Viel wurde schon über die Gründe des Scheiterns der ersten österreichischen Republik geschrieben und viel wurde schon darüber gestritten. Als Produkt des Ersten Weltkrieges war der junge Staat unzähligen Krisen und Spannungen ausgesetzt. Er wurde von vielen als ein „Torso“ ohne nationale Identität und als ein „Zwergwirtschaftsgebiet“1, das wirtschaftlich nicht überlebensfähig sei, empfunden. Eine gemeinsame politische Kultur2, die in der Lage gewesen wäre, Konflikte demokratisch auszutragen, haltbare Kompromisse zu finden und die schweren Nachkriegskrisen zu meistern, konnte nicht entwickelt werden. Wie sehr jedoch Teile der Eliten aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung von Anfang an mit den Veränderungen, die mit der Republikanisierung einhergingen, haderten, wird in der historischen Studie Der Deutsche Klub von Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer ersichtlich. Und dieses Nichtabfindenkönnen und diese Ablehnung drückte sich nicht nur in Mentalreservationen oder politischer Agitation aus, sondern, wie in diesem 2020 erschienen beeindruckenden Buch offengelegt wird, vor allem auch in der Schaffung bürgerlicher elitärer (männlicher) Machtzirkel, die der Unterwanderung der staatlichen Strukturen und der Hintertreibung rechtlicher und sozialer Innovationen der verachteten „Republik des 12. Februar“ dienten.
Im Zentrum dieser auf der einen Seite politisch motivierten antidemokratischen, antiegalitären, antisemitischen sowie revanchistischen und auf der anderen Seite an persönlichen Vorteilen orientierten korrupten Seilschaften stand der Deutsche Klub mit seinen rund 1.000 männlichen Mitgliedern. Spitzenbeamte, Industrielle, Rechtsanwälte, Richter, Universitätsprofessoren, Ärzte sowie ehemalige Offiziere und frühere Adelige knüpften dieses elitäre Netzwerk. Der Klub wurde 1908 im Milieu deutsch-völkischer und auch katholisch-nationaler Studentenverbindungen in Wien gegründet. Er erlangte in der angespannten und prekären Situation der Gründungsjahre der Republik eine personal- und machtpolitisch zentrale Bedeutung, die sich an zwei Faktoren bemessen lässt: an der Verortung der Vereinsräumlichkeiten und an seinen Mitgliedern. Quartier bezog dieses Machtnetzwerk symbolträchtig ab 1923 im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg und fast zwanzig Regierungsmitglieder der Ersten Republik sowie fünf Minister der nationalsozialistischen „Anschlussregierung“ 1938 kamen aus dessen Reihen. Der Deutsche Klub diente vor allem in den frühen 1920er-Jahren ebenso als bürgerlicher Brückenbauer zwischen dem deutschnationalen, christlichsozialen und nationalsozialistischen Lager, der eine gemeinsame politische Vorgehensweise gegen die Sozialdemokratie organisieren wollte. Neben ähnlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen sollte eine weltanschauliche Hegemonie in der republikanischen Öffentlichkeit erzwungen werden, um den Umbau des Staates und den Rückbau der Demokratie durchzusetzen. Strategische Personalpolitik in der Verwaltung, Beeinflussung der Medienlandschaft, geistige und personelle Kontrolle der Universitäten und gezielte Wirtschaftspolitik waren die Mittel dazu. Eine tragende Säule der Brücke zwischen Deutschnationalen, Christlichsozialen und Nationalsozialisten bildete der Antisemitismus in all seinen Schattierungen. Dieser war auch im Deutschen Klub allgegenwärtig. In diesen Machnetzwerken wurde eine politische Kooperation entwickelt, die sich wirkmächtig in der bürgerlichen Einheitslisten-Strategie bei National- und Landtagswahlen in den 20er-Jahren ausdrückte. Als diese endgültig um 1930 scheiterte, wurden im Deutschen Klub die Nationalsozialisten immer dominanter und unterwanderten die Strukturen der Republik und schlussendlich auch des austrofaschistischen Staates. Im Augenblick des größten Triumphes – dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März 1938 – und der größten Machtentfaltung des Klubs – unzählige Klubmitglieder erhielten Schlüsselpositionen in Politik, Justiz, Wissenschaft und Kultur – geriet der Deutsche Klub in Konkurrenz zum Allmachtsanspruch der NSDAP. Daher wurde er trotz heftiger Interventionen 1939 aufgelöst. Gerade diese „Zwangsauflösung“ sollte nach 1945 der Weißwaschung vieler Mitglieder des Deutschen Klubs dienen. Die Autoren und die Autorin zeichnen in ihrem Buch auch sehr informativ und erhellend die Spuren dieses Machtzirkels bis in die Zweite Republik hinein. Dass im Jahr 1957 der „Deutsche Klub“ als „Neuer Klub“ eine Art Wiederauferstehung erfuhr, bis heute besteht und dem rechten bis rechtsextremen Lager ein Podium bietet, bereichert das historische Bild mit Aktuellem – ebenso wie die Tatsache, dass Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer das Archiv des Vereins nicht einsehen durften.
Anhand unzähliger (neuer) Quellen und mittels akribischer Recherchearbeit wird von den Autoren und der Autorin ein Puzzle zusammengesetzt, das ein Gesamtbild mit vielen neuen und bisher unbeachteten Aspekten der Geschichte der österreichischen Zwischenkriegszeit offenlegt. Der zum Teil journalistische und somit spannend lesbare Schreibstil des Buches schärft den Blick auf die österreichische Geschichte, der auch Grundstrukturen des politischen Systems und der politischen Praxis der Republik bis in die Gegenwart auf neue Weise sicht- und verstehbar macht. Ebenso stärkt diese Studie die Einsicht in die Notwendigkeit, die Funktion und Zusammensetzung von Machtnetzwerken zu studieren und transparent zu machen. Davon wird nicht nur die Geschichtswissenschaft profitieren.
Anmerkungen:
1 Die Begriffe „Torso“ und „verkrüppeltes Zwergwirtschaftsgebiet“ werden auch von Staatskanzler Karl Renner 1918/19 verwendet. Ernst Panzenböck, Ein deutscher Traum. Die Anschlußidee und Anschlußfrage bei Karl Renner und Otto Bauer. Materialien zur Arbeiterbewegung, Bd. 37., Wien 1985, S. 183 f.
2 Dazu: Anton Pelinka, Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918–1938, Böhlau Verlag 2017.