Innerhalb der intensiv betriebenen Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts haben Biografien der Lehrenden, und hier zuvorderst der Universitätsprofessoren, einen festen und berechtigten Platz. Dabei muss der Wert gerade biografischer Lexika und anderer biografiegeschichtlicher Werke nicht betont werden, die für ihre Bearbeiter eine immense Herausforderung hinsichtlich der Bewältigung des Quellenmaterials bedeuten. Mit ihnen sind jedoch – wie bei den meisten Werken der Grundlagenforschung in den Geisteswissenschaften – keine großartigen wissenschaftlichen Lorbeeren zu holen. Auch die Autoren der vorliegenden zwei Bücher müssen Berge an Aktenmaterial und Literatur durchgesehen haben, um zu ihren beachtenswerten Ergebnissen zu gelangen. Die Wege, die beschritten wurden, sind sehr unterschiedlich: Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar stellen in ihrer im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte entstandenen Arbeit das Professorenkollegium der kleinen Universität Rostock im Zeitraum des Nationalsozialismus in Biogrammen vor. Dabei bieten sie 189 Professorenporträts von größtenteils jeweils etwas mehr als einer Druckseite Umfang, wobei auch einige längere Porträts zu finden sind. Ziel war es, die „Hauptakteure der Geschichte der Universität in der NS-Zeit namhaft zu machen“ (S. 10). Dazu versammeln sie weiteres ergänzendes Material. Jörg-Peter Jatho und Gerd Simon konzentrieren sich auf die Historiker, die während des Nationalsozialismus an der – ebenfalls kleinen – Universität Gießen gewirkt haben und können wegen ihres enger gefassten Themas 25 Personen und deren Tätigkeit und Arbeiten ausführlicher vorstellen.
Zunächst zu Rostock: Durchaus ungewöhnlich für ein biografisches Lexikon ist der Umfang der „Einleitung“ von fast 50 Seiten, und ungewöhnlich „gut“ ist, was Buddrus und Fritzlar bieten: Der unverdientermaßen nur „Einleitung“ betitelte Text enthält zuerst einen Überblick zum Forschungsstand und nachfolgend ein vorbildliches wissenschaftsgeschichtliches Raster und Kriterienbündel für die biografiegeschichtliche Erfassung und Erforschung universitärer Kollegien. Dieses Kriterienbündel exerzieren sie an ihrem Beispiel der Rostocker Professoren durch und fragen dabei nach der Dauer der Universitätszugehörigkeit, dem Berufungsalter, dem Zeitpunkt der Berufung, der regionalen und sozialen Herkunft der Lehrenden, dem Kriegseinsatz im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, der Parteizugehörigkeit und der jüdischen Herkunft. Bei den Studenten fragen sie nach der Entwicklung ihrer Anzahl und dem Anteil von Frauen. Die Antworten auf diese Fragen werden in eine knappe Darstellung der Wirksamkeit der vier Phasen nationalsozialistischer Hochschulpolitik an der Universität Rostock und der Entnazifizierung integriert. In einem umfänglichen Anhang über „Amtsträger der NS-Hochschulpolitik“ werden schließlich nochmals 27 Personen in Kurzbiografien vorgestellt, die vor Ort und im Land Mecklenburg in Angelegenheiten der Universität eingriffen, etwa Minister, Regierungsbevollmächtigte, Kuratoren, Gaudozentenbund-Führer, Dozentenbund-Führer, Dozentenschafts-Führer oder „Führer“ verschiedener Studentenorganisationen. Dem folgen Tabellen und Listen zu Rektoren, Prorektoren und Dekanen, Lehrstuhlbesetzungen, Instituts- und Seminardirektoren und zuletzt zu den Studierenden. Abgeschlossen wird das Buch von einem Abkürzungsverzeichnis. Auf ein Register wurde bedauerlicherweise verzichtet. Freilich muss eingeräumt werden, dass die Erstellung des Registers wegen der sehr vielen vorkommenden Personen- und Ortsnamen die Herausgabe des Buches erheblich verzögert hätte.
