Titel
Serbien. Montenegro. Geschichte und Gegenwart


Autor(en)
Boeckh, Katrin
Reihe
Ost- und Südeuropa. Geschichte der Länder und Völker
Erschienen
Regensburg 2009: Pustet
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rayk Einax, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Serbien und Montenegro sind einen langen historischen Weg gemeinsam gegangen. Laut Katrin Boeckh war die Scheidung von 2006 nicht zwangsläufig, nicht unaufhaltsam. Ihr Buch setzt die Akzente zum einen auf das 20./21. Jahrhundert. Zum anderen überwiegt Serbien thematisch, was auch einleuchtend ist. Wo nötig, beschreibt die Autorin den eigenen Entwicklungspfad Montenegros vor 1918 bzw. nach 2003.1

Kaum jemand blieb in den 1990er-Jahren und danach von den turbulenten, medial vermittelten Ereignissen der postjugoslawischen Sezessionskrise(n) unberührt. Und noch heute mahnen Gedenktage, politische Querelen im Innern oder die erst frische kosovarische Staatsgründung daran, dass es noch ein mühsamer Weg bis zur friedlichen Konsolidierung Serbiens und seiner Nachbarstaaten werden wird.2

Doch sollte man sich gleichzeitig vor Augen halten, dass serbische Geschichte nicht nur und schon gar nicht ausschließlich mit Gewalt, politischen Krisen oder sozioökonomischen Defiziten verbunden war. Man erinnere sich nur daran, dass das sozialistische Jugoslawien über lange Zeit ein geachtetes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft war, welches innere Stabilität und Prosperität zu garantieren schien. Dass dieser Schein letztlich in sich zusammenfiel, hatte mehr Ursachen als der üblichen Zeitungsberichterstattung lieb war und ist.

Ganz in diesem Sinne geht Boeckh mit ihrem populärwissenschaftlich angelegten Abriss in der bewährten Pustet-Länderreihe bis zu den Anfängen serbisch-montenegrinischer Staats- und Geschichtstraditionen zurück. Beginnend mit der slawischen Einwanderungsbewegung ab dem 7. Jahrhundert und der Übernahme des christlichen (orthodoxen) Glaubens stellte das Königreich des Stefan Nemanja (12. Jahrhundert) einen ersten historischen und kulturellen Höhepunkt mittelalterlicher serbischer Herrschaftsausübung dar. Von dem schleichenden Zerfall des serbischen Großreiches profitierten die vorrückenden Osmanen. Bekanntlich war die Schlacht auf dem Amselfeld am Veitstag (serbisch Vidovdan), dem 28. Juni des Jahres 1389, wenn man sich rein an die historischen Überlieferungen hält, alles andere als die eine entscheidende Niederlage. Allerdings wurden Jahrhunderte später diejenigen Deutungen immer populärer, die den Tag zur absoluten nationalen Katastrophe (v)erklärten.

Seit dem 15. Jahrhundert gehörten dann beide, Serbien und Montenegro, für lange Zeit zum Osmanischen Reich. Mit dessen langfristigem Niedergang und mit der Unterstützung der europäischen Großmächte ertrotzten die serbischen Bauernheere zu Beginn des 19. Jahrhunderts in zwei Aufständen die territoriale Autonomie, auch wenn das Land dem Sultan pro forma weiterhin tributpflichtig blieb. Hierin lagen zum einen die Anfänge moderner serbischer Staatlichkeit, zum anderen wurden aber auch der lähmende dynastische Kleinkrieg des 19. Jahrhunderts zwischen den Familien Karadjordjević und Obrenović begründet. Der kulturelle Fortschritt lässt sich dennoch nicht negieren: Einer ersten Verfassung folgte die Schaffung orthografischer Grundlagen der serbischen Literatursprache durch Vuk S. Karadžić. In den Städten erlebten Bildungswesen und Publizistik einen ersten Aufschwung. Wirtschaft und Handel florierten. Statt des bis dato vorherrschenden Gewohnheitsrechts wurden Gesetze nun schriftlich kodifiziert. Gleichzeitig bildete serbisch-nationalistisches Gedankengut erste revanchistische Blüten aus.3

Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass das serbische Dorf, dass die überwältigende Mehrheit der Serben eben keinen Anteil am Progress nehmen konnte, weil der Staat viel zu wenig für die Wohlfahrt des weiten Landes außerhalb der Stadtgrenzen tat.4 Dies änderte sich auch nach der Erlangung der staatlichen Souveränität auf dem Berliner Kongress 1878 nicht, obgleich sich das (partei-) politische System weiter ausdifferenzierte.5 Stattdessen sorgten Gebietszuwächse für neue revisionistische Missgunst unter den Balkanstaaten, welche letztlich in den Kriegen von 1912/1913 und im Ersten Weltkrieg mündete.6

Nach der Gründung des „Staates der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS) stand das serbische Königshaus der Karadjordjevići vor der mühevollen Aufgabe, die in ihrer rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verfassung äußerst heterogenen Landesteile unter einer diffusen „südslawischen“ Idee zu integrieren. Faktisch dominierte jedoch das serbisch-zentralistische Staatsmodell gegenüber allen föderalen Überlegungen. Dies forderte vor allem kroatische Separatismen heraus. Die nationalen, inneren Widersprüche verschärften sich zusehends. Hinzu kam die wirtschaftliche Talfahrt. Selbst der Ausgleich mit den politischen Vertretern der kroatischen (Wahl-)Bevölkerung verhalf der jugoslawischen „Königsdiktatur“ im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs nicht zu mehr innerer Stabilität. Die Deutsche Wehrmacht hatte so scheinbar leichtes Spiel, als sie das unbotmäßige Jugoslawien im April 1941 „zerschlug“ und besetzte. Der anschließende Partisanenkrieg richtete sich einerseits gegen das brutale deutsch-italienische Besatzungsregime. Andererseits bekämpften sich die königstreuen Četnici und die Tito-Partisanen auf das Verbissenste.

Auf Grund des Sieges wurden der titoistische Partisanenmythos und die „Selbstbefreiung“ der jugoslawischen Völker zur wichtigsten Legitimation des sozialistischen Jugoslawien. Erneut triumphierte faktisch der Belgrader Zentralismus, wenngleich sich das Staatswesen auf dem Papier überaus föderal ausnahm. Es wurden sogar eigens neue Nationen und Republiken geschaffen. Bevor Tito außenpolitisch den „dritten Weg“ der Paktfreiheit beschritt, liquidierte er gnadenlos seine innenpolitischen Gegner und brach 1948 mit Stalin und der Kominform. Das äußerlich so liberal wirkende Jugoslawien bekam aber trotz der Parolen von der „Brüderlichkeit, Einheit und Jugoslawismus“, und trotz der „Arbeiterselbstverwaltung“ seine ständigen Nationalitätenkonflikte und die wirtschaftlichen Widersprüche nicht in den Griff.

Nach Titos Tod sog Slobodan Milošević aus den Antagonismen machtpolitischen Nektar. Deren Instrumentalisierung verdankte er seine weitere Karriere in der serbischen Teilrepublik, denn er kultivierte das Gefühl der andauernden Benachteiligung der Serben im bestehenden Jugoslawien. Auf der sich ausbreitenden Welle des serbischen Nationalismus – nicht nur in Serbien – verstand er meisterhaft zu reiten. Die Autorin deutet dabei zumindest an, welche Gefahr aus heutiger Sicht von seinem amoralischen Wesen ausging, wenngleich sie eine Wertung der Person meidet.

Das System Milošević dominierte auch in der neuen Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ), welche ab 1992 nur noch aus Serbien und Montenegro bestand. Nach den Kriegen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo in den 1990er-Jahren litt die serbische Bevölkerung unter extremer Verelendung. Die daraus resultierende Unzufriedenheit mit Milošević führte schließlich im Oktober 2000 zu dessen Sturz.

