Das Verhältnis zwischen Jugend, Musik und Film ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Das ist eine zentrale These des vorliegenden Bandes, der auf eine Tagung vom Herbst 2019 zurückgeht und Beiträge vor allem aus der deutschsprachigen Medienwissenschaft und Soziologie versammelt.1 Bewegte Bilder werden, so die Beobachtung, nicht mehr bloß in Kinos und im Fernsehen rezipiert, sondern zirkulieren auch auf Plattformen und in sozialen Medien, mit oft beachtlicher Reichweite und in unterschiedlicher Formsprache vom Vlog bis zum Meme. Fragmentiert erscheint auch das popmusikalische Repertoire, um dessen Mikrogenres sich Szenen bilden, deren Anhänger:innen ihren Enthusiasmus für einen bestimmten Sound über ihre Jugendzeit hinaus bewahren. „Jugendlichkeit“ beschränke sich daher nicht auf eine bestimmte Alterskohorte. Vielmehr sei sie auf der Darstellungsebene als „Symbol-, Emotions- und Typenreservoir“ (S. 176) zu begreifen und mit Blick auf Rezipient:innen durch eine altersunabhängige „‘Geisteshaltung dezidierter Selbst-Entpflichtung‘“ (S. 217) gekennzeichnet, wie Maximilian Jablonowski und Johannes Springer sowie Paul Eisewicht in ihren beiden Kapiteln argumentieren.
Hinzu komme, dass im Internetzeitalter audiovisueller Content von gestern weiterhin verfügbar bleibt. Der Musikjournalist Simon Reynolds, selbst im Buch vertreten, hat den Begriff der „Retromania“ als Bezeichnung für die fortlaufende Wiederaufbereitung von Sounds aus einem wachsenden Poparchiv geprägt. Dieses Konzept wird im vorliegenden Band wiederholt gebraucht, um der popkulturellen Gegenwart rasenden Stillstand zu attestieren. Vom „Verlust eines kulturell etwas wagenden, ungebundenen Zukunftssubjekts in Jugend- und Musikkulturen“ zieht dann unter anderem Mitherausgeber Carsten Heinze die Linie weiter zu „rechten Jugend- und Musikkulturen“, die ab den 1990er-Jahren das Protestpotenzial früherer Gegenkulturen für sich beansprucht hätten (S. 36f.).
Ein großer Teil der 24 Kapitel, die von einer kurzen Einleitung Kathrin Dreckmanns sowie von einem „Praxisgespräch“ mit Filmemacher:innen und einer Diskussion mit Simon Reynolds gerahmt werden, analysiert audiovisuelle Medieninhalte mit Blick auf ihre Darstellung von Jugend und populärer Musik. Mitherausgeberin Dagmar Hoffmann beispielsweise untersucht Körper- und Bewegungsnormen in Tanzfilmen von Saturday Night Fever (1977) bis Step Up Revolution (2012). Thomas Wilke betrachtet frühe „Hip-Hop-Filme“ unter dem Gesichtspunkt jugendkultureller Narrative und Stereotype. Clemens Schwender arbeitet aus Plots und Ästhetik von Filmen wie Easy Rider und Hair die „Ideenwelt der Woodstock-Gegenkultur“ heraus, während Holger Schulze die Frage verfolgt, ob die Kommunikation über Memes über das bloße Verhöhnen des jeweiligen Gegners ein Potenzial für eine differenzierte politische Kommunikation bietet. Ann-Kathrin Allekotte untersucht mit einem ähnlichen Interesse TikTok und Instagram. Die Beiträge von Kathrin Dreckmann, Olaf Sanders und Anna Schürmer befassen sich mit Musikfilmen und -dokumentationen über Madonna, Gerhard Gundermann und David Bowie.
Das Spektrum der Fallstudien ist also weit, und die Ausrichtung auf geteilte Ausgangsfragen eher gering, wie der unspezifische, einteilige Titel andeutet. Anstatt hier einen kompletten Durchgang durch alle Kapitel zu unternehmen, konzentriere ich mich im Folgenden auf das pädagogisch-politische Narrativ von der jugendlichen Gegenkultur, das sich noch am ehesten als roter Faden anbietet. Das Bild einer vor allem in den „langen“ 1960er-Jahren ausgeprägten Protesthaltung medienkonsumierender Jugendlicher wird mal mehr, mal weniger explizit als Maßstab herangezogen, um den Politisierungsgrad der „Jugend von heute“ und ihrer Medien zu bemessen. Moritz Stock etwa bemerkt in seinem Kapitel zur Jugendwebserie DRUCK (funk, seit 2018) bedauernd, dass der auf individuelle Gefühlslagen gerichtete Fokus soziale Problemlagen aus dem Blick geraten lasse (S. 447). Carsten Heinze und Dennis Krull beobachten in ihrer Studie zu Musikfernsehen vom Beat Club (Radio Bremen/Westdeutscher Rundfunk (WDR), 1965–1972) bis Music Television (MTV) eine Verwässerung des „jugendkulturelle(n) Protest(s)“ (S. 391), der zunächst mit der Neuen Deutschen Welle in harmlose Fröhlichkeit „abrutschte“ (S. 401) und dann von Privatsendern kommerziell vereinnahmt wurde, bevor Popmusik unter den Bedingungen des Internets bloß noch im nostalgischen Rückblick vorkomme.
DRUCK und Disco (Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), 1971–1982) werden also mit Erwartungen geschaut, die für die Lindenstraße (ARD, 1985–2020) angemessener wären. Das führt zunächst einmal zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass erstere nicht das liefern, was die letztere verspricht. Es bedeutet aber auch, dass andere Aspekte des Medienwandels zu kurz kommen oder gar missverstanden werden.
