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Title
Sex, Thugs and Rock'n Roll. Teenage Rebels in Cold-War East Germany


Author(s)
Fenemore, Mark
Series
Monographs in German History Volume 16
Published
New York 2007: Berghahn Books
Extent
277 S.
Price
€ 45,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Heiner Stahl, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Mark Fenemores Veröffentlichung über die Leipziger Meuten in den 1950er- und 1960er-Jahren zeichnet unterschiedliche Beschreibungen männlicher Jugendkulturen nach. In dieser bereits 2002 bei Mary Fulbrook am University College London vorgelegten Arbeit geht es am Beispiel der Rock’n’Roll-Subkultur darum, wie abweichendes Verhalten im öffentlichen Raum in Leipzig seitens der SED wahrgenommen, verhandelt und von den Repressionsorganen verfolgt wurde. Er geht dabei deutlich über die wichtige Arbeit von Yvonne Liebing hinaus.1

Körperlichkeit, Männlichkeit und Rock’n’Roll2 misst Fenemore an den verschiedenen Traditionsbeständen eines arbeiterlichen Machismo. An Fenemores Blickwinkel inspiriert besonders, wie er die Theoriebildung der Birmingham School of Cultural Studies zu working-class-subcultures in der englischen Nachkriegszeit auf eine sozialistische Gesellschaft der Arbeiter und Bauern anwendet. Oder andersherum betrachtet: Wie wird aus der arbeiterlichen “body politics” des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und – in Brüchen und Adaptionen auch des NS – der männliche Körper in einer sozialistischen Nation geformt? Und vor allem: Mit welchen diskursiven Strategien wurden die ästhetischen Impulse der Amerikanisierung in der Nachkriegszeit entweder als “proto-faschistisch” oder als “verweiblichend” gerahmt. Der Militärdienst in der NVA leistete auch seinen Beitrag. Er sollte die Erziehung der männlichen Jugend zum sozialistisch „Guten“ wenden und die Jungs zu “deutschen Männern” machen (S. 184). Dies stärkte aber wohl nur die Faszination für Waffen, verbotenes Liedgut und soldatische Männlichkeitsrituale.

In der bemerkenswerten Klarheit des Satzes „although the young men involved in the youth subcultures were unquestionable German, their music was not“ (S. 187), verdeutlicht Fenemore, woraus sich die Distinktionsgewinne speisten, die mit abweichendem Verhalten gegenüber den Institutionen sozialer Repression – Lehrer/Eltern und gesellschaftlicher Repression sowie Polizei/SED – zu erzielen waren. Der Autor führte eine Menge von Einzelbeispielen an, beschreibt den Mechanismus der Identifikation mit dem gesellschaftlich Abgelehnten und Abgesonderten. Fenemore nennt es "negative identification" (S. 216). Zum Bersten gefüllte Leipziger Veranstaltungssäle bei Beat-Konzerten oder die Wiedereroberung öffentlichen Raumes durch die jugendlichen Meuten gehören in diesen Zusammenhang. Fenemores Studie vermag es, das Verhältnis von subkultureller Devianz und ihrer Unterdrückungsformen- und techniken zu erzählen. Für Leipzig gelingt ihm das auch sehr anschaulich.

Mit Blick auf die klassenbezogene Wohngeografie Leipzigs spricht Fenemore von einer “geteilten” Stadt. Das ist deshalb reizvoll, weil diese Herangehensweise Betrachtungen aus dem Feld der Urban Studies in die DDR-Geschichte einführt. Dass er dann auch noch auf Berlin zuzugreifen versucht, ist verständlich. Dabei läuft er aber durchaus Gefahr, seine Erzählung zu überfrachten. Wer in den Berichten der Charlottenburger und Schöneberger Polizei von Konzerten von „The Who“ und „The Pretty Things“ blättert, die im November 1966 und Januar 1967 stattfanden, merkt sofort, dass die Diffamierung des „Rock“-Körpers keine Erfindung der Volkspolizei war. Sie steckte tief drin in den Mitarbeitern der Repressionsorgane, auch in denen, die die freiheitliche-demokratische Grundordnung in Westberlin verteidigten.3

Ein Anderer ist die Vertiefung des Wissens darüber, welche Formen der Popkultur so jenseits der “Partei” und des “Jugendverbandes” in der DDR präsent war. Dabei geht es um die faktische Selbstverwaltung von Jugendklubs ebenso wie um die in organisatorischen Angelegenheiten absolute unfähige FDJ, die keinen wie auch immer gearteten Einfluss auf die “Jugend” ausübte. Fenemore beschreibt beiläufig, wie Albert Norden bereits 1955 eine effektivere Jugendpolitik anmahnte und von der Freien Deutschen Jugend verlangte, dass sich diese endlich um ihre Zielgruppe kümmere und sie mobilisiere. Hierin gründet sich die diskursive Rahmung der SED-Jugendpolitik der 1960er-Jahre. Und ohne Albert Norden als ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda hätte es wohl sein alter Kampfgenosse aus dem spanischen Bürgerkrieg, Gerhart Eisler, als Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees, deutlich schwerer gehabt, sich mit der Weiterführung der Radiosendung Jugendstudio DT 64 nach dem 11. Plenum 1965 zu behaupten.4

