M. Rother: Kooperation – Kollaboration – Konkurrenz

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Titel
Kooperation – Kollaboration – Konkurrenz. Deutsches und französisches Fernsehen bis 1963


Autor(en)
Rother, Michael
Reihe
Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Fickers, Faculty of Arts and Social Sciences, University of Maastricht

Trotz der als stiefmütterlich zu bezeichnenden Behandlung des Fernsehens in der modernen Zeitgeschichtsschreibung erfreut sich das Medium international einer wachsenden akademischen Aufmerksamkeit. Nach einer langen Phase nationalgeschichtlicher Aufarbeitungen des Mediums entdecken Medienwissenschaftler wie Medienhistoriker die transnationale Dimension des Fernsehens und interessieren sich zunehmend für Prozesse der Zirkulation und Aneignungen von bestimmten Programmen oder spezifischen Formaten. Obwohl bereits 1998 als Habilitationsschrift an der Universität-Gesamthochschule Siegen im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 240 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Bildschirmmedien. Ästhetik – Pragmatik – Geschichte. Fernsehen in der BRD“ eingereicht, trifft Rothers Studie den Nerv aktueller Debatten und Diskussion innerhalb der Mediengeschichte, da sie der transnationalen Dimension des Fernsehens – auch und gerade in der experimentellen Phase des neuen Mediums – Rechnung trägt.1 Zwar macht sich die bedauerliche zehnjährige Lücke zwischen dem Abschluss des Habilitationsverfahrens und der Veröffentlichung der Arbeit dahingehend bemerkbar, dass die einleitende Diskussion des Fernsehens als großtechnisches und publizistisches System theoriehistorisch ein wenig angestaubt wirkt und zwischenzeitlich erschienene Publikationen nur sehr bruchstückhaft rezipiert werden, doch schmälert dies den historischen Erkenntniswert der Arbeit nur geringfügig. Dieser ergibt sich aus Sicht des Rezensenten vor allem aus der konsequent durchgehaltenen bi-nationalen Analyseperspektive sowie der systematischen Problematisierung des Fernsehens als einem komplexen Zusammenspiel technischer, industrieller, politischer und kultureller Faktoren.

Dass sich das Verhältnis dieser Faktoren unter sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen verändert – mal zu Gunsten, mal zum Nachteil deutsch-französischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Fernsehens – weist Rother überzeugend nach. Anhand eines chronologisch strukturierten Entwicklungsmodells macht Rother fünf Phasen der deutsch-französischen Aktivitäten im Fernsehbereich aus. Die erste Phase (bis 1939/40) zeichnete sich durch eine internationale Zusammenarbeit auf technisch-industrieller Ebene ab, die sich auf deutsch-französischer Ebene beispielsweise in einem ausgiebigen Forschungs- und Entwicklungsabkommen zwischen Telefunken und der französischen Compagnie des Compteurs (CdC) niederschlug. Bereits in dieser ersten Phase bildeten sich personelle und strukturelle Netzwerke, die – und dies ist einer der interessantesten Befunde dieser Arbeit – trotz der sich drastisch verändernden politischen Rahmenbedingungen (Kriegs- und Besatzungszeit, Nachkriegszeit) eine erstaunliche Kontinuität und Stabilität aufwiesen. Zu den lesenswertesten und an neuen Fakten reichhaltigsten Kapiteln zählt ohne Zweifel die von Rother als „Besatzungsfernsehen“ überschriebene zweite Phase (1941/44). Zwar ist die kuriose Episode des „Fernsehsenders Paris“, der während der gut zwei Jahre vor allem Unterhaltungsprogramme für verwundete Soldaten in Pariser Lazaretten ausstrahlte, für Fachleute keine Neuheit.2 Jedoch bettet Rother die Entstehung und Funktion des Senders in bislang ungekannter Detailfülle in die militärischen, industriellen und politischen Auseinandersetzungen um das Fernsehen als strategischer Symboltechnik ein. Hoffte man auf deutscher Seite, mit der Etablierung deutscher Fernsehtechnik den europäischen Rundfunkraum langfristig dominieren und entsprechende Absatzmärkte für die Zukunft generieren zu können, war die Kollaboration auf französischer Seite (Radiodiffusion Nationale, RN) von dem Gedanken motiviert, Staatsmittel in eine Zukunftstechnologie zu investieren, derer man sich nach Beendigung des Krieges dank entsprechender Verträge bedienen können würde. „Alle diese Investitionen zeugen von der Form von ‚Kollaboration’, die seit 1942 in Bezug auf das Fernsehen geübt wird“, so Rother. „Interessen der deutschen Besatzungsmacht verbinden sich mit der Absicht der RN beziehungsweise der Vichy-Regierung, bei dieser Gelegenheit Zukunftsinvestitionen im Bereich des Fernsehens und des Hörfunks zu betätigen und in diesem Kontext zugleich wo immer möglich von der technischen Zusammenarbeit mit den Deutschen zu profitieren“ (S. 121).

