S. Freyer u. a. (Hrsg.): Frauengestalten Weimar-Jena um 1800

Titel
Frauengestalten Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon


Herausgeber
Freyer, Stefanie; Horn, Katrin; Grochowina, Nicole
Reihe
Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen 22
Erschienen
Anzahl Seiten
453 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sylvia Schraut, Universität der Bundeswehr, München

Der Band präsentiert 95 Bio-Bibliographien von Frauen, die um 1800 in Weimar dazu beitrugen, den Ruhm der kleinen Residenz als „Zentralort klassischer deutscher Kultur“ (S. 7) über die Grenzen Sachsen-Weimar-Eisenachs hinauszutragen. Es handelt sich folglich nicht um typische oder repräsentative weibliche Angehörige etwa der adeligen Oberschicht, des frühen Bildungsbürgertums oder kunstschaffender Kreise Weimar-Jenas. Ausgewählt wurden vielmehr Frauen unterschiedlicher sozialer Verortung, von denen bekannt ist, dass sie auf die eine oder andere Weise, als Schlüssel- oder Randfiguren, Anteil daran hatten, dasjenige kulturelle Klima zu erzeugen, das im SFB „Ereignis Weimar-Jena“ als „ereignishafte Kommunikationsverdichtung“ charakterisiert wird 1. Mit dieser Intention ist der Band in Fragestellung und Auswahl der Bio-Bibliographien in die geistes-, kultur- und naturwissenschaftlichen Teilprojekte des SFBs eingebunden und belegt die Synergieeffekte zwischen diesen. Die Herausgeberinnen konnten auf eine Reihe einschlägiger Forschungsergebnisse und Publikationen des SFBs zurückgreifen und diese für die ausgewählten Bio-Bibliographien nutzbar machen 2. Ein Großteil der 36 Autorinnen und Autoren gehörte oder gehört auch zum Mitarbeiterkreis des SFBs. Ergänzend konnten Bio-Bibliographinnen gewonnen werden, die außerhalb des SFBs über die von ihnen behandelten „FrauenGestalten“ gearbeitet haben. Mehr als die Hälfte der Texte wurde von einem engeren Kreis, den drei Herausgeberinnen und vier weiteren Autorinnen und Autoren, erarbeitet, die sich offenbar auf eine stringente Linienführung innerhalb der Bio-Bibliographien verpflichteten 3. Die Biographien beginnen jeweils mit einer Zusammenstellung der demographischen Basisdaten zur familiären Herkunft und eigenen Familie. Falls möglich werden Informationen zum kulturellen Herkunftsmilieu, zum eigenen Bildungsgang und gegebenenfalls zur eigenen Berufstätigkeit geliefert. Großes Gewicht liegt anschließend auf der Rolle der jeweiligen Protagonistin im Prozess der „ereignishaften Kommunikationsverdichtung“ in Weimar-Jena, sei es als Mitglied der Hofgesellschaft, Schauspielerin oder gesellige Verpflichtungen übernehmende Ehefrau, als künstlerische Dilettantin oder professionelle Autorin. Kulturelle und gesellschaftliche Netzwerke werden angeführt, enge Verbindungen zu anderen Personen der Weimar-Jenaer Kulturszene namentlich kenntlich gemacht. Ein Namensregister am Ende des Buches ermöglicht, Verbindungen zwischen einzelnen „FrauenGestalten“ nachzuvollziehen. Im Anschluss an die jeweilige Biographie liefert eine Bibliographie Informationen zu gedruckten und ungedruckten Werken, Archivbeständen und zu der Sekundärliteratur in Auswahl.