Der Erfahrungshorizont der SED-Jugendpolitiker – auch derer aus der jüngeren Generation – bezog sich auf die späte Weimarer Republik, insbesondere, und das arbeitet Fenemore immer wieder heraus, auf das gescheiterte Bemühen des kommunistischen Jugendverbands, Arbeiterjugendliche zu begeistern und für die ideologische Auseinandersetzung mit der SPD, den bürgerlichen Jugendverbänden und der NSDAP zu gewinnen. Die HJ und die SA waren ab einem gewissen Zeitpunkt, so scheint es, jugendkulturell einfach relevanter und attraktiver geworden. Daraus lässt sich auch die nicht unbedingt gleich einleuchtende diskursive Verknüpfung aus Rowdytum, Faschismus und amerikanischer Konsumkultur zumindest erahnen, die den Erziehungsdiskurs um Popmusik und abweichendes Verhalten in der DDR prägten. Dass amerikanisierte, das heißt kulturell umgepolte männliche Arbeiter und Lehrlinge für Westberliner Agentenzentralen arbeiten könnten, war als Schreckgespenst stets zu reproduzieren.5

Uta Poiger6 hatte den sich durchsetzenden Cold War Liberalism in Westdeutschland als entscheidendes Moment für das kulturpolitische Auseinanderdriften dieser postfaschistischen Nachkriegsgesellschaften angesehen. Fenemore betont dagegen wesentlich stärker die Neuverhandlung von kulturellen und geschlechterbezogenen Traditionsbeständen in der deutschen Arbeiterschaft. Und wie ich finde, weist er durchaus nachvollziehbar darauf hin, dass sich die SED-Kultur- und Jugendpolitiker ebenso stark noch vor dem Bedeutungsverlust kommunistischer Jugend- und Erziehungsarbeit fürchteten, wie er sich in den späten 1920er-Jahren vollzogen hatte.

Schlussakkord: „Sex, Thugs and Rock 'N' Roll: Teenage Rebels in Cold-War East Germany“ ist ein großartiges Buch über den Zusammenhang von Männlichkeitsdiskursen, von working-class culture, arbeiterlichem Konservatismus und Popkultur. Fenemore arbeitet heraus, dass Jugendkultur nicht deshalb „links“ ist, weil sie abweichend ist. Sondern: Subkulturen bearbeiten kulturelle und ästhetische Materialien aus verschiedenen Quellen, auch aus dem NS-Zeichensatz und Ideologievorrat. Da ist der Vater, der in den 1960er-Jahren Beat hörte, nicht unbedingt Lichtjahre vom Skinhead-Sohn weg, der offen rechtsradikal nun auf dem Weg in die bürgerliche Mitte Ostdeutschlands ist. Auch der Beat-Fan fand seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Anmerkungen:
1 Yvonne Liebing, "All You need is beat”. Jugendsubkultur in Leipzig 1957-1968 (Archiv Bürgerbewegung Leipzig Uwe Schwabe/Rainer Eckert), Leipzig 2005.
2 Fenemore 2007, S. 5.
3 Siehe LAB, B Rep. 020 Nr. 7813 unpag., Polizeipräsident in Berlin, Betr.: Erfahrungsberichte der Polizeiinspektionen Neukölln, Schöneberg und Charlottenburg über Beat-Veranstaltungen, Berlin 11.1.1967, S. 1-2, S. 1. LAB, B Rep. 020 Nr. 7813 unpag., Polizeiinspektion Schöneberg, Lode, Betr.: Bericht über die Beat-Veranstaltung im Sportpalast am 30.10.1966 – Veranstalter „Die Falken“, S. 1-16, S. 1.
4 Siehe Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, (= Zeithistorische Studien; 10), Berlin 1997; Michael Rauhut, Beat in der Graunzone. DDR-Rock 1964 bis 1972 - Politik und Alltag, Berlin 1993; Heiner Stahl, Jugendradio im Kalten Ätherkrieg. Berlin als eine soundscape des Pop (1962-1973), Berlin/Potsdam 2009.
5 Enrico Heitzer, Affäre “Walter”. Die vergessene Verhaftungswelle, Berlin 2008.
6 Uta G. Poiger, Jazz, Rock and Rebels, Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley/Los Angeles/London 2000.

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