M. Thaden: Migration und Innere Sicherheit

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Title
Migration und Innere Sicherheit. Kroatische Exilgruppen in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980


Author(s)
Thaden, Matthias
Series
Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (124)
Published
Extent
VIII, 357 S.
Price
€ 24,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Julia Anna Schranz, Fakultätszentrum für transdisziplinäre historisch-kulturwissenschaftliche Studien, Universität Wien

Von den 1960er-Jahren bis in die 1980er-Jahre führten zentrale Akteure des kroatischen politischen Exils in der Bundesrepublik Deutschland Mordattentate, Bombenanschläge und bewaffnete Überfälle durch, um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen: Sie wollten einen unabhängigen kroatischen Staat erreichen. Jugoslawische Geheimdienste ermordeten ihrerseits prominente Emigranten, die in der Bundesrepublik Asyl genossen. So geriet das kroatische Exil zunehmend in den Blick bundesdeutscher Politik, Medien und Sicherheitsbehörden. Diesen heute weitgehend vergessenen Auseinandersetzungen zwischen Exilkroaten, jugoslawischen und bundesdeutschen Behörden widmet Matthias Thaden seine äußerst luzide und quellengesättigte Studie „Migration und Innere Sicherheit. Kroatische Exilgruppen in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980“, die auf seiner an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigten Dissertation basiert. Die Untersuchung der migrantischen, dabei in der Regel antikommunistisch und nationalistisch orientierten exilkroatischen Akteure nimmt so eine bisher unterbeleuchtete politische Gruppierung in den Fokus.

Die Quellenbasis der Studie ist breit. Thaden rezipiert neben geheimdienstlichen Dokumenten aus der Bundesrepublik und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) auch Archivmaterial der Innen- und Justizministerien auf Bundes- und Länderebene, des Auswärtigen Amts, des Bundeskanzleramts sowie des Deutschen Bundestages. Auch Akten aus den Beständen internationaler Hilfsorganisationen, des Deutschen Caritasverbandes und der Arbeiterwohlfahrt werden verwendet. Punktuell wird die zeitgenössische Berichterstattung herangezogen, darunter Fernseh- und Radiobeiträge sowie große westdeutsche Tageszeitungen, regionale Blätter und die Auslandsausgabe der jugoslawischen Zeitung „Vjesnik“ („Kurier“). Publikationen zentraler Exilorganisationen sowie unveröffentlichte Pamphlete und Korrespondenzen ermöglichen zudem Einblicke in die Perspektiven kroatischer Emigranten. Dabei zeichnet sich die Studie durch einen reflektierten und differenzierten Umgang mit den sehr unterschiedlichen Quellen aus. Auch die Rezeption der relevanten Forschungsliteratur erfolgt auf eine umfassende, genaue und kritische Art und Weise.

Die Monographie ist chronologisch aufgebaut. Thaden setzt zunächst 1945 an, wobei er eine konzise Geschichte des „Unabhängigen Staats Kroatien“ (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) und des Zweiten Weltkrieges in den jugoslawischen Gebieten als kurzen „Prolog“ voranstellt. Das zweite Kapitel (nach der Einleitung), das dem Exil in den frühen Nachkriegsjahren und seinen personellen wie ideologischen Kontinuitäten zum faschistischen NDH gewidmet ist, liest sich als präzise, zum Verständnis der Untersuchung wichtige Vorgeschichte. Für den primären Untersuchungszeitraum von Beginn der 1960er- bis in die 1980er-Jahre gewinnt die Studie nochmal deutlich an analytischer Schärfe. In zwei inhaltlich sehr dichten Kapiteln entwickelt Thaden die zentralen Argumente der Untersuchung. Mit den frühen 1980er-Jahren lässt Thaden seine Studie enden. Diese stellen für ihn insofern eine Zäsur dar, als sich die Opportunitätsstrukturen und damit die Strategien für Exilkroaten in der Bundesrepublik veränderten. Zudem markierte Titos Tod im Mai 1980 für die jugoslawische Politik einen Wendepunkt. Eine Einordnung der Ergebnisse in die breitere Forschungslandschaft sowie ein Ausblick in die Jahrzehnte nach dem Untersuchungszeitraum runden die Darstellung ab.

