T.P. Sojčić: Die 'Lösung' der kroatischen Frage zwischen 1939 und 1945

Cover
Titel
Die ,Lösung‘ der kroatischen Frage zwischen 1939 und 1945. Kalküle und Illusionen


Autor(en)
Sojčić, Tvrtko P.
Reihe
Historische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft 71
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
476 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rayk Einax, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die kurze, wenn auch gewaltintensive Geschichte des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (Nezavisna Država Hrvatska – NDH) zwischen April 1941 und Mai 1945 erhitzt auch heute noch die Gemüter. 1 Jedenfalls verhinderten laut Tvrtko Sojčić die Brutalität des „Ustaša“-Regimes unter ihrem „Führer“ Ante Pavelić und der Sieg der Tito-Partisanen im Zweiten Weltkrieg im Mai 1945 zunächst eine dauerhafte Beantwortung der „kroatischen Frage“ – das heißt die staatliche Unabhängigkeit oder eine weitgehende Autonomie innerhalb eines südslawischen Staatsverbandes. Bereits der am 1. Dezember 1918 gegründete „Staat der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS) habe aufgrund der serbischen Suprematie dieses Autonomieversprechen nicht eingelöst und damit in den Augen eines Großteils der kroatischen Bevölkerung keine Legitimität besessen. Beginnend mit dem sogenannten „Sporazum“ (Übereinkommen), in dem 1939, als es fast schon zu spät war, zwischen der Regierung und den Vertretern der „Kroatischen Bauernpartei“ (HSS) eine kroatische Sonderverwaltung innerhalb des jugoslawischen Königreiches vereinbart wurde, rekonstruiert der Autor die außen- und innenpolitische Geschichte des NDH bis zu dessen Zusammenbruch 1945.

Die übereilte Gründung des NDH nach der Zerschlagung Jugoslawiens im April 1941 machte gleichzeitig die neuen Abhängigkeitsverhältnisse deutlich: Die Ustaša-Bewegung verdankte die Erlangung der politischen Macht lediglich den Siegern, das heißt den Achsenmächten Deutschland und Italien. Die Machtübernahme der von Italien protegierten Ustaša sei dem Autor zufolge daher eher als das (zufällige) Ergebnis der Abgrenzung von Interessenssphären zwischen den Okkupanten, nicht als eine langfristig vorbereitete Optimallösung anzusehen. Damit war die Existenz des NDH aber unmittelbar und beständig an den militärischen Erfolg der Achsenpartner sowie an den Ausgang des bald einsetzenden Bürgerkrieges gebunden. Pavelić und die Ustaša hatten sich demzufolge dem Diktat von oben zu beugen. In Berlin und Rom wurde über den territorial künstlich zusammengestückelten kroatischen Staat entschieden; selbst innenpolitische Angelegenheiten blieben oft der Zustimmung bzw. der Einmischung von außen vorbehalten. Da der NDH zunächst unter italienischer Hegemonie stand, die laut Autor in der Bevölkerung alles andere als populär gewesen sei, habe die kroatische Führung den Ausweg in der engen politischen Anlehnung an das Deutsche Reich gesucht, die wiederum unmittelbar in der wirtschaftlichen Ausbeutung endete. 2