In den Kurzbiografien werden persönliche Daten, Schulen, Studium, Kriegsteilnahme, wissenschaftliche Karriere, Publikationen, politische Tätigkeit und Quellen zu der porträtierten Person erfasst, wobei naturgemäß Überlieferung und wissenschaftliche Leistung bzw. Bedeutung der einzelnen Personen zu unterschiedlich langen Artikeln führen. Hervorzuheben ist, dass fast jeder Artikel eine Fotografie des Porträtierten aufzuweisen hat. Obwohl die Artikel eine Menge Angaben zu Werk und Person des Porträtierten präsentieren, ist zu bedauern, dass im Apparat nur auf archivalische Quellen verwiesen wird und (Sekundär-)Literatur unberücksichtigt bleibt. Das wird von den Bearbeitern begründet, doch hätte man sich – ohne Vollständigkeit anstreben zu wollen – wenigstens die Nennung grundlegender Studien gewünscht.1 Als kleiner Kritikpunkt soll angeführt werden, dass man bei jeder Kurzbiografie wiederkehrende Wendungen hätte abkürzen sollen, was etwa Geltung hat für „geboren“, „evangelisch“, „ordentlicher Professor“, „Mitgliedsnummer“ usw., zumal andere Begriffe abgekürzt wurden.
Die vom Umfang ihres Lehrkörpers her kleinste deutsche Universität unterstand seit Juli 1932 einer nationalsozialistischen Alleinregierung auf Landesebene und wurde dadurch „das erste Testfeld, auf dem die Nationalsozialisten die Gestaltung einer nach ihren Vorstellungen auszurichtenden Hochschul- und Wissenschaftspolitik erproben konnten“ (S. 7). Zugleich erlebte Rostock unter den deutschen Hochschulen die längste Zeitdauer unter NS-Herrschaft. Insgesamt kann referiert werden, dass, wie allgemein üblich, aber doch in noch stärkerem Maß regionale und soziale Herkunft sowie die Konfession der Kandidaten bei Berufungen nach Rostock eine wichtige Rolle spielten. Der Lehrkörper der Universität wurde seit 1932/33 (wie zuvor) von konservativen und protestantischen Personen dominiert, etwas mehr als die Hälfte der Professoren trat der NSDAP bei. Dass unter den behandelten Lehrenden keine Professorin anzutreffen ist, ergänzt das Bild der konservativen Universität (bis 1933 wurden in Deutschland immerhin schon über 20 Professorinnen ernannt). Unter den Professoren befinden sich einige auf ihren Forschungsfeldern bekannte Namen wie Pascual Jordan (Physik), Otto Körner (Medizin), Paul Kunze (Physik), Heinrich Mitteis (Rechtswissenschaft) und Paul Walden (Chemie) oder Personen, die wegen ihrer exponierten, nicht nur wissenschaftlichen Tätigkeit während des Nationalsozialismus auffallen wie Herbert Jahnkuhn (Vor- und Frühgeschichte).
Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar kommen in ihrem Buch einer Kollektivbiografie der Rostocker Lehrenden nahe und zeigen gleichzeitig einzelne verschiedene und aufschlussreiche Karrierewege auf, wie etwa den Fall Heinrich Hertel, der über seine Beschäftigung als technischer Direktor in den in Rostock angesiedelten Heinkel-Rüstungswerken mit der Universität in Verbindung kam und 1938 eine Honorarprofessur erhielt. Das Buch „Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich“ ist eine wesentliche Bereicherung aus der wissenschaftsgeschichtlichen Grundlagenforschung für die Beschäftigung mit der Geschichte der NS-Herrschaft auf verschiedenen disziplinären Feldern und hat Vorbildcharakter.
Zu Gießen: Der Hauptverantwortliche für diese Publikation ist der durch einige Arbeiten zur Geschichte Gießens und Oberhessens bekannte pensionierte Oberstudienrat Jörg-Peter Jatho, der in seine Publikation drei (soweit zu erkennen) von Gerd Simon und ein von Verena Schaible verfasstes Porträt aufgenommen hat. Das an ein breites Publikum gerichtete Buch entspringt grundsätzlich dem ideologiekritischen Bestreben, dem noch bei den Feiern und Publikationen aus Anlass des 400-jährigen Jubiläums der Universität gemäß Jatho zutage getretenen Ignorieren der „meisten peinlichen Fakten der Hochschulvergangenheit“ Gießens (S. 16) und der „Tradition akademischer Selbstbeweihräucherung“ entgegen zu wirken, innerhalb der „die braunen Flecken naturgemäß untergehen“ (S. 17).2 Mittels übersichtlicher Präsentation von Kurzbiografien und Dokumenten soll ein Beitrag zur „Auseinandersetzung mit der eigenen politischen NS-Vergangenheit“ (S. 16) der Universität Gießen geleistet werden.
