‚Corporate Fashion‘ ist eine Begriffsschöpfung der 1990er-Jahre, die gleichermaßen dem Marketing wie den Branchenblättern der Bekleidungs- und Textilwirtschaft entstammt. Ob Corporate Fashion als Bestandteil aktueller Organisations-, Branding- und Flexibilisierungsstrategien auch ein neues Verständnis von Uniformität indiziert, untersucht Regina Henkel in ihrer Dissertation, der ersten umfassenden kulturwissenschaftlich-ethnographischen Untersuchung zu aktuellen Unternehmensmoden im deutschsprachigen Raum.
Die Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Uniformen in Bewegung: Zum Prozess der Uniformität von Körper und Kleidung (2002-2006)“, das am Institut für Kunst und Materielle Kultur der Technischen Universität Dortmund angesiedelt war. In ihrer Dissertation interessiert sich Regina Henkel dafür, mit welchen Mikrotechniken Uniformität in Unternehmen gegenwärtig hergestellt wird und welche Strategien die Akteure entwickeln, um diese zu legitimieren oder zu unterlaufen. Untersucht wird dies in drei nationalen Schlüsselunternehmen: der Deutschen Bank, Lufthansa und Mercedes-Benz. Diesen liegen verschiedene Uniformierungsmodelle zugrunde: der uniforme Businesslook der Banker, die zivilen Uniformen mit Rangabzeichen zur Steuerung eines nationalen Luftfahrtunternehmens sowie die gezielt zur Marken- und Produkterweiterung entworfene ‚Corporate Fashion‘ eines Automobilherstellers.
Einleitend analysiert Regina Henkel Diskurse aus Marketing und Organisationspsychologie, die Kleidung strategisch reflektieren mit Blick auf die Implementierung von Unternehmensidentität und –kultur, Sinnstiftung und Identifikation, Kontrolle sowie die Vereinfachung von Hierarchien und Arbeitsprozessen (S. 31-46). Dabei sieht das „Employee Branding“ gezielt vor, dass jeweils nur ein Teil der Firmenuniform getragen und durch andere Bekleidungsstücke aus dem privaten Fundus ergänzt werden soll. Damit soll die Arbeit am eigenen Erscheinungsbild zur täglichen Auseinandersetzung mit den Unternehmenswerten werden, zum „wearing the brand“.1
Regina Henkel fokussiert ihre, im Bereich der ethnographischen Unternehmens- und Organisationskulturforschung positionierte Feldstudie auf zwei Akteursgruppen: auf Experten für Corporate Fashion sowie die jeweiligen TrägerInnen. Während ihr der Zugang zu Interviews und teilnehmender Beobachtung über den offiziellen Dienstweg der Unternehmen teilweise verwehrt wurde, gelang er über Gewährspersonen und private Kontakte. Regina Henkels fragt dabei selbstreflexiv nach ihrer Position innerhalb des ethnographischen Forschungsprozesses (S. 75) und bezieht mit einer „Genauigkeit der Gefühle“ (Jeggle) die Schwierigkeiten, als Forscherin Zugang zu prestigereichen Unternehmen zu bekommen, in den Reflexionsprozess ein.2 Sie lokalisiert diese im Kontext normativer Machtkonstellationen, die kein großes Interesse an der Untersuchung zeigten und ihr Fragen nach Bekleidungspraxen als marginal widerspiegelten. Kritisch anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, dass Regina Henkel daraufhin die Ausführungen zu den jeweiligen Unternehmensuniformierungen, die einen historischen Rückblick in die Unternehmensgeschichten enthalten, sehr ungleich gewichtet: Deutsche Bank (44 S.), Lufthansa (30 S.), Daimler-Benz (114 S.). Zu ‚dichteren Beschreibungen‘ hätte beispielsweise das Bildmaterial genutzt werden können.
