Zum Krieg gehören Erfahrungen von Tod, Verletzung und Trauer. Carol Acton, Professorin für englische Sprache und Literatur an der University of Waterloo (Ontario), hat mit "Grief in Wartime. Private Pain, Public Discourse" ein Buch vorgelegt, in dem sie untersucht, wie Menschen im 20. Jahrhundert versuchten, diese Erfahrungen zu interpretieren und mit Sinn und Bedeutung zu versehen. Dabei analysiert sie vor allem deren Trauer bzw. ihr Trauern während und im Anschluss an beide Weltkriege und den Vietnamkrieg. Als Material dienen ihr dabei vornehmlich Tagebücher und Briefe nordamerikanischer und britischer Frauen und Männer sowie Zeitungsartikel und Werbeanzeigen. Methodisch verortet Acton ihre Analyse der Konstruktion eines "Selbst" im Spannungsfeld zwischen öffentlichen Diskursen z.B. über Kriegshelden, Körperbilder und Geschlechterrollen einerseits: "[I]ndividuals are shaped and shape themselves by the public discourses offered to them." (S. 8) Andererseits nimmt sie damit die individuellen Aneignungen und Deutungen der Akteure in den Blick und versteht Krieg dabei als "gendering activity". Deshalb konzentriert sie sich in ihrer Studie vor allem auf die Rolle von trauernden Frauen und deren "collective storytelling" zu Hause und an der Front. Anhand dieser zunächst einmal räumlichen Trennung gliedert sie das Buch in zwei größere thematische Abschnitte, wobei es jedoch Actons erklärtes Ziel ist, diese Dichotomie 'home' und 'front' aufzulösen: "Women grieve at home and at the front." (S. 14)
Im ersten Teil des Buchs "War and Grief at 'Home'" konzentriert sich die Autorin vor allem auf das gemeinsame Erzählen oder vielmehr auf gemeinsame Erzählungen ("shared narratives") vom Krieg, mit denen vor allem trauernde Frauen zu Hause ihrer eigenen Trauer und dem Tod des geliebten Mannes, Sohnes oder Bruders Sinn verleihen. Einerseits hebt Acton dabei auf eine interpretative Standardisierung dieser Erfahrungen ab: Die Motive des Opfers und des heldenhaften Todes (und Trauerns) für das Vaterland sind vielen Erzählungen gemein. Damit verbunden ist auch die Suche nach angemessenen Ausdrucksformen für diese Gefühle sowie nach angemessenen Rollen für Frauen an der Heimatfront. Gleichzeitig betont die Autorin, wie Frauen diese Erwartungshaltungen ("For women must weep.") immer wieder zurückwiesen, sich ihnen entzogen, dabei aber auch mit einer möglichen 'Sinn'losigkeit ihrer Trauer und des Todes ihrer Angehörigen und Freunde konfrontiert waren. Angesichts massiver Verluste im Zweiten Weltkrieg schienen die Narrative heroischer Zweckdienlichkeit zwar an ihre Grenzen zu stoßen, der Schock und die Trauer blieben jedoch öffentlich jenseits vorgefertigter Interpretationsmuster schwer sagbar. Briefe wurden somit zu sicheren Orten abweichender Meinungen. Während des Vietnamkriegs, so Acton, löste sich die Verbindlichkeit politisch-offizieller Trauerrhetorik endgültig auf und die offene Trauer, die sich Heldenbildern entzog, wurde zum politischen Akt, die den Sinngehalt von individuellem Opfer und damit des gesamten Kriegs anzweifelte.
Im zweiten Abschnitt des Buches "War and Grief at the 'Front'" stellt die Autorin fest, dass vor allem die Fronterfahrung und damit verbundene individuelle Traumata einheitliche Ausdrucksformen des Trauerns sowie gemeinsame Erzählungen vom ‚sinnhaften’ Krieg schon im Ersten Weltkrieg infrage stellten. Dabei betont sie, dass die Unsagbarkeit von Verletzung, Tod und Trauer in konkreten Frontsituationen letztendlich nur in der intimen, männlichen Kameradschaft der Soldaten überwunden werden konnte. In den Abschnitten über den Zweiten Weltkrieg sowie über Vietnam stellt Acton die Rolle von Krankenschwestern in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Der Alltag des Pflegens bewegte sich oft jenseits heroischer Vorstellungen eines patriotischen Todes und orientierte sich eher an Vorstellungen von Mütterlichkeit und Menschlichkeit, die es Schwestern sowohl erlaubten, ihre eigene Trauer zu bewältigen, als auch mit Sterbenden und Verletzten mitzufühlen und zu trauern. Gerade für den Vietnamkrieg betont Acton dabei wiederum die politische Dimension des Trauerns als Fortsetzung des Krieges im Kontext der Antikriegsbewegungen.
