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Title
Faustina minor - Ehefrau eines Idealkaisers und Mutter eines Tyrannen. Quellenkritische Untersuchungen zum dynastischen Potential, zur Darstellung und zu Handlungsspielräumen von Kaiserfrauen im Prinzipat


Author(s)
Priwitzer, Stefan
Series
Tübinger althistorische Studien 6
Published
Extent
XV, 233 S.
Price
€ 79,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Claudia Horst, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Stefan Priwitzers Dissertation zu Faustina minor geht über rein biographische Fragen hinaus, indem sie den Blick auf einige strukturelle Probleme der Kaiserzeit lenkt, die bestimmend für die Handlungsspielräume der Kaiserin waren. Dafür sind drei größere Kapitel vorgesehen. Die Einflusschancen von Frauen sowohl auf die Nachfolgeregelungen als auch auf die kaiserliche Legitimationspolitik bilden den Gegenstand des ersten Kapitels. Da Commodus als „schlechter“ Kaiser und Faustina als Mutter eines Tyrannen in die Geschichte eingegangen sind, werden im zweiten Kapitel Tyrannentopik und Terminologie in den literarischen Quellen der Kaiserzeit untersucht. Schließlich gehen als ein weiterer Themenkomplex Verschwörungen und Oppositionen zur Zeit des Prinzipats in die Untersuchung ein. Hier steht der Avidius-Cassius-Prozess im Mittelpunkt, in den auch Faustina verwickelt war, sowie die in diesem Zusammenhang zentrale Frage nach dem Einflusspotential der Kaiserin auf die Nachfolgeregelung im Falle von Marc Aurels Tod.

Die Arbeit liegt jedoch weder im Bereich einer theoriegeleiteten Strukturgeschichte, noch soll sie als biographische Monographie verstanden werden, die aufgrund der breiten Quellenlage zwar möglich, aufgrund der tendenziösen Darstellung der Frauen in den Quellen aber höchst problematisch sei (S. 4). Der Autor entscheidet sich für eine rein quellenkritische Untersuchung, deren Ziel es ist, die angeblich aufgrund mangelnder Quellenanalyse entstandenen Fehlinterpretationen moderner Geschichtsschreibung aufzudecken und die antiken Personen, die durch topische Darstellungen in den Quellen belastet würden, sofern es möglich ist, zu rehabilitieren. Dies ist ein durchaus anerkennenswertes Ansinnen, das allein aber noch keinen Erkenntnisfortschritt verspricht. So stellt sich die Frage, was von den Personen, die von allen vermeintlichen Vorwürfen bereinigt werden, am Ende bleibt und wie plausibel deren neue Darstellung ist.

Am Beispiel der Faustina kann Priwitzer zunächst überzeugend nachweisen, dass die topischen Darstellungen von Kaiserinnen vor allem legitimitätsstiftende Funktionen für die männlichen Herrschaftsträger übernahmen. Das Bild der Faustina war zuerst äußerst positiv. Als Tochter des Antoninus Pius versorgte sie Marc Aurel auf seinem Weg zum Kaiserthron durch ihre Verlobung und spätere Verheiratung mit ausreichendem dynastischem Potential. Dabei strahlte der vorbildliche Charakter Marc Aurels auch wieder auf sie zurück. Mit derselben Gesetzmäßigkeit veränderte sich ihr Ansehen durch den missratenen Commodus. Der ihr vorgeworfene Ehebruch mit einem Gladiator, der nun als leiblicher Vater des Commodus bezeichnet werden konnte, und ihre angeblichen Verwicklungen in den Aufstand des Avidius Cassius dienten lediglich dazu, Marc Aurel als Vater eines Tyrannen zu entlasten. „Faustina minor verkörpert auf diese Weise eine Zäsur im gesamthistorischen Kontext des römischen Reiches, indem sie die Verbindung zwischen der Regierung eines ‚guten‘ und eines ‚schlechten‘ Kaisers herstellte“ (S. 210).

