Cover
Titel
Radiobilder. Eine Kulturgeschichte des Radios in Österreich


Autor(en)
Ehardt, Christine
Reihe
Theater – Film – Medien
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
205 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Solveig Ottmann, Lehrstuhl für Medienwissenschaft, Universität Regensburg

Obwohl der Rundfunk auf eine bald 100-jährige Geschichte zurückblickt, lag bis 2020 keine Studie zur Kulturgeschichte des Radios in Österreich vor. Christine Ehardt nimmt sich diesem Desiderat an und nähert sich dem (bekanntermaßen akustischen) Medium über einen vermeintlichen Umweg: Elementar für die Kulturgeschichte des Radios sind für die Autorin die Radiobilder – also „Vorstellungen und Ideen […] über Form und Funktion des Rundfunks“ (S. 127) –, die ständig neu ausgehandelt wurden und das Medium präg(t)en.

Eine strikt rundfunkhistorische Aufarbeitung kann diese Bilder und die ineinandergreifenden politischen, soziokulturellen, medientechnologischen, diskursiven, theoretischen und ästhetischen Zusammenhänge des Mediums nicht angemessen erfassen. Für ihre Untersuchung wählt die Autorin deshalb einen multiperspektivischen Zugang in Form einer Doppelstruktur: In vier Hauptkapiteln wird der „Genealogie der Radiogeschichte“ nachgegangen, jedem dieser Kapitel folgt ein „Zwischenkapitel“ (S. 14). Begründet liegt dies in der Grundannahme, dass das Radio nicht „nur“ ein Medium, sondern auch ein wechselvoller Diskursraum, eine Denkfigur und ein Resonanzraum sei. Die Hauptkapitel betrachten exemplarisch vier Zeitabschnitte vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Anschließend an medienarchäologische Forschungen von Siegfried Zielinski und Wolfgang Hagen geht Ehardt nicht strikt chronologisch vor, sondern sucht nach „Brüchen, Anfangs- und Endsituationen“ (S. 11). Die Zwischenkapitel wiederum suchen nach „ästhetischen und soziokulturellen Kontexten“ – sogenannten „Radioresonanzen“ (S. 14) –, die konstituierend für die Medialität des Radios sind. Leitend sind dabei die Grundelemente akustischer Gestaltung, also Geräusch, Stimme, Stille und Musik.

Einleitend wird – per se wenig innovativ – konstatiert, dass das Radio neue Räume erschafft, mit den inneren und äußeren Grenzen auditiver Wahrnehmung spielt sowie Zeit und Raum überwindet. Diese Feststellungen sind insofern zentral, als das Medium für Ehardt dadurch immer wieder zum Ort „politischer, sozialer und ästhetischer Verhandlungen“ und der Diskussion über „Mittel und Möglichkeiten neuer Technologien“ wurde (S. 12). Dies dient als eine Art Leitfaden der Untersuchung und wird im Verlauf der Monografie sukzessive aufgefächert. Sie mündet in der Diskussion von radiofonen Raumkonzepten durch die Jahrzehnte, die sich mit dem medialen Fortschritt und schließlich der Digitalisierung veränderten. So wird final auch die Frage nach der Zukunft des Radios berührt und der Blick in die Vergangenheit liefert Erklärungsansätze für aktuelle Radiokonzepte.

Die Kulturgeschichte des Radios beginnt für Ehardt „mit den Ideen und Technologien des 19. Jahrhunderts“ (S. 12). Der „Blick ins Maschinenzeitalter“ (Kap. 2, S. 19ff.) zeigt auf, wie Medientechnologie – so die These – zunächst als Attraktion vermarktet wurde, sich im Zuge der Etablierung von Telefon, Phonograph oder Grammophon jedoch eine „Vielzahl neuer kultureller Praktiken des technisch vermittelten Hörens und Sehens“ (S. 21) herausbildeten, die sich später im Radio wiederfinden sollten und „Dispositive des Radios“ vorwegnahmen (S. 23). Die Wechselwirkungen zwischen den Vorstellungen der technischen Möglichkeiten der Radiotelegrafie – also der medialen Überbrückung von Zeit und Raum – sowie den sich in der Moderne massiv verändernden akustischen Räumen ergänzen das Zwischenkapitel „Resonanzen I“ (S. 41ff.).

