Cover
Titel
Global Shanghai 1850-2010. A history in fragments


Autor(en)
Wasserstrom, Jeffrey N.
Reihe
Asia's Global Cities
Erschienen
New York 2009: Routledge
Anzahl Seiten
xvi, 170 S.
Preis
€ 25,79
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Valeska Huber, Fachbereich Geschichte, Universität Konstanz

Jeffrey Wasserstrom hat mit seinem schmalen Band, der in der Serie „Asia’s Great Cities“ bei Routledge erschienen ist, einen Beitrag zur wachsenden Literatur über „global cities“ geleistet. In sieben Zeitschnitten, die die Geschichte Shanghais zwischen 1850 und 2000 in 25-Jahres-Schritten durchmessen, liefert er Schnappschüsse, die unterschiedliche Arten von Globalisierung, De-Globalisierung und Re-Globalisierung in der Stadt zu unterschiedlichen Zeiten erschließen.

Die Vignetten nehmen jeweils verschiedene Fragen und Quellen zum Ausgangspunkt. 1850 bilden westliche Zeitungen, allen voran der North China Herald, das zentrale Quellenkorpus. Anhand dieser Zeitung verfolgt Wasserstrom zum Beispiel die Bevölkerungsverteilung: Wo lebten Nicht-Chinesen und, viel wichtiger, in welchem Ausmaß nahmen Chinesen am Leben in den europäischen ”settlements“ teil? Schon für 1850 muss zudem die „Western community“ differenziert werden und Amerikaner, Briten, Franzosen, aber auch russische Emigrés und Juden aus Bagdad mit einschließen, eine Tatsache, die die Kategorie des „Westens“ in einer Stadt wie Shanghai fragwürdig werden lässt.

Für 1875, einem Jahr, dem in klassischen Narrativen Shanghais oder Chinas keine besondere Bedeutung zukommt, folgen Karten und Literatur als Untersuchungsmaterial. Mithilfe einer Karte, die mit den Daten der Volkszählung kombiniert wird, kann Wasserstrom eruieren, welche Gruppen in welchem Teil der Stadt lebte; er kann darauf schließen, dass „many native residents ... found it natural to move regularly between different parts of the city“ (S. 41); und er kann zeigen, dass Globalität als Interaktion verstanden, also gelebt wurde. Er spielt mit der inzwischen vielleicht etwas überstrapazierten Allegorie der Karte, wenn er im Anschluss demonstriert, dass Shanghai in den 1870er-Jahren auch einen Platz auf der literarischen Weltkarte von Autoren wie zum Beispiel Jules Verne gefunden hatte.

Im Jahr 1900 betont Wasserstrom den Boxerkrieg als globales Ereignis. Daneben liefert er dem Leser eine Reihe möglicher Alternativen, wie die Globalität Shanghais an der Jahrhundertwende auch noch gemessen werden könnte: neben der Technikentwicklung – Fahrräder, Eisen- und Straßenbahnen, Elektrizität und Telefon geben der Stadt in diesen Jahren ein explizit modernes Gesicht – werden Demographie und Bevölkerungswachstum, Kartographie oder ein Gerichtsverfahren als Gradmesser der Globalität präsentiert.

Für 1925 fällt die Auswahl des zentralen Ereignisses ebenfalls leicht: Das Jahr erscheint in den Annalen mit den Studentendemonstrationen und dem blutigen Durchgreifen der britischen Truppen am 30. Mai. Doch stehen in diesem Kapitel weniger die Ereignisse selbst im Vordergrund als die Gruppe der „cosmopolitan nationalists“, für die Shanghai eine Doppelstellung einnimmt – einerseits als Sozialbiotop, in dem sie vielfältig vernetzt sind, andererseits als Symbol nationaler Erniedrigung. Beschreibungen von bestimmten Personen aus dieser Gruppe, wie zum Beispiel Song Qingling, stellt Wasserstrom einen Verlag (Liangyou Press), ein Buch eines weißrussischen Emigré (Anatole Kotenev, Shanghai: Its Mixed Court and Council) und ein Gebäude (das Custom House, das auf fast allen Postkarten und Darstellungen des modernen Shanghais auftauchte) zur Seite.

