S. Topik u.a. (Hgg.): From Silver to Cocaine

Cover
Titel
From Silver to Cocaine. Latin American Commodity Chains and the Building of the World Economy, 1500–2000


Herausgeber
Topik, Steven; Marichal, Carlos; Zephyr, Frank
Erschienen
Durham, NC 2007: Duke University Press
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
$ 12.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Bernd-Stefan Grewe, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Wenn ein historischer Sammelband mit ökonomischem Schwerpunkt nach nur einem Jahr bereits seine zweite Auflage erfährt, lässt dies die akademische Fachwelt aufhorchen. Zu Recht, denn es handelt sich hierbei um ein gelungenes und wichtiges Buch zur lateinamerikanischen wie zur globalen Geschichte: In zwölf Kapiteln wird die Produktion, der Handel und der Konsum wichtiger amerikanischer Exportgüter über fünf Jahrhunderte nachgezeichnet.

In ihren Grundzügen lässt sich die Integration der Amerikas in die Weltwirtschaft schon anhand der chronologisch angeordneten Beiträge erkennen. Mit den frühneuzeitlichen Beziehungen zu Europa befasst sich Carlos Marichal in seinem Beitrag zum Silber-Peso als Exportartikel und globaler Währung, Laura Nader mit dem Tabak als wichtigster Ware der spanischen Kolonien sowie David McCreery und erneut Marichal mit den Warenketten der Farbstoffe Indigo bzw. Karminrot. Die wichtigsten Exportwaren der Amerikas waren vor allem Luxusgüter für die Eliten des Ancien Régime.

Erst die von Großbritannien ausgehende Industrialisierung und der Freihandel schufen dann im 19. Jahrhundert neue Massenmärkte für Konsumgüter. Die einstigen Luxusgüter Kaffee (Steven Topik und Mario Samper), Zucker (Horacio Crespo) und Kakao (Mary Ann Mahony) sowie die Banane (Marcelo Bucheli und Ian Read) wurden nicht zuletzt wegen sinkender Transportkosten zu erschwinglichen Konsumgütern, die in den USA und Europa bald nicht mehr aus dem Alltag von Mittelschichten und Arbeiterschaft wegzudenken waren.

Eine dritte Gruppe von Aufsätzen befasst sich mit lateinamerikanischen Exporten, die von den nördlichen Industrieländern als Rohstoffe benötigt wurden: Guano und Salpeter (Rory Miller und Robert Greenhill) für die Landwirtschaft und Sprengstoffproduktion, Kautschuk für die Automobilindustrie (Zephyr Frank und Aldo Musacchio), Henenquén-Fasern für die Seilherstellung (Allen Wells) sowie Koka und Kokain für die Pharmazie (Paul Gootenberg).

Die meisten Beiträge eröffnen trotz einiger bekannter Geschichten immer wieder überraschende Einsichten in ungeahnte Zusammenhänge und Wechselbezüge etwa zwischen der Zucker- und Tabakproduktion. Wenigen Lesern dürfte auch bekannt sein, wie aufwendig und arbeitsintensiv die Gewinnung des Färbemittels Karminrot war und dass dieser Zweig der Textilproduktion in seiner wirtschaftlichen Bedeutung durchaus mit der Seide in der frühen Neuzeit vergleichbar war. Dabei wird deutlich, wie tiefgreifend und verheerend sich etwa die Entwicklung der deutschen Chemieindustrie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auf die globalen Warenketten natürlicher Farben und anderer Stoffe auswirkte.

In ihrer Einleitung kritisieren die Herausgeber, dass der nationale Analyserahmen die meisten wirtschaftshistorischen Untersuchungen präge, obwohl wirtschaftliche Aktivitäten die nationalen Grenzen ständig überschritten. Der Erfolg oder das Scheitern eines Wirtschaftssektors wie beispielsweise der Kaffeeproduktion sei nicht nur im betreffenden Land zu beobachten, sondern wirkte sich mittelbar auch immer auf andere, konkurrierende lateinamerikanische Staaten aus. Konsequenterweise werden immer wieder die konkurrierenden Produktionsgebiete nicht nur innerhalb Amerikas, sondern auch in anderen Regionen in die Analyse einbezogen: im Falle des Indigos der bengalische Anbau, beim Kaffee, Zucker, Kakao und Kautschuk die afrikanischen und südostasiatischen Produktionsgebiete in den britischen und niederländischen Kolonien. Insofern sind die synthetisierenden Aufsätze im besten Sinne globale Geschichte.

Das funktioniert vor allem deshalb so gut, weil die Herausgeber mit dem Warenkettenansatz und einer gemeinsamen Fragestellung ein solides Fundament gelegt haben (S.16f), auf das sich alle Beiträge unmittelbar beziehen. Anders als bei vielen Tagungspublikationen ist dieser Sammelband kein oberflächlich redigierter Schnellschuss, sondern entspricht qualitativ eher einer gemeinsam verfassten Monographie. Schließlich liefern die vielfältigen Beiträge den eindrucksvollen Beweis, wie unterschiedlich die einzelnen Warenketten sich entwickelten und dass sie einer je eigenen Logik gehorchten. Deshalb wird der Warenkettenansatz auch nicht als eine neue normative Theorie verstanden, die wie die klassische Ökonomie, die Weltsystem- und die Dependenztheorie einen systemischen Anspruch erhebt. Er ist vielmehr ein methodisches Hilfsmittel, um das komplizierte Geflecht globaler Wirtschaftsbeziehungen besser zu verstehen und trotzdem vergleichbar zu machen.

Für die Geschichte Lateinamerikas liegt das Hauptverdienst des Gemeinschaftsprodukts vor allem in der Widerlegung dependenztheoretischer Annahmen über die ungleichen Beziehungen zwischen lateinamerikanischen Produzenten und den Konsumenten in den nördlichen Industrieländern. Die Autoren bezweifeln grundsätzlich, dass die Produzenten und Händler der Amerikas kaum oder keinen Einfluss auf den Weltmarkt nehmen konnten. Das macht sie nicht blind für ungleiche Machtbeziehungen, öffnet jedoch den Blick für die Frage nach der Marktmacht der Produzenten und der jeweiligen Regierungen. Tatsächlich blieb oft ein sehr beträchtlicher Teil der Wertschöpfung in den Produktionsländern, ob als Produktionsgewinn oder als Steuereinnahmen.

Kritisiert wurde an diesem Buch, dass wichtige Exportgüter Lateinamerikas wie Gold, Getreide- und Rinderprodukte, Öl und Kupfer nicht behandelt werden, oder dass die in der Produktion eingesetzten Sklaven, Zwangsarbeiter und Tagelöhner nur als Kostenfaktoren in dieser Analyse berücksichtigt werden. 1 Aus einer sozial- und umwelthistorischen Perspektive könnte man bedauern, dass in fast allen Aufsätzen die sozioökonomischen und ökologischen Folgen der nicht nachhaltigen Agrar- und Warenproduktion nicht thematisiert werden, obwohl dazu einschlägige Forschungsergebnisse vorliegen. Weil der Band explizit keine Vollständigkeit beansprucht bzw. eine andere Fragestellung im Zentrum steht, ist derartige Kritik wohl eher als Anregung für weitere Forschungen auf Basis des Warenkettenansatzes zu verstehen.

Obwohl die Entwicklung der jeweiligen Nachfrage und des Konsumverhaltens in den Abnehmerländen mit untersucht wird, fällt insgesamt auf, dass die Integration Lateinamerikas in die globale Wirtschaft noch immer primär von der Produktion her gedacht wird. Trotz deutlicher Frontstellung gegen Dependenztheorie und Neoliberalismus wird die weltwirtschaftliche Bedeutung und Entwicklung Lateinamerikas wieder einmal nur als Rohstoffe produzierende Region und nicht als eine konsumierende thematisiert. Eine Analyse der Importe Lateinamerikas aus Europa und den USA oder aus Asien ist hier nicht einmal als mögliches Projekt für künftige Forschungen angedacht. Subkutan bleibt damit ein älteres (deshalb aber nicht unbedingt falsches) Deutungsmuster von Lateinamerika als einer ausgebeuteten Region erhalten, in der einige wenige Akteure dennoch bedeutende Gewinne erzielen konnten.

Nicht nur auf Grund seines empirischen Gehalts und der meist sehr guten Artikel ist dieses Buch wertvoll: Erstens liefert es eine hervorragende Synthese zu wichtigen globalen Waren aus lateinamerikanischer Perspektive. Zweitens demonstriert es eindrucksvoll, wie viel Erkenntnisgewinn der Warenkettenansatz für die lateinamerikanische und für die globale Geschichte birgt. Für die Forschungen zur Entwicklung der Weltwirtschaft seit dem 16. Jahrhundert wird er noch auf viele Jahre hinaus ein wichtiger Bezugspunkt bleiben.

Anmerkung:
1 Vgl. die Rezensionen von Jeremy Adelmann im Journal of Global History 2 (2007), S. 406f; und von Suzanna Reiss im Journal of World History 18 (2007), S. 369-372.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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