H. Häußermann u.a. (Hrsg.): Stadtpolitik

Cover
Titel
Stadtpolitik.


Autor(en)
Häußermann, Hartmut; Läpple, Dieter; Siebel, Walter
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
403 S.
Preis
€ 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Betker, Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung, RWTH Aachen

Mit ihren Forschungserträgen, publizistischen Beiträgen und öffentlichen Einmischungen bereichern und prägen die drei Sozialwissenschaftler und Professoren für Stadt- und Regionalsoziologie, Hartmut Häußermann (Berlin), Dieter Läpple (Hamburg) und Walter Siebel (Oldenburg), seit nunmehr über drei Jahrzehnten die stadtsoziologische Debatte in Deutschland. „Stadtpolitik“, die neueste Buchpublikation der drei, kann in mehrfacher Hinsicht als eine Art Bilanz am Ende ihrer Hochschullehrerzeit gelesen werden. Denn nicht zufällig steht genau diese Zeit im inhaltlichen Fokus der einzelnen Kapitel. Es findet sich hier ein Spektrum an stadtsoziologischen Themen und Perspektiven auf die Stadt, das in dieser Breite und Qualität derzeit wohl an kaum einer anderen Stelle in der neueren sozialwissenschaftlichen Literatur anzutreffen ist.

Im Titel „Stadtpolitik“ spiegelt sich der Anspruch, die Herausforderungen zu skizzieren, „vor denen Planer und Lokalpolitiker im 21. Jahrhundert stehen.“ (Klappentext) Grundfragen des Buches sind: „Welche Entwicklung nimmt die Stadtpolitik?“ und: „Welche Steuerungsmöglichkeiten haben die Stadtgesellschaften?“ (S. 21). In insgesamt 19, jeweils auch für sich lesbaren Kapiteln verfolgen die Autoren drei Ziele: 1) die „Geschichte der Stadtentwicklung seit Beginn der industriellen Urbanisierung in Deutschland“ darzustellen, 2) die „Wandlungen der Stadtpolitik“, fokussiert auf die aktuellen Probleme und Erscheinungsformen städtischer Politik, nachzuvollziehen und 3) anhand einzelner Problemstellungen (zum Beispiel Stadtsanierung, Schrumpfung, Wandel des öffentlichen Raums) das „begriffliche Instrumentarium der Sozialwissenschaften zur Analyse von Stadtentwicklung und Stadtpolitik“ zu entfalten (ebd.).

Da die meisten der 19 jeweils gemeinsam verantworteten Kapitel aus den teils individuellen Forschungsergebnissen der drei Autoren und früheren Buch- oder Zeitschriftenbeiträgen entwickelt wurden, kommt es unvermeidlich zu manchen Inkonsistenzen. Um die Kapitel dennoch sinnvoll zu verklammern und zu übergreifenden Aussagen zu kommen, bedienen sich die Autoren einer Interpretationsfolie, die die jüngste Phase der westdeutschen Nachkriegsgeschichte seit den tiefgreifenden ökonomischen Einbrüchen in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre als eigene Epoche deutet: Viele Wandlungen der Stadtpolitik und Veränderungen in den Stadtgesellschaften seit jener „Satteldekade“ (Adelheid von Saldern) lassen sich mithilfe der bereits seit längerem in den Sozial-, Planungs- und Kulturwissenschaften rezipierten Konzepte Fordismus/Postfordismus sowie Moderne/Postmoderne angemessen beschreiben und deuten. Sie erleichtert dem Leser die Navigation im stadtsoziologischen Stoff und in einer sich immer unübersichtlicher gestaltenden städtischen Lebenswelt. Die vor allem in den Kapiteln 11 bis 17 beschriebenen aktuellen Probleme und Erscheinungsformen städtischer Politik werden so zu Bausteinen im Konzept zur Beschreibung des Wandels von der fordistischen zur postfordistischen Stadtgesellschaft.

Die Qualität der einzelnen Kapitel unterscheidet sich erheblich. Es ist deutlich zu spüren, dass die Autoren zu den meisten Themen selbst geforscht haben, was durchweg bei den Kapiteln 8 bis 17 der Fall ist und der Darstellung und Tiefgründigkeit zugute kommt. Dass die Stadtsoziologie keine historische Disziplin ist und auch ein wenig schludrig mit Geschichte umgeht, merkt man den Kapiteln 4 bis 7 deutlich an. Diese genügen zwar als Vorgeschichte zu den „zeitdiagnostischen“ Teilen, bleiben dabei aber essayistisch. Sie stützen sich teils auf eine eher zufällige Literaturauswahl (zum Beispiel im Kapitel sechs über die NS-Zeit auf den Seiten 66-73), teils begnügen sie sich mit 20 Jahre alten Forschungsständen (wie im vierten Abschnitt über die Entstehung der Stadtplanung im 19. Jahrhundert) oder verzichten auf die neueren Ergebnisse und Erkenntnisse einer breiten interdisziplinären Forschungslandschaft zur DDR-Forschung, insbesondere der historisch-sozialwissenschaftlichen Stadt-, Bau- und Planungsgeschichtsforschung.