Wie lässt sich der Personenkreis der präsentierten 95 „FrauenGestalten“ charakterisieren? Die Gruppe hinterlässt ein äußerst heterogenes Bild. Es handelt sich um Frauen, die zwischen 1717 und 1811 geboren wurden, und zwischen 1784 und 1890 gestorben sind. Manche von ihnen, wie die Schauspielerin Friederike Auguste Konradine Bethmann (1760-1815), „eine der bedeutendsten deutschen und vielseitigsten Sänger-Schauspielerinnen um 1800“ (Beate Agnes Schmidt, S. 80), gab 1801 in Weimar ein Gastspiel und hatte sonst mit Weimar-Jena wenig zu tun. Andere, wie Charlotte Friederike Krackow d. Ä. (1778-1841), Vorleserin und Gesellschafterin Anna Amalias von Sachsen-Weimar-Eisenach, lebte von 1795 bis 1841 in Weimar. Sie unterhielt entsprechend ihrer Funktion „vielfältige Beziehungen zu den am Hofe verkehrenden Persönlichkeiten“ (Anne Fuchs, S. 219), wird aber als eigenständige Person in einem kommunikativen Netzwerk nicht recht fassbar. Insgesamt verzeichnet der Band 42 Bürgerinnen (durch Geburt oder Heirat) und 53 Adelige. Es handelt sich unter anderem um Angehörige der Hofgesellschaft (etwa 50), Professorengattinnen (5), Schriftstellerehefrauen und -töchter, Schriftstellerinnen und Übersetzerinnen, Verlegerehefrauen und –töchter (ca. 15) sowie einer Reihe von Künstlerinnen (13). Lässt man ‚zeitliche Ausreißerinnen‘ außen vor, dann kristallisiert sich ein Kern von ca. 80 „FrauenGestalten“ heraus, die etwa zwischen 1770 und 1810 in Weimar-Jena aktiv zur Gestaltung des kulturellen Lebens beitrugen. Ein Versuch, über ihren Eintritt ins gesellschaftliche Leben Weimars Entwicklungstendenzen festmachen zu wollen, zeigt, wie sehr das gesellschaftliche Leben in den 1770er-Jahren noch vom Adel geprägt war, der wachsende Anteil bürgerlicher Damen, vor allem aus dem künstlerischen Milieu, denen in den 1780er-Jahren der Zugang in die gesellschaftlichen und geselligen Kreise eröffnet wurde, der Antritt des Bildungsbürgertums in den 1790er-Jahren und eine gewisse Tendenz zur Adelsrestauration zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auffällig ist der hohe Anteil mehr oder weniger dilettierender, mitunter auch professioneller Schriftstellerinnen im Kernbestand der Bio-Bibliographien. Sie stellen mehr als ein Drittel der präsentierten „FrauenGestalten“. Offenbar gehörte es vor allem bei den Damen, die zur „Kommunikationsverdichtung“ in den 1770er- und 1780er-Jahren beitrugen, nahezu zum guten Ton, selbst schriftstellerisch tätig zu sein. Hierin mag sich das spezifische kulturelle Klima Weimar-Jenas besonders anschaulich zeigen. Vielleicht aber ist diese Beobachtung auch nur dem Umstand geschuldet, dass das Merkmal der schriftstellerischen Betätigung die Chance erhöhte, in den Kreis der 95 Bio-Bibliographien aufgenommen zu werden? Diese Überlegung zeigt, dass die präsentierten Bio-Bibliographien nicht dazu verleiten sollten, aus ihnen typische Handlungsspielräume von adeligen und (bildungs-)bürgerlichen Frauen um 1800 erschließen zu wollen. Ob es sich bei den präsentierten „FrauenGestalten“ um Ausnahmen von mehrheitlich sehr viel banaleren Lebensverläufen in Weimar-Jena handelte oder ob das kulturelle Klima der gewählten Epoche und des spezifischen Ortes Frauen erweiterte Aktionsräume eröffnete, kann der Band letztlich nicht beantworten. In jedem Fall aber liefert er anschauliche Belege dafür, dass Frauen auf vielfältige Weise zur Ausprägung des künstlerisch/literarisch geprägten Kommunikationsraums Weimar-Jena beitrugen bzw. dass sie an diesem teilhatten. Überdies eröffnet der Band Zugang zu archivalischen Quellen und gedruckten Werken von schreibenden Frauen, die bislang wenig beachtet wurden. Er wird damit zu weiterer Forschung inspirieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. Homepage des SFBs 482, <Universität Jena, http://www2.uni-jena.de/ereignis/index.html> (23.11.2009), Beteiligte Einrichtungen: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Klassik Stiftung Weimar, Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Forschungszentrum Laboratorium Aufklärung.
2 Beispiele für einschlägige Veröffentlichungen des SFBs „Das Ereignis Weimar-Jena“, SFB 482: Julia Frindte / Siegrid Westphal (Hrsg.), Handlungsspielräume von Frauen um 1800, Heidelberg 2005; Stefan Blechschmidt / Andrea Heinz (Hrsg.), Dilettantismus um 1800, Heidelberg 2007; Julia Di Bartolo, Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena, Heidelberg 2008; Katharina von Hammerstein / Katrin Horn (Hrsg.), Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum, Heidelberg 2008.
3 Stefanie Freyer, (SFB), 6 Texte; Katrin Horn (vormals SFB) 7 Texte; Nicole Grochowina (Projektleiterin SFB) 5 Texte; Julia Di Bartolo (vormals SFB) 5 Texte; Hendrikje Carius (vormals Nachwuchsgruppe Eigentums- und Besitzrechte, Historisches Institut Jena) 13 Texte, Anne Fuchs (Promotionsstipendiatin an der Doktorandenschule Laboratorium Aufklärung der FSU Jena, damals Hilfskraft im SFB 482, Teilprojekt A4 (Geschlechterbeziehungen und Aufklärung)) 7 Texte; Marko Kreutzmann (vormals SFB) 6 Texte.

Kommentare

Von H-Soz-Kult, Redaktion02.06.2010

Anmerkung der Redaktion: Diese Rezension wurde am 02.06.2010 geändert. Folgender Fehler wurde korrigiert: Fußnote 3: "Anne Fuchs (Germanistin an der Universität Dublin)" wurde korrigiert zu "Anne Fuchs (Promotionsstipendiatin an der Doktorandenschule Laboratorium Aufklärung der FSU Jena, damals Hilfskraft im SFB 482, Teilprojekt A4 (Geschlechterbeziehungen und Aufklärung))".