Der Weg „Vom Medium der Attraktionen zum Massenmedium“ (Kap. 3, S. 52ff.) war von institutionellen über technische bis hin zu programmatischen, radioästhetischen und -theoretischen Fragen geprägt. „Resonanzen II“ (S. 89ff.) verdichtet die radiofone Relevanz der Sprache und Stimme: Die spezifische Form der Ansprache einer Masse und gleichzeitig vieler Einzelner rief Begehrlichkeiten hervor, die sich als einer der zentralen Aspekte von „Faschismus und Radiokultur“ (Kap. 4., S. 97ff.) niederschlugen. Ehardt zeigt nachvollziehbar, welche Anstrengungen seit den frühen 1930er-Jahren unternommen wurden, um das Radio zum Massenmedium und Propagandamittel umzufunktionieren und eine nationale Identität und Hörergemeinschaft aufzubauen, die zum „potenziellen Kollektivhörer“ zusammengeschlossen werden sollte.

„Resonanzen III“ (S. 119ff.) unterbricht die bis dahin schlüssige Argumentationsstruktur. Einzig das Aufzeigen der Stille als Stilmittel in radioästhetischen Überlegungen und Experimenten seit dem Neuen Hörspiel schafft hier eine zeitliche Verbindung zum folgenden, letzten genealogischen Hauptkapitel. Dieses zeigt auf, wie sich im „Rundfunk nach 1945“ (Kap. 5, S. 127ff.) durch neue Sende- und Programmstrukturen und eine ungewohnte Konkurrenzsituation vieler Stimmen im österreichischen Äther auch die Hörer:innen neue Nutzungsweisen aneigneten und generell eine Neuordnung des Rundfunks durchgesetzt werden musste. An einen Exkurs in die „Hörspielwelt der Nachkriegszeit“ (S. 150) schließt das letzte Zwischenkapitel „Resonanzen IV“ an (S. 153ff.). Darin wird die Debatte um eine rundfunkeigene Musik und generell radiofone Kunst aufgearbeitet, die Kulminationspunkt radioästhetischer Fragen ist. Gleichzeitig wird die Brücke zum erneut etwas isoliert stehenden Kapitel „(Neue) Radioräume“ (Kap. 6., S. 165ff.) geschlagen, das die historischen wie aktuellen Raumvorstellungen diskutiert und in der „Frage nach neuen Hörräumen des Radios“ mündet (S. 165). Abgeschlossen werden die Ausführungen von einer knappen Conclusio.

Durch das Zusammenführen von ästhetischen und kulturhistorischen Fragen strebt Ehardt an, den Blick auf bisher übersehene Phänomene der Geschichte des österreichischen Radios und Rundfunks zu öffnen. Dazu trägt sie vielfältige zeitgenössische Quellen zusammen und interpretiert diese (medien-)kulturwissenschaftlich – was die große Stärke der Untersuchung ist. So legt die Autorin dezidiert keine (weitere) Geschichte des österreichischen Rundfunks vor1, sondern eine informierte und informative Kulturgeschichte des Radios in Österreich bis in die 1960er-Jahre.

Die Studie stößt jedoch auch an Grenzen: Einerseits bleibt unklar, weshalb bestimmte historische Phasen ausführlich, andere nur skizzenhaft behandelt werden. Letzteres betrifft beispielsweise die Digitalisierung, obschon diese sowohl als initialer Impuls für eine Aufarbeitung als auch als Fluchtpunkt der Studie dient. Andererseits bereichern die theoretischen Zwischenkapitel und auch die Schlussüberlegungen die kulturhistorische Lesart zwar ungemein; stellenweise jedoch wirken die Zusammenhänge aufgrund der fehlenden Einbettung theoretisch überkonstruiert.

Radiobilder gelingt es dennoch, sich dem Radio, das „sämtliche Erscheinungsformen, die die Gestaltung und Verwendung von Hörbarem“ umfasst (S. 10, Fn. 4), umfassend zu nähern. Die Kombination medienarchäologischer, genealogischer und kulturwissenschaftlicher Methoden mit radiotheoretischen wie -ästhetischen Perspektiven liefert eine wertvolle Grundlage für die weitere Erforschung nicht nur des österreichischen Radios.

Anmerkung:
1 Vgl. zum Beispiel Wolfgang Pensold, Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich. Programm für die Nation, Wiesbaden 2018.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch