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Titel
Heldengesten. Front und Heimat in nationalsozialistischen Kriegsfotografien 1939–1945


Autor(en)
Marstaller, Vera
Erschienen
Göttingen 2023: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg

Die von Vera Marstaller vorgelegte, im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ in Freiburg entstandene Dissertation nimmt das extrem umfangreiche Bildkorpus der Propagandakompanien (PK) in den Blick. PK-Mitglieder haben wohl etwa drei Millionen Fotos zwischen 1939 und 1945 produziert, erhalten sind davon gut die Hälfte, allein das Bundesarchiv verwahrt etwa 1,1 Millionen PK-Fotos. Angesichts dessen scheint eine Eingrenzung des Untersuchungsmaterials in jedem Fall sinnvoll und so beschränkt sich Vera Marstaller auf Fotos, die in zeitgenössischen Illustrierten des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurden. Dies geschieht nicht nur zur Beschränkung des Forschungsgegenstands, sondern ist auch einem theoretisch anspruchsvollen, mehrstufigen Analyseinstrumentarium geschuldet.

Da besonders die durch Visualisierungen hergestellte nationalsozialistische Öffentlichkeit untersucht werden soll, sind in erster Linie veröffentlichte und damit zeitgenössisch wahrgenommene Bilder von Interesse. Herangezogen werden deshalb die Fotos aus drei wichtigen, publikumswirksamen Zeitschriften, der Zeitschrift „Die Wehrmacht“, der Illustrierten „Die junge Dame“ (nach Fusionierung mit anderen Zeitschriften am Kriegsende „Kamerad Frau“) sowie der „Berliner Illustrierten Zeitung“.

Die Auswahl des Quellenkorpus dient einer weiteren Analyseebene: Es geht um Visualisierungen des Soldatischen („Helden“, Teil I), Visualisierungen der Partnerschaft („Opfer“, Teil II) und Visualisierungen der „Volksgemeinschaft“ („Täter“, Teil III), die sich schwerpunktmäßig mit Hilfe dieser drei Zeitschriften betrachten lassen – im Sinne einer männlich geprägten, heroischen Kriegsfront, einer weiblich markierten, opferbringenden Heimat und einer im Austausch zwischen beiden konstruierten „Volksgemeinschaft“, die in den Zeitschriften visualisiert wurde. Die etwa 20.000 bis Kriegende in den drei genannten Zeitschriften veröffentlichten Fotos hat Vera Marstaller für ihre Arbeit in einer Datenbank erfasst und durch Zuordnen in „Geschlechterräume“ (S. 33) und einer anschließenden visuellen Diskursanalyse in der Technik des „Icon Lab“ (S. 33), des Sehens in Konstellationen, befragt.

Zentral für die Analyse der Fotos und eines der Hauptanliegen des Buches ist es, Fotos als „Geste des Zeigens“ (S. 7) zu interpretieren, ein Konzept, das Walter Benjamin erstmals in einer Studie zum epischen Theater Bert Brechts in den 1930er-Jahren formuliert hat. Fotografien frieren in diesem Verständnis eine Handlung in Form einer Geste ein und sind damit mehr als ein Abbild der Wirklichkeit, sondern beinhalten als „fotografische Geste“ (S. 12) auf verschiedenen Ebenen eine Aufforderung und eine Botschaft an die Rezipienten und Rezipientinnen. Sie lösen eine Geschichte, einen „Film im Kopf“ aus.

Vera Marstaller widersteht in ihrer Arbeit der Versuchung einer rein quantitativen Analyse der in der Datenbank erfassten Fotomassen, sondern filtert durch genaues Betrachten der Fotos, auch im Vergleich mit anderen Bildbeständen etwa aus dem Ersten Weltkrieg, eine vergleichsweise geringe Anzahl Fotos heraus, die besonders ähnlich zu vielen anderen waren oder gegenüber anderen besonders hervorstachen. Deren fotografische Gesten analysiert Marstaller, als ein Kondensat aus dem sehr großen Bildkorpus des Ausgangsmaterials, genauer.

Besonders spannend an der Arbeit ist es zu verfolgen, wie sich die verschiedenen Bildwelten der Front und der Heimat, der Männer und der Frauen verschränken und wie flexibel sich die Fotografie dem für die deutsche Wehrmacht an sich negativen Kriegsverlauf anpasste. Die Geste des Heldischen erforderte zwangsläufig auch das Opfer, der heroische Mann als Soldat wird auch durch die bewundernde Frau in der Heimat konstruiert. Beide treffen sich in einer „Volksgemeinschaft“, die auch die Tat, das Verbrechen und den Tod akzeptiert – als notwendig, unausweichlich und angesichts der absehbaren Niederlage auch als fast immerwährende zukünftige Aufgabe in einem neuen Krieg.

Die eng beschränkte Auswahl der Fotos ermöglicht eine genaue Betrachtung hinsichtlich ihrer fotografischen Geste, aber auch beispielsweise hinsichtlich ihres Kontexts in den Zeitschriften (als einer der Dimensionen der Analyse). So zieht Vera Marstaller bei einer Fotostrecke des Jahres 1939 „Gewaltsame Erkundung. Dorfrand Lakroczym“ (S. 280–285) von einem zerstörten polnischen Dorf nicht nur den mit antisemitischen Stereotypen durchsetzten Text des Bildberichts ein, sondern auch ein im Bundesarchiv Berlin überliefertes, damals nicht veröffentlichtes Foto der Serie, welches ein dort angezündetes Haus zeigt. Es war in der fotografischen Geste der Bilderserie nicht notwendig, die im Text geschilderte Zerstörung des Dorfes auch noch im Bild zu zeigen – sie wurde positiv vorausgesetzt und war als Situation zuvor oder danach den Gesten der veröffentlichten Bilder eingeschrieben. Dass Gewalt durchaus auch zeigbar war, belegt beispielsweise das Titelbild der „Berliner Illustrierten“ (24. Juli 1941), welches einen mutig voranschreitenden, wassertrinkenden Soldaten mit geschultertem Gewehr zeigt, samt einem brennenden Dorf im Hintergrund.

Die Schlussbetrachtung des Buches beginnt mit einer an eine Kurzgeschichte angelehnten Formulierung von Günter Kunert: „Aufgeblättert in alten Zeitschriften aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs fand sich überwiegend dies“ (S. 313). Vera Marstaller fand unter anderem, dass in den fotografischen Gesten des Zeigens in den deutschen Illustrierten des Zweiten Weltkrieges der heroisierte Mann als deutscher Soldat das Leitbild abgab, an dem sich Wert- und Normvorstellungen der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ konstituierte, die durch die fotografischen Gesten der Bilder den Rezipienten und Rezipientinnen nahegebracht werden sollten. Die Bildwelten interagierten miteinander, sodass Helden, Täter und Opfer, Verehrerinnen, Ehefrauen, Soldatinnen an der Heimatfront, aber auch Partisanen und Kriminalisierte die Notwendigkeit des heroisierten Soldaten und die wachsende Präsenz der Gewalt (auch an der anfangs geschützten Heimatfront) legitimieren halfen: „Von Anfang bis Ende des Kriegs zeigten die Fotografien Frauen in jeweils Männer unterstützenden Handlungen.“ (S. 316)

Der Tod deutscher Soldaten und die ausgeübte Gewalt wurden in den Fotos kaum gezeigt, aber in der fotografischen Geste auch durch das Nichtzeigen betont: Erst durch den kommenden Tod, durch das letzte Opfer und durch die Ausübung von Gewalt wird der Soldat zum Helden und genau dies stützt und fordert das nationalsozialistische Konzept der „Volksgemeinschaft“ – selbst noch angesichts der kommenden Niederlage, die so nur als Beginn eines neuen Kampfes visualisiert wird.

Die Fotografien der Propagandakompanien benötigen für die Vermittlung ihrer Botschaft keine eindeutigen nationalsozialistischen Symbole wie das Hakenkreuz, sondern visualisierten das menschenverachtende Bild der NS-„Volksgemeinschaft“ durch fotografische Gesten des Heroischen. Dies kann bis heute eine Wirkmächtigkeit der Fotografien der Propagandakompanien ausmachen, denn sie sollten für die Zukunft, also bis in unsere Gegenwart, das damalige Heldentum positiv übermitteln. So können Helden- und Opfererzählungen, eingefroren in der fotografischen Geste der damaligen Fotos, weiterwirken. Eine Auseinandersetzung mit diesen und auch heutigen Bildern, im Sinne einer genauen Betrachtung, kann zum Erkennen fotografischer Gesten führen und vielleicht auch eine „verantwortungsbewusste Haltung den visuellen Botschaften gegenüber“ (S. 325) fördern.

Vera Marstaller hat ein in vielfacher Hinsicht anregendes Buch mit anschlussfähigen theoretischen Konzepten vorgelegt und dabei gezeigt, wie fruchtbar die genaue Auseinandersetzung mit der auf den ersten Blick extrem unübersichtlichen, vielleicht auch eintönigen Welt der Kriegsfotografie der Propagandakompanien sein kann.

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