Geschlechterforschung wird immer mehr in Forschungsprojekte und Studiengänge integriert. Auch in den archäologischen Disziplinen wird es inzwischen als Randerscheinung der soziohistorischen Studien akzeptiert, auch wenn Fragen nach prähistorischen Geschlechterrollen und -identitäten noch nicht zum selbstverständlichen Untersuchungskanon gehören. Dennoch wurden bereits so zahlreiche Studien durchgeführt, dass eine Zusammenstellung des bisher erreichten weltweiten Forschungsstandes überfällig war. Es ist daher eine lobenswerte Aufgabe, der sich Sarah Milledge Nelson (University of Denver), die zu den Pionierinnen der archäologischen Geschlechterforschung in den USA gehört, stellte. Der vorliegende Band wurde von ihr koordiniert und herausgegeben, wobei sie auf Artikel aus Band 4 ihres Handbook of Gender in Archaeology (erschienen 2006) zurückgreifen konnte.
Das Buch umfasst acht Kapitel, gegliedert nach (Teil-)Kontinenten und Regionen, in denen der aktuelle Stand der archäologischen Geschlechterforschung von ArchäologInnen, die eigene Forschungsprojekte durchgeführt haben, vorgestellt werden soll. Etwas befremdlich ist, dass die GUS-Saaten nicht in die zwei Kapitel über Asien mit aufgenommen wurden. Ergänzt wird der Sammelband durch eine Einführung der Herausgeberin, einem 10-seitigen Index und Kurzbiographien der AutorInnen. Dabei handelt es sich um Diane Lyons (Afrika; 26 Seiten), Elisabeth A. Bacus (Ost- und Südostasien; 30 Seiten), Carla M. Sinopoli (Süd- und Südwestasien; 19 Seiten), Claire Smith und Emer O'Donnell (Australien; 27 Seiten), Ruth Whitehouse (Europa; 36 Seiten), Rosemary A. Joyce (Mittelamerika; 18 Seiten), Karen Olsen Bruhns (Nordamerika, nur „Natives“; 31 Seiten) sowie Virgian Ebert und Thomas C. Patterson (Südamerika; 17 Seiten). Leider stammen die AutorInnen nach den im Anhang abgedruckten Kurzbiographien ausnahmslos aus dem anglophonen Sprachraum (USA, Australien, Kanada, Großbritannien), so dass meines Erachtens hier eine Chance vergeben wurde, tatsächlich unterschiedliche Forschungstraditionen in einem globalen Überblick zusammenzutragen. Dennoch wird mit dem Buch vor allem durch die Zusammenfassung der zahlreichen Publikationen und Fallstudien ein aktueller Überblick vorgelegt, der einen sehr guten Einstieg in das Thema bietet.
Die Kapitel im Einzelnen zu besprechen, würde den Rahmen der Rezension sprengen. Gegliedert sind sie weitgehend nach demselben Schema: es werden die berufliche Situation für Archäologinnen in den letzten Jahrzehnten beschrieben, Pionierinnen der archäologischen Frauen- und Geschlechterforschung vorgestellt, wichtige Einzelstudien und Fundplätze erläutert und abschließend ein Resümee zum aktuellen Stand der Geschlechterforschung gezogen. Angehängt ist jeweils eine Literaturliste, zwischen vier und 15 Seiten lang. Illustriert werden die Kapitel kaum. Eine Hilfe ist jeweils eine Karte mit den im Text genannten Fundplätzen und Regionen bei der Orientierung (fehlt bei Mittelamerika). Da jedoch kaum eine Leserin/ein Leser sich auf allen Kontinenten gleich gut auskennen wird, wäre eine grob gefasste Chronologietabelle pro Kapitel ebenfalls wünschenswert gewesen. Ein paar mehr ausgewählte Bilder zu wichtigen Artefakten oder Frauen- und Göttinnendarstellungen wären dem Inhalt eventuell gerechter geworden, wie die knapp illustrierten Kapitel zu Europa und Australien zeigen.
