Die komparative Methode erfreut sich unter Historikern von alters her zu Recht Beliebtheit, wobei im Zuge von europäischer Einigung und Globalisierung in jüngerer Zeit transnationale und transkulturelle Perspektiven zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Der Vergleich mit dem islamischen Kulturkreis kommt von europäischer Seite dabei jedoch oftmals gar nicht erst zustande, da die sprachlichen Voraussetzungen fehlen. Schon vor diesem Hintergrund betritt Wolfram Drews mit seiner Kölner Habilitationsschrift insbesondere in der Mediävistik „weitgehend Neuland“ (S. 23).
Die „kuriose Koinzidenz“ (S. 11) eines nahezu zeitgleichen Dynastiewechsels von Merowingern zu Karolingern im Frankenreich und von Umayyaden zu Abbasiden im islamischen Kalifat nimmt Drews zum Anlass, nach den Legitimationsstrategien der Usurpatoren und den damit verbundenen strukturellen Voraussetzungen, Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten ihrer Herrschaft zu fragen.
Herrschaft wird bei Drews im Weberschen Sinne verstanden, und auch sonst bedient er sich bei seinen „Vergleichsoperationen“ (S. 26) soziologischer Theorieangebote, vornehmlich Max Webers und Pierre Bourdieus.1 In seiner Einleitung (S. 11-37) legt er diese theoretischen Grundlagen dar und begründet seinen Untersuchungsgegenstand sowie seine Methode der „historischen Kontextualisierung in vergleichender Perspektive“ (S. 17). Drews’ Vergleichspunkte sind zwangsläufig selektiv, wobei er nach den „Diskursen“ (S. 38-173) und „Praktiken der Herrschaftslegitimation“ („I: Formung und Instrumentalisierung der Eliten“, S. 174-235; „II: Herrscherliche Normsetzung“, S. 236-329) in einem letzten Schritt „Kulturelle und religiöse Parameter der Herrschaftslegitimation: Konzeptualisierungen des Politischen und ihre historischen Voraussetzungen“ (S. 330-436) in den Blick nimmt und sich damit ein beachtliches Pensum setzt. Der Vergleich wird innerhalb der jeweiligen Kapitel bzw. Unterkapitel durchgeführt; die Ausführungen zum Frankenreich und zum Kalifat sind längenmäßig weitgehend ausgeglichen. Die Gliederung mit ihren drei verschiedenen Ebenen ist diesbezüglich jedoch nicht ganz konsequent und vor allem leider recht unübersichtlich, was wohl auch dem Layout des Inhaltsverzeichnisses geschuldet ist. Auch bei den Textüberschriften entsteht Verwirrung, wenn gleiche Gliederungsebenen in unterschiedlichen Schriftgrößen gesetzt sind (S. 236 und S. 246). Solche gestalterischen Details erschweren vielleicht unnötig das Lesen, dem Inhalt der Untersuchung tun sie keinen Abbruch. An dieser Stelle sei allerdings auch bemerkt, dass der an vielen Stellen alles andere als zwingende Gebrauch gelehrter Fremdwörter, insbesondere des Paradigmen-Begriffs (siehe etwa unten), der Verständlichkeit und begrifflichen Klarheit nicht immer zuträglich ist. Ebenfalls erschwerend macht sich Drews weitgehender Verzicht auf Jahreszahlen und Lebensdaten erwähnter Personen bemerkbar, insbesondere wenn der Leser nicht gleichermaßen Spezialist für spätantikes Christentum, fränkisches Mittelalter und frühen Islam ist. Hier wären Stammtafeln hilfreich gewesen, gerade weil Drews zu Recht von einer schlichten Rekapitulation der jeweiligen Ereignisse absieht.
Stattdessen geht es ihm darum, durch „Rückbindung der wissenschaftlich konstruierten ‚Objekte‘ an ihre Voraussetzungen und Entstehungsbedingungen […] strukturelle Analogien und Homologien sowie funktionale Äquivalente zu benennen, die Intentionen und Handlungen historischer Akteure und die Erfolgschancen ihrer Aktivitäten maßgeblich mitbestimmten“ (S. 26). Konkret bedeutet das etwa im Kapitel „Diskurse der Herrschaftslegitimation“, dass Drews zunächst die traditionale Erbfolge unter Merowingern und Umayyaden in den Blick nimmt, um diese anschließend mit den Argumenten zur Rechtfertigung der Usurpationen von 750 und 751 in Beziehung zu setzen. Bei den Franken misst er dem rituellen Akt der Königseinsetzung durch Salbung besondere Bedeutung bei. Dadurch, dass diese „in der biblischen Tradition vorgegeben und in Analogie zu anderen sakramentalen Salbungen gestaltet war“, habe sie „ausreichend Anhaltspunkte“ geboten, „um das neu erfundene Ritual konsensfähig zu machen und es potentiellen Anhängern [der Karolinger] plausibel erscheinen zu lassen“ (S. 80). Daneben verweist Drews auf die durch Patenschaft hergestellte künstliche Verwandtschaft der Usurpatoren zum Papsttum. Durch die Indienstnahme von zum Teil schon bestehenden Ritualen und Institutionen sei den Karolingern die „Kreierung eines Amtscharismas“ (S. 168) gelungen, während den Abbasiden dieser Weg durch das Fehlen äquivalenter Institutionen in der formativen Periode des Islams sowie von Präzedenzfällen zur „Erfindung neuer Rituale“ so nicht zur Verfügung gestanden habe (S. 171). Stattdessen stützten sie sich „auf das unklare Kriterium der Verwandtschaft mit dem Propheten“ (S. 173) und verwiesen insbesondere auf die Gottlosigkeit ihrer Vorgänger.