Die Bekämpfung politischer Gegner beruhte von Anfang an auf reiner Willkür. Um die Verfolgungen zu legitimieren, wurden zum einen die formalen (un-)gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Zum anderen wurde die Bevölkerung über die Presse mit gewaltverherrlichender Propaganda sowie diversen ideologischen Versatzstücken versorgt, die die Orientierung am Weltbild des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus augenfällig machten. Zum größten Feindbild avancierten schnell Serben, Juden und der „Bolschewismus“, auch wenn die Intensität und der Inhalt der Hasstiraden im weiteren Kriegsverlauf Veränderungen ausgesetzt gewesen sei. Die nackte Gewaltpolitik des Regimes bei der „Kroatisierung“ des Staatsgebietes führte schnell zu Massenvertreibungen, die in der Regel nach ethnischen Mustern abliefen: „Die Abrechnung der Ustaše mit den Serben, welche den neuen kroatischen Staat nicht anerkannten, war erbarmungslos und trug durchaus die Züge eines Genozids bzw. Verbrechens gegen die Menschlichkeit.“ (S. 235) Im Namen der entrechteten serbischen Bevölkerung übten die „Četnici“ im Gegenzug Widerstand und Vergeltung, und so eskalierte die Gewalt. Aufgrund der chaotischen Zustände baten sogar deutsche Dienststellen um die zügige Beendigung des Terrors, auch wenn im Ziel prinzipiell Einigkeit herrschte. Wegen der militärischen und administrativen Schwäche des NDH bei der Kontrolle seines Staatsterritoriums erfolgte daher Anfang 1942 eine „Abmilderung“ der Exzesse. Von der einsetzenden Assimilierungspolitik waren die jüdische Bevölkerung und die Roma hingegen nicht betroffen. Diese wurde nach deutschem Vorbild fast vollständig deportiert und fanden anschließend in Konzentrationslagern den Tod. Zum wichtigsten Betätigungsfeld für die deutschen und italienischen Besatzungs- und Sondereinsatzgruppen wurde die Bekämpfung der Tito-Partisanenbewegung. Der damit einhergehende Terror gegen die Zivilbevölkerung brutalisierte die Kampfführung zunehmend – auf allen Seiten. Die deutsche Bevölkerung musste dafür nach dem Krieg ihrerseits mit Vertreibung büßen.

Neben der reinen Ereignisgeschichte verdient ein Abschnitt des Buches besondere Aufmerksamkeit, in dem die Rolle der katholischen Kirche im NDH näher beleuchtet wird. Am Beispiel des Erzbischofs von Zagreb Alojzije Stepinac zeigt Sojčić, dass in den Reihen des Klerus – mit einigen Ausnahmen – keine vorbehaltlose Unterwerfung unter das Regime vorgeherrscht habe. Einig war man sich im Antikommunismus sowie bei der Unterstützung für den kroatischen Nationalstaat. Demonstrativer Patriotismus ging aber durchaus mit kirchlichem Protest gegen die Gewaltpolitik der Ustaša – gegen Zwangstaufen, Vertreibungen und Verfolgungen – einher. Zu einer eindeutigen Distanzierung habe sich die Kirchenführung jedoch nicht durchringen können. Somit sei es der jugoslawischen Geschichtsschreibung nach 1945 nicht schwer gefallen, die kroatische Kirche als willfährigen Handlanger des Regimes zu charakterisieren.

Zum Abschluss des Buches analysiert Sojčić die Frage nach der Zahl der Kriegsopfer, die in den postjugoslawischen (National-)Staaten bis zum heutigen Tage erheblich voneinander abweicht. Dies sei einerseits das Ergebnis unhaltbarer Opferberechnungen im sozialistischen Jugoslawien gewesen, andererseits dauerten nationale Mythen und die Bereitschaft, diese als vermeintlich alles entscheidendes Argument in gegenseitigen politischen Konflikten und historischen Debatten zu verwenden, bis heute fort. Zu diesen Mythen, deren Gehalt der Autor sachlich wenngleich kritisch untersucht, gehören unter anderem das (kroatische) Konzentrationslager Jasenovac sowie (auf kroatischer Seite) die „Tragödie von Bleiburg“, bei der tausende kroatische Kriegsgefangene und Flüchtlinge bei Kriegsende von Tito-Partisanen kurzerhand liquidiert wurden. 3

Nach dem neuerlichen Zerfall Jugoslawiens 1991/92 ließ sich die Konfrontation nationaler bzw. nationalistischer Standpunkte kaum auflösen. Der neue kroatische Staat instrumentalisierte seinerseits die öffentliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und verhalf dem NDH bzw. der Ustaša teilweise zu einer offiziellen Rehabilitierung. 4 Im jugoslawischen Rumpfstaat blieben die stark verzerrte Darstellung der Jasenovac-Thematik und die davon vermeintlich nach wie vor ausgehende Bedrohung populär. 5 Beide Seiten nutzten dieses propagandistische Potential zur Mobilisierung in den Sezessionskriegen von 1992-1995. Im publizistischen und wissenschaftlichen Umgang mit dieser heiklen Vergangenheit stehen also viele Kontroversen erst am Beginn. Laut Verfasser, der für sich den Standpunkt der Neutralität beansprucht, ist das Buch eine Bestandsaufnahme, die ein Schlaglicht auf die konkurrierenden wissenschaftlich-historiografischen Sichtweisen wirft und einen Beitrag zur De-Mystifikation des Untersuchungsgegenstands liefern soll.