In den Abschnitten zu Nord- und Südamerika sowie Süd- und Südwestasien werden leider die beruflichen Rahmenbedingungen sowie die Pionierinnen ausgeklammert, was besonders bei Nordamerika bedauerlich ist, da zahlreiche Publikationen aus US-amerikanischen Institutionen die Geschlechterforschung weltweit beeinflusst haben. In fast allen archäologischen Teildisziplinen geht die Frauen- und Geschlechterforschung auf ein paar wenige Frauen vor den 1980er-Jahren zurück, die unerschrocken ihre Meinung vertraten, zu nennen sind z.B. Tatiana Proskouriakoff und June Nash für die mittelamerikanische Archäologie. Wie mutig Archäologinnen teilweise für archäologische Frauen- und Geschlechterforschung in einer männerdominierten Wissenschaft eingetreten sind, zeigt besonders das Kapitel zu Australien, in dem die Hintergründe zu einem der ersten „Women in Archaeology“-Konferenzen in Albury 1991 mit persönlichen Kommentaren beschrieben werden. Bedauerlich, dass die ebenso bemerkenswerte Tagung „Were they all men?“ in Norwegen 1979 nur am Rande erwähnt wird. Auch wird deutlich, dass die Einschränkung auf englischsprachige Literatur manche Pionierinnen aus anderen Sprachräumen verschwinden lässt. So hätten z.B. für die Europäerinnen neben Dorothy Garrod und Amelia Edwards durchaus Johanna Mestorf (1828–1909, Deutschland) oder Hannah Rydh (1891–1964, Schweden) als Archäologinnen der ersten Stunde, die ebenso für Frauenbildung eintraten, genannt werden können. Auch die norwegische Zeitschrift „Kvinner i Arkeologi i Norge“ (Frauen in der Archäologie in Norwegen), die meines Wissens weltweit einzige Zeitschrift, die explizit dem Thema archäologische Frauen- und Geschlechterforschung gewidmet war, herausgegeben von 1985 bis 2005, fand keine Erwähnung.
Eine wahre Fundgrube sind die Zusammenfassungen zu den bisherigen Forschungen und wichtigsten Einzelstudien, entweder chronologisch und regional gegliedert oder nach Schwerpunkten wie Bestattungen, Handwerk, Arbeitsteilung oder Ikonographie. Durch den anhängenden Index können sie auch schnell nachgeschlagen werden. Es wird deutlich, dass in allen Regionen die Kritik an androzentrischen Forschungsschwerpunkten und an dadurch entstandenen Fehlinterpretationen den Beginn der Geschlechterforschung bildet. Ein weiterer wichtiger Arbeitsschritt ist die Identifizierung desjenigen archäologischen Materials, das sehr wohl mit weiblicher Lebenswelt und Geschichte verknüpften werden kann. Hier liegen von allen Kontinenten schon zahlreiche Studien vor, die eine gute Basis für weiterführende Studien zu Geschlechterrollen bilden. Eine weitere Stärke des Buches ist, dass die einzelnen Schwerpunkte, Fragestellungen und Aspekte der Geschlechterforschung überregional verglichen werden können. Es wird dadurch deutlich, dass „gender“ nur ein Aspekt im Geflecht der sozialen Determinanten neben sozialem Alter, Ethnizität oder sozialem Status/Klassenzugehörigkeit ist, der jedoch keineswegs bei Interpretationen ausgeklammert werden kann. Die Fallbeispiele sind den Perioden zwischen Paläolithikum und Frühen Mittelalter bzw. dem Beginn der europäischen Kolonisation entnommen. Leider wurde für Europa der gesamte Bereich der Antike (griechische Stadtstaaten und Römisches Reich) ausgeklammert, obwohl hier durchaus Studien nicht nur von althistorischer, sondern auch von archäologischer Seite vorliegen. Genauso vermisst die Rezensentin weitgehend Studien zu hochmittelalterlicher und neuzeitlicher Archäologie. Auch die Aufteilung der archäologisch so wichtigen Region zwischen Niltal, Bosporus und Mesopotamien auf zwei Kapitel erscheint nicht sehr glücklich. Ebenso wird die Beschränkung auf die englischsprachige Literatur der gerade dort so international geprägten Forschungssituation nicht gerecht. Diesem generell verbleibenden Desiderat, der Zusammenfassung der nicht-englischsprachigen Forschung, müssten sich jedoch die Archäologinnen aus Skandinavien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Japan und anderen Ländern stellen.
Trotz der genannten Schwächen und dem sehr amerikanischen Blick auf die Welt bietet das Buch einen hervorragenden Einstieg in die weltweite archäologische Geschlechterforschung in den verschiedensten Ländern, Regionen und Kontinenten. Es ist sicherlich nicht nur für ArchäologInnen, sondern darüber hinaus für WissenschaftlerInnen anderer Disziplinen interessant, die sich einen ersten Überblick verschaffen möchten. „Worlds of gender“ sollte daher in jeder archäologischen Bibliothek wie auch in den interdisziplinären Zentren für Geschlechterforschung vertreten sein.