Doch der eigentliche Fokus der Forschungsarbeit liegt auf der Organisationskultur selbst. Dies wird insbesondere im Kapitel zum Mercedes-Benz-Kundencenter in Rastatt exemplifiziert. Hier erarbeitet Regina Henkel wichtige Einblicke in aktuelle Uniformierungspraxen und relevante Strukturen von ‚Corporate Fashion‘. Diese wird als eine Technik zur Verkörperung des firmen- und markenspezifischen Habitus eingesetzt: der Herstellung von Mr. und Mrs. Mercedes, wie sich die Akteure selbst scherzhaft bezeichnen (S. 215). Der Einsatz von ‚Corporate Fashion‘, so der firmeninterne Konsens, sei keineswegs ein autoritärer Gestaltungsakt des Unternehmens, sondern erfülle die Kundenwünsche nach einem homogenen Markenauftritt (S. 221f.). Das Bekleidungskonzept wechselte entsprechend der unterschiedlichen Entwicklungsphasen der A-Klasse. Uniformierung beschreibt Henkel hier präzise als performatives Marken-, Unternehmens- und Raumkonzept. In der Außenwirkung zielt es auf die symbolische Gleichstellung mit den Kunden ab. Nach Innen jedoch sind die Hierarchien klar abgegrenzt. ‚Corporate Fashion‘ gestaltet und nivelliert zugleich soziale Unterschiede: zwischen Mitarbeitern der Fahrzeugvorbereitung als „Arbeitern“ und des Kundencenters als „Angestellten“, sowie zwischen den Geschlechtern. Die Stärke dieses gelungenen Kapitels liegt in der Akteursperspektive. Sehr präzise beschreibt Regina Henkel die Kleidungsgewohnheiten und die tagtäglichen leiblichen Auseinandersetzungen mit der stofflichen Materialität der Firmenuniformen. Bedürfnisse nach Einzigartigkeit oder Differenz stehen bei den AkteurInnen nicht im Vordergrund, sondern eher deren symbolische Teilhabe am Belegschaftskörper.
Frankfurter Investmentbanker assoziieren demgegenüber mit Unternehmensuniformen standardisierte Produkte, unterkomplexe Dienstleistungen à la McDonalds, Entindividualisierung und nicht zuletzt einen niederen sozialen Status (S. 114). So ist es nicht verwunderlich, dass die kurzfristige Idee der Deutschen Bank eine ‚Corporate Fashion‘ einzuführen, auf deutlichen Widerstand stieß (S. 112f.). Denn für die AnzugträgerInnen steht die Performanz bürgerlicher Rationalität im Zentrum: Individualität, Normativität, Vertrauen, Kapital und Status. Vorgesetzte greifen ein, wenn Normen überschritten werden, zum Beispiel wenn sich Frauen zu sexy kleiden. Der uniforme Look der dunklen AnzugträgerInnen spiegelt ein disziplinarisches Modell wider, in dem Kleidungsvorschriften nicht explizit formuliert werden: „Kleidung (ist) sogar eine der letzten Freiheiten, die es noch gibt“ (S. 113). Doch gilt im Feld der feinen Unterschiede: je differenzierter die Kleidung, desto niedriger der Status (S. 110). Konservative, homogenisierende Kleidercodes wurden zudem bei der Deutschen Bank nach dem Börsensturz der New Economy verstärkt. Um die Reputations- und Seriositätsverluste symbolisch zu kompensieren, ist auch der ‚Casual Friday‘, an dem die Bankangestellten in legerer Kleidung erschienen, in den Hintergrund getreten.
