Cover
Titel
Schwedisches historisches Recht. Vier Einblicke ins Mittelalter und in die Frühe Neuzeit


Autor(en)
Strauch, Dieter
Reihe
Rechtsgeschichtliche Schriften
Erschienen
Köln 2022: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
325 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Sunnqvist, Juristische Fakultät, Universität Lund

Das Buch von Dieter Strauch „Schwedisches historisches Recht. Vier Einblicke ins Mittelalter und in die frühe Neuzeit“ enthält vier unabhängige Kapitel, die prägende Gesetzestexte und die mit diesen verbundenen rechtlichen Wandlungsprozesse in verschiedenen Regionen und Zeiträumen Schwedens beleuchten. Das erste Kapitel, etwa 50 Seiten, befasst sich mit „Upplandslagen“ (das Gesetzbuch für die Provinz Uppland) aus dem Jahr 1296. Das zweite, etwa 90 Seiten, beschäftigt sich mit der Rechtsstellung der Frau in Schweden im Mittelalter. Das dritte, etwa 60 Seiten, wirft ein Schlaglicht auf „Gutalagen“ (das Rechtsbuch für die Insel Gotland) im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. Und schließlich befasst sich das vierte Kapitel auf etwa 70 Seiten mit der schwedischen Staatsreform in der Periode von 1611 bis 1654.

Im ersten Kapitel behandelt Strauch also „Upplandslagen“, das Gesetzbuch für die historische Provinz Uppland gleich nördlich von Stockholm. Das Gesetzbuch wurde 1296 durch den jungen König Birger Magnusson (1280-1321) beziehungsweise die Vormundschaftsregierung unter Reichsmarschall Torgils Knutsson (?-1306) bestätigt und repräsentiert damit einen wichtigen Fortschritt in der schwedischen Rechtsgeschichte, weil die zuvor existierenden schwedischen Gesetzestexte privat aufgezeichnete Rechtsbücher waren. Strauch beschreibt zuerst die Stellung der Kirche und des Königs in Schweden, die als Kontext für die nachfolgende Geschichte der Entstehung des Gesetzbuches fungieren. Der wesentliche Teil des Kapitels behandelt anschließend das Verhältnis zwischen dem neuen „Upplandslagen“ und dem kanonischen Recht. Als kurze, vorweggenommene Schlussfolgerung im Vorwort schreibt Strauch, dass das Gesetzbuch durch die Arbeit des Dompropstes Andreas And auf den neuesten Stand des kanonischen Rechts gebracht wurde. Tatsächlich analysiert Strauch durchgehend die Bestimmungen des Gesetzbuches in Verhältnis zu den kanonischen Rechtsquellen. Was jedoch fehlt, ist eine abschließende Gesamteinschätzung dieser Frage am Ende des Kapitels.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich nicht mit einem bestimmten Gesetz, sondern diskutiert die Rechtsstellung der Frau in Schweden im Mittelalter. Im Vorwort schlussfolgert Strauch, dass die Frau nach Kirchen- und weltlichem Recht nur beschränkt geschäftsfähig gewesen sei, es aber durchaus Rechtsverhältnisse gegeben habe, in denen ihr „männliche“ Rechte verliehen worden seien. Die wesentlichen Abschnitte des Kapitels sind „Die zivilrechtliche Stellung der Frau“ und „Die Frau im mittelalterlichen Strafrecht“ – eine Aufteilung, die Strauch dazu verleitet, sämtliche Rechtsverhältnisse aus der Perspektive der mittelalterlichen Frau durchzugehen. Hier werden viele verschiedene Gesetzestexte analysiert, teilweise auch – wie zum Beispiel die Aufhebung einer Ehe betreffend – unter Einbeziehung von Vergleichen zum römischen und kanonischen Recht. Für die Leser:innen, die sich in der schwedischen Rechtsgeschichte noch nicht auskennen, wäre es jedoch gut gewesen, einen einführenden Überblick über die schwedischen Provinzialgesetze sowie die Landes- und Stadtgesetze und den aktuellen Stand der Forschung zu diesen zu geben.

Das anschließende Kapitel über „Gutalagen“ diskutiert zuerst die Stellung der Insel Gotland in Verhältnis zu Schweden und Dänemark, kirchlich und staatsrechtlich. Strauch beschreibt die verschiedenen Bestimmungen des „Gutalagen“, berichtet aber auch über die Einflüsse des Dekrets des dänischen Königs Johann I. (1455-1513), genannt Hans, aus dem Jahr 1492 und des Rezesses von König Christian II. (1481-1559) aus dem Jahr 1537, was eigentlich außerhalb der Rubrik „schwedisches historisches Recht“ liegt. Nichtsdestoweniger bietet das Kapitel einen sehr nützlichen Überblick über die Rechtsgeschichte Gotlands von den frühesten bekannten Rechtsverhältnissen bis 1537 und ihre Einbindung in sich verändernde Machtgefüge im Ostseeraum.

