K. Volk: The Roman Republic of Letters

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Titel
The Roman Republic of Letters. Scholarship, Philosophy, and Politics in the Age of Cicero and Caesar


Autor(en)
Volk, Katharina
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 379 S.
Preis
$ 28.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nicole Diersen, Alte Geschichte, Universität Osnabrück

Das Ende der römischen Republik, die damit verbundene sogenannte Krise und der daran anschließende Bürgerkrieg Caesars sind ein allseits beliebter Forschungsgegenstand in den Altertumswissenschaften sowohl im deutsch- als auch im englischsprachigen Raum. Vor allem fasziniert die Figur Ciceros, was nicht verwundert bei dem enormen Quellencorpus, das er hinterlassen hat: zahlreiche politische und forensische Reden, rhetorische Abhandlungen, Briefe an Freunde und Familie sowie philosophische Werke. Bei aller Fülle an Material und daraus resultierenden Studien zu den verschiedensten Themenbereichen, die Ciceros Schriften tangieren – Politik, Rhetorik, Philosophie – fehlte es bislang an einer detaillierten Untersuchung, die weder den Politiker Cicero noch den Philosophen Cicero einzeln betrachtet, sondern beide Komponenten miteinander vereint.

Dies ist erstmalig Katharina Volk mit ihrem Werk The Roman Republic of Letters gelungen. Ihr Ziel war es, ein Bild der ausgehenden römischen Republik und der damit verbundenen politischen Auseinandersetzungen aus ideengeschichtlicher Perspektive zu zeichnen. So habe es nicht nur den Krieg unter den politischen Parteiungen während des Bürgerkrieges in den späten 40er-Jahren gegeben, sondern auch die in der Forschung bislang nicht beachtete Auseinandersetzung unter römischen Gelehrten. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass anders als in Griechenland, auf dessen philosophische Gedanken die römische Philosophie fußt, römische Gelehrte und römische Politiker nicht in getrennten Figuren anzutreffen waren, sondern eine Person zugleich in beiden Bereichen tätig war – die Römer waren Pragmatiker; sie machten sich in ihrem Pragmatismus das griechische Gedankengut für politische Zwecke zu eigen; umgekehrt flossen Aspekte der Politik stets in die in Mußezeiten (otium) entwickelten philosophischen Werke (studia) ein. Man kann folglich von gelehrter Politik (learned politics) sprechen. Volk betrachtet in ihrer Studie genau diese philosophische Auseinandersetzung unter den gelehrten Politikern. Hierbei denkt sie die politische Ebene stets mit und fragt nach der gegenseitigen Beeinflussung von Politik und Philosophie.

Volks Vorhaben besteht darin, Narrative des Bürgerkrieges und philosophische Denkrichtungen zu kombinieren. Sie prüft, welche Rolle Philosophie im Leben und der Karriere eines römischen Politikers spielt und geht sie vor allem auf intellektuelle Praktiken ein. Dabei betont Volk, dass sie sich weder auf moderne Diskurstheorie (Foucault) noch auf Praxeologie (Bourdieu) stütze. Stattdessen zielt sie darauf ab, Individuen sowie deren Intentionen zu betrachten. Bei diesem Vorgehen ist fraglich, inwieweit sich das Agieren von Individuum von der Gemeinschaft trennen lässt. Demgegenüber betonen poststrukturalistische Ansätze, dass beide Komponenten gegenseitig aufeinander einwirken und in Abhängigkeit zu einander stehen. Nichtsdestoweniger lassen sich in der Studie immer wieder Grundzüge von diskursanalytischen sowie praxeologischen Ansätzen erkennen. Alles in allem ist es Volk dennoch hervorragend gelungen, Individuen in den Blick zu nehmen. Sie hat die gesellschaftliche Perspektive geschickt – oder besser bewusst – ausgeblendet, ohne dass die Studie darunter leidet.

