Titel
Wilhelmine von Lichtenau (1753-1820). Von der Mätresse zur Mäzenin


Autor(en)
Hagemann, Alfred
Reihe
Studien zur Kunst 9
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
331 S. u. 72 S. Abb.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Menning, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Trier

Wilhelmine von Lichtenau war eine schillernde Persönlichkeit im ausgehenden Ancien Régime Preußens. Trotz zahlreicher Konkurrentinnen gelang es der Mätresse Friedrich Wilhelms II., sich über drei Jahrzehnte in seiner Nähe zu etablieren. Während dessen Regierungszeit übte sie nicht unbedeutenden Einfluss auf den König aus. Mit seinem Tod endete ihre Karriere allerdings abrupt. Zu sehr war sie Überbleibsel einer alten, negativ konnotierten Gesellschaft. Zudem stand sie im Widerspruch zur folgenden Königin Luise, der weiblich-preußischen Lichtgestalt der Zeit um 1800. Die hier zu besprechende kunsthistorische Untersuchung des Lebens Wilhelmine von Lichtenaus verspricht neue Perspektiven auf die Sozialgeschichte der „Übergangsgesellschaft“ zu eröffnen, da sie Aspekte erhellt, die dem Sozialhistoriker normalerweise verschlossen bleiben.

Für die Arbeit setzt sich der Autor zwei Ziele: Er will zuerst der Bedeutung Wilhelmine von Lichtenaus für die Kunst und Architektur der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. (1786-1797) nachgehen und in einem zweiten Schritt nach der übergeordneten Rolle von Auftraggeberschaft für die Architektur um 1800 fragen. Der Zielsetzung folgend gliedert sich die Arbeit in drei Teile. Zunächst wird Lichtenaus Biographie vorgestellt. Dann werden ihre künstlerische Betätigung und ihre Rolle als Auftraggeberin untersucht.

Die Beschreibung des Lebenswegs der Wilhelmine von Lichtenau, 1753 als Tochter eines bürgerlichen Hofmusikanten geboren, orientiert sich an den einschneidenden Wegmarken ihres Verhältnisses zu Friedrich Wilhelm II. Dieser übernahm frühzeitig ihre Erziehung, bevor Lichtenau im Alter von 15 Jahren 1768 seine Mätresse wurde. 1779 änderte sich das Verhältnis grundlegend. Lichtenau war jetzt nicht mehr die Geliebte des Kronprinzen, sondern seine Freundin und Mutter der gemeinsamen Kinder. Dieser Lebensabschnitt endete allerdings mit dem Tod des gemeinsamen Sohnes 1787 abrupt. Lichtenau, um ihren Einfluss auf den König über die Existenz des Sohnes beraubt, wandelte sich jetzt zum „Medium“, das für den spiritualistisch veranlagten Friedrich Wilhelm Nachrichten vom Jenseits ins Diesseits übermittelte. Hierüber gelang es Lichtenau, ihren Einfluss auf Friedrich Wilhelm trotz dessen neuer Mätressen zu stabilisieren und ihre soziale Position abzusichern. Nach dem Tod Friedrich Wilhelms wurde sie verhaftet und zeitweilig verbannt. Sie starb 1820. Die Beschreibung der einzelnen Lebensphasen wird durch Porträts Wilhelmine von Lichtenaus unterstützt, die das wandelnde Selbstverständnis von der Mätresse zur Freundin und weiter zum selbstbewussten Medium beispielhaft beleuchten.

Der zweite Abschnitt beschreibt die verschiedenen Bauvorhaben, in die Wilhelmine von Lichtenau zwischen 1788 und 1797 eingebunden war. Nach einer Phase als Schülerin des Kronprinzen/Königs, in der sie höchstens beratend erscheint, emanzipierte sich Lichtenau seit dem Tod des gemeinsamen Sohnes von der Vormundschaft Friedrich Wilhelms. Die hieran anschließende Phase war durch die weitgehende Abwesenheit des Königs von der Residenz geprägt. Lichtenau bemühte sich nun um dessen Anerkennung als Gestalterin der königlichen Bauprojekte mit dem Ziel, ohne seine jedesmalige Zustimmung agieren zu können. In der Schlussphase zwischen 1795 und dem Tod des Königs reiste Lichtenau dann zuerst nach Italien und entwickelte nach ihrer Rückkehr eine künstlerische Selbständigkeit, die sich von den Stilvorstellungen Friedrich Wilhelms ablöste. Auch war sie um mäzenatische Künstlerförderung durch Kontaktvermittlung und Projektbefürwortung beim König bemüht. Sie etablierte sich „als Lehrerin ihres ehemaligen Lehrers“ (S. 168), war aber immer auf sein Wohlwollen zur Realisierung angewiesen. Deshalb bleibt auch über alle Bauvorhaben hinweg der Bezug der Gestaltung auf den König und die Betonung der eigenen Rolle in seinem Leben zu konstatieren. In der Raumgestaltung wurde nicht nur ihr gemeinsames Leben manifestiert, sondern auch mit dem Ziel der Zukunftssicherung interpretiert.

