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Titel
The Martyred Inquisitor. The Life and Cult of Peter of Verona († 1252)


Autor(en)
Prudlo, Donald
Reihe
Church, Faith and Culture in the Medieval West
Erschienen
Aldershot 2008: Ashgate
Anzahl Seiten
XVIII, 300 S.
Preis
$ 114.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Lützelschwab, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Petrus Martyr war kein einfacher Heiliger. Im Gegenteil: unmittelbar nach seiner Kanonisierung 1253 bedurfte es konzertierter Anstrengungen, um seinen Kult in der Gesamtkirche durchzusetzen – Anstrengungen, in die sowohl das Papsttum als auch der Dominikanerorden mit eingebunden waren. Eine Episode aus der Chronik des einflussreichen dominikanischen Historiographen Galvanus Fiamma aus dem 14. Jahrhundert mag das Problem verdeutlichen: als Stephan von Besançon, der Generalmagister der Dominikaner, auf seinem Rückweg vom Generalkapitel 1294 in Mailand Station machte, war er von den im Kloster Sant’Eustorgio beobachteten Bemühungen um Kultsteigerung weniger beeindruckt denn erzürnt. Mit dominikanischer Schlichtheit hatte die Ausstattung der letzten Ruhestätte des Petrus Martyr wenig zu tun. Der Generalmagister befahl den Brüdern, die prächtige eiserne Lampe über dem Grabmal des Heiligen zu entfernen – und bereits in der folgenden Nacht wurde Stephan von einer Vision gepeinigt, in der er vom Märtyrer selbst mit einer eisernen Kette geschlagen wurde. Galvanus Fiamma fügte hinzu, dass der bald darauf erfolgte Tod des Generalmagisters wohl ursächlich auf dieses Fehlverhalten, genauer: seine Geringschätzung des Ordensheiligen, zurückzuführen gewesen sei. Auch wenn diese Wundererzählung nicht Eingang in die offiziellen Mirakelsammlungen fand, verdeutlicht sie doch zum einen, dass das rechte Maß der Kultförderung selbst innerhalb des Dominikanerordens umstritten war, zeigt zum anderen aber auch, dass Petrus Martyr – zumindest in der Vorstellung des 14. Jahrhunderts – ein zorniger, ein strafender Heiliger war. Wer war Petrus Martyr tatsächlich? So naiv die Frage auf den ersten Blick anmuten mag, so günstig ist die Quellenlage, um einen der prominentesten Heiligen des Mittelalters vom Ballast jahrhundertealter innerkirchlicher Kontroversen zu befreien.

Donald Prudlo, assistant professor an der Jacksonville State University in den USA, tritt mit dem Anspruch an, die erste moderne Biografie des Petrus von Verona zu liefern. Und Prudlo tut gut daran, zu betonen, dass es sich dabei um die erste moderne Biografie in englischer Sprache handelt. Von großem Gewicht ist nämlich nach wie vor der bereits 1953 von Antoine Dondaine publizierte biografische Abriss des Heiligen 1, auf den sich Prudlo denn auch ständig bezieht, von dessen Zielsetzung und methodischem Gerüst er sich jedoch bewusst abgrenzt. Tatsächlich ging es Dondaine vornehmlich darum, Petrus Martyr aus dem Dunstkreis der Inquisition zu befreien und seine Rolle als Inquisitor zu minimieren. Dondaines Vorgehen könnte auch als letzter, schlussendlich gescheiterter Rettungsversuch verstanden werden: als Dominikaner stand Dondaine klar die Gefahr vor Augen, dass Petrus als Inquisitionsheiliger angesichts der kirchenpolitischen Großwetterlage seit den 1950er-Jahren eine Revision des Heiligenkalenders wohl kaum unbeschadet hätte überstehen dürfen. Diese Befürchtung sollte sich bewahrheiten: 1969 wurde Petrus aus dem Kalender gestrichen. Damit kam ein rund 700 Jahre gepflegter Kult zu einem jähen Ende. Um Apologie geht es Prudlo sicherlich nicht, vielmehr ist die Absicht erkennbar, alle Facetten des konstruierten und instrumentalisierten Heiligen zur Darstellung zu bringen und damit zu zeigen, auf welchen Grundlagen und Voraussetzungen die Verbindung des Petrus mit der Inquisition beruht.

Prudlos Arbeit gliedert sich in zwei große Teile, in Leben und Nachleben, in die irdische Existenz des Petrus von Verona und die postmortale Kultexistenz des Petrus Martyr. In den Blick gerät so zunächst Peters Jugend, die insofern allergrößtes Interesse beanspruchen darf, als Petrus aus einer Familie stammte, die klar häretische Sympathien hegte. Erst der Kontakt mit Dominikus in Bologna, wo sich Petrus zu Studienzwecken aufhielt, sollte zu einer Konversion, zum Bruch mit der Familie und zum Eintritt in den noch neuen Dominikanerorden führen. Die einzelnen Karriereschritte innerhalb des Ordens werden knapp und anschaulich zur Darstellung gebracht – mitunter befremden jedoch psychologisierende Deutungen. Wenn die Chronistik davon spricht, Petrus habe 1251 im Mailänder Konvent einen Garten angelegt, dieses Faktum in der Folge an eine Mirakelerzählung gekoppelt wird, in der von früherer Gartenpflege im Konvent von Como die Rede ist, und daraus abgeleitet wird, Petrus habe aus Freude gegärtnert (for enjoyment, S. 33) und wenn Prudlo – als Krönung – schließlich noch anfügt, dieses Faktum könne zum besseren Verständnis der Gesamtpersönlichkeit beitragen, dann wirkt dies doch eher befremdlich.

