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Titel
Rotes Rockradio. Populäre Musik und die Kommerzialisierung des DDR-Rundfunks


Autor(en)
Larkey, Edward
Reihe
Medien und Kultur
Erschienen
Münster 2007: LIT Verlag
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rebecca Menzel, Berlin

Edward Larkey ist einer der erfahrensten Forscher zu popkulturellen Einflüssen in Deutschland. Bereits 1986 legte er an der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt Universität eine Dissertation zum Thema "Zur kulturpolitischen Rezeption der Rockmusik der USA in der DDR" vor, zu einem Zeitpunkt, als Popkultur noch kein Forschungsthema in Deutschland war. Dies gilt besonders in Ostdeutschland, wo zusätzlich ideologische Scheuklappen lange die Diskussion bestimmten. Umso erstaunlicher ist, dass Larkey bereits in seiner Dissertation offen darauf hinwies, dass Mitte der 1980er-Jahre westliche Einflüsse akzeptiert seien, die noch vor 30 Jahren in der DDR ideologisch bekämpft wurden. Seine Arbeit bilde einen widersprüchlichen Abschnitt der Kulturgeschichte der DDR ab, so sein damaliges Resümee, was der offiziell verkündeten Grundüberzeugung stetigen sozialistischen Fortschritts in allen gesellschaftlichen Bereichen widersprach.1 Über 20 Jahre später sieht Larkey in seiner neuesten Publikation über das Jugendradio in der DDR seine These auch durch andere Forschungen bestätigt und geht von einem "permanenten Legitimationsdefizit der DDR-Partei- und Staatsführung aus, das im Verlauf der 80er Jahre zu einer Legitimationskrise ausartete - bis hin zu der […] zugespitzten ‚Finalitätskrise'" (S. 31).

Noch immer werden die Einflüsse der popkulturell geprägten Jugend- und Massenkultur auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse hierzulande eher stiefmütterlich behandelt. In Deutschland, so Larkey, sei lange die Theorie von Horkheimer/Adorno wirksam gewesen, aus der "deutliches Mißtrauen gegen Amüsement" (S. 54) und die Funktionsweisen der Kulturindustrie spricht. Der theoretische Hintergrund der aktuellen Diskussionen kommt daher aus Großbritannien und Frankreich. Wichtige Archive und Quellen bleiben bis heute ungenutzt. So übt Larkey in seinem Vorwort Kritik an der Organisation des von ihm intensiv genutzten Deutschen Rundfunkarchivs in Potsdam-Babelsberg, das noch immer mit einer uneinheitlichen Katalogisierung hantiert und somit die Bestände wichtiger DDR-Jugendradio-Sendungen durch ihre "eigentümliche Beschaffenheit" schwer zugänglich macht, obwohl besonders die "Programm- und Produktionsgeschichte des DDR-Rundfunks in den 70er und 80er Jahren" einer wissenschaftlichen Darstellung harren (S. 36).

Dabei lässt sich am Beispiel der Jugendsendungen des Rundfunks besonders gut der stetige Konflikt zwischen dem nicht zu kontrollierenden Medienkonsum einer "eigensinnigen" Bevölkerung einerseits und der um Loyalität bangenden politischen Führung andererseits ablesen. Das Radio stellte eine wichtige Quelle für Informationen jenseits des staatlichen Angebots dar. So wurde das Jugendradio DT64 unter anderem mit der Absicht gegründet, die zu den westlichen Sendern RIAS und SFB abgewanderten Hörer wieder zurück zu gewinnen. Auch in den folgenden Jahren blieb das Konkurrenzverhältnis dominant. Man kopierte Formate und Moderationsstile, um die Hörer nicht zu verlieren. Tatsächlich wurden die DDR-Sender vor allem als Unterhaltungsprogramm mehr genutzt als lange Zeit angenommen. 2

