B. Berning: „Nach altem löblichen Gebrauch“

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Titel
„Nach altem löblichen Gebrauch“. Die böhmischen Königskrönungen der Frühen Neuzeit (1526-1743)


Autor(en)
Berning, Benita
Reihe
Stuttgarter Historische Forschungen 6
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 264 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petr Maťa, Universität Wien

Es ist schwer zu glauben, aber bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die erste systematische Aufarbeitung der böhmischen Königskrönungen in der Frühen Neuzeit. Wohlgemerkt, es ist nicht die erste deutschsprachige Monographie, sondern die erste überhaupt, denn selbst die tschechische Historiographie hat das zweifelsohne bedeutendste politische Ritual im frühmodernen Böhmen erstaunlich stiefmütterlich behandelt. Erst jüngst, unter dem Einfluss der kulturwissenschaftlichen Reorientierung der Geschichtswissenschaft, wuchs das Interesse an dieser Thematik. Wenn man es pointiert sagen möchte, entstanden seit ungefähr 2003 mehr Veröffentlichungen als in den anderthalb Jahrhunderten davor. Parallel dazu und größtenteils unabhängig von dieser durch tschechische Nachwuchshistoriker wie Jiří Hrbek, Štěpán Vácha, Petra Vokáčová oder Zdeněk Vybíral geprägten Forschungsliteratur 1 entstand die 2007 angenommene Stuttgarter Dissertation von Benita Berning.

Berning untersucht die Funktion der Königskrönung als Akt der symbolischen Kommunikation zur Legitimation der böhmischen Herrscher aus der Habsburgerdynastie und für die herrschaftspartizipatorischen Ansprüche der böhmischen Stände. Unter den insgesamt elf untersuchten Herrschaftsantritten (die politisch wenig relevanten Krönungen der Königinnen sind ausgeklammert) kommt die Rede ebenfalls und ausführlich auf die Inaugurationsrituale zweier (aus der habsburgischen Sicht) „Usurpatoren“: Friedrich von der Pfalz 1619 und Karl Albrecht von Bayern 1741. Behandelt wird dabei nicht nur das eigentliche, aus sakralen und weltlichen Elementen bestehende Ritual der Krönungen im Prager Veitsdom selbst, sondern auch begleitende „Rahmenfeierlichkeiten“ und breitere Zusammenhänge. Die Darstellung bringt Licht in die machtpolitische Bedeutung, die symbolischen Dimensionen und medialen Zusammenhänge der böhmischen Königskrönungen. Ja sogar organisatorische und logistische Aspekte werden mitberücksichtigt. Dem Hauptteil der Arbeit vorausgeschickt ist ein Rückblick auf die Entwicklung der böhmischen Königskrönung im Mittelalter. In besonderen Exkursen thematisiert Berning die Wahrnehmung der untersuchten Krönungen in Ego-Dokumenten und ihre Repräsentation in Flugblättern, Krönungsporträts und Krönungsmünzen.

Infolge des schlechten Forschungsstandes beruht die Studie weitgehend auf Quelleneditionen und auf eigener Forschung in tschechischen, österreichischen und deutschen Archiven. Quellenmaterial unterschiedlicher Natur und Provenienz wie gedruckte Krönungsberichte, Bildmaterial, Akten der Böhmischen Hofkanzlei und Statthalterei, Zeremonialakten und -Protokolle des Kaiserhofs, Berichte ausländischer Gesandten, Quellen aus adeligen Familienarchiven wird geschickt kombiniert. Auch wenn nicht alle Bestände vollständig ausgeschöpft werden konnten und in Transkriptionen geringe Fehler vorkommen, lässt sich die Recherche als durchaus repräsentativ bezeichnen.

