P. Thaler (Hrsg.): Like Snow in the Sun?

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Titel
Like Snow in the Sun?. The German Minority in Denmark in Historical Perspective


Herausgeber
Thaler, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 231 S.
Preis
€ 114,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Göllnitz, Institut für Hessische Landesgeschichte, Philipps-Universität Marburg

Mit „Like Snow in the Sun?“, herausgegeben von dem dänischen Historiker Peter Thaler, liegt nun erstmals ein Übersichtswerk zur Geschichte der deutschen Minderheit in Dänemark vor. Die titelgebende, von dem Schleswig-Sachverständigen Hans Victor Clausen im Jahr 1918 geäußerte Prognose, die deutsche Bevölkerung in Dänemark werde nach dem Anschluss Südjütlands an das dänische Königreich „wie der Schnee in der Sonne“ (im dänischen Original heißt es allerdings: „som dug for solen“) verschwinden, hat sich indes nicht erfüllt.1 Obgleich die deutsche Minderheit in Dänemark nie auch nur annähernd die kulturelle Bedeutung oder den Mitgliederumfang wie ihr dänisches Äquivalent in Schleswig-Holstein besessen hat, sind die sogenannten Nordschleswiger ein zentraler kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bestandteil Süddänemarks.

Schon deshalb ist es verwunderlich, dass sich die Geschichtswissenschaft bislang kaum mit der Geschichte der deutschen Minderheit in dem skandinavischen Staat befasst hat – ganz im Gegenteil zur dänischen Minderheit in Deutschland, die als ausgesprochen gut erforscht gelten kann, nicht zuletzt durch die zahlreichen Studien, die regelmäßig im Umfeld der Dänischen Zentralbibliothek für Südschleswig e.V. in Flensburg entstehen. Auch die Mehrzahl jener spärlichen Arbeiten, die der Geschichte der deutschen Minderheit in Dänemark gewidmet sind, entstammt der Feder dänischer Historiker:innen. Hier besteht besonders für die deutsche, allen voran die schleswig-holsteinische Landes- und Regionalgeschichte also noch erheblicher Nachholbedarf.

Dies gilt umso mehr, als Peter Thaler mit seinem Sammelband keineswegs bestehende Forschungslücken schließen möchte. Im Vordergrund steht eine umfassende Beschreibung der deutschen Gesellschaft in Nordschleswig, ihrer Beziehung zum dänischen Nationalstaat und dessen Wahrnehmung. Wer mit der Thematik bereits gut vertraut ist, wird bei der Lektüre folglich kaum Neues entdecken. Die insgesamt acht historischen, ethnographischen und sprachwissenschaftlichen Beiträge besitzen vor allem Überblickscharakter und richten sich vornehmlich an Wissenschaftler:innen, Studierende und andere Leser:innen, die kein fundiertes Vorwissen über die Geschichte der deutsch-dänischen Grenzregion und der in ihr lebenden Minderheiten besitzen. Eingerahmt werden die Aufsätze von einer Einleitung und einer Zusammenfassung, in der Thaler jeweils die wichtigsten Eckpunkte der deutsch-dänischen und schleswig-holsteinischen Geschichte in geraffter Form skizziert. Das ist besonders für jene Leser:innen hilfreich, denen die komplexen historischen Hintergründe gar nicht oder nur am Rande bekannt sind.

Den Auftakt bildet eine Reihe chronologischer Übersichtsartikel, in denen etappenweise die Entstehung und Geschichte der Minderheit zwischen den 1840er-Jahren und heute dargestellt wird. Hans Schultz Hansen widmet sich basierend auf eigenen Forschungsarbeiten dem Zeitraum von 1840 bis 1914 und zeichnet vor allem die sich allmählich herausbildenden Strukturen der späteren deutschen Minderheit nach. Hieran anknüpfend untersucht der amerikanische Historiker Ryan E. Gesme die Herausbildung regionaler Identitäten in Schleswig vor und im Ersten Weltkrieg. Anhand der beiden Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzraum wird die Bedeutung von Propaganda und Kriegsmobilisierung für umstrittene Grenzregionen deutlich. Für Gesme war allen voran Woodrow Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Völker dafür verantwortlich, dass sich nach 1918 keine spezifisch schleswigsche Identität bildete, sondern die in der Grenzregion lebenden Menschen zwischen einer deutschen und einer dänischen Identität wählen mussten. Eine inhaltliche Klärung dieses nicht unumstrittenen Begriffs bleibt indes aus.

Die Folgen des Ersten Weltkrieges aufgreifend, thematisiert Henrik Becker-Christensen die Reorganisation der deutschen Gemeinschaft in Dänemark während der Zwischenkriegszeit. Wie an den übrigen Grenzverläufen des Deutschen Reiches tobte auch in Schleswig-Holstein ein erbitterter Grenzkampf, der eine Revision der 1920 gezogenen deutsch-dänischen Grenze zum Ziel hatte. Der zunehmend nationalistisch aufgeladene Raumdiskurs („Lebensraum“, „Volk ohne Raum“) mit seinen völkischen, weniger juristisch-politischen Legitimationsansprüchen fand auch in Nordschleswig einen zentralen Nährboden. Nach 1933 sympathisierten weite Teile der deutschen Minderheit in Dänemark vor allem deshalb mit dem Nationalsozialismus, weil sich die Außenpolitik der NSDAP mit den eigenen Zielen deckte: der Revision der Grenzen des Versailler Friedensvertrages.

