Adrianna Szczerbas Buch, dessen Titel sich mit „Die Leitungsstelle für Forschungen zu den Anfängen des Polnischen Staates (1949–1952). Entstehung, Tätigkeit, Bedeutung“ übersetzen lässt, widmet sich den „Millenniumsforschungen“ der frühen Nachkriegszeit. Dieses Großprojekt der polnischen Frühmittelalterforschung verfolgte das Ziel, in archäologisch-mediävistischer Zusammenarbeit die Anfänge der ersten überlieferten politischen Organisation auf dem Gebiet Polens zu untersuchen. Im Mittelpunkt stand der Beginn der Herrschaft der Piastendynastie im 10. Jahrhundert, der in den 1960er-Jahren als tausendjähriges Jubiläum des polnischen Staates und seiner Christianisierung von Regierung und Kirche zelebriert wurde. Mit außergewöhnlich großzügiger Finanzierung durch das Ministerium für Kunst und Kultur sollten im Vorfeld des Millenniums frühmittelalterliche Befestigungen als Zentren herrschaftlicher und militärischer Macht archäologisch untersucht werden, um das aus den spärlichen Schriftquellen nur fragmentarisch erschlossene Bild zu ergänzen. Die archäologie- und historiographiegeschichtliche Bedeutung dieses Forschungsprogramms ist nicht zu unterschätzen. Sie ermöglichte ein zuvor wie danach nie erreichtes Ausmaß archäologischer Feldstudien. Ohne die hierbei gewonnenen Erfahrungen, so die Autorin, sei die heutige polnische Archäologie nur schwer vorstellbar (S. 7f.). Konzeption und Realisierung dieser Untersuchungen oblagen der titelgebenden „Kierownictwo Badań nad Początkami Państwa Polskiego“ (KBnPPP) und waren von den Geschichtspolitiken des 20. Jahrhunderts ebenso geprägt wie den konfliktbeladenen deutsch-polnischen Beziehungen und Grenzstreitigkeiten. Damit greift die Arbeit ein wichtiges Thema auf, das in der Forschung außerhalb Polens noch zu wenig Beachtung gefunden hat. Die vorliegende Studie stellt die erste monographische Bearbeitung der Millenniumsforschungen dar.
Aus den sehr knappen Ausführungen zum Ziel und zur Methodik wird deutlich, dass es Szczerba insbesondere um eine Synthese der Ergebnisse des archäologischen Großvorhabens geht, obwohl der Untertitel einen größeren Rahmen verspricht. Als „Arbeitsmethode und Quellenbasis“ werden in zwei Sätzen eine „Quelleninhaltsanalyse und kritische Diskursanalyse“ benannt, ohne das Vorgehen näher zu erläutern (S. 11). Die sieben folgenden Kapitel widmen sich der Vorgeschichte der Millenniumsforschungen und der KBnPPP (Kapitel I und II), dem Programm, der Struktur und Finanzierung des Forschungsvorhabens (III und IV) sowie schließlich den durchgeführten archäologischen und interdisziplinären Tätigkeiten (VI und VII). Der Umfang des Kapitels VI zur archäologischen Tätigkeit, das mit 184 Seiten mehr als zwei Drittel des Buches einnimmt, lässt bereits die archäologiezentrierte Perspektive der Studie erkennen.
Kapitel I bietet einen sehr informativen Überblick über die Kontroversen um die Ursprünge Polens in der älteren polnischen Geschichtsschreibung, von fantastisch-mythischen Spekulationen seit dem Ausgang des Mittelalters, über die Blütezeit des Sarmatismus in der Frühen Neuzeit bis zu den nationalromantisch geprägten Anfängen systematischer Geschichtsschreibung während der Teilungszeit. Anschließend nimmt Szczerba den für das Verständnis der Millenniumsforschungen wichtigen Zeitraum von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg in den Blick. Sie geht dabei ausführlich auf die deutsch-polnischen Geschichtsdebatten ein, etwa über die deutsche Auffassung, die frühen Piasten seien eine normannische Herrscherelite über einer slawischen Unterschicht gewesen, und auf die heftigen Polemiken um die ethnische Zuordnung der prähistorischen Lausitzer Kultur. Ohne die Bedeutung der deutschen Propaganda und die Rolle von Archäolog:innen und Historiker:innen negieren zu wollen, ist hier die etwas einseitige Darstellung zu bedauern, denn auch auf polnischer Seite wurde mit nationalistischer Verve polemisiert. Ein Grund für diese Unausgewogenheit könnte darin liegen, dass Szczerba nahezu ganz ohne die Berücksichtigung deutscher Forschungsbeiträge auskommt.