Selektiver wurde die Forschungsliteratur herangezogen. Insbesondere die tschechischsprachige kommt stellenweise zu kurz, wenn man an die Studie Rudolf Rauschers über die Wahlkapitulationen und Krönungsreverse denkt, oder die Arbeiten zu den Verhandlungen im Vorfeld der Krönung Rudolfs II. 1575 von Ferdinand Hrejsa und Jaroslav Pánek sowie die Behandlung der Königswahl Ferdinands I. durch Josef Janáček. Auch die wissenschaftliche Relevanz der herangezogenen Literatur ist vielfach diskutabel. Wo man beispielsweise einen Verweis auf die Standardwerke aus dem 19. Jahrhundert von Anton Gindely erwarten würde, findet man ein populärwissenschaftliches Buch des Laien Petr Hora-Hořejš zitiert (S. 135), und anstatt der grundlegenden Arbeit von Antonín Rezek über die Königswahl und -Krönung Ferdinands I. arbeitet Berning lieber mit einem auf viel niedrigerem Niveau argumentierenden und Rezek teilweise plagiierenden Aufsatz des Amateurs Oscar Gluth (S. 60–68). Hinzu kommen terminologische Unsicherheiten. So sind etwa die Übertragung des Begriffs Böhmen auf die gesamte Ländergruppe (mit anderen Worten: die Gleichsetzung von regnum und corona) und die Betrachtung der Nebenländer als „Landesteile“ Böhmens kaum plausibel (S. VI, 3f., 65).

Abgesehen von solchen Schwachstellen wirkt die eigentliche Analyse der Krönungen im diachronen Vergleich überzeugend. Berning beleuchtet die Strategie der Habsburger zur Gewährleistung ihrer dynastischen Nachfolge – von der Infragestellung der freien Königswahl, der sich Ferdinand I. 1526 noch unterziehen musste, über Annahmen der Thronfolger zu Königen zu Lebzeiten des Vorgängers bis zur endgültigen Erklärung Böhmens zum Erbkönigreich durch die „Verneuerte Landesordnung“ von 1627. Dabei zeigt sie deutlich, dass die verbreitete Vorstellung, Böhmen sei bis 1627 ein Wahlkönigreich gewesen, irrtümlich ist (S. 68–73, 106, 115, 150) und lediglich einem realpolitisch nicht mehr durchsetzbaren Anspruch der Stände entsprach. Eine Ausnahme bildet natürlich der während des Ständeaufstands 1619 gewählte „Winterkönig“, dessen Herrschaftsantritt Berning ein eigenes Kapitel widmet. Die Festschreibung der erblichen Thronfolge 1627 resultierte nicht nur in einer dezidierten Entwertung der herrschaftsstiftenden Rolle der Krönung, sondern wurde mit der Einführung der Erbhuldigung als einer neuen, am Tag vor dem Krönungsakt stattfindenden Zeremonie abgesichert, die den vertragsmäßigen Charakter der Königserhebung wesentlich abschwächte. Trotzdem verlor die Krönung bei weitem nicht ihre legitimatorische Bedeutung. Das beweisen etwa die Krönungen Karls VI. 1723 und Maria Theresias 1743. Sie dienten der Gewährleistung der dynastischen Kontinuität – allerdings gegenüber Kontrahenten aus anderen Dynastien und weniger gegenüber den böhmischen Ständen. Der enorm gestiegene Grad der Organisation und Reglementierung der Dramaturgie, wie sie sich vor allem bei der Krönung Karls VI. 1723 beobachten lässt, stellt einen weiteren Aspekt eines Wandels dar.

Auf die Frage, inwiefern sich der Funktionswandel der Königskrönung im eigentlichen Krönungszeremoniell niederschlug, bietet Berning aufgrund einer detaillierten Betrachtung einzelner Elemente der Krönungszeremonie sehr differenzierte Antworten. Auf der einen Seite sei der Gesamtrahmen stabil gewesen und nicht einmal politische Brüche hätten zu einem Streben nach radikaler Umgestaltung geführt. Auf der anderen Seite erwies sich das Krönungszeremoniell offen für kleinere Innovationen, die auf aktuelle Gegebenheiten reagierten. So wurde etwa bei der Krönung des „Winterkönigs“ die Funktion des Koronators von evangelischen Geistlichen statt von katholischen Prälaten übernommen, zugleich blieben jedoch Elemente wie die Salbung oder die Allerheiligenlitanei als Teile des Rituals beibehalten. Eine von Berning nicht thematisierte Frage wäre, ob einige der feststellbaren Änderungen gegenüber dem Krönungsordo Karls IV. nicht auf das Römische Pontifikale zurückgehen (vgl. S. 104, 106).

