit von Volker Wittenauer, Im Dienste der Macht: Kultur und Sprache am Hof der Hohenzollern. Vom Großen Kurfürsten bis zu Wilhelm II., Paderborn 2007. Sie konzentriert sich zudem weniger auf Kultur, als auf die Sprachnutzung preußischer Könige.
69 Dieter J. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern. Eine politische Biographie, Regensburg 2007.
70 Ebd., S. 225-230. Dazu jetzt auch der Aufsatz von Cajetan von Aretin, Vom Umgang mit gestürzten Häuptern: Zur Zuordnung der Kunstsammlungen in deutschen Fürstenabfindungen 1918-1924, in: Biskup / Kohlrausch, Erbe, S. 161-183. Für die Umnutzung der Schlösser kann man auf einer etwas anderen Ebene ebenfalls feststellen, dass die Monarchie eher musealisiert wurde, als dass sie, wie nach 1945 in der DDR, ausradiert wurde. Auch hier zeigen sich also versöhnliche Angebote der Republik an die Monarchen und Monarchisten. Vgl. Marc Schalenberg, Schlösser zu Museen: Umnutzungen von Residenzbauten in Berlin und München während der Weimarer Republik, in: Ebd., S. 184-199.
71 Weiß, Rupprecht, S. 274, 298, 336, 338, 348.
72 Heidi Mehrkens, Rangieren auf dem Abstellgleis: Europas abgesetzte Herrscher 1830-1870, in: Ebd., S. 37-59; Brosius, Herrscherhaus.
73 Martin Kohlrausch, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie (= Elitenwandel in der Moderne 7), Berlin 2005; Malinowski, König.
74 Ersteres betonen Kohlrausch, Monarch; Lothar Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008; Daniel Schönpflug, Liebe und Politik: Die Heiraten der Hohenzollern und ihre Nachwirkungen, 1858-1935, in: Biskup / Kohlrausch, Erbe, S. 77-95. Letzteres findet sich bei Jürgen Luh, Eine Erbschaft der Monarchie: Das Hohenzollern-Museum, in: Ebd., S. 200-216. Für solche Strategien im 19. Jahrhundert vgl. Frank-Lothar Kroll, Zwischen europäischem Bewusstsein und nationaler Identität. Legitimationsstrategien monarchischer Eliten im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (= Historische Zeitschrift Beiheft 44), München 2007, S. 353-374; Ders., Herrschaftslegitimierung durch Traditionsschöpfung. Der Beitrag der Hohenzollern zur Mittelalter-Rezeption im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 274 (2002), S. 61-85.
75 Christopher Clark, Das Erbe der Monarchie: Nachwort, in: Biskup / Kohlrausch, S. 310-319, hier S. 315.
76 Machtan, Abdankung.
77 Arne Hofmann, Obsoleter Monarchismus als Erbe der Monarchie: Das Nachleben der Monarchie im Monarchismus nach 1918, in: Biskup / Kohlrausch, Erbe, S. 241-260, hier S. 258.
78 Silke Marburg, Europäischer Hochadel. König Johann von Sachsen (1801-1873) und die Binnenkommunikation einer Sozialformation, Berlin 2008, S. 302.
79 Zu ihrem Schicksal siehe am Beispiel einer Familie die wenig neue Einsichten bietende Arbeit von Schenk, Hohenlohe.
80 Folgende Sammelbände konnten im Forschungsbericht nicht mehr berücksichtigt werden: Eckart Conze u.a. (Hrsg.), Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 70), Marburg 2010; Sönke Lorenz / Eckart Conze (Hrsg.), Die Herausforderung der Moderne. Adel in Südwestdeutschland im 19. und 20. Jahrhundert (= Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde, 67), Ostfildern 2010.
81 Ausnahmen: Marcus Funck, Bereit zum Krieg? Entwurf und Praxis militärischer Männlichkeit im preußisch-deutschen Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg, in: Karen Hagemann / Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt am Main 2002, S. 69-90; Ders., Vom Höfling zum soldatischen Mann. Varianten und Umwandlungen adeliger Männlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Eckart Conze / Monika Wienfort (Hrsg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2004, S. 205-235; Monika Wienfort, Wirtschaftsschulen, Waldbesitz, Wohltätigkeit. Neue Handlungsspielräume des deutschen Adels um 1900, in: Demel / Kramer, Adel, S. 396-418; Christa Diemel, Adelige Frauen im bürgerlichen Jahrhundert. Hofdamen, Stiftsdamen, Salondamen 1800-1870, Frankfurt am Main 1998.
82 Dazu: Daniel Menning, Überseeauswanderung deutscher Adeliger im 19. Jahrhundert. Struktur – Motive – Rückwirkungen, in: IMIS-Beiträge 36 (2010) [erscheint demnächst].