S. F. Derbew: Untangling blackness in Greek antiquity

Cover
Titel
Untangling blackness in Greek antiquity.


Autor(en)
Derbew, Sarah F.
Erschienen
Anzahl Seiten
253 S.
Preis
£ 29.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Scherr, Abteilung Alte Geschichte, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Die Autorin der zu besprechenden Studie, Sarah F. Derbew (im Folgenden: D.), hat es sich zur Aufgabe gemacht, „Blackness in Greek Antiquity“ zu „entwirren“, wozu sie einleitend „the literary and artistic representations of black people in ancient Greece“ auszuwerten ankündigt (S. 1). Diesem umfassend formulierten Anspruch entspricht der dabei behandelte Zeitraum, der sich vom 5. Jh. v.u.Z. bis ins 4. Jh. u.Z. erstreckt (ebd.). Ein klarer Hinweis auf den de facto rein exemplarischen Charakter des Werkes unterbleibt leider. Vor dem Hintergrund des geringen Umfangs desselben von nur 192 Seiten im Textteil entsteht so von Beginn an der Eindruck, D. verspreche möglicherweise zu viel. Dazu trägt auch der Klappentext bei, der vollmundig eine „wichtige, zeitgemäße und autoritative(!)“ Darstellung dazu verspricht, wie „articulations of blackness“ aus der Zeitspanne zwischen dem 5. Jh. v.u.Z. und der Gegenwart „should [...] be properly read and interpreted.“

Die Einleitung ist theorielastig und in Relation zum Gesamtumfang des Buchs sehr lang (S. 1–28). Als zentrale Werkzeuge benennt D. dort Anleihen aus der critical race theory sowie den performance studies, denen D. ebenso wie dem von ihr verwendeten Vokabular große Aufmerksamkeit widmet.

Das Kapitel „Masks of Blackness: Reading the Iconography of Black People in Ancient Greece“ bietet eine Studie zu athenischen Kopfgefäßen vorwiegend des 5. Jhs. v.u.Z., bei denen auf gegenüberliegenden Seiten ein hell- und ein dunkelhäutiges Antlitz zu sehen sind (S. 29–65). Sie stellt heraus, dass moderne Deutungen letzterer Darstellungen als pejorativ durch Quellen weitgehend unbegründet und stark rezipientenabhängig sind. Vielmehr handle es sich um ein Spiel mit Exotismus und Alterität, bei dem im Moment des Trinkens aus Sicht der Beiwohnenden der Kopf des Trinkers regelrecht ausgetauscht worden sei. Anschließend wendet sich D. modernen Präsentationen solcher Stücke in Museen zu. Hier kann sie überzeugend darlegen, dass dabei nicht selten auch heute noch mit Deutungen und Vorstellungen gearbeitet wird, die wenigstens unterschwellig von kolonialem und rassistischem Denken geprägt sind. Dass es auch anders geht, stellt sie anhand anderer exemplarisch diskutierter musealer Darstellungen ebenfalls heraus.

In Kapitel drei befasst sich D. mit Aischylos‘ Hiketiden („Masks of Difference in Aeschylus’s Suppliants“, S. 66–97). In ihrer Behandlung des Stückes hebt sie stark die hybride Identität der Danaiden hervor, die dunkelhäutig sind und am Anfang der Handlung aus Ägypten aufbrechen, später aber wegen ihrer argivischen Abstammung in Argos Zuflucht finden. Aischylos lade damit sein Publikum ein, sein Verständnis der Zusammenhänge von geographischer und genealogischer Herkunft sowie Hautfarbe kritisch zu hinterfragen. Das ist nicht völlig neu1, aber gerade in D.s klarer Ansprache durchaus ansprechend.

Kapitel vier ist Herodot und seinen Ausführungen zu Aithiopia gewidmet („Beyond Blackness: Reorienting Greek Geography“, S. 98–128). Zurecht betont sie, dass für Herodots Schilderung der Aithiopen deren dunkle Hautfarbe nur eines unter vielen Charakteristika darstellt, anhand derer Differenz herausgearbeitet wird. Daneben stellt sie die große Wichtigkeit Aithiopias für Herodots Gesamtnarrativ heraus, woraus sie schließlich den Vorschlag einer „reorientation of Herodotus’s map of the ancient Greek world“ ableitet (S. 122f.): „At the center, I place Aithiopia [...].” Das ist zwar anregend, führt jedoch nicht wirklich zu neuer Erkenntnis.2

Lukian und seine Inszenierungen von Fremdheit stehen im Zentrum von Kapitel fünf („From Greek Scythians to Black Greeks: A Spectrum of Foreignness in Lucian’s Satires“; S. 129–157). Das bietet sich an; es hat aber in den meisten Fällen mit „Blackness“ bestenfalls indirekt zu tun. Die wenigen Passagen aus Lukians Werk, in denen dunkle Hautfarbe eine Rolle spielt – insbesondere Luk. Hermot. 31 –, deutet D. dabei produktiv aus. Daneben zwingt sie aber auch Stellen in ihr Raster, die dort nur bedingt hineinpassen, so etwa Luk. Anach. 29, wo bleiche Athener, die stets im Schatten verweilen, solchen gegenübergestellt werden, die braun von Schlamm und Staub sind. Zum Anliegen der Arbeit als ganzer trägt dieses Kapitel daher wenig bei.