Das letzte Kapitel befasst sich mit der schwedischen Staatsreform von 1611 bis 1654. Die Periode begrenzt sich durch die Thronbesteigung König Gustaf II. Adolfs (1594-1632) und die Abdankung seiner Tochter Königin Christina (1626-1689). Dies war eine sehr wichtige Periode für die Entwicklung der Staatsverwaltung und der Justiz in Schweden. Diesen Teil beginnt Strauch mit einem klaren Überblick über die beteiligten Akteure und legt damit eine gute Grundlage für die weitere Analyse der Entwicklung der Hofgerichte, der Kanzlei, der Rechenkammer, der Kirche und des Militärs. Gerade in Bezug auf das erste Hofgericht hätte Strauch jedoch stärker auf der neuesten Arbeit auf diesem Gebiet, dem von Mia Korpiola herausgegebenen Band „The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period. Historical Reinterpretations and New Perspectives“1, aufbauen können. Strauch verweist auf diese Arbeit, verpasst jedoch die Gelegenheit, die dort angesprochenen verschiedenen Problematiken ausdrücklich zu diskutieren.

Den vier Kapiteln ist gemeinsam, dass die aufgestellten Behauptungen und Schlussfolgerungen sowohl mit Hinweisen auf ältere als auch auf neuere Literatur belegt werden. Strauch ist auf dem neuesten Stand der schwedischen rechtshistorischen Literatur der letzten Jahre. Es bleibt jedoch unausgesprochen, welche Fragen er tatsächlich an das umfangreiche und interessante Material stellt, das er präsentiert. Es fehlen einführende Abschnitte zum jeweils behandelten Thema, besonders in Kapitel 1 und 2, wo sie besonders für Leser:innen, die mit Strauchs Untersuchungsgegenstand noch nicht vertraut sind, wertvoll gewesen wären. Des Weiteren fehlen auch abschließende, übergreifende Analysen und Zusammenfassungen der Schlussfolgerungen. Wo es die Forschungslage erfordert, evaluiert Strauch durchaus deutlich die Gründe für die unterschiedlichen Positionen, aber es gibt auch streckenweise Textstellen, die eher Lehrbuchcharakter haben.

Strauch hat im Jahre 2016 die zweite Auflage seines Buchs „Mittelalterliches nordisches Recht bis ca. 1500. Eine Quellenkunde“ veröffentlicht2, und er hat jetzt drei wichtige Fragen zum mittelalterlichen schwedischen Recht genauer beschrieben. Dazu kommen die staatsrechtlichen Veränderungen in einer späteren Periode, dem siebzehnten Jahrhundert. Es gibt einige formale Kuriositäten, die darauf hindeuten, dass die vier Kapitel ursprünglich nicht als Teile eines Buchs gedacht waren. So kommen zum Beispiel viele verschiedene Abkürzungen für „Äldre Västgötalagen“ (das ältere Rechtsbuch in Västergötland) vor, ebenso wie für „Köpmålabalken“ (ein Abschnitt über Kaufrecht in einem Rechts- oder Gesetzbuch), und sogar für die Fachzeitschrift „Revue Historique de Droit Français et Étranger“. An einer Stelle gibt es einen Hinweis auf einen im Internet veröffentlichten Text von Strauch über die Rechtsstellung der Frau in der schwedischen mittelalterlichen Gesetzgebung (S. 58, Note 222). Dieser Text scheint eine frühere Version von Kapitel 2 des hier besprochenen Buches zu sein, und es wäre natürlich besser gewesen, direkt auf das aktuellere Kapitel im Buch zu verweisen.

Wichtiger als diese Bemerkungen ist jedoch, dass Strauch mit klaren und deutlichen Übersichten zu vier wichtigen Abschnitten der schwedischen Rechtsgeschichte einen soliden Beitrag leistet. Auf diese Weise macht er das schwedische rechtshistorische Material in einer „größeren“ Sprache als Schwedisch auf anschauliche Weise zugänglich, was schwedische Rechtshistoriker:innen bisher noch nicht in ausreichendem Maße getan haben. Strauch leistet darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zu den Vergleichen zwischen dem schwedischen mittelalterlichen Recht und dem europäischen ius commune. Sehr positiv ist auch, dass Strauch die Rechtsstellung der Frau nicht nur in einem eigenen Kapitel, sondern auch in den Kapiteln über „Upplandslagen“ und „Gutalagen“ deutlich herausstellt.

Anmerkungen:
1 Mia Korpiola (Hrsg.), The Svea Court of Appeal in the Early Modern Period. Historical Reinterpretations and New Perspectives. Rättshistoriska studier 26, Stockholm 2014; auch Open Access verfügbar unter https://olinfoundation.com/rs-26/ (11.05.2023).
2 Dieter Strauch, Mittelalterliches nordisches Recht bis ca. 1500. Eine Quellenkunde, 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin/Boston 2016.