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Titel
Friedrich Wilhelm I.. Die vielen Gesichter des Soldatenkönigs


Autor(en)
Göse, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
604 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Der zweite preußische König hat hier eine Biographie erhalten, die den Leser mit Gewinn daran teilhaben lässt, welche Urteile über dieses Leben durch Quellen gesichert sind und was tradierte Mutmaßungen und Wertungen bleiben, die zu korrigieren sind. Das beginnt bei der frühesten Kindheit, wo der psychologisch geschulte Blick manches erahnen kann, wenn geschildert wird, wie der Junge in seinen ersten Jahren an einem fremden Hof erzogen wurde und im Alter von drei Jahren, nun zurückgekehrt zu den Eltern, einen vollständigen Wechsel seiner Bezugspersonen erleben musste. Unaufgeregt vermittelt Göse hier, dass solche Erziehungsmethoden an den europäischen Höfen nicht unüblich waren, psychische Abnormalitäten sollten nach Auffassung des Biographen daraus aber nicht abgeleitet werden. Gleichzeitig wird aber deutlich, wie prägend für die Persönlichkeit des späteren Königs – übrigens wie später in anderer Ausformung auch für seinen Sohn – eine religiöse, sorgfältig auf die reformierte Konfession ausgerichtete Erziehung gewesen sein dürfte, die nicht zuletzt davon ausging, dass in der religiösen Bindung für einen der weltlichen Gerichtsbarkeit nur bedingt oder gar nicht unterliegenden Herrscher ein entscheidender Zügel angelegt werden sollte, der eine verantwortungsvolle Herrschaft garantierte. Die Erziehung zur Gottesfurcht und die Vermittlung der reformierten Prädestinationslehre, an der Friedrich Wilhelm I. wie sein Sohn Zweifel entwickelten, habe den Zweck gehabt, dem Prinzen zu vermitteln, dass auch ein Herrscher vor Gott nur „Staub und Asche“ sei. (S. 19, 22)

Es ist kaum zu glauben, dass mit Frank Göses Biographie nach Carl Hinrichs Torso die erste umfassende Darstellung eines Lebens vorliegt, das von der Geschichtsschreibung mit seinen Leistungen bei der preußischen Staatsbildung sehr unterschiedlich bewertet wurde. Abwertungen hatten oft den Zweck, das Wirken seines Sohnes in desto hellerem Licht glänzen zu lassen. Gerne hat man die psychopathischen Züge dieses Menschen und Herrschers in den Vordergrund gestellt, Brüche wurden ebenso überbetont wie manche Berichte in der Autobiographie der Tochter Wilhelmine, so dass ein wichtiges Ergebnis des vorliegenden Werkes darin liegt, dass die Kontinuitäten in den Amtszeiten der drei ersten preußischen Könige im Ganzen wohl schwerer wiegen als die offenen Brüche. Gleichwohl hat der 300. Jahrestag der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. 2013 fast kein Echo gefunden, wohingegen das zum 300. Geburtstag seines Sohnes umso dröhnender war.1 Dabei kann Göse zeigen, dass die Leistungen seines Helden von erheblicher Bedeutung waren und manches erst ermöglichten, was sein Nachfolger in seinen auf öffentliche Wirkung berechneten, seine Vorgänger abwertenden Darstellungen oft erfolgreich als eigenes Verdienst beschrieb.

Ausdrücklich will Göse keine chronikalische Lebenserzählung bieten, sondern ausgewählte Handlungsbereiche vorführen, um so das Agieren Friedrich Wilhelms I. konzise vorstellen, erklären und im Kontext seiner Herrschaftspraxis gewichten zu können. Scheinbar klar auf der Hand liegende Zuweisungen an diese auf den ersten Blick so außergewöhnlich erscheinende und von den zeittypischen Normen so gravierend abstechende Herrscherpersönlichkeit sollen auf den Prüfstand gestellt werden. (S. 14f.)