In einem abschließenden Kapitel wagt die Autorin einen Blick auf die Trauer während des derzeitigen Irakkriegs. In ihren notwendigerweise fragmentarischen Betrachtungen betont sie vor allem die Wichtigkeit trauernder Mütter wie Cindy Sheehan. Diese erlangte hauptsächlich dadurch Bekanntheit, dass sie im Jahr 2005 wochenlang vor Präsident George W. Bushs Ranch in Crawford, TX, kampierte, um damit gegen den Krieg zu protestieren. Ihre öffentliche Trauer über ihren gefallenen Sohn ließ sie zu einer Ikone der amerikanischen Antikriegsbewegung werden. Gleichzeitig stellt Acton fest, dass der (politisch-offizielle) Wunsch nach einer einheitlichen Interpretation von Kriegstoten und -verletzten angesichts vielfältiger medialer Orte des Trauerns (Fernsehen, Internet-Blogs, Zeitungen) immer schwieriger zu erfüllen ist. Der 'Sinn'gehalt von Kriegstod und -trauer steht damit stärker in Frage denn je.
Carol Actons Buch zeigt, wie sich vor allem Frauen aktiv mit öffentlichen Erwartungshaltungen, Erzählungen und Vorstellungen angemessenen Trauerns auseinandersetzten, sie teilweise zurückwiesen, damit aber auch immer wieder mit der 'Sinn'losigkeit von Kriegstod und -trauer konfrontiert waren. Auf der Basis einer beeindruckenden Sekundärliteraturrezeption stellt die Autorin fest, dass die Kodierung von Intimität, Gefühlen und Erfahrungen immer schon diskursiv vorgeprägt ist und auf die Aneignung kulturell vermittelter Ausdrucksformen und Interpretationen angewiesen ist. Die "community of grief", die Acton feststellt, ist somit immer privat und öffentlich zur gleichen Zeit. Wie angekündigt gelingt es ihr damit auch, die Trennung von 'Front' und 'Zu Hause' aufzulösen. Freilich bleibt dieser gemeinsame Raum des Trauerns ein im Wesentlichen virtueller, um nicht zu sagen ein rein textueller. Es bleibt die Frage offen, ob Erfahrungen von Schmerz, Gewalt und damit das Trauern immer so glatt in Text aufgehen, wie es das Buch stellenweise suggeriert. Gerade die Sprödigkeit körperlicher Erfahrungen und Erinnerungen widersetzt sich oft eindeutigen Interpretationen und sprachlichen Formulierungen.1 So bleibt Actons einleitendes Statement, dass Frauen zu Hause wie an der Front trauern, etwas unbefriedigend, da es letztendlich nur auf sich selbst verweist. Gerüche, Geräusche, Gefühle bleiben nur schwer vermittelbar – bei aller Teilhabe durch Briefe, Zeitungsartikel und Tagebücher bleibt zumindest auf dieser Ebene ein Rest, der 'Front' und 'Zu Hause' nicht so einfach und glatt in einem Raum verschmelzen lässt. Aus Historikerperspektive wäre es daher wünschenswert gewesen, die Analyse auf eine breitere Materialbasis zu stellen und damit gleichzeitig Praktiken des Schreibens und Erzählens im jeweiligen historischen Kontext in den Blick zu nehmen. Ferner verbleibt die Gliederung des Buches teilweise etwas unklar, da die einzelnen Abschnitte einerseits chronologisch operieren, andererseits die je spezifischen Elemente des Trauerns, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Kriege nicht ganz klar herausgearbeitet sind. Bei allen methodischen Detailfragen und -kritiken hat Carol Acton jedoch ein Buch verfasst, das einen anregenden und lesenswerten Beitrag zur Geschichte der Kriegserfahrungen und der Gefühle liefert.
Anmerkung:
1 Assmann, Aleida, Wie wahr sind Erinnerungen?, in: Welzer, Harald (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis – Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, S. 103-122; Lüdtke, Alf, Stofflichkeit, Macht-Lust und Reiz der Oberflächen. Zu den Perspektiven von Alltagsgeschichte, in: Schulze, Winfried (Hrsg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie: eine Diskussion, Göttingen 1994, S. 65-80.