Jatho hat „aus dem Universitätspersonal […] die Historiker als Gruppe ausgewählt, da sie aus ihrer lebenslangen Beschäftigung mit der Politik und Kultur vergangener Epochen heraus über den größten Wissensvorsprung auch für die Beurteilung der jeweiligen zeitgenössischen Politik und Gesellschaft verfügen müssten […], und damit in ihrem politischen Verhalten – wozu hier vor allem ihre Lehrtätigkeit, die daraus entstandenen Fachbücher und andere öffentliche Stellungnahmen gerechnet werden – auch mit die höchste Verantwortung im Vergleich zu anderen akademischen Sparten tragen“ (S. 16). Dieses auf einem vermeintlichen „Wissensvorsprung“ der Historiker beruhende Auswahlkriterium kann kritisiert werden, insofern nämlich als ein (nicht formuliertes) Ergebnis des Buches zu konstatieren ist, dass der „größte Wissensvorsprung auch für die Beurteilung der jeweiligen zeitgenössischen Politik und Gesellschaft“ eben möglicherweise nicht vorhanden war, und falls ja, jedenfalls die Historiker mehrheitlich nicht zu einer Ablehnung oder wirkungsvollen Resistenz gegenüber dem NS-Regime neigten. Das ist heute dank intensiver wissenschaftsgeschichtlicher Forschung hinlänglich bekannt. Freilich, ein anderes Postulat Jathos wird wohl seine Gültigkeit behalten: „Universitäre Lehren verliehen großen Teilen der NS-Agitation […] Autorität, Honorigkeit und eine scheinbare Glaubwürdigkeit“ (S. 19). Und das sicher auch an der Universität Gießen, von deren Lehrenden immerhin 58 Prozent der NSDAP beigetreten sind, wobei die Geisteswissenschaftler mit 42 Prozent weit hinter den Juristen oder Medizinern lagen; die Historiker kamen auf eine Rate von 52 Prozent.
Jatho beginnt mit einer Skizze der Universität Gießen und der dort wirkenden Historiker und zieht knappe Vergleiche mit den Universitäten Erlangen, Göttingen, Hamburg und Jena. Im anschließenden Kapitel „Zwischen Nationalkonservatismus und Nationalsozialismus – Positionen der Gießener Historiker in ihren Werken“ stellt er in kurzen, jedoch wiederum unterschiedlich langen, sich inhaltlich auf das Dritte Reich konzentrierenden Porträts folgende Personen vor: den Urgeschichtler Heinrich Richter, die Vertreter der Alten Geschichte Werner Schur, Kurt Stade, Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, Fritz Taeger und Hans Zeiß, die Mediävisten Dietrich von Gladiß, Erich Freiherr von Guttenberg, Hans Haimar Jacobs, Walter Kienast, Paul Kirn, Theodor Mayer, Ludwig Petry und Gerd Tellenbach, die Neuzeitler Kurt Borries, Friedrich König, Wilhelm Mommsen, Kurt von Raumer, Gustav Roloff, Walter Schmied-Kowarzik und Rudolf Stadelmann. Dabei werden auch deren Werke zitiert und/oder paraphrasiert und interpretiert. Von einigen der Historiker werden auch Fotografien wiedergegeben.
Das größte Interesse verdienen die längeren Porträts Taegers, Mayers, Roloffs und Stadelmanns. Letzterem, der auf dem Bucheinband auf einer Fotografie in SA-Uniform zu sehen ist, wird zudem das eigene Kapitel „Rudolf Stadelmann im Kreis der Gießener Historiker 1933–1945“ gewidmet, das mit seinem Umfang von nahezu 130 Seiten das ganze Buch eigentlich mehr zu einer Stadelmann-Biografie macht, zumal noch Verena Schaibles aus einer universitären Seminararbeit hervorgegangener, nicht durchgehend überzeugender Text „Stadelmann – Ein Nationalsozialist?“ beigefügt wird. Stadelmann (1902–1949), der vier Studienjahre in Gießen lehrte, wird von Jatho als vielseitiger, Themen des 15. bis 20. Jahrhunderts behandelnder und auch philosophische Aspekte beachtender Historiker erkannt, der den öffentlichen Auftritt nicht scheute und in Vorträgen seinen Beitrag zu den deutschen Kriegsanstrengungen leistete. Verena Schaible, die Stadelmanns Sohn Ernst-Rudolf befragen konnte, kommt zu dem Ergebnis, den Historiker nicht als „Nationalsozialisten“, sondern als „Mitläufer“ einzustufen. Jatho versucht auch – durchaus überzeugend – eine „Struktur des Geschichtsbildes von Rudolf Stadelmann“ herauszuarbeiten und lässt zudem seine Kollegen bzw. Mitstreiter wie Gerhard Ritter (Doktorvater), Martin Heidegger, Hermann Heimpel oder Hans Rothfels in Stellungnahmen über Stadelmann zu Wort kommen. Im Endergebnis wird deutlich, dass Stadelmann wegen seines ambivalenten Verhaltens mit den Kategorien „Nationalsozialist“ oder „Mitläufer“ – wie etliche damalige Personen – nicht zu fassen ist. Sein Beispiel verdeutlicht exemplarisch die (bereits seit langem diskutierte) Problematik, wie Person und Werk von Wissenschaftlern im Nationalsozialismus adäquat, das heißt wissenschaftsgeschichtlich ergiebig, zu beschreiben sind.