Seinem Anspruch, staatliches Handeln als „heterogenes Geflecht mit einer Vielzahl von Akteuren, Interessen und Handlungslogiken [zu begreifen], das vielfältige Verbindungen zu nicht-staatlichen Institutionen aufweist“ (S. 21), wird Thaden gerade in der Analyse zentraler Ereignisse wie dem Anschlag auf die jugoslawische Vertretung in Bonn-Mehlem 1962 und der „Causa Bilandžić“ 1978 beeindruckend gerecht. Für den letztlich an der innerdeutschen Debatte um Rechtsstaatlichkeit und Asylrecht gescheiterten Austausch Stjepan Bilandžićs und einer Reihe weiterer kroatischer Exilaktivisten gegen vier in Jugoslawien verhaftete, führende Mitglieder der Roten Armee Fraktion zeichnet Thaden detailreich nach, wie die Grenzen jugoslawischer geheimdienstlicher und kroatischer exilpolitischer Aktivitäten medial und behördlich intensiv und kontrovers ausgehandelt wurden.

Thaden nimmt an, dass sich in der Bundesrepublik zu keiner Zeit mehr als 2.000 Personen in offiziellen kroatischen Exilorganisationen und geheimen Untergrundgruppen engagierten. Er identifiziert vier Phasen der Wahrnehmung und politischen Handhabung kroatischer Exilaktivitäten in der Bundesrepublik, die er in einen breiteren Kontext von Innerer Sicherheit und Migration einordnet. Strittig gewesen sei der Umgang mit exilkroatischen Akteuren in der frühen Nachkriegszeit vor allem zwischen dem Auswärtigen Amt, das eine diplomatische Annäherung an das sozialistische Jugoslawien anstrebte, und dem Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, das eine dezidiert antikommunistische Haltung vertrat. Den bundesdeutschen Ministerien sowie Polizei und Geheimdiensten attestiert Thaden für diese Phase mangelndes Wissen und Interesse am kroatischen Exil, gerade im Vergleich zu anderen osteuropäischen Emigrant:innengruppen. Mit dem Attentat auf die jugoslawische Handelsmission in Bonn-Mehlem im Jahr 1962 sieht Thaden eine zweite Phase eingeläutet, in der exilkroatische Aktivitäten zunehmend in den Blick der Sicherheitsbehörden gerieten. Das Attentat ließ weiterhin die mangelnden Kenntnisse von Polizei und Geheimdiensten augenscheinlich werden. Es führte in der Folge zu neuen gesetzlichen Möglichkeiten der Repression gegenüber politischen Aktivitäten ausländischer Staatsbürger:innen in der Bundesrepublik. Gleichzeitig verblieb der primäre Fokus der Sicherheitsbehörden auf als „links“ gelesener politischer Gewalt aus- und inländischer Akteure. Ein massiver Kompetenzausbau im Bereich der Überwachung und Ermittlung, so Thaden, erfolgte daher erst als Reaktion auf von Palästinenser:innen verübte Attentate.

Eine dritte Phase – in den 1970er-Jahren – sieht Thaden von einer tiefergehenden Zusammenarbeit zwischen Bundesrepublik Deutschland und SFRJ gekennzeichnet, in der es neben einem verstärkten Austausch polizeilichen Wissens auch zum Abschluss eines Auslieferungsabkommens zwischen den beiden Staaten kam. Die in dieser Periode verübten politischen Morde an in der Bundesrepublik lebenden Exilanten geschahen, wie Thaden aufzeigt, „unter implizitem Wissen der Bundesbehörden“ (S. 288). Die vierte und letzte Phase setzt der Autor ab Mitte der 1970er-Jahre an, als die jugoslawischen Mordkommandos, aber auch die politische Gewalt der Exilkroaten unter anderem im Zuge des geplanten Gefangenenaustauschs Stjepan Bilandžićs und weiterer Emigranten medial und parteipolitisch massiv debattiert wurden. Die durch die Niederschlagung der regierungskritischen Massenbewegung des „Kroatischen Frühlings“ verjüngte und weiter ausdifferenzierte politische Emigration begann ihre Anliegen in dieser Phase zunehmend als Frage der Menschenrechte zu rahmen und von Gewalt als politisch probatem Mittel Abstand zu nehmen. Die gleichzeitig durchgesetzten deutlich stärkeren Repressionen gegen politisch gewalttätige Einzelpersonen durch besser vernetzte und informierte Behörden führten schließlich zu einer Abwanderung des radikalen exilkroatischen Flügels nach Übersee.