Der Rolle von Auftraggeberschaft ist der letzte Teil der Untersuchung gewidmet, wobei zuerst deren generelle Rolle am preußischen Hof und in seinem Umfeld seit Friedrich II. untersucht wird. Für Lichtenau wird sie als Strategie der Legitimierung ihrer Position gedeutet: Sie griff wie andere Mätressen „auf Bildung und deren sichtbaren Ausdruck, den Kunstgeschmack, zurück, um ihren Mangel an sozialem Prestige und ihre nach traditionellen Maßstäben fragwürdige weibliche Ehre zu kompensieren“ (S. 247). Dies wurde allerdings von der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Namhafte Berliner Architekten waren daher auch bemüht, Abstand zu ihr zu halten, was sich nach ihrer Verbannung 1797 als kluge Wahl erwies. Dabei war ihr gestalterischer Einflussradius aber durchaus beschränkt. Sie konnte neben ihren eigenen Bauvorhaben nur auf solche Unternehmungen des Königs Einfluss gewinnen, die nicht der breiteren Öffentlichkeit ersichtlich wurden, was auch in der weitestgehenden Beschränkung ihres Kunstengagements auf Innenräume seinen Ausdruck fand. Wo sie aber agierte, setzte sie neue Maßstäbe. Charakteristisch für ihre Entwürfe waren dabei Schlichtheit und Bescheidenheit, Elemente, die in der Folge auch von Friedrich Wilhelm III. und seiner Frau Luise fortgeführt werden sollten. Lichtenaus „Interieurs [stellen sich somit] als experimentierfreudige Versuche am Beginn eines neuen Stils“ (S. 299) heraus. Gerade hierin wird die Widersprüchlichkeit deutlich, da die Stilentwicklungen vom Königspaar aufgegriffen wurden, Lichtenaus Rolle aber aus dem kollektiven Gedächtnis eliminiert wurde.

Das Fazit geht dann, etwas überraschend, noch auf die Rolle von Künstler und Auftraggeber ein. Da Lichtenau den Architekten-Künstler in ihren späten Bauvorhaben nicht mehr benötigte, sondern den Handwerkern ihre Vorstellungen direkt beschrieb, müsse überdacht werden, ob ein am Gegenwartsverständnis orientierter Künstlerbegriff für Kunst um 1800 überhaupt genutzt werden könne, da es sich hier um Kunst ohne eigentlichen Künstler gehandelt habe.

Die Untersuchung macht deutlich, wie sehr das Leben Wilhelmine von Lichtenaus auf Friedrich Wilhelm II. bezogen war: zuerst in der Orientierung an ihm, dann in der Spätphase im, um Ausgleich bemühten, Gegensatz zu ihm. Das sich wandelnde Verhältnis zueinander wurde durch Wilhelmine von Lichtenau in Baumaßnahmen immer wieder ikonographisch aufgegriffen und damit die Bemühung um Verstetigung und Reinterpretation deutlich. Mit dem Tod des Königs ging allerdings das Ziel dieser Bemühungen verloren. Vor diesem Hintergrund ist Hagemanns Versuch wenig verständlich, die künstlerische Tätigkeit auch als gescheiterten Legitimationsversuch Lichtenaus gegenüber Hofgesellschaft und Öffentlichkeit zu charakterisieren. Vermutlich ging es Lichtenau gar nicht um Legitimation in diese Richtungen. Ihr dürfte wohl klar gewesen sein, dass sie von hier nichts zu erwarten hatte. Vielmehr hätte man sich eine stärkere Konzentration auf Lichtenaus Nutzung der Kunst zum Ausschluss von königlicher Familie und Hofgesellschaft und zur Stabilisierung ihres Selbstbewusstseins als ‚wahrer’ Frau an Friedrich Wilhelms Seite gewünscht. Damit eckte sie zwar in der Gesellschaft an. Nur durch die Bindung Friedrich Wilhelms II. an sich konnte sie aber ihre soziale Position dauerhaft absichern. Die Wertungen zu diesem Aspekt bleiben aber eher schwammig, so z.B. wenn ihr Charlottenburger Haus an verschiedenen Stellen einmal als Imitation, dann als Versuch der Übertrumpfung und schließlich als Konkurrenz zum Palast der Königin gewertet wird (S. 83, 94, 95).

Insgesamt sei die Arbeit aber dennoch empfohlen. In ihrer Betrachtung künstlerischer Tätigkeit als Medium der Beziehungsverstetigung zwischen Friedrich Wilhelm II. und Wilhelmine von Lichtenau zeigt sie, wie letztere ihre durch andere Akteure gefährdeten Ansprüche abzusichern und den König an sich zu binden suchte. Sie bediente sich dazu eines Mediums, das den meisten Sozialhistorikern verschlossen bleibt, aber dennoch von großer Wirkung war.

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