Über Jahrzehnte hinweg gehörte die NS-Zeit nicht unbedingt zu den bevorzugt untersuchten Epochen der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung. So setzte etwa die Beschäftigung mit dem Themenkomplex 'Deutsche Historiker im Nationalsozialismus' breit und teilweise kontrovers erst in Folge der gleichnamigen Sektion auf dem Frankfurter Historikertag 1998 ein.1 Der Rolle von Geistes- und Naturwissenschaften während der Jahre 1933-1945 widmeten sich in den letzten zehn Jahren unter anderem Arbeiten zu den großen Forschungsorganisationen.2 Daneben erschienen Publikationen zu einzelnen disziplinären Feldern wie Kulturwissenschaften, Agrar- oder Rüstungsforschung.3 Die Geschichte der Forstwissenschaften hingegen wurde für den entsprechenden Zeitraum kaum aufgearbeitet, so dass der Interessierte bislang auf allgemeiner angelegte Arbeiten zur nationalsozialistischen Forst- und Waldgeschichte zurückgreifen musste.4
Diesem Desiderat will nun Peter-Michael Steinsiek in der vorliegenden Monographie zumindest für den Bereich der Forst- und Holzforschung abhelfen, indem er die diesbezüglichen Akteure, Institutionen und Themen unter dem Aspekt der politischen Steuerung zu untersuchen verspricht. Gleich zu Beginn des Buches kritisiert er die heute vorherrschende Perspektive der Industriegesellschaft nach dem Ende des „Hölzernen Zeitalters“, aus der heraus die frühere Bedeutung des Waldes als Arbeitsplatz und Ressourcenlieferant „von der Geschichtsforschung bisher nicht hinlänglich wahrgenommen“ (S. 5) worden sei.
Hinsichtlich der Forst- und Holzforschung konstatiert Steinsiek für seinen Untersuchungszeitraum „nie dagewesene Steigerungsraten“ (S. 15), die insbesondere im Zusammenhang mit der sich radikalisierenden Autarkie- und Kriegspolitik des NS-Regimes standen: Wald und Forst seien in jenen Jahren „vollständig in die wirtschaftspolitischen Ziele des ‘Dritten Reiches’ eingebettet“ (S. 4) gewesen. Im Fokus der folgenden Quellenauswertung steht auf Grund der kriegsbedingten Zerstörung der meisten Reichsforstamts-Akten die Restüberlieferung im Umfang von ungefähr 10 Prozent des ursprünglichen Materials, ergänzt um einzelne weitere Archivbestände sowie veröffentlichtes forstliches Schriftgut.
Der erste Teil der Arbeit bietet dann wesentlich eine aus den Akten gewonnene Auflistung und Darstellung von Einrichtungen beziehungsweise Projekten und Bearbeitern, ergänzt um Organigramme und Tabellen. Dabei diente der Großteil der aufgeführten Forschungsvorhaben direkt oder indirekt der Ertragssteigerung im Waldbau, der effizienteren Holznutzung oder der Gewinnung von holzbasierten Ersatzstoffen. Interessanterweise finden sich darunter auch aus heutiger Sicht geradezu 'grün' anmutende Fragestellungen, zum Beispiel die Treibstoffgewinnung aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz oder die biologische Schädlingsbekämpfung mittels Waldameisen.5
Während eine intensivere Beschäftigung mit den einzelnen Projekten wohl in erster Linie für Forstwissenschaftler aufschlussreich sein dürfte, erörtern die anschließenden Kapitel projektübergreifende Aspekte wie Forstpolitik, Nachhaltigkeit, Naturschutz und Waldbaukonzepte (Stichwort ‘Dauerwald’). Steinsiek wendet sich hier außerdem zwei bisher in der Forschung wenig behandelten Themen zu: zum einen dem Beitrag der Forstwissenschaften zur Ausbeutung der Waldbestände im besetzten Osteuropa und zur ‘Wiederbewaldung des Ostens’, zum anderen der geplanten kolonialforstlichen Erschließung Afrikas zur Entlastung deutscher Wälder.
Der mit einem Personenregister und einem biographischem Index abgeschlossene Band liefert auf Grundlage des erhaltenen Aktenmaterials umfängliche, oft bisher unbekannte Informationen zu Akteuren, Institutionen und Themen der Forst- und Holzforschung in den Jahren der NS-Herrschaft. Zudem thematisiert er durchaus kritisch einzelne weltanschauliche Schnittmengen zwischen Forstwissenschaft und Nationalsozialismus (‘Ausmerze’, ‘Ewiger Wald’, ‘Gemeinnutz vor Eigennutz’) sowie die aktive Beteiligung deutscher Forstwissenschaftler am Projekt eines „forstlichen Imperialismus“ (S. 113) in Osteuropa und Afrika.