Das Folgekapitel „Die Notwendigkeit der Vorbereitung des großen Jubiläums“ beschreibt die Nachkriegssituation in Polen und das Ineinandergreifen politischer und wissenschaftlicher Interessen. Die Westverschiebung Polens machte die Integration und Legitimation neuer Gebiete ebenso notwendig wie die Rechtfertigung des Verlusts der polnischen Ostgebiete. Durch das Framing als eine Rückkehr in die historischen Grenzen des Piastenreiches – „in das Land der Vorfahren“ und an die „Wiege der polnischen Staatlichkeit“ (S. 34) – gewann die Erforschung dieser historischen Referenz eine hohe politische Relevanz. Die Frage nach politisierter Forschung diskutiert die Verfasserin allerdings nur oberflächlich. Hier hätte die umfangreiche Debatte innerhalb der polnischen Archäologie mehr als nur eine verweisende Fußnote (S. 35f. Anm. 7) verdient. Dennoch arbeitet Szczerba die Vorgeschichte der Millenniumsforschungen heraus und versucht deren Programm im fachgeschichtlichen Kontext zu verorten. Die genauen Zusammenhänge, vor allem das Verhältnis von Archäologie und Geschichtswissenschaft, bleiben jedoch vage, nicht zuletzt, weil die Darstellung auf langen Protokollauszügen verschiedener beteiligter Gremien basiert, die jedoch kaum erläutert und eingeordnet werden.
Kapitel III referiert – wiederum anhand von Protokollauszügen – zunächst die Entwicklung und Institutionalisierung der KBnPPP in der Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege (Naczelna Dyrekcja Muzeów i Ochrony Zabytków). Die Frage nach dem „Umbau“ zu einer marxistisch-leninistischen Wissenschaft wird hier explizit aufgegriffen, doch bleibt ihre Einschätzung ambivalent. Einerseits attestiert Szczerba der marxistischen Methodologie eine „wissenschaftliche Attraktivität“ und Progressivität, die mit wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Interessen ineinandergegriffen habe (S. 62). Andererseits stellt sie die ministerielle Institutionalisierung, obligatorische Berichts- und Planungskonferenzen, die Neuperiodisierung der polnischen Geschichte sowie den Austausch mit sowjetischen Wissenschaftlern in Zusammenhang mit der erzwungenen Umgestaltung und methodischen Neuorientierung der polnischen Wissenschaft. Die anschließenden Ausführungen zu Organisationsstruktur und Mittelbudget des Programms beschreiben anhand von Protokollen und Erinnerungszeugnissen die Konstellation der leitend beteiligten Forscher. Zur spannenden Frage der „Miliony na Millenium“ (Millionen für das Millennium), wie das Kapitel zur Finanzierung überschrieben ist, kann Szczerba einige wichtige Details beitragen, verschenkt jedoch die Chance, sie mit Angaben aus anderen Quellen zu kontrastieren.1
Die archäologische Tätigkeit des KBnPPP konzentrierte sich vorrangig auf frühmittelalterliche Befestigungsanlagen, schloss aber auch frühe Sakralarchitektur, Fundorte älterer Zeitstellung sowie Gräberfelder ein. Szczerba geht hier mit detailreichen Schilderungen auf die Auswahl der Grabungsorte, logistische Herausforderungen sowie die Publikationstätigkeit ein. Der zentrale Fokus des Buches liegt schließlich auf der Darstellung der archäologischen Feldforschungen. Gegliedert nach Regionen legt Szczerba eine ausführliche Beschreibung der Ausgrabungsarbeiten an insgesamt 35 Fundstätten vor. Für jede einzelne dokumentiert sie umfassend Ablauf, Fundsituationen sowie beteiligte Personen und versucht in unterschiedlichem Maß und unter Einbeziehung späterer Forschungen und gegebenenfalls erfolgter Revisionen eine Einschätzung der Ergebnisse.