Der Band wird eingeleitet mit einer Skizze der drei großen Makrotrends Globalisierung, sozioökonomischer und demographischer Wandel, die den Hintergrund für die stadtsoziologische Analyse darstellen. Unverständlich ist hier allerdings, weshalb als vierter Trend ein Unterkapitel zur „Wiedervereinigung“ eingefügt wurde, das sich aber nicht umfassend mit dieser Problematik, sondern nur in wenigen Sätzen mit demographischen Ost-West-Fragen beschäftigt. Unvermittelt schließt sich hier das Thema Verstädterung und Urbanisierung im Weltmaßstab seit dem 19. Jahrhundert an. Und schließlich wird in diesem Unterkapitel namens „Wiedervereinigung“ noch der Schlüsselbegriff „Europäische Stadt“ eingeführt (S. 18) sowie die zentrale These des Bandes entwickelt, nämlich dass die Veränderungen im Postfordismus die Europäische Stadt in eine schwere Krise hineinmanövrieren.

In den folgenden Kapiteln 2 und 3 werden dann weitere Schlüsselbegriffe für das Verständnis von „Europäischer Stadt“ entwickelt. Mittels eines historisch informierten soziologischen Zugriffs werden die Phänomene Verstädterung und Urbanisierung, Merkmale der neuen urbanen Lebensweise, die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit sowie das Verhältnis von Stadt und Land überzeugend entfaltet. Das vierte Kapitel über die Entstehung der Stadtplanung („Steuerungsversuche“) widmet sich der spannenden Frage, wie das enorme Stadtwachstum des 19. Jahrhunderts räumlich zu steuern war. Der politische Wille, „Instrumente für die Regulierung der Stadtentwicklung“ (S. 50) hervorzubringen, war im Nachtwächterstaat nicht ausgeprägt. Wenn die Autoren allerdings die „Reichsebene“ betrachten, entgehen ihnen die „Steuerungsversuche“ des eigentlichen zentralstaatlichen Akteurs jener Zeit, nämlich des preußischen Staates. Dieser hat – wenn auch nicht sehr erfolgreich – bereits in den 1830er-Jahren versucht, in den Städten Stadtbaupläne durchzusetzen. Ähnliches gilt für das hier ebenfalls ausgeblendete wichtige preußische Fluchtliniengesetz von 1875. Dieses Kapitel reflektiert kaum, dass der Konflikt zwischen dem monarchischen Zentralstaat und der bürgerlichen Stadtgesellschaft ein wesentliches Grundmuster jener Zeit war und die innerstädtischen Konflikte überlagerte.

Der neu entstandenen Disziplin Städtebau und der Berufsgruppe der Stadtplaner obliegt es seit den konfliktreichen und stürmischen Wachstumszeiten des 19. Jahrhunderts, die Stadt funktional und schön zu gestalten sowie Wachstums- und Schrumpfungsprozesse räumlich zu organisieren. Die Autoren gehen durch die Jahrzehnte hindurch nicht gerade zimperlich mit dieser Disziplin und den Stadtplanern um. Für viele Fehlentwicklungen waren in ihren Augen Stadtplaner verantwortlich, und sie unterstellen ihnen sogar eine besondere Nähe zu autoritären Regimen, „gleich ob kommunistisch oder nationalsozialistisch“ (S. 75, vgl. S. 51). Ein wenig rätselhaft ist diese teils verworrene und unzureichend belegte Argumentation schon. Vielleicht ärgern sich die Autoren einfach schon zu lange darüber, dass Stadtplaner auf die städtebaulichen Symptome sozialer Missstände fixiert bleiben und dadurch dazu neigen, die „räumlichen Erscheinungsformen sozialer Probleme“ (S. 127) mit ihren Ursachen zu verwechseln. Denn diese Unterscheidung ist ein zentrales Anliegen der Autoren.