Für den Kenner bietet das Buch nur wenig neue Erkenntnisse. Positiv hervorzuheben bleibt, dass Sojčić die „heißen Eisen“ der erinnerungspolitischen Debatten entschlossen anpackt und dabei Ursachen und Verantwortliche klar und sachlich benennt. Da die Studie in hohem Maße auf die Außen- und Kriegspolitik des Deutschen Reiches und Italiens konzentriert ist, kann man das Buch als einen Abriss der deutsch-kroatischen Beziehungen und deren darin zum Ausdruck gekommenen Machtverhältnisse lesen. Dadurch sieht sich der Autor aber auch immer wieder dazu gezwungen, langwierige Rekurse auf die allgemeine Kriegslage an den europäischen Fronten zu liefern.

Methodisch ist das Werk über weite Strecken als übermäßig deskriptive und wenig analytische Diplomatiegeschichte aufgebaut. Statt aus Archivmaterial zu zitieren, bemüht der Verfasser sehr ausführlich den „Völkischen Beobachter“ als Quelle – scheinbar zu dem Zweck, die damaligen Ereignisse anhand der zeitgenössischen Publizistik zu rekonstruieren. Viele der teilweise seitenlangen Zitate sind redundant und in ihrem Sinn fragwürdig. Darüber hinaus verbergen sich auf 428 Text-Seiten insgesamt 1906 Fußnoten, die mitunter zuvor angeführte Details wiederholen, oder sich inhaltlich sogar widersprechen. Weniger Beschreibung und mehr Analyse hätten einen Zugewinn an Information für den Leser bedeutet. Somit bleibt ein zwiespältiges Fazit zu ziehen: So erfreulich und notwendig ein aktuelles Buch zur Geschichte des NDH auch ist, bei der Lektüre des vorliegenden stehen Aufwand und Ertrag in einem ungünstigen Verhältnis.

Anmerkungen:
1 Zur Geschichte des NDH siehe Ladislaus Hory, Martin Broszat, Der kroatische Ustascha-Staat 1941-1945, Stuttgart 1964; Holm Sundhaussen, Der Ustascha-Staat. Anatomie eines Herrschaftssystems, in: Österreichische Osthefte 37 (1995), S. 497-533; Ludwig Steindorff, Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2001, S. 156-172.
2 Vgl. Holm Sundhaussen, Wirtschaftsgeschichte Kroatiens im nationalsozialistischen Großraum 1941-1945. Das Scheitern einer Ausbeutungsstrategie, Stuttgart 1983.
3 Siehe u. a. Holm Sundhaussen, Das Konzentrationslager Jasenovac (1941-1945): Konstruktion und Dekonstruktion eines Kriegsverbrechens und Weltkriegsmythos, in: Wolfram Wette / Gerd. R. Ueberschär (Hrsg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 370-381; Holm Sundhaussen, Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten. Konstruktion, Dekonstruktion und Neukonstruktion von „Erinnerungen“ und Mythen, in: Monika Flacke, Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, 2 Bde. Mainz, Berlin 2004, Bd. 1, S. 373-426.
4 Vgl. Maja Brkljačić / Holm Sundhaussen, Symbolwandel und symbolischer Wandel. Kroatiens „Erinnerungskulturen“, in: Osteuropa 53 (2003), S. 933-948.
5 Vgl. Vladimir Dedijer, Jasenovac – das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan, hrsg. von Gottfried Niemietz. 4. Aufl. Freiburg im Breisgau 1993.

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