J. Feuchter u.a. (Hrsg.): Redekultur

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Titel
Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit


Herausgeber
Feuchter, Jörg; Helmrath, Johannes
Reihe
Eigene und fremde Welten 9
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
253 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lena Oetzel, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

Mit dem vorliegenden Sammelband wollen die Herausgeber Jörg Feuchter und Johannes Helmrath ihren Forschungsansatz zur Parlamentsoratorik zur Diskussion stellen, wie sie ihn in dem Projekt „Oratorik auf europäischen Reichs- und Ständeversammlungen des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit als Repräsentation politisch-sozialer Ordnung im Vergleich“ im Rahmen des Berliner Sonderforschungsbereichs „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ entwickelt haben. Indem sie bewusst den Begriff ‚Oratorik’ anstatt ‚Rhetorik’ wählen, distanzieren sie sich von der traditionellen Rhetorikforschung, die Reden eher unter literarischen Gesichtspunkten analysiert. Feuchter und Helmrath hingegen wollen Reden – und speziell Parlamentsreden – in ihrem spezifischen historischen Kontext betrachten. Dabei gehen sie explizit interdisziplinär vor und beziehen verschiedene Theorien und Disziplinen in ihre Arbeit mit ein: von der klassischen Rhetorik und der Sprechakttheorie über die Ritualforschung und die Kulturgeschichte des Politischen bis hin zur vergleichenden Verfassungsgeschichte.

Besonders wichtig ist der von ihnen gewählte Kontext der Reden: vormoderne Parlaments- und Ständeversammlungen. Zwar ist hierbei – im Unterschied zur Streitkultur in modernen Parlamenten – von einem hohen Konsensdruck auszugehen, der sich am Willen des Herrschers orientierte. Feuchter und Helmrath gehen jedoch davon aus, dass Parlamente nicht lediglich „reine Verkündungsvehikel monarchisch-monologischer Machtansprüche“ (S. 10) waren, sondern die dort gehaltenen Reden sowohl eine „diskursiv-agonal[e]“ als auch eine „zeremoniell-konsensuell[e]“ (S. 11) Funktion hatten und so ein wichtiges Instrument für das Aushandeln von politischen Entscheidungen und Machtverhältnissen darstellten.

Entsprechend ihrem interdisziplinären Ansatz beleuchten auch die Beiträge des Sammelbandes vormoderne Parlamentsreden aus verschiedenen methodischen Blickwinkeln.

Der Kommunikationswissenschaftler und Rhetorikforscher Josef Kopperschmidt unterzieht den oratorischen Forschungsansatz der Herausgeber einer theoretischen Prüfung. Indem das Projekt die Reden in ihren Kontext einbettet, gleicht es die Defizite der klassischen Rhetorikforschung aus. So ist es zentral, das Ziel einer Rede im Auge zu behalten: das Überzeugen der Zuhörer von der eigenen Position, wobei der Redner sich dem Erwartungshorizont seines Publikums anpassen muss. Kopperschmidt spricht hier von einem Anschlussparadigma. Daher setzt sich der oratorische Ansatz zum Ziel, die Reden – und damit Rhetorik allgemein – nicht als „primär sprachliche Technologie, sondern [als] eine ,kulturelle Praxis‘“ (S. 28) zu betrachten, bezieht dabei jedoch, so Kopperschmidt, die klassische Rhetoriktheorie fundiert mit ein.

Die folgenden Beiträge wenden sich nun verschiedenen Parlamenten und Ständeversammlungen und damit den Reden selbst zu. Henry J. Cohn, Lucas Rüger, Barbara Stollberg-Rilinger, Sašo Jerše und André Krischer beschäftigen sich mit dem Reichstag, während Kolja Lichy, Peter Mack, Jörg Feuchter und Loris Petris über die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches nach Polen-Litauen, England und Frankreich schauen.

Für Cohn stehen die Reichstagsreden nicht im Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses. Vielmehr stellen sie eine Quelle unter vielen dar, um Kommunikation auf dem Reichstag und innerhalb der einzelnen Stände zu untersuchen. Er gibt einen umfassenden Überblick über die Quellenlage und die Art der Überlieferung der Debatten und Reden für die Reichstage unter Karl V. und ihren möglichen Wert für die Oratorikforschung.

Am Beispiel der Türkenreden auf dem Reichstag in Augsburg 1518 untersucht Lucas Rüger das Verhältnis von mündlicher und im Nachhinein gedruckter Rede. Auch wenn die Reden alle verfasst wurden, um gehalten zu werden, war es nicht selbstverständlich, dass dies auch geschah. Vielmehr hing es davon ab, ob sie der kaiserlichen Planung für den Reichstag entsprachen. Die anschließende Publikation bot hier eine Kompensationsmöglichkeit, die im Rahmen des publizistischen Türkendiskurses eine eigene Wirkungskraft entwickelte.