Fraglich bleibt, weshalb Priwitzer bestimmte Topoi, die er zuvor als Instrument senatorischer Kreise entlarvt, auf ihren Realitätsgehalt hin befragt. Dazu nur ein Beispiel: Das Konzept der sogenannten „heteropaternalen Superfecundatio“ (S. 171f.) wurde in der Antike für den Nachweis bemüht, dass Zwillinge der Faustina von verschiedenen Vätern stammen, Commodus von einem Gladiator und sein früh verstorbener Zwillingsbruder von Marc Aurel. Wenn Priwitzer dieses, wie er selbst behauptet, medizinisch zwar mögliche, aber höchst seltene Phänomen für glaubwürdig erachtet, nährt er letztlich doch wieder die in der Historia Augusta zu findenden Gerüchte über die ehebrecherischen Absichten der Faustina und erklärt darüber hinaus auch den Ehebruch zur Realität.

Problematisch sind vor allem die Versuche, der Darstellung des Commodus als Tyrann, die dem literarisch-philosophischen Bild der Invektive entsprochen habe, ein milderes Urteil entgegenzustellen. Zum Beweis des topischen Charakters der gegen Commodus gerichteten Vorwürfe wird ein umfangreicher Katalog tyrannischer Eigenschaften (Blutrausch, crudelitas oder luxuria) präsentiert (S. 95–175). Spätestens in diesem Kapitel wäre eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Überlegungen der Forschung wünschenswert gewesen. Die Literatur zur Zweiten Sophistik – ein zentrales Phänomen der Kaiserzeit, das in dieser Arbeit leider nur in einer Fußnote einmal erwähnt wird – zeigt, dass der Tyrannisbegriff auch in der Kaiserzeit noch die politische Funktion hatte, die Machtkonzentration oder Vormachtstellung sowohl einzelner Adliger als auch von Kaisern zu kritisieren und nicht, wie Priwitzer behauptet, auf moralische Kriterien reduziert wurde.1 Dies ergibt sich aus den Quellen und dem Wissen, dass insbesondere normative Begriffe soziale und politische Strukturen reflektieren und auf die aus ihnen entstehenden Missstände einzuwirken versuchen. So enttarnt Dion Chrysostomos, der von seiner Heimatgemeinde Prusa als Tyrann angeklagt worden war, den Vorwurf als eine Kritik der Aristokratie, die befürchtet habe, er könne seine Macht monopolisieren und so den aristokratischen Gleichheitsgrundsatz gefährden. Der Tyrannisvorwurf hatte, wie Dion selbst bemerkt, mit dem üblichen Bild des Tyrannen, der verheiratete Frauen verführt und freie Menschen schlägt, misshandelt oder in siedendes Wasser taucht, nichts gemein. Dasselbe galt für Kaiser, die deshalb als Tyrannen bezeichnet wurden, weil sie sich über die Interessen der Aristokratie hinwegsetzten.

Dass der Tyrannisvorwurf über moralische Fragen weit hinausging, wird aber nur erkennbar, wenn strukturgeschichtliche Fragen wie die nach dem immer noch problembehafteten Verhältnis zwischen Kaiser und Aristokratie nicht unberücksichtigt bleiben.2 Wenn die Historia Augusta die Caligula-Vita Suetons für ihre Darstellung des Commodus benutzt, liegt dies vor allem an der antisenatorischen Politik Caligulas, mit der das Verhalten des Commodus verglichen werden sollte, und nicht in erster Linie daran, dass beide Herrscher an demselben Tag Geburtstag hatten. Mit derselben Absicht wurden auch die tyrannenähnlichen Bilder Neros und Domitians eingesetzt, um denjenigen Kaisern, die sich gegen die Aristokratie richteten, fehlende aristokratische Akzeptanz zu signalisieren.

Moderne machttheoretische Überlegungen gehen davon aus, dass eine stabile Herrschaft nicht über hierarchische Befehls- und Gehorsamsstrukturen, sondern durch Akzeptanz hergestellt wird. Auch vor einem solchen Hintergrund würde die Interpretation der Quellen und die Darstellung der Personen an manchen Stellen in eine andere Richtung führen. Priwitzer versucht, Commodus vom üblichen Bild des Tyrannen abzugrenzen, indem er dem Kaiser zu Gute hält, „daß er in manchen Fällen gar keine andere Wahl gehabt haben dürfte als den Gegner zu liquidieren, um die eigene Position nicht zu gefährden“ (S. 124). Hier werden hinsichtlich der Schuldfrage die Kausalitäten verdreht: War es doch die Gewaltherrschaft des Commodus, die die gegen ihn gerichteten Verschwörungen erklärt, und nicht umgekehrt. Darüber hinaus war Herrschaft ohne politische Morde, wie die Regierungszeit Marc Aurels beweist, gerade nicht beispiellos.

