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Titel
Preußen und China. Eine Geschichte schwieriger Beziehungen


Autor(en)
Eberstein, Bernd
Erschienen
Anzahl Seiten
281 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jürgen G. Nagel, Historisches Institut, FernUniversität Hagen

China ist als welthistorischer Akteur derzeit aktueller denn je. Insofern dürfte es nicht weniger als nahe liegend sein, die Entwicklung einzelner westlicher Kontakte zur östlichen Großmacht unter die Lupe zu nehmen – auch solche, die sich nicht bereits auf den ersten Blick aufdrängen. So verfügen die Fragen des hier anzuzeigenden Buches ebenso über Berechtigung wie Aktualität: Gab es Kontakte des Königreichs Preußens nach China? Welche Gestalt, welche Intensität nahmen diese an? Und umgekehrt: Ist überhaupt ein Interesse Chinas an Preußen festzustellen? Der Hamburger Sinologe Bernd Eberstein scheint, nachdem er bereits die Kontakte der Hansestadt zum Reich der Mitte beleuchtet hat, prädestiniert, solchen Fragen nachzugehen. Das Ergebnis ist "eine Geschichte schwieriger Beziehung", wie der Untertitel des Bandes ankündigt.

Der Autor verfolgt dabei das durchaus ehrgeizige Vorhaben, die gesamte Entwicklung des Königreichs Preußen in den Blick zu nehmen. Entsprechend schlägt er einen weiten Bogen von der Vorgeschichte im brandenburgischen Kurfürstentum bis zum Aufgehen preußischer Außenpolitik im Kaiserreich und beginnt seine Darstellung mit dem Großen Kurfürsten, dessen "kolonialen" Plänen er das erste große Kapitel widmet. Allerdings spielte der Weg nach China in den Bemühungen des Brandenburgers, sich an der Handelsexpansion der großen Seemächte zu beteiligen und sich einen Anteil an den "Commerzien" nach Übersee zu sichern, allenfalls eine sekundäre Rolle. Nachdem die ersten Asienpläne des Großen Kurfürsten, die unter dem Einfluss des niederländischen Admirals Gijsels van Lier entstanden, schon in der Phase des Nachdenkens ihr Leben aushauchten, beschäftigte sich diejenige brandenburgische Handelsgesellschaft, die zu seinen Lebzeiten tatsächlich den Betrieb aufnahm, mit Westafrika und den Handelsbeziehungen, die gewöhnlich als "Atlantischer Dreieckshandel" bezeichnet werden. China blieb in Brandenburg letztendlich nur eine Idee. Insofern steht bereits dieses Kapitel für ein wesentliches Charakteristikum des Buches: Die lange Zeit eher überschaubarer Beziehungen (Brandenburg-)Preußens zum Reich der Mitte werden durch das Heranziehen sämtlicher Absichtserklärungen und Anekdoten auf Buchformat gebracht, was sehr vollständig, aber auch ein wenig beliebig wirkt.

Hierfür stehen auch – in abgeschwächter Form – das zweite und dritte große Kapitel des in formaler Hinsicht eher unsystematisch strukturierten Buches, welche die Preußisch-Asiatische Handelskompanie thematisieren. Bei diesem Projekt, das unter Friedrich dem Großen in Emden, seit 1744 preußisch, ins Leben gerufen wurde, wurden die Beziehung zu China greifbare Realität. Dennoch: Auch in dieser Realität nahm sich das Unternehmen in Ostasien selbst eher bescheiden aus. Die vier Fregatten der Kompanie brachten es zwischen 1751 und 1755 auf insgesamt sechs Fahrten nach China, die Eberstein als Erfolg bewertet, der gute Gewinne einbrachte. Auch eine Erweiterung des Asienhandels um eine Preußisch-Bengalische Handelskompanie ermöglichte nur wenige zusätzliche Fahrten. Mit dem Einmarsch der Franzosen in Emden 1757 endete die Geschichte der Preußischen-Asiatischen Handelskompanie, die 1758 endgültig liquidiert wurde und trotz bald darauf einsetzender Pläne einer "Retablierung" nicht wiederbelebt werden konnte.

Zum eigentlichen Erbe der Kompanie wurde schließlich die 1772 gegründete Preußische Seehandlung, der das folgendes Kapitel gewidmet ist. Für den Außenhandel des Königreichs insgesamt zuständig, erlebte sie während der Präsidentschaft des Geheimen Finanzrates Christian Rother zwischen 1820 und 1848 ihre Glanzzeit, in der auch China wieder eine reale Rolle spielte. Den Möglichkeiten der Zeit entsprechend steuerten die Schiffe 'Prinzessin Louise' und 'Preußischer Adler' im Auftrag der Seehandlung mehrfach den Hafen von Kanton an, der bis zum Opiumkrieg für Europäer den einzige Zugang zu China darstellte. Zwar mag die Zahl der Landungen in China diejenige der friederizianischen Handelskompanie übertreffen und der Zeitraum ihrer Aktivitäten in China länger gewesen sein, doch letztendlich fand sich die Seehandlung in kaum einer anderen Situation wieder als ihre Vorgängerorganisation. Die Chinakontakte blieben auf den Handel beschränkt, der zu dieser Zeit stets nur an der chinesischen Peripherie ansetzen konnte, und dieser spezifische Handel erlangte nie Priorität in den Strategien der maßgeblichen Entscheidungsträger. Folgerichtig verschwand auch die Seehandlung aus den preußischen Chinabeziehungen – wenn auch nicht durch Liquidation, so doch durch Transformation in eine Staatsbank.