Das Kapitel über 1950 steht selbstverständlich im Zeichen der Revolution. Die Ereignisse von 1949 sind gerade durch die Feierlichkeiten zu ihrem sechzigsten Jahrestag ins Gedächtnis gerufen worden. Doch zeigt Wasserstrom anhand zweier Autobiographien, dass in diesem Jahr die Transformation noch nicht komplett war; noch hatten zum Beispiel nicht alle Ausländer die Stadt verlassen. Während 1950 die Verstaatlichung der Presse und andere tiefgreifende politische Umgestaltungen bereits vorgenommen, aber erst partiell realisiert worden waren, war 1975 alles Private verstaatlicht, Gebäude waren umbenannt, der Kleidungsstil uniformiert. Shanghai erscheint nun als sehr viel weniger global als noch 1950, doch betont Wasserstrom die Einbindung zunächst in die sino-russischen Beziehungen, später in Chinas Versuch, als Anführer der „dritten Welt“ zu fungieren. Um den Kontrast zur früheren Globalität Shanghais zu verdeutlichen, wählt er eine kontrafaktische Methode und lässt imaginäre ehemalige Bewohner Shanghais in die Stadt reisen.

Im letzten Teil erfährt der Leser einiges über Wasserstroms eigene Wahrnehmungen der Stadt, die er zu unterschiedlichen Zeiten seit 1980 bewohnt hat. Im Zentrum steht selbstverständlich die Re-Globalisierung Shanghais, die er am Beispiel der Planungen für die Weltausstellung 2010 und der boomenden Architektur exemplifiziert. Interessant sind hier besonders zehn Thesen, die Wasserstrom für das Shanghai des 21. Jahrhunderts entwirft. Unter anderem betont er, dass die Globalität Shanghais nicht als „East meets West“ gefasst werden kann, eine Idee, die ja bereits für die ”treaty port“-Phase Shanghais als fragwürdig herausgestellt worden war. Anhand von Fastfoodketten zum Beispiel lässt sich zeigen, dass es ebenso starke Ost-Ost-Verbindungen gibt mit Verknüpfungen nach Tokio, Hongkong oder Taipeh. Zudem zeigt Wasserstrom, wie in der Inszenierung von Globalität die Vergangenheit Shanghais instrumentalisiert wird und wie das historische Shanghai in Filmen lebendig gehalten oder besser mystifiziert wird. Außerhalb des konkreten Beispiels Shanghais weiterführend ist einerseits das Konzept einer re-globalisierenden Metropole, „cities that once had, subsequently lost, and are now striving to reclaim a position as one of the world’s leading cosmopolitan hubs“ (S. 133-134), andererseits die Charakterisierungen von Shanghai als postsozialistischen Metropole.

Die größte Schwäche des Buchs ist erstaunlicherweise seine Selbstreflexivität. Jeffrey Wasserstrom nennt seine Methode selbst „relatively arbitrary“ und lässt keine Möglichkeit aus, um alternative Herangehensweisen, gegen die er sich entschieden hat, zu thematisieren. Von Zeit zu Zeit ist er dabei zu explizit im Befragen und Definieren seines Vorgehens. Gern hätte man sich als Leser einmal etwas mehr zurückgelehnt und sich in das Shanghai der jeweiligen Zeit-Tranche versetzen lassen; stattdessen befindet man sich in fortwährendem Dialog mit Wasserstrom und seinen Zweifeln. Dabei stellt sich zudem die Frage, an wen sich das Buch richtet, da es einerseits ein allgemeines Publikum ansprechen könnte, andererseits aber aufgrund seiner Kürze und der unterschiedlichen Ebenen, zwischen denen Wasserstrom navigiert, recht voraussetzungsreich ist. So braucht man Hintergrundwissen über den Boxerkrieg, den 30. Mai 1925 oder die Revolution von 1949, um die kurzen Episoden einordnen zu können.

Doch wiegt ein entscheidendes Verdienst des Buches diese Probleme auf: „Global Shanghai“ trägt dazu bei, dass das zunächst von Saskia Sassen prominent gemachte Konzept der „global city“, ganz ähnlich übrigens wie das der Globalisierung genereller, von seiner vor allem ökonomischen Ausrichtung um soziale und kulturelle Aspekte erweitert wird. Wasserstrom macht gleich am Anfang deutlich, was er unter Globalität versteht, wenn er fragt: „Was Shanghai ‚global’ at any point in the nineteenth century, in the sense not just of being intensively linked to the wider world via trade but of having grand ambitions and having a name that enjoyed global recognition?“ (S. 17). „Globalität“ bedeutet also nicht nur das Vorhandensein ökonomischer Verknüpfungen und schneller Transportwege, sondern auch: sich selbst als global denken und als global wahrgenommen werden. Diese Selbst- und Fremdwahrnehmung von Globalität kann zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedliche Formen und Ausprägungen annehmen, die genau und differenziert untersucht werden müssen, ein Vorgehen, das sich sicher auch für andere Fallstudien anbieten würde und die ”global cities“-Forschung entscheidend weiterbringen könnte.

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