Manches an den bekannten Urteilen über Friedrich Wilhelm I. kann der Biograph einsichtig und quellennah in die zeitgenössischen Zusammenhänge stellen, um in zuweilen eine harte, aber lohnende Lesekost bietenden Kapiteln über den „Inneren König“ mit seinen Herrschaftsvorstellungen und der Regierungspraxis sowie den Haushälter mit seiner Finanz-, Wirtschafts- und Peuplierungspolitik zu berichten. Auch des Königs Beziehung zu Wissenschaft und Kunst, seine religiöse Orientierung und die Konfessionspolitik, seine Sicht auf das Reich und seine Außenpolitik, seine Stellung zu den Ständen und sein Wirken als „roi sergeante“ im Kontext des altpreußischen Militärsystems sowie zuletzt sein Verhältnis zur Dynastie und Familie haben eigene Kapitel erhalten, in denen durch die Konzentration des Biographen auf die zeitgenössischen Bedingungen, unter denen der König sich entfalten konnte, die Sachpolitik sehr im Mittelpunkt steht und die Person vielleicht manchmal ein wenig weit zurück tritt. Alle Kapitel durchzieht die These Göses, dass die Veränderungen in der Potsdamer und Berliner Residenz bei weitem nicht so spektakulär und einzigartig waren, wie es oft dargestellt wurde. Dies gilt etwa dafür, dass die oft behauptete radikale und dauerhaft Reduktion der Hofausgaben dem Quellenbefund nicht standhält, auch könne von einer drastischen Veränderung der materiellen Hofkultur nicht gesprochen werden, der von Friedrich Wilhelm angehäufte Silberschatz etwa wurde erst in der finanziellen Krise von 1745 durch seinen Sohn vermünzt. (S. 46, 48, 60f.)

Wie so oft, klebt an Legenden zumeist ein zutreffender Kern, manchmal zeigt ein genauerer Blick aber, dass es hinter den Legenden eine tiefere Wahrheit gibt. Keine Etikettierung Friedrich Wilhelms haftet so fest wie die des „Soldatenkönigs“, kaum eine andere erscheint einsichtiger. Wenn man nun aber genauer auf dieses Leben schaut, dann könnte die aktive Teilnahme des Zwanzigjährigen an der Schlacht von Malplaquet und die Zeugenschaft des Blutzolls von 35.000 Verwundeten dazu beigetragen haben, dass dieser König so verantwortungsvoll war, niemals als Feldherr einen zweifelhaften Ruhm zu suchen. Offenbar liebte er seine Offiziere und Soldaten mehr als seinen Sohn. (S. 28) Ähnlich verhält es sich mit seinem Regierungs- und Herrschaftsstil, der nach Beobachtungen von Zeitgenossen darauf ausgerichtet war, alles selbst und allein tun zu wollen, mit seiner Sparsamkeit und der angeblich radikalen und dauerhaften Reduktion der Hofausgaben, die einhergegangen sei mit einer drastischen Veränderung der materiellen Hofkultur, der Distanz zur höfischen Etikette, der Bedeutungssteigerung des Militärischen im Hofleben, dem antihöfischen Politikstil, der asketischen Genussfeindschaft oder der Aversion gegen höfische Lustbarkeiten. (S. 40, 45f., 48, 53, 55f. 60, 129) Göse zeigt instruktiv und sehr überzeugend, was davon dem Quellenbefund standhält oder was mit dem Maßstab des an anderen europäischen Höfen Üblichen nicht so außergewöhnlich war wie oft dargestellt.

Zu den Leistungen des Monarchen zählt Göse, dass den von ihm initiierten Veränderungen eine große Nachhaltigkeit innewohnte, die von ihm implementierten Strukturen hätten größtenteils bis zum Ende des altpreußischen Staats Bestand gehabt. Zu den bleibenden Veränderungen seien jährliche Haushaltsetats und eine regelmäßige Rechnungskontrolle zu zählen. Die jährlichen Staatseinnahmen vergrößerten sich bis zum Tod Friedrich Wilhelms I. von 4,8 auf 7 Millionen Taler. Dass sich am Ende seiner Regierungszeit 70 Prozent der preußischen Gesamtausgaben auf die Heereskosten bezogen und das Heer sich während seiner Regierungsjahre von 38.000 auf 71.000 Soldaten vergrößerte, kam seinem Sohn zustatten, der sich sogleich in kriegerische Abenteuer stürzen konnte. Man könne, so Göse, auf Friedrich Wilhelm anwenden, was Johann Gottlob Heinrich von Justi mit seinem Vergleich der Bewirtschaftung eines Staatswesens durch einen Fürsten mit dem ein großes Landgut verwaltenden „guten Wirth“ als Ideal der jungen Kameralwissenschaften propagiert habe. (S. 126, 131, 133, 151, 205)