In einem umfänglichen, 150 Seiten umfassenden Anhang über „Auszüge aus Texten Gießener Historiker“ sollen die in den einzelnen Porträts abgegebenen Wertungen ihre quellenfundierte Berechtigung finden und die Texte für sich selbst sprechen. Ein weiterer Anhang enthält Informationen zu Stadelmann wie Lebenslauf, betreute Dissertationen, angekündigte Lehrveranstaltungen und einen Brief an Martin Heidegger von 1933. Abgeschlossen wird das Buch von einem gegliederten Literaturverzeichnis und einem ausführlichen Personenregister. Das Buch bietet genügend Dokumente – im Sinn des Autors wohl als „Beweise“ zu deuten – für die rege systembejahende und systemstützende Publikations- und Agitationstätigkeit der Gießener Historiker im Nationalsozialismus. Mehr will es nicht leisten, und gerade die Lektüre der ausgewählten Texte, die in den meisten Fällen wirklich „für sich sprechen“, lässt den Wunsch wach werden, über den einen oder anderen (Gießener) Historiker mehr zu erfahren.3 Leider fehlt dem Buch eine Zusammenfassung, und der etwas unübersichtliche und stellenweise zu pädagogische Aufbau erleichtert dem Leser das Verfolgen eines „roten Fadens“ nicht. Einige polemische Stellen verstärken keineswegs die Aussagekraft des Buches. Dieses wird insgesamt vermehrt als ergiebiger Steinbruch dienen für Historiker, die sich künftig mit der Geschichte der Universität Gießen, den Universitäten und Historikern im Dritten Reich oder mit einem bestimmten Historiker, der einen Teil seiner Laufbahn in Gießen durchlebt hat, befassen.
Beide Bücher sind trotz des Unterschieds in der Professionalität des Ansatzes, der Analyse und der Darstellung – hier haben Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar eindeutig Vorrang – wertvolle und wichtige Publikationen für die Geschichte der deutschen Universitäts- und Professorenlandschaft im Nationalsozialismus und sollten zu weiteren Studien anregen.
Anmerkungen:
1 Ich nenne nur zu den Historikern Heinrich Mitteis und Herbert Jankuhn: Georg Brun, Leben und Werk des Rechtshistorikers Heinrich Mitteis unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991; Heiko Steuer, Herbert Jankuhn und seine Darstellungen zur Germanen- und Wikingerzeit, in: ders. (Hrsg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin 2001, S. 417-473.
2 Die kritisierten Werke sind zuvorderst: Hans Georg Gundel / Peter Moraw / Volker Press (Hrsg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 2 Bde., Marburg 1982; Peter Moraw, Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl. Gießen 1990; Horst Carl u.a. (Hrsg.), Panorama. 400 Jahre Universität Gießen. Akteure, Schauplätze, Erinnerungskultur, Frankfurt am Main 2007.
3 Der vermutlich am intensivsten erforschte Gießener Historiker dürfte Theodor Mayer sein, siehe zuletzt: Helmut Maurer, Theodor Mayer (1883–1972). Sein Wirken vornehmlich während der Zeit des Nationalsozialismus, in: Karel Hruza (Hrsg.), Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Porträts, Wien 2008, S. 493–530, vgl. dazu Pavel Kolar: Rezension, in: H-Soz-u-Kult, 06.07.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-014> (19.07.2009) und die relevanten Passagen in: Pavel Kolář, Geschichtswissenschaft in Zentraleuropa. Die Universitäten Prag, Wien und Berlin um 1900, 2 Bde., Berlin 2008, vgl. dazu Jan Surman: Rezension, in: H-Soz-u-Kult, 02.03.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-174> (19.07.2009).