Titel und Untertitel des von Markus Cerman, Ilja Scheffelbauer und Sven Tost herausgegebenen Sammelbandes verweisen auf ein Spannungsfeld: Der Titel "Agrarrevolutionen" verspricht radikale Veränderungen zu thematisieren, der Untertitel "Verhältnisse in der Landwirtschaft vom Neolithikum bis zur Globalisierung" fokussiert auf stabile historische Zustände, die ganze Epochen prägen. Der durchaus reizvolle Ansatz des Bandes ist es, beide Aspekte aufzugreifen und Kontinuität und Wandel nicht einfach hintereinander zu stellen, sondern sie zumindest zwischen zwei Buchdeckeln auch zusammenzubringen. Darüber hinaus sollen Vertreter der mittelalter- bzw. frühneuzeitlich orientierten Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Althistoriker möglichst vielfältige Aspekte agrarischen Wirtschaftens beschreiben. Dass es dabei relativ eurozentrisch zugeht, wird von den Herausgebern eingestanden und gleich als ein Desiderat der Agrargeschichte schlechthin diskriminiert, dem man selbst in zwei Beiträgen von Michael Mitterauer und Ernst Langenthaler entgegenzutreten versuche, es aber ansonsten künftigen Forschern als Aufgabe stelle. Entstanden ist das Buch aus einer Ringvorlesung. Es wird überwiegend getragen von Vertreter der Wiener Institute für Alte Geschichte und Altertumskunde bzw. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Als Einstieg gibt Paolo Malanima einen allgemeinen, systemlogischen und nicht kulturspezifischen Überblick über Wachstumsmöglichkeiten von Agrargesellschaften. Er beschreibt anhand der Faktoren Arbeit, Kapital, natürlicher Ressourcen und Technik die typischen Zyklen von Wachstum und Stagnation, die unterhalb der prinzipiellen "Grenzen wirtschaftlichen Wachstums in historischen Agrargesellschaften" herrschten, im Unterschied zum "Zeitalter des modernen Wachstums" seit dem 19. Jahrhundert (S. 39). Wirklich revolutionäre Veränderungen sind in dieser Perspektive der Übergang zur Landwirtschaft vor circa 5000 bis 6000 Jahren und dann der Beginn der modernen Wachstumsperiode im 19. Jahrhundert. Dazwischen gab es prinzipiell nur begrenzte Wachstums- und Veränderungsmöglichkeiten. Edith Specht konstatiert den Zusammenhang von ökonomischem, technischem und sozialem Wandel am Beginn der Agrarwirtschaft und visualisiert die damit verbundenen kulturellen Veränderungen durch Abbildungen zahlreicher Artefakte. Obwohl der neolithische Übergang vom Jäger- und Sammlertum zur Landwirtschaft als eine der fundamentalsten Revolutionen der Menschheitsgeschichte betrachtet werden kann, trägt ausgerechnet ihr Beitrag den Revolutionsbegriff nicht im Titel, verweist aber in einer Zwischenüberschrift auf den etablierten Begriff der Neolithischen Revolution. Der institutionellen Herkunft des Autorenkreises geschuldet behandeln weitere sieben Beiträge die Antike. Ingrid Weber-Hiddens Darstellung der mykenischen Kultur bietet einen anschaulichen Beleg für die von Malanima beschriebenen Wachstums- und Konsolidierungsmöglichkeiten und das Problem einer durch Versorgungsprobleme bedingten gesamtgesellschaftlichen Krise. Bedauerlicherweise fehlen jedoch hier wie in allen anderen Beiträgen Verweise der Autoren bzw. Texte aufeinander.
Jairus Banaji kritisiert in seinem Beitrag über die zur Zeit wieder heftiger diskutierte Frage von Kontinuität oder Umbruch der spätantiken Agrarverhältnisse Christopher Wickhams These von einem radikalen Wandel mit vollständigem Wechsel von Sklaverei zu Feudalsystem. Dem hält Banaji die Existenz vielfältiger Formen abhängiger Arbeit in der Spätantike entgegen, die eine starke Differenziertheit der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse offenbart. Die Vielfalt unfreier Arbeitsverhältnisse von der Antike bis zum Frühmittelalter behandelt Alexander Jurasek in seinem Beitrag nochmals systematisch, die römischen Agrar- und Sozialverhältnisse stellt Ekkehard Weber anhand von Quellentexten dar. Auch hier fehlt aber, sieht man von der kurzen Vorstellung aller Beiträge in der Einleitung ab, jeder Hinweis auf die gegenseitige Ergänzung der Texte.
Den Begriff der Revolution führen wohl nicht zufällig drei Beiträge aus der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Titel. Michael Mitterauer verweist nochmals auf Herkunft und Problematik des Begriffs "Agrarrevolution", den er auf den frühmittelalterlichen "Strukturwandel in der Landwirtschaft" (S. 152) anwendet, und vergleicht dann drei unterschiedliche Agrarrevolutionen in Europa, China und dem islamischen Raum.1 Dieser komparative Ansatz ist besonders fruchtbar, da er nicht nur positivistisch die Ergebnisse eines Fallbeispiels aufzählt, sondern einerseits kulturübergreifende Kernelemente agrarischer Transformationen wie die Einführung neuer Nutzpflanzen und neuer Agrartechniken beschreiben, andererseits aber auch die Spezifika jedes Kultur- bzw. ökologischen Raums hervorheben und so zum Verständnis der unterschiedlichen Entwicklungen beitragen kann.