Im letzten Kapitel über den Cassius-Prozess soll hingegen auch die clementia Marci destruiert werden. Es sei zu vermuten, dass Marc Aurel die Absetzung oder die Ermordung des Cassius veranlasst hätte, wenn der vorzeitige Tod des Usurpators diese Pläne nicht verhindert hätte. Diese Überlegungen sind bereits aus machtpolitischen Erwägungen heraus nicht überzeugend. Die in den Quellen immer wieder beschworene Sorge Marc Aurels um das Schicksal des Avidius Cassius hatte einen ganz handfesten Grund. Marc Aurel befürchtete, dass er mit der Ermordung des Usurpators wie mit dem Tod eines jeden anderen Senators, die Akzeptanz seiner Herrschaft als wichtigste Grundlage seiner Macht verlieren würde.3

Schließlich war die von Commodus schnell durchgeführte Beseitigung des consilium, das Marc Aurel ihm mitgegeben hatte, weil er die Entwicklung des vielleicht doch leiblichen Sohnes voraussah und zu verhindern suchte, ein weiterer Schritt zum Tyrannen (S. 11). Wichtiger als der Wegfall der Erzieher, auf die das moralpädagogische Argument von Priwitzer aufmerksam macht, waren die herrschaftspolitischen Konsequenzen der Entscheidung. Im Gegensatz zum reziproken Herrschaftsstil seines Vaters, der es für besser erachtete, „daß [er] den Rat so vieler hervorragender Freunde befolge, als daß so viele hervorragende Freunde sich [seinem] alleinigen Entschluß beugen“4, entschied Commodus sich für die Alleinherrschaft.

Bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit von Tyrannisvorwürfen verweist Priwitzer auf ein Zitat von Wolfgang Schuller: „Selbst wenn das alles nur Topik sein sollte, hatten diese Topoi doch, wie alle Topoi, ihren Sitz im Leben“ (S. 114). Eine stärkere Berücksichtigung möglicher struktureller Handlungsursachen wäre wünschenswert gewesen, da insbesondere die Tyrannisvorwürfe nicht durch die konkreten Handlungen der beschuldigten Personen bestätigt, sondern durch die politischen Interessen der Ankläger motiviert werden. Das Handeln der Faustina stellt sich, nachdem es von sämtlichen Vorwürfen bereinigt wurde, als Summe bloßer Konventionen dar: Faustina „erfüllte ihre Aufgaben in der Kaiserfamilie in traditioneller Weise“ (S. 210).

Priwitzer hat eine äußerst akribische Untersuchung sowohl zur Bedeutung Faustinas im Rahmen der Nachfolgeregelungen der antoninischen Kaiser als auch zur Tyrannentopik im Prinzipat vorgelegt. Der umfassende wissenschaftliche Apparat, der nicht nur die literarischen, sondern auch die epigraphischen, numismatischen und archäologischen Quellen zu Faustina minor zusammenstellt, bildet eine solide Basis für weitere Arbeiten.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Priwitzer, 108ff. Zur Funktion der Tyrannisreden in der Kaiserzeit vgl. u.a. Tim Whitmarsh, Greek Literature and the Roman Empire, Oxford 2001, S. 200ff.
2 Zu nennen wären hier die Untersuchungen zur Strukturgeschichte der Kaiserzeit von Aloys Winterling, ‚Staat‘, ‚Gesellschaft‘ und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 83 (2001), S. 93–112; Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: Wilfried Nippel/ Bernd Seidensticker (Hrsg.), Theodor Mommsens langer Schatten, Hildesheim u.a. 2005, S. 177–198.
3 HA Avid. 11,5; Cass. Dio 72,27,3; HA Marc. 20,5; 25,6; 26,13; Cass. Dio 72,30,2.
4 HA Marc. 22,4 (Übersetzung von Ernst Hohl).

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