Mit dem Ende der deutschen Besatzung beginnt eine nicht minder überraschende Phase französisch-deutscher Kooperation, diesmal allerdings unter umgekehrten politischen und industriellen Vorzeichen. Da sämtliche Fernsehaktivitäten auf deutschem Boden unter den Alliierten verboten werden, finden zahlreiche deutsche Fernsehtechniker dank ihrer Vorkriegs- oder Kriegsverbindungen eine Anstellung in den Entwicklungslaboren der CdC, unter ihnen auch der ehemalige Leiter des „Fernsehsender Paris“, Kurt Hinzmann, der zu einer Art Verbindungsoffizier der Telefunken-Leute bei der CdC wurde. „Hinzmann und die Telefunken-Mannschaft konnten – bildlich gesprochen – als Besiegte die Dividenden des Kapitals genießen, das sie als Sieger und Vertreter staatlicher Institutionen wie als Industrielle in Paris investiert hatten“ (S. 170). Doch trotz dieser unverhofften Kontinuität deutsch-französischer Fernsehkontakte kam es ab Ende der 1940er-Jahre zu einer verstärkten und vor allen Dingen von französischer Seite betriebenen Differenzierung und Konkurrenz. Diese vierte Phase (1948-1952) zeichnete sich durch eine technopolitische Instrumentalisierung der Fernsehtechnik aus, in deren Mittelpunkt die konkurrierenden Zeilennormen (819 in Frankreich, 625 in Deutschland) standen. Erst nach dem Scheitern der Bemühungen um eine Standardisierung der schwarz-weiß-Normen auf europäischer Ebene 3 kommt es laut Rother in einer fünften Phase (1952-1963) zu einer „Normalisierung“ und in Ansätzen partnerschaftlich orientierten Zusammenarbeit zwischen bundesdeutschen und französischen Institutionen auch jenseits fernsehtechnischer Aspekte.

Obwohl Rothers Phasenmodell überzeugt und seiner abschließenden Interpretation der deutsch-französischen Fernsehbeziehungen als zyklischem Prozess der Differenzierung und Integration, der Konkurrenz und Kooperation, Distanzierung und Annäherung zuzustimmen ist, wirken die systemtheoretischen Interpretationen des Öfteren aufgesetzt, zuweilen gar irritierend. Statt einer abstrakten, manchmal formelhaft wiederholten Interpretation der Ereignisse als Ausdruck der „Ausdifferenzierung diverser Sub- und Teilsysteme in partikularen Kommunikationsräumen“ hätte man sich als Historiker eine verstärkte Einbindung in die reichhaltige Forschungsliteratur deutsch-französischer Beziehungen gewünscht. Die systematisch durchgehaltene bilaterale Perspektive – ohne Zweifel eine der methodischen Stärken der Arbeit – geht in manchen Fällen zu Lasten einer breiteren Kontextualisierung des Fernsehens als internationalem und europäischem Phänomen. So bleibt etwa die Auseinandersetzung um die schwarz-weiß Zeilennormen ohne die Einbeziehung wichtiger Akteure wie des niederländischen Philips-Konzerns oder der englischen Fernsehindustrie nur bedingt nachvollziehbar. Auch die privilegierte Rolle der BBC als wichtigstem französischem Partner im Aufbau einer europäischen Rundfunkinfrastruktur ab 1950 bleibt leider ausgeblendet.

Sind diese Fokussierungen aus methodologischer Sicht nachvollziehbar, verwundert eine Tatsache jedoch sehr: die konsequente Ausblendung des Saarlandes als privilegiertem Territorium deutsch-französischer Fernsehaktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine eingehende Analyse der französischen Fernsehaktivitäten im Saarland (Stichwort Télé-Saar und Europe 1) zwänge Rother wahrscheinlich dazu, sein Phasenmodell – zumindest für die Zeit zwischen 1952 und 1958 – um eine weitere Phase komplexer deutsch-französischer Fernsehaktivitäten zu ergänzen.4 Trotz dieser partiellen Einwände hat Michael Rother mit „Kooperation – Kollaboration – Konkurrenz“ ein an Faktenreichtum und Detailkenntnis beeindruckendes Werk deutsch-französischer Fernsehgeschichtsschreibung vorgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass es auch in Frankreich die verdiente Leserschaft erreichen wird.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Jean K. Chalaby, Transnational Television in Europe. Reconfiguring Global Communication Networks, London 2009; Jonathan Bignell / Andreas Fickers (eds.), A European Television History, Malden 2008. Die Fachzeitschriften Media History und Journal of Modern European History werden beide im Jahre 2010 ein Sonderheft zur transnationalen und vergleichenden Mediengeschichte herausbringen.
2 Siehe beispielsweise die unveröffentlichte Dissertation von Petra Truckendanner, Der Fernsehsender Paris. Deutsch-französisches Okkupationsfernsehen 1942-1944, Diss. Universität Salzburg 1998.
3 Siehe hierzu ausführlich Andreas Fickers, „Politique de la grandeur“ versus „Made in Germany“. Politische Kulturgeschichte der Technik am Beispiel der PAL-SECAM-Kontroverse, München 2007, S. 65-101.
4 Einen ersten Überblick bietet der Rezensent in der im Herbst erscheinenden Mediengeschichte des Saarlandes: Clemens Zimmermann / Rainer Hudemann / Michael Kudern, Medienlandschaft Saar, München 2009.

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