Exilkroaten stellten, so Thaden, im gesamten Untersuchungszeitraum zwar nicht die einzige, aber eine zentrale migrantische Akteursgruppe dar, die sukzessive zu einer „Auffassung vom ‚Ausländerextremismus‘ als einem genuin innenpolitischen Problemfeld“ (S. 289) führte. Gleichzeitig hält er fest, dass die jugoslawischen Geheimdienste in all diesen Phasen durchweg besser über exilkroatische Aktivitäten in der Bundesrepublik informiert gewesen seien als ihre westdeutschen Pendants. Diese Wissensdefizite der bundesdeutschen Behörden führt Thaden unter anderem auf die starke Föderalisierung in der Sicherheitspolitik und die dadurch erschwerte Kooperation über Landesgrenzen hinweg, aber auch auf die Priorisierung anderer, vornehmlich linksterroristischer Bedrohungsszenarien sowie auf mangelnde sprachliche Kompetenzen und fehlende personelle Ausstattung zur Überwachung exilkroatischer Akteure zurück.

Thaden rekonstruiert Wissensstand, Gefahrenkonstruktionen und Handlungsweisen bundesdeutscher und jugoslawischer staatlicher und nichtstaatlicher Akteure. Die daraus resultierenden, sich wandelnden Gelegenheitsstrukturen für exilkroatische Akteure versteht der Autor als zentral für deren strategische Ausrichtung und Aktivitäten. Blaupausen für die Legitimation ihrer politischen Ziele und Mittel fanden kroatische Emigrantengruppen dabei unter anderem in der Rhetorik des Kalten Krieges, in antikolonialen Befreiungskämpfen und zunehmend unter Rückgriff auf internationale Menschenrechtsdiskurse.

Das politisch aktive kroatische Exil in der Bundesrepublik wird zwar als eine Bewegung charakterisiert, aber nie als monolithischer Block beschrieben. Vielmehr nimmt Thaden ideologische und strategische Unterschiede sowie die immer wieder ausgetragenen Grabenkämpfe zwischen einzelnen Exilgruppen und prominenten Figuren differenziert in den Blick. Die von den jugoslawischen Behörden befürchtete Anziehungskraft der politischen Emigration auf die von der Bundesrepublik angeworbenen Arbeitsmigrant:innen schätzt er als eher gering ein.

Die rezensierte Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Migration aus Jugoslawien in die Bundesrepublik. Mit seinem Fokus auf die komplexen Effekte von Migration für Einwanderungs- und Auswanderungsgesellschaften knüpft der Verfasser auch explizit an rezente Debatten der postmigrantischen Migrationsforschung an. Besonders spannend erscheint mir in diesem Zusammenhang Thadens Analyse der sich wandelnden Aushandlung politischer Rechte und Partizipationsmöglichkeiten migrantischer Akteure, die eine lineare Geschichte zunehmender Demokratisierung fraglich werden lässt. Seine Untersuchung regt darüber hinaus zum Nachdenken über die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit in Migrationsgesellschaften an. Durch die detaillierte Beleuchtung des Entstehens eines „migrations-sicherheitspolitischen Nexus“ (S. 297) in der Bundesrepublik trägt die Arbeit auf innovative Weise zur Geschichte der westdeutschen Sicherheitsdienste bei. Nicht zuletzt liefert Matthias Thaden mit seiner detailgenauen Darstellung des Akteursdreiecks Exilkroaten, Bundesrepublik Deutschland und Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien ein beeindruckendes Beispiel, wie wir transnationale Phänomene in ihrer Komplexität und Verflechtung gewinnbringend erforschen können.

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