Durch seine strukturelle Monopolstellung versuchte die politische Führung, den Schein diskursiver Kontrolle und Souveränität zu wahren. Doch das Verlangen Jugendlicher, sich zu Hause und unter Freunden über westliche Bands und Musiker zu informieren, war stark. Die damit einhergehende Abgrenzung und westliche Prägung unterlief den Anspruch der SED auf eine lenkbare Staatsjugend. Der eingeschränkte Zugang zu Informationen hinterließ bei den Medienkonsumenten ein stetiges Gefühl des Mangels, das schnell in Frustration umschlug und dem man von offizieller Seite durch eine Mischung aus Beschwichtigungen, Belehrungen, Ignoranz und Drohungen zu begegnen suchte. Dem Publikum sollte durch "Integrationssendungen" eine Haltung anerzogen werden, die "sämtlichen Formen der internationalen Musik (Volks-, klassische, Jazz-, Schlager-, Chanson- und politische Folkloremusik) gleichermaßen Wertschätzung entgegenbrachte und damit der westlichen Popmusik tendenziell keine Vorherrschaft einräumte" (S. 104). In den Jugendprogrammen herrschte ein erzieherischer Tonfall vor, der sich an eine vermeintlich existierende "nationale Popgemeinschaft" (S. 148) richtete. Suggerierte Teilhabe und Mitbestimmung am Programm mittels Hörerwünschen entlarvte sich durch die offenkundige Zensur selbst. "In Wirklichkeit", so Larkey, "führten diese im Grund konzeptionslosen und von politischen Manipulations- und Instrumentalisierungsinteressen diktierten Zugeständnisse zu einer weiteren Aushöhlung ihres herrschaftsdiskursiven Monopolanspruchs" (S. 26).

Der Schein, die internationalen Strömungen in der Popkultur mit "Distanzierungs- und Disziplinierungsstrategien" (S. 16) kontrollieren und dirigieren zu können, blieb durch das Diskursmonopol des staatlich kontrollierten Rundfunks äußerlich lange gewahrt. Larkey versucht nachzuweisen, dass es die innere Aushöhlung durch eine von den "Praktiken und Verhaltensweisen der internationalen kapitalistischen Popmusik- und Unterhaltungsindustrie" (S. 27) geprägten Kommerzialisierung war, der sich das sozialistische System und seine Institutionen nicht entziehen konnten. Letztlich ergab sich der populäre Sektor des Rundfunks den kommerziellen Mechanismen der "globalen Zirkulation popkultureller Güter" (S. 288), ohne ein überzeugendes alternatives, sozialistisches Konzept anbieten zu können.

Der Umgang mit westlichen Einflüssen der Popkultur blieb trotz Liberalisierungsschüben bis zum Ende der DDR zwiespältig. Punk-Musik wurde im Rundfunk eindeutig als rein kapitalistisches Phänomen gedeutet, das den "sozialistischen Normen für Moral und Ethik" widersprach. Noch 1984 galt Punk in der DDR offiziell als nicht existent. 1986 dann nahm sich der staatliche Hörfunk in der Sendung "Parocktikum" auf DT64 der so genannten "anderen Bands" an, zu denen auch Punk-Gruppen zählten. Die Kontrolle über den Diskurs hatten die staatlichen Stellen zu diesem Zeitpunkt allerdings schon lange verloren. Unangepasste Musiker wie beispielsweise die "Magdalene Keibel Combo" verweigerten sich dem staatlichen Rundfunk, um ihre "Street credibility" nicht zu gefährden und entwickelten somit ihrerseits Strategien, den Disziplinierungsversuchen zu entgehen. 3