Volks versucht daher ihre Argumentationen ohne Einbindung von modernen Theorien auf der Grundlage antiker Begriffe zu führen. Dabei orientiert sie sich an dem antiken, überwiegend zeitgenössischen Quellenmaterial, dessen Inhalte sie stets präsent hat und sie treffend sowie scharfsinnig miteinander verknüpft, ohne dabei den kritischen Blick zu verlieren. So kann auch sie sich lediglich auf die einseitige, von Cicero dominierte Sichtweise der Quellen stützen, versucht aber gleichzeitig sich von dieser Perspektive zu lösen, indem sie etwa beim Briefmaterial mögliche Aussagen der Briefpartner aus Ciceros Antwortschreiben rekonstruiert; Ähnliches gilt für die philosophischen Schriften. Dadurch rekonstruiert Volk, trotz des bekannten Quellenproblems, ein Bild, das so noch nicht gezeichnet wurde. Mit exzellenten Quellenbelegen und anschaulichen, überzeugenden Beispielen sowie unter Hinzunahme der aktuellen Forschungsdebatten leitet sie nahtlos und verständlich von einer Beweisführung in die nächste über. Diese Vorgehensweise macht ihre Argumentation plausibel und nachvollziehbar – eine wirkliche Freude für den Geist.

Die in der knapp, aber verständlich und präzise gehaltenen Einleitung (Kapitel 1) angekündigten Punkte diskutiert Volk in ihrer sechs Kapitel umfassenden Analyse. Dabei geht Volk sehr stringent vor; ein Kapitel ergibt sich aus dem anderen. Außerdem nimmt sie stets Rückbezug auf ihr methodisches Vorgehen. In Kapitel 2 („Res publica of Letters“) bespricht Volk grundlegende Strukturen und die Bedingungen für eine intellektuelle Tätigkeit (intellectual activity) der Protagonisten in der römischen Republik; wie diese darüber dachten, sprachen und schrieben. In einer Res publica of Letters, angelehnt an die sogenannte „Republic of Letters“ (res publica litterarum) der Renaissance, seien die gleichen Männer, die das politische System machten, auch wissenschaftlich tätig gewesen und hielten die Elite zusammen (anti-griechischer Bias). In einer anspruchsvollen Zeit der Gelehrsamkeit, wie schon Cicero seine eigene Zeit darstellt, stehen die Phänomene studia (intellektuelle Tätigkeit; Lesen und Schreiben) und societas studiorum (Gesellschaft der Gelehrten) im Vordergrund. Besonders hier fällt positiv auf, dass Volk sich in das Quellenmaterial sowie in die zeitgenössischen Begriffe hineindenkt und mit ihnen arbeitet, anstatt moderne Begriffe oder Konzepte als Folie auf die Quellen zu legen.

Daran anschließend (Kapitel 3: „engaged Philosophy“) fragt Volk nach der Integration der Philosophie in das private sowie öffentliche Leben. Hier unterscheidet sie zwei Aspekte: (1.) die Anwendung von philosophischen Lehren auf politisches Handeln sowie (2.) die Verwendung des Philosophischen selbst als politisches Handeln. Dabei betont sie die gegenseitige Einflussnahme des philosophischen Denkens und der Politik am Beispiel von Cato, Cicero und den Epikureern. Gerade mit Cato liefert Volk ein Beispiel, bei dem ihr methodisches Vorgehen an seine Grenzen stößt. Zwar betrachtet sie Cato gemäß ihrem Vorhaben als Individuum, doch stellt sich die Frage, was Cato zu Cato macht, wie sie selbst zu verstehen gibt, wenn sie schreibt, „Cato was highly accomplished at playing Cato“ (S. 69). Denn die Gesellschaft wirkt auf ihn ein und er verhält sich erst in Interaktion mit anderen als Reaktion auf vorgelagerte Handlungen erwartungsgemäß. Volk schließt mit dem Ergebnis, dass die Philosophie nicht die römische Politik unterstütze, sondern römische Politiker, die wiederum die Politik prägten.