Das letzte Hauptkapitel sechs: „Black Disguises in an Aithiopian Novel“ (S. 158–186) führt in die Spätantike. Darin behandelt D. den Roman „Aithiopika“ des Heliodoros aus Emesa (4. Jh. u.Z.?), den sie zur Vermeidung einer hellenozentrischen Perspektive durchweg als „Aithiopian novel written in Greek“ anspricht. Im Werk geht es um die Liebesgeschichte der mit weißer Haut geborenen aithiopischen Prinzessin Charikleia und des Thessaliers Theagenes, die von Meroë bis Delphi und zurückführt. Das darin enthaltene ostentative Spiel mit der Thematik der Hautfarbe deutet D. ausführlich und gewinnbringend aus. Neben der Diskussion der „Masks of Blackness“ (s.o.) handelt es sich hier sicherlich um das stärkste Kapitel.

Die „Conclusion“ (S. 187–192) fällt mit etwas mehr als fünf Seiten recht kurz aus. Eine Zusammenfassung des Buchinhalts nimmt dabei kaum die erste ein, woraufhin D. ihre Absicht beim Schreiben des Buches kundtut, nämlich „to confront the messy category of skin color in its own context without precluding transhistorical dialogue.“ (S. 187) Den Rest dieses formalen „chapter 7“ bestreitet D. denn auch mit der Interpretation neuzeitlicher Gedichte, die „Blackness“ thematisieren. Beschlossen wird die Arbeit durch zwei tabellarische Appendices zum ersten Hauptkapitel, die Bibliographie und einen allgemeinen Index.

Solche Digressionen zu literarischen Erzeugnissen der Neuzeit, durch deren Beiziehung D. sich ein gesteigertes Verständnis der antiken Verhältnisse erhofft, ziehen sich durch das Buch und nehmen viel Platz ein (S. 66, 96f., 123–128, 155–157, 161f., 184–186, 188–192). Bisweilen gelingt es ihr damit tatsächlich, die Aufmerksamkeit des Lesers auf bestimmte Aspekte ihrer antiken Quellen zu lenken, doch weit überwiegend sind diese Exkurse methodisch eher fragwürdig und sachlich letztlich überflüssig. Hinsichtlich der Aufgabe des „Entangling Blackness in Greek Antiquity“ ist es daher bedauernswert, dass dieser nicht unerhebliche Aufwand nicht darauf verwandt worden ist, antike Signifikanz dunkler Hautfarbe weiter verstehbar zu machen. Denn D.s Schlaglichter sind zu insulär, als dass am Ende irgendeine verallgemeinerbare Erkenntnis stehen könnte.

Problematisch sind daneben die immer wieder auftauchenden „handwerklichen“ Fehler, besonders im Umgang mit Textquellen. Als Beispiel dafür sei die erste Fußnote des Kapitels zu Aischylos‘ Hiketiden bezüglich der Datierung des Stückes herangezogen. Über das dafür relevante Papyrusfragment P.Oxy 2256.3 schreibt D., dass „it lists Aeschylus’s tetralogy alongside ‚Archedemus‘, the archon of Athens from 464–63 BCE: ‚in the time of Archedemus ... when Aeschylus [won first prize] with the Danaids and Amomyne, Sophocles was in second place‘, fr. 1–4).“ Der athenische Archon hieß aber nicht Archedemos, sondern Archedemides3; die Danaide heißt Amymone, nicht Amomyne (wie D. sie auch im Folgenden weiter nennt); dass Aischylos „won the first prize“, muss keineswegs ergänzt werden, sondern steht im ebenfalls zitierten griechischen Text; es handelt sich nicht um „fr[agment]“ 1 bis 4 des Papyrus, sondern stattdessen um Zeile 1 bis 4 von Fragment 3; die Wiedergabe des Zeugnisses unter Auslassung der Unterpunkte und eines der Zeilenwechsel ist zumindest ungewöhnlich. Man fragt sich unwillkürlich, wie präzise D. den (ausdrücklich selbst übersetzten!) griechischen Text bearbeitet hat.

Alles in allem hätte sich der Rezensent sehr gewünscht, dass die hohen Erwartungen, die der Klappentext und die ausgefeilte Einleitung des Buches geweckt hatten, befriedigt werden würden. Das gesellschaftlich äußerst wichtige Thema hätte es verdient. Das war aber nicht bzw. nur in sehr eingeschränktem Maß der Fall. Es ist ein wichtiges und engagiert geschriebenes Buch, und nach Ansicht des Rezensenten in manchen Teilen ein gutes. Aber es ist leider weder so wichtig noch so gut, wie es das hätte sein können und wie es zu sein selbst verspricht.

Anmerkungen:
1 Instruktive Bemerkungen finden sich etwa schon in der kommentierten Ausgabe von H. F. Johansen / E. W. Whittle, Aeschylus: The Suppliants. 3 Bde., Copenhagen 1970–1980, S. II 5, 68, 128f., 180, 225f. und III 103. D. zieht diese indes nicht heran, wie überhaupt ihre Bibliographie relativ wenige altertumswissenschaftliche Titel aufweist, dafür viele aus der critical race theory, der modernen Dichtung und Literaturwissenschaft.
2 Dass Herodots Darstellung keineswegs rein hellenozentrisch zu verstehen ist, gehört ja bereits zum Repertoire antiker Exegese; siehe nur die Bemerkungen zu Herodot als „Barbarenfreund“ in Plutarchs „De malignitate Herodoti“ (=Mor. 854e–874c).
3 Siehe etwa W. Eder / J. Renger, DNP Suppl. I, 149 (Nr. 90); der Name geht aber auch bereits aus der von D. angegebenen Textergänzung hervor.

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