Einer dieser Aspekte ist die Produktion von Medieninhalten. Diese reagierte nicht einfach auf den Druck eines neuen jugendlichen Lebensgefühls und die Spannungen eines Generationenkonflikts, wie Heinze und Krull nahelegen, sondern verdankten sich wohl vor allem Initiativen innerhalb des „Mainstreams“ der Sendeanstalten, die Formate von der Plattenküche (WDR/ARD 1976–1980) bis Formel Eins (ARD 1983–1990) letztlich verantworteten. Mit Ausnahme eines Kapitels von Florian Strauß zur TV-Serie Deutschland (UFA Fiction, 2015–2020) erfährt man jedoch über die professionellen Macher:innen der untersuchten Programme nur sehr wenig.
Im Kontrast dazu werden den „user-generated Mashups“ (Cristina Pileggi) und der Do-it-Yourself-Kultur auf YouTube (Christofer Jost) eigene Kapitel gewidmet. Eingewoben in das Narrativ einer rebellischen Jugend, die gegen den Widerstand von Eltern und Autoritäten nach eigenen Ausdrucksformen strebte und sich vor kommerzieller Vereinnahmung in Acht nehmen musste, erscheinen die neueren „prosumerischen“ Praktiken als Beleg für eine „radikale Demokratisierung und Liberalisierung von Produktions- und Rezeptionsbedingungen“ (S. 6), wie Kathrin Dreckmann in ihrer Einleitung schreibt. Die von neueren „Production Studies“ herausgearbeitete ökonomische Ausbeutung der halb-professionellen „creators“ durch die ganz und gar nicht demokratischen Plattformbetreiber kommt in dieser auf politische Kommunikation konzentrierten Herangehensweise nicht zur Sprache.2 Die Emanzipationserzählung vom Pop als Protest verstellt den Blick auf die Verhältnisse, die man mit ethnografischen Methoden wohl ertragreicher erforscht als mit Inhaltsanalysen.
Ein zweiter Aspekt, der in der Fokussierung auf eine idealtypische jugendliche Gegenkultur ein wenig aus dem Blick gerät, ist die längerfristige Tendenz, dass Musik und bewegte Bilder ubiquitär geworden und den Rezensent:innen gewissermaßen auf den Leib gerückt sind. Hinweise auf diesen Trend finden sich in Kapiteln, die sich mit der Darstellung des Musikkonsums in Film und Fernsehen befassen. Hans J. Wulff und Jens Gerrit Papenburg stellen in ihren Kapiteln zum Kofferradio und zu Jukeboxen in Filmen der 1950er-Jahre fest, dass das Musikhören dieser Zeit fast ausnahmslos in soziale Situation eingebunden ist. Vereinzeltes Lauschen wurde dagegen, wenn es überhaupt einmal vorkam, als „unheimlich“ (S. 461f.) dargestellt. Im Kontrast dazu zeigt die bereits erwähnte Jugendwebserie DRUCK selbst inmitten einer Party Einzelne, die sich mit ihrer eigenen Musik unter dem Kopfhörer gegen die Umwelt abschirmen (S. 439). Mit solchen „scripts“, aber auch mit der Veröffentlichung von Playlists mit Songs der Serie, eröffnet DRUCK neue Immersionsmöglichkeiten für das Filmische, das auf schon länger etablierte Praktiken des Musikhörens als „Selbsttechnik“ (Tia DeNora) aufsattelt.
Drittens verstellt die Erzählung von der ehemals lebendigen Gegenkultur, die nunmehr in der „retromanischen“ Wiederholungsschleife gefangen ist, den Blick auf die vielfältigen Differenzierungen und Hierarchien innerhalb audiovisueller Unterhaltungskulturen. Kämpfe um „subkulturelles Kapital“, spätestens seit Sarah Thorntons Studie Club Cultures ein prominentes Thema in der Soziologie3, spielen im vorliegenden Band keine Rolle. Die diesbezügliche Vergesslichkeit geht so weit, dass sich Simon Reynolds im abschließenden Gespräch mit Christoph Jacke zu Zeiten zurücksehnt, in denen noch Informationsknappheit herrschte und man noch an die „indispensable illusion“ der Authentizität glaubte (S. 595f.). Dabei übergeht er geflissentlich, dass Popwissen, „Originalität“ und „Echtheit“ genau diejenigen Diskurse waren, mit denen in popkulturellen Szenen Ausschlüsse und Status markiert wurden.
Angesichts dieses nostalgischen Rückblicks auf „die gute, alte Authentizität“ will ich Klaus Farins „Zwischenruf“ beipflichten. Von der Jugendforschung eine stärkere ethnografische Orientierung fordernd, kritisiert er seine Mitautor:innen dafür, dass sie die eigene Jugendzeit verklärten, was mitunter die „Jugend von heute“ oft als nicht progressiv genug erscheinen ließe (S. 55). Die selbstgewisse Sorge um die „richtige“ Jugendkultur lebt, wie der vorliegende Band veranschaulicht. Zumindest in dieser Hinsicht hat sich am Verhältnis zwischen Jugend, Musik und Film nichts geändert.
Anmerkungen:
1 „Jugend, Musik und Film“, Konferenz in Kooperation mit dem 13. Unerhört-Musikfilmfestival, Hamburg, 7.-9. November 2019, vgl. https://www.mekuwi.hhu.de/kontakt/aktuelles/aktuelle-meldungen/news-detail/jugend-musik-und-film-07-09112019 (20.12.2023).
2 John Thornton Caldwell, Specworld. Folds, Faults, and Fractures in embedded Creator Industries, Oakland 2023.
3 Sarah Thornton, Club Cultures. Music, Media and Subcultural Capital, London 1995.