Gelungen sind die Ausführungen zur Predigttätigkeit des Petrus, der seit den 1240er-Jahren als Generalprediger des Ordens fungierte und dabei eine ungeheure Massenwirkung entfaltete – hier hätte freilich die Tatsache, dass keine einzige Predigt überliefert ist, noch zusätzlicher Erläuterungen bedurft. Gestützt auf die in Bruchstücken erhaltenen Inquisitionsprotokolle wird die Ermordung des Petrus und seiner Gefährten, werden seine letzten Stunden einer detaillierten Analyse unterzogen und dabei die Mär, Petrus habe sterbend mit seinem Blut das Credo auf die Erde geschrieben, ins Reich der Legende verwiesen.

Unmittelbar nach der Ermordung – niemand zweifelte daran, dass Petrus für seinen Glauben gestorben war – setzten die Bemühungen um eine Heiligsprechung ein. Tatsächlich lagen zwischen der Eröffnung des Informativprozesses am 31.8.1252 und der Kanonisierung am 9.3.1253 nur knapp sieben Monate. Damit darf Petrus als derjenige Heilige gelten, der – zumindest formal – die schnellste Kanonisierung in der Geschichte der Kirche durchlief. Zu einer Erfolgsgeschichte entwickelte sich dieser formaljuristische Akt jedoch nicht unmittelbar: Der Kult stieß nicht nur im kaiserfreundlichen Milieu auf Widerspruch, sondern auch in Kreisen der konkurrierenden Orden, insbesondere der Franziskaner. Lange Zeit wanderten sowohl das Papsttum als auch der Dominikanerorden auf dem schmalen Grat zwischen Kultpromotion und -verteidigung. Petrus profitierte schlussendlich jedoch von der supranationalen Ausrichtung des Predigerordens und dessen Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Liturgie. Hatte die Kanonisierung Peter einen Platz im Himmel gesichert, waren die Dominikaner für seine „Erdhaftung“ zuständig. Ab 1255 sorgte eine stete Dedizierung von Altären und Kirchen sub titulo Petri für eine Ausbreitung des Kultes, dessen Zentrum unwidersprochen im Konvent Sant’Eustorgio in Mailand lag. Dort fand auch eine Koordinierung der Kultaktivitäten statt: Petrus diente dazu, Idealkonzeptionen dominikanischen Lebens zu verbreiten und die Dominikaner verwandten große Sorgfalt darauf, Petrus passgenau in den Rahmen zeitgenössischer Heiligkeit einzufügen. Man ging dabei sehr weit: Petrus wurde nicht nur zum bloßen imitator Christi, sondern zum alter Christus stilisiert. Diese christologischen Parallelen wurden über das Medium der Predigt massenhaft verbreitet: Die entsprechenden Erfolge blieben nicht aus. Diese Darstellung dominikanischer Kultkonstruktion und -propagierung gehört mit zu den anregendsten Passagen der Monografie. Insbesondere die Bedeutung des Bildes von der „dreifachen Krone“ (Märtyrertum, Jungfräulichkeit, Gelehrsamkeit) wird stringent in all ihren Verästelungen entfaltet. Spätestens Ende des 13. Jahrhunderts war der Siegeszug des Ordensheiligen nicht mehr aufzuhalten, stieg seine Popularität auch innerhalb der Laienwelt ins Unermessliche – eine Popularität, die diejenige des Ordensgründers Dominikus bei weitem überstieg.

Zur Popularität trug eine Vielzahl von Wundern bei, die sich jedoch im Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert deutlich in ihrem Charakter änderten: die Untersuchung der entsprechenden Mirakelsammlungen verdeutlicht, dass Strafwunder an die Stelle von Heilungswundern traten – Petrus wurde trotz seiner weiterhin anhaltenden Popularität zu einem Angst einflößenden, ja unnahbaren Heiligen. Genau in dieser Zeit sind im Bereich der Predigt auch die ersten Versuche feststellbar, Petrus stärker in seiner Rolle als Inquisitor darzustellen – mit den bereits erwähnten Langzeitfolgen.

Auf eine Diskussion der zur Verfügung stehenden Quellen – nach wie vor ist auf den entsprechenden Band in den ‚Acta Sanctorum’ zurückzugreifen, in dem sich eine von Ambrogio Taegio um 1500 angelegte Kompilation unterschiedlichster Quellen findet – folgt in einem umfangreichen Anhang die Übersetzung eines Großteils dieser Quellen ins Englische. Der Nutzwert für den akademischen Unterricht liegt unmittelbar auf der Hand – neben päpstlichen Bullen, Auszügen aus Mirakelsammlungen, Fragmenten des Informativprozesses ist es vor allem die Übertragung der umfangreichen Vita, die besonderes Interesse beanspruchen darf.

Prudlo gelingt es in seiner Untersuchung, Petrus Martyr vom Ballast konfessioneller Kontroversen zu befreien, Gewöhnliches mit Außergewöhnlichem in seiner Person zu verbinden, historische Ereignisse zu kontextualisieren und an die Ergebnisse der aktuellen Forschung rückzubinden – einzig die florierende deutschsprachige Forschung zum Komplex „Wunder“ scheint von ihm nicht recht zur Kenntnis genommen worden zu sein. Petrus war kein kanonisierter Konrad von Marburg, sondern ein Heiliger, der zu Lebzeiten dezidiert für seine Glaubensüberzeugungen eintrat und nach seinem Tod Gegenstand großer Kirchen- und Ordenspolitik wurde. Eine Wiederaufnahme in das liturgische Gedenken der Universalkirche dürfte zwar auch diese Untersuchung nicht bewirken, freilich könnte sie zu einer etwas differenzierteren Sichtweise auf diesen „schwierigen“ Heiligen beitragen.

Anmerkung:
1 Antoine Dondaine, Saint Pierre Martyr, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 23 (1953), S. 67-150.

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