Doch nicht nur bei der ideellen Rechtfertigung ihrer Herrschaft scheinen die Karolinger über mehr Geschick bzw. günstigere strukturelle Voraussetzungen verfügt zu haben als die Abbasiden. Davon ausgehend, dass eine Usurpation sich durch „die Verankerung im Konsens der Führungsschichten“ stabilisiere (S. 174), bietet Drews einen Überblick über die Eliten im merowingischen Frankenreich und im frühen Kalifat und analysiert deren Bedeutung für die Herrschaftspraxis der Usurpatoren. Während im Kalifat erst unter den Abbasiden eine imperial rekrutierte und stark zentralisierte Verwaltungselite entstanden sei, habe sich im Frankenreich „aus der provinzialrömischen Aristokratie und der fränkischen Oberschicht eine neue […] homogene Elite“ herausgebildet, die die Karolinger zwar verstärkt an die Zentrale gebunden hätten, ohne aber die Stellung lokaler Herrschaftsträger aufzuheben. Für diese sowohl abhängige als auch autonome Zwischenschicht habe es im Kalifat „kein funktionales Äquivalent“ gegeben (S. 234f.).
Bei der Frage nach der herrscherlichen Normsetzung zum Zwecke der Herrschaftslegitimation konzentriert sich Drews auf die Regierungen Karls des Großen (768-814) und al-Ma’mūns (813-833), deren religionspolitisches Engagement unter anderem der „Sicherung der religiösen und ideellen Grundlagen ihrer Herrschaft“ gedient habe (S. 320). Doch habe Karl bezüglich filioque und Adoptianismus langfristig Erfolge verbuchen können, wohingegen sich unter al-Ma’mūns Nachfolger al-Mutawakkil letztlich gar das Gegenteil der ursprünglich intendierten Reformen durchgesetzt habe. In beiden Fällen aber wirke „das Ergebnis der frühmittelalterlichen Auseinandersetzungen theologisch bis in die Gegenwart fort“ (S. 329).
Seinem Anliegen der breiten Kontextualisierung der Usurpationen entsprechend unternimmt es Drews zum Abschluss, „die kulturellen Grundlagen und Voraussetzungen zu analysieren, die für die politischen Handlungsspielräume der karolingischen und abbasidischen Akteure maßgebend waren“ (S. 330). Dabei stellt er fest, dass sich die beiden Dynastiewechsel „ganz erheblich in ihren kulturellen Rahmenbedingungen“ unterschieden (S. 366). Die Karolinger knüpften explizit an die (christianisierte) Antike an, während die Abbasiden „legitimierendes Kapital nur aus der islamischen sowie der vorislamischen arabischen Überlieferung“ beziehen konnten (S. 366). Insgesamt kommt Drews zu dem Ergebnis, dass das Karolingerreich von den Paradigmen „Antike und Christentum“ sowie „Synthese und Integration“ (S. 445) geprägt gewesen sei, die es den Usurpatoren ermöglichten, „ihre Herrschaft durch Bezugnahme auf unterschiedliche Sorten symbolischen Kapitals“ abzusichern (S. 454). „Dies“, so schließt Drews, „gewährleistete eine vergleichsweise größere Flexibilität bei der Begründung legitimer Herrschaft, die je nach historischem Kontext wechselnde, in der religiösen und kulturellen Tradition verwurzelte Plausibilisierungsangebote nutzen konnte“ (S. 454). Das anschließende Literaturverzeichnis beinhaltet nur die mehrfach zitierte Literatur. Der Band endet mit einem kombinierten Personen- und Sachregister.
Abgesehen von den erforderlichen Sprachkenntnissen beeindruckt die Arbeit durch ihren breiten Einblick in zwei doch sehr verschiedene Kulturen und Herrschaftsräume. Wer aber als Spezialist der Islamwissenschaft bzw. der frühen fränkischen Geschichte, der Kirchen- oder Rechtsgeschichte grundlegend neue Erkenntnisse für sein Fachgebiet erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Doch bietet die Untersuchung gerade auch für den Spezialisten durch die Konfrontation mit dem „Fremden“ Inspirationspotential für die eigene Arbeit. Drews selbst möchte seine Untersuchung „als Beitrag zu einer komparativen Politik- und Kulturgeschichte des frühmittelalterlichen Christentums und Islams“ verstanden wissen (S. 36), ein Anspruch, den er voll und ganz erfüllt. Für jeden, der sich für die Möglichkeiten komparativer, transkultureller Ansätze in der sogenannten Vormoderne interessiert, bietet Drews’ Arbeit vielfältige Anregungen.
Anmerkung:
1 Vor allem Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tübingen 1980 (1. Aufl. 1921/22); Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.