Kritisieren könnte man, dass immer noch Biographien von Königen geschrieben werden, in denen deren Umgang mit den Medien weitgehend ausgeblendet wird und die Mitteilsamkeit sich darauf begrenzt, dass im Tabakskollegium Zeitungen gelesen bzw. vorgelesen wurden, inklusive eines sich daran anschließenden Diskurses mit dem König, dass die „Tabagie“ eine Nachrichtenbörse gewesen sei und dass der König ungnädig auf Berichte reagiert habe, die im Potsdammischen Staats- und gelehrten Mercurius erschienen waren (S. 65, 124). Dies erscheint etwas wenig an Information angesichts des Umstands, dass dieser König mit dem ganz Preußen überziehenden Intelligenzwesen seiner Herrschaft die modernsten Kommunikationsmittel dienstbar machte. Gerne hätte man etwas mehr darüber erfahren, dass Friedrich Wilhelm I. es nicht schätzte, wenn von seinen Untertanen über politische Angelegenheiten nachgedacht und räsonniert wurde, worin sich sein Sohn – trotz seines berühmten Wortes über die Gazetten, die, sollten sie interessant sein, nicht geniert werden dürften – mit dem Vater vollständig einig war. Eingeleuchtet aber hatten Friedrich Wilhelm die dem Intelligenzwesen zugrundeliegenden Ideen, auch erhoffte er sich eine Einnahmequelle für die Waisen seiner Soldaten im Potsdamer Militärwaisenhauses, dem die aus dem Intelligenzwesen erwirtschafteten Überschüsse zugutekommen sollten. Endlich erwartete er eine Verbesserung der innerstaatlichen Kommunikation. Seine an den Generalpostmeister Friedrich von Görne und den Geheimen Oberfinanzrat Samuel von Marschall gerichtete Kabinettsorder vom 6. Januar 1727 befahl die Herausgabe von Intelligenzblättern, die von den beiden Genannten als den Verantwortlichen für das Postwesen bewerkstelligt werden sollte. An diesem Projekt lässt sich manches zeigen, was Göse auch für andere Felder feststellt, dass nämlich nirgendwo sonst der Zeitraum zwischen einem königlichen Befehl und der Realisierung eines Projekts so kurz war wie in Preußen, dass bei der Umsetzung mit Einsicht Änderungen vorgenommen wurden, wenn bestimmte Anordnungen sich als untauglich erwiesen, und dass endlich solche Anordnungen nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen mussten. Vier Wochen dauerte es von der Kabinettsorder, damit es auf effektiv funktionierenden administrativen Wegen am Montag, den 3. Februar 1727, zum Erscheinen des ersten Berliner Intelligenzblattes kam. Bereits nach einem Monat erkannte man, dass Intelligenzblätter auf eine lokale Orientierung und Verankerung angewiesen waren. In kürzester Frist – noch während des ersten Halbjahres 1727 – wurden Blätter in Stettin, Königsberg, Duisburg, Minden und Magdeburg gegründet, aber Jahrzehnte waren nötig, um gegen zähen Widerstand wenigstens halbwegs das Anzeigenmonopol der Intelligenzblätter gegenüber den Zeitungen und den Bezugszwang für bestimmte Behörden und Personengruppen durchzusetzen. Ermahnung um Ermahnung ließ Friedrich Wilhelm I. ergehen, aber nur wenig änderte sich.2 Hier ist zu beobachten, was Göse mehrfach konstatiert, dass es nämlich trotz markiger Resolutionen und Kabinettsordren in dem scheinbar so auf Effizienz getrimmten Räderwerk der preußischen Verwaltung zu Reibungsverlusten, Redundanzen und all den anderen Symptomen frühneuzeitlicher Regierungs- und Herrschaftspraxis kam. (S. 82–87) Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass das Agieren des Königs entgegen dem oft kolportierten Bild nicht auf das rigide Einfordern der von ihm gewünschten Amtsauffassung beschränkt werden könne, vielfach sei auch eine gewisse Konzilianz und ein erstaunlicher Langmut angesichts der Praxis des „Aussitzens“ belegt, immer wieder stoße man auf ein Amalgam aus strukturellen und individuellen Grenzen, die der Realisierung der königlichen Vorstellungen Grenzen setzten, dies auch etwa in seinem Verhältnis zu den Ständen und seiner Adelspolitik. Ähnlich habe auch das Schuledikt von 1717 für den Zustand des Niederen Schulwesens kaum praktische Konsequenzen gehabt, selbst bei der inneren Organisation und der Professionalisierung der Armee seien trotz der königlichen Detailversessenheit solche Diskrepanzen feststellbar. (S. 98, 100, 111, 166–169, 202, 253)