Erich Landsteiner und Ernst Bruckmüller verwenden ebenfalls den Revolutionsbegriff als Umschreibung für längerfristige Wandlungen, wobei Landsteiner ihn in Bezug auf die europäischen Transformationen in der frühen Neuzeit durchaus kritisch diskutiert und dabei eine guten Überblick über historische Entwicklung und moderne Forschungsdiskussion gibt. Dankenswerterweise relativiert er dabei die Vorstellung von einer in urtümlicher Naturverbundenheit markt- und innovationsfeindlich lebenden Bauernschaft und hält dem die durchaus vorhandene Innovationskraft auch kleiner bäuerlicher Betriebe und ihre Verflochtenheit mit Marktstrukturen, etwa durch das Heimgewerbe, entgegen. Bruckmüller unterscheidet in der Entwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts etwas unglücklich zwischen einer "ersten und zweiten Phase der grünen Revolution" (S. 221), was den Blick darauf verstellt, dass die erste Phase eine Annäherung an die unter solarenergetischen Bedingungen optimalen Erträge war, die zweite Phase dagegen mit dem landwirtschaftlichen Einsatz fossilienenergetisch betriebener Maschinen eine prinzipielle Überwindung der agrarischen Obergrenze ermöglichte und so etwas fundamental Neues darstellt. Ernst Langthaler, der kürzlich einen eigenen Sammelband "Grüne Revolutionen" herausgegeben hat 2, behandelt die "Landwirtschaft in der Globalisierung (1870-2000)". Ähnlich wie Landsteiner, nur vom anderen Ende der Zeitskala her differenziert er die etwa in der Agrarfrage des 19. Jahrhunderts auftretende und in manchen Spielarten der Agrargeschichte bis heute anzutreffende sozialromantische Auffassung, eine bäuerliche Landwirtschaft, in der Familien in Einklang mit ihrer Umwelt und ohne diese technisch zu manipulieren für ihre Subsistenz arbeiten, sei durch den Einfluss der Industrialisierung zugunsten von technisierten, marktorientierten Grossbetrieben zerstört worden. Demgegenüber hebt er die Vielfältigkeit und Differenziertheit der modernen Verflechtungen von Landwirtschaft und Industrie hervor, in der beispielsweise "Bauernsterben" und "Verbäuerlichung ehemals kollektiver Betriebe" (S. 268) gleichermaßen zu beobachten sind.
Verena Winniwarter gibt abschließend einen Überblick über "Sozioökologische Perspektiven auf die Geschichte der Landwirtschaft" und vertritt damit den aktuellsten Zugriff auf Agrargeschichte, nämlich die Umweltgeschichte, innerhalb derer der sozioökologische Ansatz "Menschen und Ökosysteme als gleichberechtigt" und durch eine "strukturelle Koppelung" verbunden auffasst (S. 229). Da Winniwarter zu Beginn zentrale inhaltliche und methodische Grundlagen kurz und verständlich erläutert und auch im Lauf des Textes in kluger Auswahl auf neueste Literatur verweist, ist dieser Beitrag gerade für Einsteiger in den Bereich der Umwelt- und Agrargeschichte besonders gewinnbringend zu lesen.
Insgesamt bietet das Buch auf aktuellem Forschungsstand einen vielfältigen Überblick über agrarische Verhältnisse, wobei man sich manchmal fragen kann, ob alle Studien zur Antike für einen Einführungsband unverzichtbar gewesen wären. Doch bietet prinzipiell die Vielfalt und Differenziertheit epochenspezifischer Einzelstudien eine sinnvolle Basis für allgemeinere Ansätze, wie sie Malanima, Mitterauer und Winniwarter vortragen und die Erkenntnisse von größerer Reichweite ermöglichen. Dass die Beiträge nicht miteinander verknüpft sind, ist bedauerlich, dies ließ sich wohl bei einer Ringvorlesung, anders als bei einer Tagung, kaum realisieren. Als Manko könnte höchstens vermerkt werden, dass trotz des Titels keine einheitliche Definition dafür versucht wurde, was eigentlich eine Agrarrevolution ist. Doch diskutieren einzelne Beiträge diese Frage durchaus und der Verzicht auf eine von den Herausgebern vorformulierte – und im Einzelnen immer fragwürdige – Definition ermöglicht den Autoren unterschiedliche Akzentsetzungen. Das Forschungsfeld wird so nicht neu abgesteckt, aber differenziert und realistisch abgebildet.
Anmerkungen:
1 Ähnlich hat er dies bereits 2001 getan: Michael Mitterauer, Roggen, Reis und Zuckerrohr. Drei Agrarrevolutionen des Mittelalters im Vergleich, in: Saeculum 52, 2001, S. 245-65.
2 Vgl. Jovica Lukovic, Rezension zu: Andreas Dix / Ernst Langthaler (Hrsg.), Grüne Revolutionen. Agrarsysteme und Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 2006. In: H-Soz-u-Kult, 30.08.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-156>.