Dass durch die Veränderungen im zeremoniellen Ablauf auch Inhalte symbolisch kommuniziert werden konnten, steht außer Frage. Allerdings sind Überlegungen zu quellenmäßig nur selten nachweisbaren Intentionen der Gefahr der Überinterpretierung ausgesetzt. Die seit dem 17. Jahrhundert übliche Zahl der zwölf Tafeln beim Krönungsbankett, hinter der Berning etwa eine Zahlensymbolik und Angleichung an Jesus mit den zwölf Aposteln vermutet (S. 122, 129), ergab sich indes aus der prosaischen Tatsache, dass es in Böhmen seit 1627 zwölf oberste Landesämter gab. Zudem lassen sich bei anderen Innovationen auch ganz praktische Motive, wie etwa Zeitersparnis (S. 104) nachweisen.

Gelungen ist die Kontrastierung des durch offiziöse Krönungsberichte vermittelten Bildes mit den tagebuchartigen Aufzeichnungen des Prager Erzbischofs Harrach aus den Jahren 1646 und 1656 in einem eigenen Kapitel. Natürlich ist bei Harrach, der selber als Koronator bei Krönungen dreier Könige und zweier Königinnen mitwirkte, keine herrschaftskritische Denkart zu erwarten. Allerdings warnen gerade Harrachs Aufzeichnungen vor einer übereilten Zuschreibung von Bedeutungen jeder Kleinigkeit, indem sie exemplarisch vor Augen führen, was alles bei einer Krönung dem Zufall entspringen bzw. schief gehen konnte: Von der schlampig vorbereiteten Instruktion für die Zeremonie, deren Überarbeitung den Kardinal am Vorabend des Krönungsaktes bis nach der Mitternacht an den Arbeitstisch fesselte, über die Inkompetenz eines Dieners, der mangels Sachkenntnisse kein richtiges Faldistorium besorgte, was den Erzbischof zu einer Ersatzlösung zwang, bis zum Malheur des Prager Oberstburggrafen, dem während des Krönungsaktes, ausgerechnet bevor er dem neuen König den Krönungseid vorlesen sollte, ein Glas aus der Brillenfassung fiel.

Die an sich seriöse Analyse ist nicht ganz frei von Irrtümern. So hat Maximilian II. auf eine Huldigungsreise durch die Nebenländer nicht verzichtet (S. 147). Die aus der älteren Literatur übernommene Vermutung, bereits 1656 habe man das Krönungsbankett in den großräumigen Wladislaw-Saal verlegt (S. 121), geht an die Quellen vorbei (die Verlegung erfolgte erst 1723, was wiederum die pompöse Dramaturgie der Krönung Karls VI. unterstreicht). Im Großen und Ganzen aber vermittelt Berning ein ausgewogenes, dabei facettenreiches Bild der böhmischen Königserhebungen, das einführend und weiterführend all jenen empfohlen sei, die sich mit dem Thema weiter beschäftigen wollen. Auch die übersichtliche Gliederung und optimale Textlänge gehören zu den Stärken dieser gelungenen, nützlichen und wichtigen Studie.

Anmerkung:
1 Zdeněk Vybíral, Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na prahu novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft der böhmischen Länder an der Schwelle der Neuzeit], České Budějovice 2005; Jiří Hrbek, Politický rozměr českých barokních korunovací [Die politische Dimension der böhmischen Barockkrönungen], in: Karel Malý / Ladislav Soukup (Hrsg.), Vývoj české ústavnosti v letech 1618–1918, Praha 2006, S. 192–214; ders., Rituál jazyka – jazyk rituálu. Příspěvek k politické komunikaci raného novověku na příkladu českých barokních korunovací [Ritual der Sprache – Sprache des Rituals. Ein Beitrag zur politischen Kommunikation der Frühen Neuzeit am Beispiel der böhmischen Barockkrönungen], in: Folia historica Bohemica 22 (2006), S. 211–250; Štěpán Vácha, „Mutatio vestis“ v korunovačním ceremoniálu českých králů z rodu Habsburků v 16. až 18. století [Das „Mutatio vestis“ im Krönungszeremoniell der böhmischen Könige aus der Habsburgerdynastie im 16. bis 18. Jahrhundert], in: ebd., S. 251–266; ders., Repräsentations- oder Krönungsornat? (Zum Ursprung und zur Funktion des Zeremoniellgewandes Ferdinands IV. aus dem Jahre 1653), in: Umění 54, 2006, S. 229–239; ders. / Irena Veselá / Vít Vlnas / Petra Vokáčová, Karel VI. & Alžběta Kristýna. Česká korunovace 1723 [Karl VI & Elisabeth Christina. Die böhmische Krönung 1723], Praha-Litomyšl 2009.

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