Dauerhafte Beziehungen über das Sporadische hinaus wurden erst im späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts geknüpft, und zwar vor dem Hintergrund eines grundlegenden Wandels. Die Konzentration galt nicht länger Handelsunternehmungen, in denen Preußen sowieso nicht konkurrenzfähig war. Das Zeitalter staatlich privilegierter Kompanien war endgültig vorbei; spätestens mit dem ersten Opiumkrieg begann in China das Zeitalter der konkurrierenden Großmächte. Eine wesentliche Veränderung bestand in der staatlichen Schwäche Chinas, begleitet von zumindest partiell steigendem Interesse an Europa, eine zweite in der zunehmenden Stärke Preußens. Dies führte dazu, dass Vorformen diplomatischer Beziehungen etabliert wurden, die preußischerseits mit der Bestellung erster Konsuln in Kanton einher gingen. Diesen wird zunächst ein kleines einführendes Kapitel gewidmet. Deutlich mehr erfährt der Leser über die erste chinesische Gesandtschaftsreise nach Preußen im Jahr 1866, von der gleich zwei publizierte chinesische Berichte vorliegen. Entlang dieser Originalzeugnisse erzählt Eberstein minutiös die Reiseerfahrungen der beteiligten Chinesen, nicht ohne sie in die chinesische Wahrnehmung Europas und Preußens insgesamt einzubetten.

Spätestens jetzt wurde es ernst mit den Beziehungen zwischen Preußen und China. Das vorletzte der großen Kapitel widmet sich danach der Intensivierung dieser Beziehungen, indem es die Mission des Diplomaten Friedrich Albert Graf zu Eulenburg in den Mittelpunkt stellt. Dessen Gesandtschaft brach 1859 von Danzig aus auf und erreichte nach schwierigen Verhandlungen 1861 das erste völkerrechtliche Abkommen zwischen Preußen und China. Dass der Weg dorthin alles andere als einfach war, schildert der Autor in aller Ausführlichkeit und lässt vor dem inneren Auge des Lesers das facettenreiche Bild eines komplizierten Kulturkontakts entstehen.

Ähnlich lebendig fällt schließlich das letztes Kapitel aus, das die Geschichte des Kaufmanns und Konsuls James Milisch erzählt. Dieser war mit seinem Kompagnon auf Taiwan ansässig und tätigte Holzgeschäfte in einem von indigenen Ethnien bewohnten, relativ abgelegenem Gebiet. Durch die Herrschaftsansprüche des Kaiserreichs auf Taiwan und durch die Doppelfunktion Milischs als Kaufmann und preußischer Diplomat wurden diese marginalen Ereignisse auch zu einem Stück preußisch-chinesischer Geschichte – ein Beziehungskonflikt, der gewissermaßen in einer Stellvertreter-Variante ausgefochten wurde. Letztendlich tangierten die Ereignisse die Interessen der beiden Mächte nicht unmittelbar, weswegen sie zwar handeln mussten, es insgesamt jedoch bei einer Episode blieb. Diese Episode steht allerdings am Ende der von Eberstein erzählten preußisch-chinesischen Geschichte, da unmittelbar nach ihr das neugegründete Deutsche Kaiserreich die diplomatischen Beziehungen nach China übernahm, was zumindest in diesem Buch nicht mehr Thema ist.

Gerade in den beiden letzten Kapiteln wird ein zweites Charakteristikum des Werkes deutlich. Auf den annähernd 300 Seiten werden mehrere spannende, gut lesbar geschilderte Geschichten geboten, detailliert und mitunter anekdotenhaft. Dies ist alles interessant, gelegentlich auch vergnüglich zu lesen, doch bleiben manche, zugegebenermaßen akademischen Wünsche offen. Eine konsequentere Einbettung der dargestellten Entwicklungen in ihre zeitgenössischen Zusammenhänge wäre ebenso hilfreich gewesen wie die klare Scheidung anekdotenhafter Details von strukturellen Komponenten, wesentlicher politische Entscheidungen von diplomatischem Geplänkel oder marginaler Nebendarsteller von tatsächlichen Entscheidungsträgern in Handel, Diplomatie und Politik. Letztendlich fehlt die Gewichtung innerhalb der einzelnen Erzählungen und zwischen ihnen, war doch vor dem 19. Jahrhundert vieles eher Wunschdenken als reale Beziehung, waren doch die Aktivitäten Eulenburgs und Milichs kaum gleichrangige historische Prozesse, auch wenn der Aufbau des Buches dies nahe legt.

Solche Anmerkungen sollen die unbestreitbaren Stärken des Buches jedoch nicht verdecken. Schließlich führt der Autor auf seine Weise durch eine in den meisten Facetten wenig bekannte Geschichte deutscher Außenbeziehungen und bietet dabei eine durchaus unterhaltsamer Lektüre – was auch und gerade unter Wissenschaftlern positiv gemeint sein sollte. Auch wenn er auf eine stringente Analyse verzichtet, hat er dennoch eine originelle Sichtweise im eigentlichen Sinne des Wortes im Angebot, da er als Sinologe zahlreiche chinesische Originalquellen – mit dem herausragenden Fall der erwähnten Gesandtschaftsberichte an der Spitze – zu Wort kommen lässt, die einerseits in der deutschen Geschichtsforschung kaum herangezogen werden dürften und andererseits ein wohltuend beidseitiges Bild vermitteln. Am Ende bleibt der Eindruck, dass Bernd Eberstein für sein Buch alles zusammengetragen hat, das sich zur Schilderung preußisch-chinesischer Beziehungen finden lässt – nicht das schlechteste Argument, um über zu wenig Geschlossenheit und Analyse hinwegsehen zu können.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/