Am Ende ist sich der Leser nicht ganz sicher, ob es sich bei Friedrich Wilhelm I. nach einem Wort Theodor von Schöns tatsächlich um den „größten inneren König“ handelte. Interessant bleibt, dass ihm nach Göse eine ausgesprochen adelsfreundliche Haltung wie seinem Sohn und Nachfolger nicht nachgesagt werden könne. (S. 177) Der Person des Königs kommt der Leser bei einer Biographie, die die Sachthemen so sehr in den Mittelpunkt stellt, nicht gerade sehr nahe, am ehesten vielleicht noch bei der Betrachtung des eindrucksvollen, leider nicht farbig abgebildeten Selbstporträts des Monarchen aus dem Jahre 1737 (S. 155), das viel von dem Zustand des an seinen Krankheiten und Selbstmarterungen Leidenden zeigt, der nur 51 Jahre alt werden sollte. Man glaubt trotz aller in traditionellen Darstellungen in den Mittelpunkt gestellten familiären Konflikte, dass der Familienvater durchaus auch liebevoll mit seinen vielen Kindern und seiner Gattin umgehen konnte. Allerdings spricht Göse hier wie an zahlreichen weiteren Stellen seiner Biographie von kaum bestreitbaren Übergriffen und einzelnen menschlichen Tragödien, um dennoch den mit solchen Übergriffen verbundenen, vielfach tradierten Bildern zu widersprechen, indem er behauptet, der persönliche Anteil des Königs daran sei nicht immer genau bestimmbar. (S. 224) Insbesondere scheint dem Rezensenten das letzte Wort der Quellenkritik zu den Memoiren seiner Tochter Wilhelmine noch nicht gesprochen zu sein. In Göses Buch scheint etwas willkürlich, was davon als Untermalung oder Unterstreichung genutzt und was als von der Forschung widerlegt vorgestellt wird. (S. 425, 455; siehe des Weiteren das Personenregister) Ähnlich lautet die Bilanz des königlichen Agierens aus moralisch-rechtlicher Perspektive, aus der heraus Göse erkennbare Härte und Rücksichtslosigkeit einräumt, aber auch viele Belege findet, die auf eine aus seinem christlichen Menschenbild herrührende ausgleichende Rolle hindeuten und das Bild eines inhumanen Leuteschinders und prügelnden Korporals „doch erheblich zu revidieren vermögen“. (S. 253, 431) Immer wieder hat der Rezensent sich gefragt, ob der Biograph – eigentlich unvermeidbar – Sympathie für den von ihm erforschten Menschen empfunden hat.

Als Bilanz weist Göse auf einen in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. beträchtlich gesteigerten und real wahrgenommenen Spielraum des Monarchen hin, auf eine höhere Professionalität in der Bürokratie, den starken Ausbau des Heeres sowie die Verfolgung finanz- und wirtschaftspolitischer Neuansätze unter Berücksichtigung der kameralistischen Praxis. Friedrich Wilhelms Regierungszeit war also weit mehr als Vorgeschichte der auf Ruhm setzenden Herrschaft seines Sohnes. Wie in einem Lehrstück, so der Biograph, führe sein Wirken die große Bedeutung der Einzelpersönlichkeit an der Spitze eines monarchischen Staatswesens vor Augen. (S. 472, 477)

Interessant vielleicht, dass Friedrich II. sich an den Ratschlag seines Vaters gehalten hat, die Juden aus dem Lande zu jagen, da diese Heuschrecken eines Landes seien und die Christen ruinierten, nicht aber an jenen, der die außenpolitische Zurückhaltung und eine Politik der Kriegsvermeidung Friedrich Wilhelms charakterisiert: „Bettet zu Gott und fanget niemahlen einen ungerechten Krieg an“, Gott habe die ungerechten Kriege verboten. Das Verdienst jedenfalls, der wohl friedfertigste preußische Herrscher des Ancien Régime gewesen zu sein, kommt dem Soldatenkönig sicherlich zu. Beeindruckend auch, dass er sich in den Leichenpredigten nach seinem Tod jedes Lob verbittet, dem Volk solle gesagt werden, „daß Ich als ein großer und armer Sünder stürbe, der aber Gnade bei Gott und seinem Heiland gesuchet“. (S. 259, 367, 370, 468)

Anmerkungen:
1 Siehe dazu Holger Böning, 300 Jahre Friedrich II. Ein Literaturbericht zum Jubiläumsjahr 2012. Eingeschlossen einige Gedanken zum Verhältnis des großen Königs zu seinen kleinen Untertanen, zu Volksaufklärung und Volkstäuschung sowie zur Publizistik (Presse und Geschichte. Neue Beiträge 75), Bremen 2013.
2 Beispielhaft: Friedrich Wilhelm I., Edikt vom 14.4.1729, in: GSTA Dahlem, I. HA, Rep. 103, Nr. 992, Bl. 11b. Die Ermahnungen sind immer wieder auch in den Intelligenzblättern selbst abgedruckt.

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