Für seine Studie wählt Larkey einen an Foucault orientierten diskurstheoretischen Ansatz, wobei er zwischen zwei Ebenen unterscheidet: einem Staats/Sicherheitsdiskurs, der "die außermusikalischen Bedingungen für das Entstehen von Rock- und Popmusik" beinhaltet, und einem musikalisch-performativen Diskurs, der das "aus der kapitalistischen Industrie des Westens propagierte kulturelle Wertesystem" transportiert (S. 49). Dabei wird nicht ganz klar, welcher Ebene Larkey die sich zunehmend an westlichen Vorbildern ausrichtenden Jugendsendungen und ihre jugendlichen Hörer zuordnet. Zwar weist er durch die Analyse von Musikwahl und Moderation auf der einen Seite und Hörerbriefen auf der anderen Seite nach, dass die von der SED suggerierte politische und gesellschaftliche Harmonie nicht wirklich existierte. Es bleibt aber offen, ob die Jugendsendungen hier tatsächlich eine Vermittlungsposition einnahmen und ob die Konsumenten mit ihren Strategien ein eigenes Feld zwischen den beschriebenen diskursiven Polen herausbildeten. Die Rundfunklektorate, die jeden einzelnen Titel prüften, hielten sich scheinbar streng an die parteistaatlichen Vorgaben, indem sie "jegliches kontroverse Thema zu vermeiden bestrebt" waren (S. 78), was angesichts einer sich zunehmend auflehnend gebärenden Independent-Szene in den 1980er-Jahren immer problematischer wurde. Grundsätzlich drängt sich die Frage auf, ob die zunehmende Abwanderung jugendlicher Hörer zu den westlichen Sendern der einzige Grund für einen Wandel des Programmangebots und nachlassender Kontrollmechanismen war oder ob nicht auch eine ideologische Verunsicherung auf institutioneller Ebene eingesetzt hatte.

Larkeys Schlussfolgerung, dass sich letztlich ein "unpolitisches Verständnis von Unterhaltungskunst und -musik" entwickelte, das "im Interesse einer von der parteistaatlichen Führung intendierten Harmonie gesellschaftskritische und politische Konflikte weitgehend auszuklammern versuchte" (S. 17), ist mit einer gewissen Skepsis zu begegnen, selbst wenn man dies erst für die zweite Hälfte der 1980er-Jahre konstatiert. Larkey widerlegt seine These zum Teil selbst, indem er immer wieder auf politische Begründungen im Zusammenhang mit Verboten verweist (S. 108).

Leider lässt der rein diskursive Ansatz Larkeys wenig Platz für die praktischen Verweigerungstaktiken Jugendlicher, wenn es um die unterschiedlichen Ansprüche beim Konsum von Pop- und Rockmusik geht. Larkey nutzt zwar praxeologische Begrifflichkeiten nach Bourdieu und verweist auf den ganz anders gearteten musikalischen Erfahrungsraum "Disko", in dem westliche Musik offener und intensiver rezipiert werden konnte, lässt diese Kenntnisse aber nur indirekt in seine Analyse einfließen. Eine weitere Studie, die die Erfahrungen wichtiger popkultureller Akteure wie Komponisten, Texter, Lektoren, Rockbands und Redakteure berücksichtigt, kündigt er an. Dabei sollte dann auch die Konsumentenseite stärker berücksichtigt werden, ohne die eine schlüssige Diskursgeschichte nicht erzählt werden kann.

Anmerkungen:
1Larkey, Edward, Zur Kulturpolitischen Rezeption der Rockmusik der USA in der DDR, Dissertation, Humboldt-Universität Berlin 1986, S. IV.
2Vgl. dazu: Meyen, Michael, Das unwichtige Medium. Radiohören in der DDR, in: Arnold, Klaus; Classen, Christoph (Hrsg.): Zwischen Pop und Propaganda. Radio in der DDR, Berlin 2004, S. 341-356.
3Vgl. dazu Interview mit Lutz Schramm (DT64), in: Galenza, Ronald; Havemeister, Heinz (Hrsg.): Wir wollen immer artig sein ... Punk, New Wave, HipHop, Independent-Szene in der DDR 1980-1990, Berlin 1999, S. 559.

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