Im Mittelpunkt des Beitrages von Anika Seemann steht der Wandel des Verhältnisses zwischen der deutschen Minderheit und dem dänischen Nationalstaat infolge der deutschen Besatzungsherrschaft. Zwischen 1940 und 1945 verschlechterte sich die Beziehung zwischen der deutschen Minderheit und der dänischen Mehrheitsbevölkerung in erheblichem Maße. Seemann, die sich hier weitgehend auf ältere Literatur stützt, verkennt in ihrer Argumentation leider, wie tief die Kluft zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen nach 1945 tatsächlich war und wie drastisch sich dies auf das Alltagsleben der Nordschleswiger auswirkte. Auch die Darstellung zur Ambivalenz von nationaler vs. nationalsozialistischer Identifikation innerhalb der deutschen Minderheit kann nicht vollends überzeugen (S. 93–95).

Mit den Folgen der dänischen „Rechtsabrechnung“ (Retsopgøret) in Südjütland in der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie der Reorganisation der deutschen Minderheit nach 1945 befasst sich der ehemalige Leiter des deutschen Minderheitenarchivs in Aabenraa Frank Lubowitz. Nach Lubowitz handelte es sich um einen schwierigen Balanceakt für die Minderheitenführung, die mit den Wünschen, Forderungen und Erwartungen der eigenen Mitglieder auf der einen Seite und den Herausforderungen des Herbergsstaates auf der anderen Seite konfrontiert war. Vor allem die Gründung der Bundesrepublik Deutschland sowie die deutsch-dänischen Gespräche im Vorfeld des NATO-Beitritts der BRD 1955 trugen zur Entspannung und schließlich zur Anerkennung der Minderheiten beiderseits der Grenze bei, die in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen schließlich offiziell bestätigt wurden.

In seinem Beitrag zu Schule, Sprache und Identität in den 1980er-Jahren macht der britische Linguist Michael Byram deutlich, dass die gesprochene Sprache innerhalb der deutschen Minderheitenjugend je nach sozialem Umfeld variierte. Seine Erkenntnisse stützen sich auf eine von ihm verfasste Studie aus den frühen 1980er-Jahren, in der er allerdings nur 29 Schulabgänger der deutschen Schule in Tinglev zu Sprache und Identität befragt hatte. Während zuhause und im engeren Freundeskreis vornehmlich der regionale Dialekt Sønderjysk (Südjütisch) vorherrschte, sprach man in der Schule und anderen sozialen Kontexten zumeist Hochdeutsch; Rigsdansk (Reichsdänisch) hingegen blieb fast ausschließlich auf den Dänisch-Unterricht in der Schule beschränkt.

Die Beziehung zwischen deutscher Minderheit und dänischer Mehrheitsbevölkerung in den letzten 25 Jahren (1995–2020), die trotz kleinerer Konflikte als friedliches Miteinander beschrieben werden kann, thematisiert anschließend Jørgen Kühl. Kühl skizziert vor allem die jüngste politische, sprachliche und identitätspolitische Entwicklung der Nordschleswiger und macht dabei verschiedene Forschungsdesiderate sichtbar. Das komplexe und interessenreiche Verhältnis von Sprache und Minderheitenidentität greift der schottische Wissenschaftler Ruairidh Tarvet im letzten inhaltlichen Beitrag auf, der sich auf seine 2021 erschienene Dissertation stützt, deren Basis eine quantitativ angelegte Online-Fragebogenuntersuchung ist.2 Insgesamt 208 Respondent:innen hatten an dieser teilgenommen, davon aber nur 32 aus der deutschen Minderheit. Die für seinen Beitrag gezogenen Schlüsse hinsichtlich sprachlicher Identität sind durchaus überzeugend, aber nicht unbedingt überraschend, zumal man gewiss Vorbehalte in Bezug auf die Repräsentativität der statistischen Daten haben kann. Nach Tarvet würden die jüngeren Mitglieder der deutschen Minderheit zunehmend Rigsdansk zulasten des regional verbreiteten sønderjysken Dialekts sprechen, was mit Blick auf seine Umfrage aber insofern überrascht, weil dort nur nach „Deutsch“ und „Dänisch“, nicht aber nach Sønderjysk gefragt wurde.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Sammelband einen guten Überblick zur Geschichte der deutschen Minderheit in Dänemark gibt und damit die Intentionen der Publikation erfüllt. Für all jene Leser:innen, die mit der Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig beziehungsweise der deutsch-dänischen Minderheitenpolitik (die bisweilen als Vorbild für ganz Europa gewürdigt wird) bislang nicht vertraut sind, hält der Band darüber hinaus zahlreiche spannende Einblicke bereit. Allen anderen bietet der von Thaler herausgegebene Sammelband immerhin gut lesbare Überblicksartikel, die den bisherigen Forschungsstand bündeln.

Anmerkungen:
1 Hans Victor Clausen, Før afgørelsen, Kopenhagen 1918, S. 33. Die dänische Phrase „som dug for solen“ meint eigentlich „wie der Tau in der Sonne“.
2 Ruairidh Thomas Tarvet, Re-Imagining Sleswig. Language and Identity in the German-Danish Borderlands. Understanding the Regional, National and Transnational Dimensions of Minority Identity, Odense 2021.