Die gegenseitige Einflussnahme zeigt sich besonders deutlich in der politisch angespannten Zeit nach der Schlacht bei Pharsalus im Jahr 48 v.Chr. (Kapitel 4: „Philosophy after Pharsalus“). Bemerkenswert ist auch hier, dass sie im Gegensatz zur bisherigen Forschung, in der vornehmlich politische Ereignisse betrachtet werden, die philosophischen Aspekte der Bürgerkriegsereignisse in den Vordergrund stellt; sie holt den Bürgerkrieg auf eine intellektuelle Ebene – eben einen Akademiekrieg, wie man es auch nennen könnte. Volk arbeitet vornehmlich aus Ciceros Briefen heraus, dass sich die Anhänger des Pompeius nach der Niederlage bei Pharsalos gegenseitig Trost zusprachen – sie nennt das eine „Gruppen-Therapie“. In diesem Zusammenhang fragt Volk nach einer freien Meinungsäußerung unter Caesar und inwiefern Cicero in seinen Schriften versteckte Kritik an Caesar und seinem Regierungsstil äußert. Diese häufig vertretene Auffassung revidiert sie. Denn: Trotz der Differenzen zwischen Caesar und Cicero bleiben die beiden Männer freundlich und fair zueinander („a fair amount of libertas dicendi“, S. 18). Die Kommunikation zwischen Cicero und Caesar zeuge von einer kritischen, aber harmonischen philosophischen Diskussion; dennoch habe es eine „Caesar-freie Zone“ gegeben (S. 156). Ciceros sooft als Rückzug aus der Politik interpretierte Beschäftigung mit der Philosophie deutet Volk anders, nämlich als alternative Form der Politik. Politik wurde mit anderen Mitteln betrieben – „Politics by other means“ –, wobei ein pädagogischer Ansatz sowie eine Weiterbetreibung der Politik in den Schriften nicht zu leugnen seien.

Im Anschluss weitet Volk ihre Zeithorizont aus (Kapitel 5: „The Invention of Rome“). Sie zeichnet von der Gründungssage Roms ausgehend nach, wie historische und sprachliche Identität und damit zusammenhängende Narrative entstehen. Auch der Gebrauch von korrektem Latein (Latinitas) sei ein wichtiger Identitätsmarker, der nicht aus dem Nichts gekommen sei, sondern sich bis in die späte Republik hinein immer noch weiterentwickle. Durch die Verwendung von Sprache – vor allem in der Elite Roms – werde den zeitgenössischen Adressaten der Charakter einer Person offengelegt (S. 223). Daran anschließend blickt Volk auf die gesamte römische Welt – den Kosmos – aus der Vogelperspektive (Kapitel 6: „Coopting the Cosmos“). Sie beschäftigt sich mit den mythologischen wie religiösen Einstellungen der Römer, die nicht zuletzt mit der Philosophie und somit mit der Politik verwoben sind. So habe etwa Caesar selbst das aufsteigende Feld der Astrologie für sich beansprucht – die Astrologie sei ein gutes Beispiel für die Verbindung zwischen Wissenschaft und politischer Entwicklung. In ihrer Darstellung über Ciceros kultische Haltung vor, während und nach der Catalinarischen Verschwörung erörtert Volk, welche (Vor-)Zeichen abhängig von einer politischen Zielrichtung zu deuten gewesen seien. In all diesen Beispielen macht Volk den Zusammenhang zwischen Mythologie, Religion, Philosophie und Politik mehr als deutlich.

Volk schließt ihre Studie mit dem Ergebnis, dass die unruhigen Zeiten der späten römischen Republik stark von der Philosophie geprägt waren, die Unruhen aber zugleich als Katalysator für die Entwicklung einer intellektuellen Sphäre dienten. Alles in allem kann Volk der Leserschaft eine politische Kultur Roms klar vor Augen führen, die nicht nur von bewaffneten kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt, sondern von einem hohen intellektuellen Wert gekennzeichnet ist. Die Individuen mit ihrer studia, ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in Mußestunden, betrieben politische Philosophie und philosophische Politik. Besonders der ideengeschichtliche Ansatz, die Akteure der späten römischen Republik aus einem anderen Blickwinkel als der Politik zu betrachten, ist Volk sehr gut gelungen. Sie legt damit ein Werk vor, das nicht nur für Philolog:innen und Philosoph:innen, sondern auch für Historiker:innen unentbehrlich sein wird.

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