Barbara Stollberg-Rilinger zeigt die Verbindungspunkte zwischen dem oratorischen Forschungsansatz und dem symbolisch-zeremoniellen Ansatz des Münsteraner Sonderforschungsbereiches „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertsysteme“ auf. Sie geht davon aus, dass symbolische, non-verbale Kommunikationsformen den Rahmen definierten, in dem dann die Reden überhaupt erst stattfinden konnten, und beleuchtet auf diese Weise den zeremoniellen Kontext der Reden. Dies führt sie exemplarisch am Reichstag in Augsburg 1530 und dem Konflikt zwischen Kaiser und protestantischen Ständen vor.

Sašo Jerše beschäftigt sich mit den von der Forschung vernachlässigten Türkenreden der innerösterreichischen Gesandten auf den Reichstagen in Regensburg 1576, 1594 und 1597/98, wobei es ihm um den politischen Zweck und die politische Wirkung der Reden geht. So fungierten sie wesentlich als „Beratungs-Ouvertüre“ (S. 129), mittels derer das Thema der Verwaltung der Türkenhilfe trotz des Widerstandes des Kaisers wieder auf die Tagesordnung gebracht wurde.

André Krischer wiederum zeigt, wie Reden und Rhetorik dazu genutzt wurden, soziale Zugehörigkeit herzustellen. Insofern betrachtet er die Rhetorik des Barockzeitalters als „verbale Dimension des höfisch-diplomatischen Zeremoniells“ (S. 135). Die Legitimierung neuer Gesandter der Reichsstädte auf den Reichstagen nach 1648 dient hier als gut gewähltes Beispiel, da die Reichsstädte unter einem besonderen Druck standen, ihre Zugehörigkeit beweisen zu müssen.

Einen Blick nach Polen-Litauen wirft Kolja Lichy, der die Reden auf dem polnisch-litauischen Sejm als Teil des Aushandlungsprozesses um die Herrschaft versteht. Besonders augenfällig wird dies während der Herrschaft Sigismunds I., der versuchte, die monarchische Macht gegenüber dem Adel zu stärken. Am Beispiel der Rede des Senators Jan Ostroróg zeigt Lichy, wie jener Rhetorik und Zeremoniell nutzend den Senat als Mittler zwischen Herrscher und widerständiger Opposition darstellte.

Peter Mack untersucht die Charakteristika der englischen Parlamentsreden und ihre Bedeutung unter Elisabeth I. So sprachen die Reden mehr den Intellekt als die Emotionen der Zuhörer an. Ihr unmittelbarer politischer Nutzen war eher gering, dennoch hatten sie eine wichtige Funktion innerhalb des politischen Prozesses, dienten sie doch als Stimmungsbarometer und dadurch als Druckmittel auf die Königin. Dementsprechend bezeichnet Mack das Parlament als Forum der öffentlichen Meinung.

Die letzten beiden Beiträge widmen sich den französischen Generalständen. Jörg Feuchter weist auf die mangelnde wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Reden auf den Generalständen hin, obwohl ihnen von Zeitgenossen offensichtlich viel Bedeutung beigemessen wurde. Um Abhilfe zu schaffen, skizziert er die Überlieferung von den Generalständen Philipps des Schönen 1302 bis zu den Generalständen von Pontoise 1561. Dabei betont er die Bedeutung der Mündlichkeit gegenüber der aufkommenden Schriftlichkeit; es war wichtig, dass die Reden tatsächlich gehalten wurden, weswegen sich die Generalstände als eine „kollektive Redetherapie für das Königreich“ (S. 218) bezeichnen lassen.

Abschließend analysiert Loris Petris die Reden des Kanzlers Michel de L’Hospital zwischen 1563 und 1568 und geht der Verwendung von Konzepten wie ‚Vernunft‘, ,Klugheit‘, ,Notwendigkeit‘ und ,Billigkeit‘ nach. Dabei zeigt er, wie L’Hospital sich seinem Publikum und den jeweiligen Umständen anpasst, um die Handlungsweise seines Königs zu legitimieren.

Den Beiträgen gelingt es, die Frage der vormodernen Parlamentsoratorik von verschiedenen methodischen Blickwinkeln aus zu beleuchten und so zu zeigen, mit welch unterschiedlichen Fragestellungen man Parlamentsreden untersuchen kann. Obwohl die meisten Beiträge einen anderen Ansatzpunkt haben als die Herausgeber, demonstrieren sie doch in ihrer Vielfältigkeit die Tragfähigkeit eines methodisch so breit angelegten Forschungsansatzes. Einzig zu bemängeln ist der starke Fokus auf den Reichstag und damit das Heilige Römische Reich. Doch die Herausgeber merken selbst an, dass es notwendig sei, den europäischen Blick um die iberischen und die skandinavischen Ständeversammlungen zu erweitern.

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