Bei den Uniformen der Lufthansa stellt Regina Henkel eine Tendenz zur Versachlichung und Remilitarisierung der Stewardessenuniformen fest (S. 146). Diese stärkere Orientierung an militärischen Uniformen, die seit 2002 durch goldene Streifen am Jackenärmel der Bordbesatzung bewusst die Sichtbarmachung von Ordnung, Rang und Hierarchien intensiviert, steht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001. Diagnostizieren lässt sich hier eine Abkehr vom Mythos der modischen Stewardess, der seit den 1960er-Jahren von vielen namhaften ModedesignerInnen mitgestaltet wurde. Bei dieser Wende hin zu einem stärker militärischen, autoritären Erscheinungsbild sollen primär Notsituationen kalkulierbarer und steuerbarer gemacht werden. Die Uniform wird hier also in ihrer Funktion als hierarchisches Steuerungselement gestärkt. Unter den extrem flexibilisierten Crews stellt sie zudem ein verbindendes Element dar, das intern die Funktionen und Hierarchien des Belegschaftskörpers schnell erkennen lässt (S. 273).
Im Fazit der Arbeit formuliert Regina Henkel eine kulturwissenschaftliche Definition von ‚Corporate Fashion‘ als effizienzsteigernde Kleidung, die ein Vehikel neuer Steuerungsmöglichkeiten darstellt. ‚Corporate Fashion‘ hilft komplexe Leistungsanforderungen durchzusetzen, die sprachlich kaum vermittelt werden können (S. 272). An dieser Stelle hätte ich mir abschließend einen differenzierteren Vergleich der jeweiligen Uniformierungspraxen gewünscht. Für eine tiefer gehende Analyse wäre zudem eine stärkere Theoretisierung hilfreich gewesen. So lassen Begriffe teilweise die dahinter liegenden Theoriemodelle nur aufblitzen: Disziplinierung, Kontrolle, New Economy, Blickregime, Panopticum, Habitus, Differenz, Performanz hätten dafür genutzt werden können, ein differenzierteres Verständnisses von Uniformität im ökonomischen Kontext zu liefern.
‚Corporate Fashion‘, so formuliert Regina Henkel in Anlehnung an Richard Sennet, steht für den flexibilisierten Menschen (S. 276).3 Denn, so ihre These, je flexibler und unbestimmter der Raum des Unternehmens strukturiert ist, desto ausgeprägter tritt die Uniformierung in den Vordergrund (S. 276). Dabei zieht Henkel eine historische Parallele zur zunehmenden Uniformierung ziviler Staatsdiener im Deutschen Kaiserreich, die als Reaktion auf das wachsende Legitimationsdefizit der Monarchie gedeutet werden kann (S. 272).4 Während einerseits die Beziehungen instabil und die Bindungen zwischen Unternehmen und Belegschaften schwach geworden sind, schreibt Henkel, wird andererseits der ganze Mensch, das heißt „sein Körper als Projektionsfläche unternehmensrelevanter Botschaften, seine soziale Kompetenz als Interaktionsgrundlage für den Kundenkontakt und seine emotionale Bindung zum Unternehmen als Garant für Motivation und Loyalität“ (S. 272). Dieses Fazit könnte im Kontext aktueller Diskurse zu Postfordismus, Neoliberalismus und Postoperaismus an Schärfe gewinnen. Hierzu liefert die Studie ‚Corporate Fashion‘ einen gelungenen und zudem gut lesbaren Beitrag.
Anmerkungen:
1 Celia V. Harquail: Empoyees as Animate Artifacts: Employee Branding by „Wearing the Brand.“ In: Anat Rafaeli / Michael G. Pratt (Hrsg.): Artifacts and Organizations. Beyond mere Symbolism. Mhaw, New Jersey 2006, S. 161-180.
2 Utz Jeggle: Zur Geschichte der Feldforschung in der Volkskunde. In: ders. (Hrsg.): Feldforschung. Qualitative Methoden in der Kulturanalyse. Tübingen 1984, S. 11-46, S. 44.
3 Richard Sennet: Der flexible Mensch. Die Kultur des Neuen Kapitalismus. Berlin 1998.
4 Karen Hagemann: „Männlicher Muth und Teutsche Ehre“. Nation. Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn 2002.