Doch seitdem kommt Serbien keineswegs endlich zur Ruhe. Nach dem Mord an Premierminister Zoran Djindjić 2003 erfolgten noch im gleichen Jahr die Auflösung der BRJ und die Gründung des losen Staatenbundes Serbien und Montenegro (SCG). Dem schloss sich 2006 nach dem mit Spannung erwarteten Referendum in Montenegro die endgültige Trennung beider historisch eng verbundenen Länder an. 2008 erklärte auch noch die autonome Provinz Kosovo nach langem internationalen Procedere seine staatliche Abtrennung.

Auch wenn sie ihre Darstellung politikgeschichtlich angelegt hat, bemüht sich Boeckh, neben den bloßen Ereignisabläufen auch sozialhistorische und kulturelle Aspekte einzubeziehen. Leider verzichtet sie für das sozialistische Jugoslawien auf eine stärkere Differenzierung der beiden Teilrepubliken. Nachdem erst vor kurzem die moderne serbische Geschichte ausführlich behandelt worden ist,7 macht der vorliegende Band die längerfristigen und übergreifenden Entwicklungen und Traditionslinien sichtbar. Darin liegt auch das Novum dieses Geschichtspanoramas, wenigstens für den deutschen Sprachraum.8 Natürlich waren dabei Verkürzungen nicht zu vermeiden. Und so manche sprachliche Wendung hätte zudem geglättet und leserfreundlicher gestaltet werden können. Der Inhalt jedoch ist fundiert und wird all denen von Nutzen sein, die einen Einstieg in die komplexe Historie Serbiens und Montenegros suchen.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Melpomeni Katsaropoulou, Die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in: Südost-Forschungen 63/64 (2004/2005), S. 245-260.
2 Vgl. Jens Becker / Achim Engelberg (Hrsg.), Serbien nach den Kriegen, Frankfurt am Main 2008.
3 Vgl. Wolf Dietrich Behschnitt, Nationalismus bei Serben und Kroaten 1830-1914. Analyse und Typologie der nationalen Ideologie, Köln 1976; Dubravka Friesel-Kopecki, Die serbische Nationalbewegung, in: Norbert Reiter (Hrsg.), Nationalbewegungen auf dem Balkan, Wiesbaden 1983, S. 177-279.
4 Vgl. unter anderem Holm Sundhaussen, Historische Statistik Serbiens 1834-1914. Mit europäischen Vergleichsdaten. München 1989; Hans-Michael Miedlig, Patriarchalische Mentalität als Hindernis für die staatliche und gesellschaftliche Modernisierung in Serbien im 19. Jahrhundert, in: Südost-Forschungen 50 (1991), S. 163-190; Marie-Janine Calic, Sozialgeschichte Serbiens 1815-1941. Der aufhaltsame Fortschritt während der Industrialisierung, München 1994; dies., Probleme nachholender Entwicklung in Serbien (1830-1941), in: Archiv für Sozialgeschichte 34 (1994), S. 63-83.
5 Vgl. Alex N. Dragnich, The Development of Parliamentary Government in Serbia. Boulder/CO 1978; Gale Stokes, Politics as Development. The Emergence of Political Parties in Nineteenth-Century Serbia, Durham 1990.
6 Vgl. Katrin Boeckh, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan, München 1996.
7 Holm Sundhaussen, Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert, Wien 2007; Auf engl. siehe auch Michael Boro Petrovich, A History of Modern Serbia, 1804-1918, 2 Bde., New York 1976.
8 Auf engl. siehe John K. Cox, The History of Serbia, Westport/CON 2002; Stevan K. Pavlowitch, Serbia. The History behind the Name, London 2002; Alex N. Dragnich, Serbia Through the Ages, Boulder/CO 2004.

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