Zwei kurzen Abschnitten über die Weimarer und die nationalsozialistische Zeit folgt dann ein ausführlicherer Teil über die Stadtentwicklung nach 1945 (Kapitel 7). Mit nur wenig Mühe, auf extrem schmaler und veralteter Literaturgrundlage zusammengestellt, finden sich hier einige Splitter über die "sozialistische Stadt" und die Stadtentwicklung in der DDR (S. 92-105). Dabei wird die so wichtige, das Bild der Stadt in der DDR enorm prägende dritte Phase mit Honeckers Wohnungsbauprogramm ab 1973 auf lediglich zehn Zeilen und grob vereinfachend abgehandelt. Der programmatische und in der Folgezeit konfliktreiche Paradigmenwechsel zur erhaltenden Stadterneuerung am Beginn der 1980er-Jahre wird lediglich unter „Stadtstruktur“ erörtert, die letztlich stadtbildprägende Planwirtschaft bleibt weitgehend ausgeblendet. Dabei hätte gerade bei diesen Themen die Möglichkeit bestanden, Brüche und Kontinuitäten im Kontext der Postfordismus-These zu diskutieren. Vielleicht wären die Autoren dann zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bild der Städte in der DDR eher fordistisch als sozialistisch geprägt war.

Der Einstieg ins Fordismus/Postfordismus-Konzept folgt aber erst in den Kapiteln 9 und 10. Diese beiden ökonomisch argumentierenden Abschnitte haben eine Art Scharnierfunktion. Während die vorhergehenden Teile die Phase der modernen Stadtgeschichte bis zu den Konflikten um die Stadterneuerung in den frühen 1970er-Jahren in der alten BRD behandeln, folgt danach der „zeitdiagnostische“ Teil, der sich mit den Problemen städtischer Politik und den Wandlungen der Stadtgesellschaft in den letzten etwa dreieinhalb Jahrzehnten des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus beschäftigt. Eine weitere tragende These findet sich hier: Dass nämlich die Städte trotz der ökonomischen Veränderungen (Globalisierung, Wandel des Arbeitsmarktes etc.) keinen Bedeutungsverlust erleiden, sondern im Gegenteil, im Strukturwandel zur „wissensbasierten Dienstleistungsökonomie“ weiterhin und vielleicht mehr als zuvor als Arbeits-, Wohn- und Lebensort nachgefragt werden (S. 176f.).

Wie die ökonomischen und demographischen Veränderungen auf das Städtesystem in Deutschland und die sozialräumliche Struktur in den Städten wirken, zeigen die Kapitel 11 und 12 über die „fragmentierte“ und die „schrumpfende“ Stadt. Die Stadterneuerung als aktuelle stadtpolitische Problemlösungsstrategie wird im folgenden Abschnitt behandelt. Deutlich zeigt hier das Beispiel des Umgangs mit den Bewohnern im Vergleich zu den Sanierungsstrategien der 1960er- und 1970er-Jahre, wie sich die postmodernen Strategien von den früheren unterscheiden. Weitere Hinweise und Merkmale finden sich in den anschließenden Kapiteln über „Postmoderne Stadtpolitik“ und „Privatisierte Stadt“, in denen mehrere kommunalpolitische Handlungsfelder zusammengefasst werden: weniger Steuerung, mehr „Anreizpolitik“, „die Starken stärken“, Politik der „Großereignisse“, „Public-Private-Partnerships“, „Deregulierung“ und, eines der wichtigsten Merkmale, „Privatisierung“. Kapitel 16 über den „Wandel des öffentlichen Raumes“ knüpft hier an und zeigt am Beispiel der Shopping-Malls, dass die für die urbane europäische Stadt so wichtige Polarität von öffentlicher und privater Sphäre gefährdet ist. Die Qualität des Wandels von der fordistischen zur postfordistischen Stadtpolitik wird in diesen Kapiteln besonders gut nachvollziehbar, aber die Autoren betonen auch: „Das Bild der postmodernen Stadt als einer vollkommen fragmentierten, von allen guten Solidaritätsgeistern verlassenen Beute des Neoliberalismus entspricht sicher nicht der Realität.“ (S. 277). Unmissverständlich macht auch das Kapitel 17 („Integration“) deutlich, dass die Stadt als Sozialraum der Integration dringend gebraucht wird: Denn neben Markt und Demokratie ist die „urbane Lebensweise“ ein dazu notwendiger „Mechanismus“ (S. 320).

All die ökonomischen, kulturellen und sozialen Gründe, die für eine „Renaissance der Städte“, für das Ende der Suburbanisierung und eine neue „Reurbanisierung“ sprechen und aus den vorangegangenen Kapiteln zu destillieren sind, werden – gepaart mit einer guten Portion sympathischen Wunschdenkens – im Schlusskapitel zusammengefasst. Hier wird auch nochmals klar, was das eigentliche Anliegen der Autoren ist: Nämlich ein kräftiges und leidenschaftliches Plädoyer für die urbane europäische Stadt und ihre emanzipatorischen, demokratischen, integrativen und zugleich Differenz zulassenden Errungenschaften zu halten.

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