Das östliche Europa und seine Geschichte waren und sind bis heute durch Grenzkonflikte und kriegerische Auseinandersetzungen um die territoriale Zugehörigkeit von Regionen oder Minderheiten gekennzeichnet. Mit rund 17 Okkupationen und insgesamt sechs Regimewechseln war der westlichste Teil der heutigen Ukraine – die Karpato-Ukraine resp. Transkarpatien – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das europäische Epizentrum des territorialen Revisionismus. In keiner anderen Region Europas kam es zwischen 1914 und 1946 so häufig zu Grenzverschiebungen wie in dieser polyethnischen Bergregion.
Das Forschungsprojekt stellt erstmals die verwobene Geschichte der Karpato-Ukraine in den Mittelpunkt und untersucht den Lebensalltag jener Gruppen und Individuen, deren Biographien massgeblich von den multiplen Grenzziehungen, neuen Machthabern und ihren nation building-Projekten gekennzeichnet waren. Im Zentrum steht dabei die Frage, was die vielfachen Grenzveränderungen für die Menschen vor Ort bedeuteten, die zum Teil bis zu sechs Mal ihre Staatszugehörigkeit wechselten – und dies ohne ihren Heimatort verlassen zu haben. Welche Strategien wandte die lokale Bevölkerung an, um mit dem häufigen und oftmals drastischen Wandel in den Jahren von 1914 bis 1946 zurechtzukommen? Wie tangierten die Machtwechsel und Grenzverschiebungen den Alltag, den Zusammenhalt und Fragen der Zugehörigkeit?
Die Ergebnisse des Projektes, das sich auf umfangreichen Archivquellen stützt, liefern neue Erkenntnisse über das interethnische Zusammenleben, über Zugehörigkeit sowie über Desintegration und Gewalt in diesem Grenzgebiet zwischen Ost- und Westeuropa. Sie tragen damit zu einem besseren Verständnis der Mikrodynamiken historischer, aber auch aktueller Gebietskonflikte im östlichen Europa bei. Mit dem für dieses Forschungsprojekt entwickelte lebensweltliche Konzept der Border Biographies leisten sie einen wichtigen Beitrag zu den Border/Borderland Studies.