Jedoch wird die Studie einem wissenschaftsgeschichtlichen Erkenntnisinteresse nur eingeschränkt gerecht, da sie die politische Steuerung der Forschungen nicht im Detail untersucht und die NS-Wissenschaftspolitik auf gerade einmal vier Seiten abhandelt. Implizit scheint der Autor von zwei weitgehend selbständigen Subsystemen ‘Forstwissenschaft’ und ‘Nationalsozialismus’ auszugehen, deren hauptsächliche Austauschbeziehungen Projektanträge respektive Mittelbewilligungen gewesen seien. Damit kommen aber die vielfältigen partiellen Interessenkonkordanzen zwischen Wissenschaft und Politik nicht recht in den Blick, wie sie für den thematisch verwandten und weltanschaulich ebenfalls aufgeladenen Bereich der Agrarforschung bereits überzeugend analysiert worden sind.6
Ferner befremdet der bisweilen unachtsame Umgang mit Begriffen aus dem Umfeld der nationalsozialistischen Weltanschauung, obwohl Steinsiek sich dieser Problematik durchaus bewusst ist und dem Leser nur den „sehr häufigen und verwirrenden Gebrauch“ (S. 12) von Anführungszeichen ersparen will. Dennoch sollten in einer Arbeit zur NS-Zeit Termini wie „Gleichschaltung“ (S. 3) oder „Machtergreifung“ (S. 281) durchgehend als zeitgenössisches Vokabular deutlich gemacht werden. An anderer Stelle finden sich zudem unglücklich gewählte Formulierungen wie „Landzuwächse“ (S. 14) für die annektierten oder besetzten Territorien und „Hochzuchtmensch“ (S. 254) für das Menschenideal der Rassenideologie.
Gleichwohl bietet der ansonsten sorgfältig lektorierte Band in seiner Materialfülle eine gute Grundlage für künftige Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Forstwissenschaften. Dafür wäre es aber sicherlich wünschenswert, das Thema unter Ausweitung der Quellenbasis stärker in seinen wissenschaftshistorischen und wissenschaftspolitischen Kontext zu stellen.
Anmerkungen:
1 Vgl. die Diskussionsbeiträge zur Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/diskusio/nszeit.htm>.
2 Vgl. etwa Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. 2 Bde., Göttingen 2000 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 1); sowie Lothar Mertens, 'Nur politisch Würdige'. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937, Berlin 2004 (vgl. Michael Hau: Rezension zu: Mertens, Lothar: 'Nur politisch Würdige'. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937. Berlin 2004, in: H-Soz-u-Kult, 02.05.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-077>).
3 Vgl. Hartmut Lehmann / Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Band 1: Fächer - Milieus - Karrieren, Göttingen 2004 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 200) (vgl. Manfred Hettling: Rezension zu: Lehmann, Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Band 1: Fächer - Milieus - Karrieren. Göttingen 2004, in: H-Soz-u-Kult, 23.03.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-212>); Susanne Heim (Hrsg.), Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus, Göttingen 2002 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 2) (vgl. Alexander von Schwerin: Rezension zu: Heim, Susanne (Hrsg.): Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus. Göttingen 2002, in: H-Soz-u-Kult, 12.03.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-138>); sowie Helmut Maier (Hrsg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 3) (vgl. Paul Erker: Rezension zu: Maier, Helmut (Hrsg.): Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften. Göttingen 2002, in: H-Soz-u-Kult, 06.08.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-080>).
4 Vgl. etwa Heinrich Rubner, Deutsche Forstgeschichte 1933-1945. Forstwirtschaft, Jagd und Umwelt im NS-Staat, 2. erweiterte Auflage St. Katharinen 1997 (zuerst 1985); sowie Johannes Zechner, ‚Ewiger Wald und ewiges Volk’. Die Ideologisierung des deutschen Waldes im Nationalsozialismus, Freising 2006 (= Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 15).
5 Vgl. zu dieser Thematik weiterführend etwa Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2003 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 1) (vgl. Axel Zutz: Rezension zu: Radkau, Joachim; Uekötter, Frank (Hrsg.): Naturschutz und Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2003, in: H-Soz-u-Kult, 23.08.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3201>); sowie Franz-Josef Brüggemeier / Mark Cioc / Thomas Zeller (Hrsg.), How Green Were the Nazis? Nature, Environment, and Nation in the Third Reich, Athens, Ohio 2006 (= Series in Ecology and History) (vgl. Kees Gispen: Rezension zu: Brüggemeier, Franz-Josef; Cioc, Mark; Zeller, Thomas (Hrsg.): How Green Were the Nazis? Nature, Environment, and Nation in the Third Reich. Athens, Ohio 2006, in: H-Soz-u-Kult, 16.02.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-113>).
6 Vgl. Susanne Heim, Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933 bis 1945, Göttingen 2003 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 5) (vgl. Gesine Gerhard: Rezension zu: Heim, Susanne: Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933 bis 1945. Göttingen 2003, in: H-Soz-u-Kult, 13.09.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-143>).