Insgesamt bieten diese äußerst detailreichen Schilderungen einen beeindruckenden Überblick sowie eine Fundgrube spannender Einzelinformationen, die neue Einblicke in die Organisation der Millenniumsforschungen geben können. Ohne stärkere Einordnung laufen sie jedoch Gefahr, zwischen den Ausgrabungsdetails unter- oder in den seitenweise wiedergegebenen Originalzitaten verloren zu gehen. In Anbetracht der Materialfülle kann sicherlich keine tiefergehende Auswertung erwartet werden. Die Bewertungen bleiben bisweilen aber allzu schematisch, wie etwa die Frage nach Urbanisierungsprozessen zeigt. Inwiefern diese autochthon induziert oder durch deutschsprachige beziehungsweise -rechtliche Ansiedlungen geprägt waren, wird aktuell wesentlich differenzierter und weniger dichotomisch betrachtet.2 Auch gesellschaftliche Effekte, die über die lokale Ausgrabungsgeschichte hinausgehen – etwa die politische Brisanz von Grenzorten wie Wolin oder den Czerwenischen Burgen, Fragen des Bodendenkmalschutzes oder der Popularisierung der Ergebnisse – werden meist nur angerissen, sodass eine weniger an archäologischen Details interessierte Leserschaft hier kaum angesprochen wird.
Die Darstellung der weiteren geschichtswissenschaftlich-editorischen, naturwissenschaftlichen und kartographischen Arbeitsstellen der KBnPPP fällt gegenüber den archäologischen Stationen sehr kurz und kursorisch aus. Unklar bleibt, ob diese Gewichtung im Sinne der archäologiezentrierten Perspektive beabsichtigt ist, oder ob sie die Verhältnisse innerhalb der Millenniumsforschungen spiegelt. Das kurze Fazit gibt überwiegend die eigene Bilanz der Leitungsstelle am Ende ihrer Tätigkeit wieder, während Szczerba selbst abschließend konstatiert: „Es war die beste Forschung, die sich die Archäologie der damaligen Zeit leisten konnte.“ (S. 282)
Die angestrebte Zusammenfassung der Ergebnisse der Millenniumsforschungen ist der Autorin durchaus gelungen, allerdings nicht in Form einer kritischen Besprechung, sondern als chronikalische Dokumentation mit O-Tönen, deren im Wesentlichen affirmativer Charakter auf diese Weise fortgeschrieben wird. Es stellt sich daher die Frage, ob die von Szczerba einleitend erwähnten „negativen Aspekte, die heute besonders deutlich werden, wenn diese Aktivitäten zum Gegenstand des Interesses von Wissenschaftshistorikern werden“ (S. 282), hier für eine positive Bilanz und Traditionsbildung bewusst nur marginal berührt worden sind. Durch die teils langen Zitate und mehrere Seiten umfassenden Fußnoten wird nicht nur der Lesefluss erschwert, auch bleiben die zeitgenössischen Stimmen weitgehend unanalysiert. Im Wesentlichen legt Szczerba eine klassische Forschungsgeschichte zu archäologisch relevanten Fundorten vor, die protokollartig Namen, Daten und Abläufe referiert und somit vor allem eine archäologische Innenperspektive bedient. Sie bietet damit eine Grundlage für weitere Forschungen, die die Voraussetzungen und Ergebnisse der Millenniumsforschungen, ihre Geschichtskonzeptionen und Interpretationsansätze stärker im wissenschafts- und geschichtspolitischen Kontext herausarbeiten könnten.
Anmerkungen:
1 Karin Reichenbach, Millionen für‘s Millenium. Finanzierung und Ausstattung der Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates 1949–1953, in: Susanne Grunwald u.a. (Hrsg.), Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie. Mäzene – Förderer – Förderstrukturen, Bielefeld 2016, S. 259–280; dies., The Research Program on the Beginnings of the Polish State between Polish Western Thought and Historical Materialism. Structural Developments and Political Reorientation, in: Przegląd Archeologiczny 65 (2017), S. 19–34.
2 Z.B. Eduard Mühle (Hrsg.), Rechtsstadtgründungen im mittelalterlichen Polen, Köln 2011.