C. Morgner: Weltereignisse und Massenmedien

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Titel
Weltereignisse und Massenmedien: Zur Theorie des Weltmedienereignisses. Studien zu John F. Kennedy, Lady Diana und der Titanic


Autor(en)
Morgner, Christian
Reihe
Sozialtheorie
Anzahl Seiten
361 S.
Preis
€ 32,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Bartz, Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn

Wie der Titel der Studie „Weltereignisse und Massenmedien: Zur Theorie des Weltmedienereignisses“ bereits offenlegt, geht es dem Autor Christian Morgner nicht nur um eine valide Beschreibung massenmedialer Ereignisproduktion und -darstellung sowie der damit verbundenen Verfahren, Mechanismen und Routinen, sondern maßgeblich um den "Aspekt der Weltbedeutsamkeit" (S. 73) – also wodurch ein Ereignis solche Geltung erhält, dass es global und nicht nur national verbreitet wird. "Was unterscheidet ein Weltereignis der Massenmedien von anderen massenmedialen Strukturen und worin liegen Ermöglichungsbedingungen?" (S. 74), so die Ausgangsfragestellung des Bandes. Mit der Beantwortung dieser Frage, der der Verfasser exemplarisch anhand der Betrachtung der Nachrichtenproduktion zum Tod von John F. Kennedy nachgeht, und der damit einhergehenden Fokussierung der Globalität von Berichterstattung füllt die Studie ein Desiderat der bisherigen Forschung zum Thema, wie der Verfasser selbst hervorhebt. Doch auch in Hinblick auf weitere Aspekte unterscheidet sich die Untersuchung von vergleichbaren Arbeiten.

So orientiert sich Morgners Analyse erstens nicht an der Unterscheidung Störung und Fest, die in der Regel die Untersuchungen zum Medienereignis strukturieren. Hinsichtlich dieser Differenz wird das Ereignis einerseits als plötzliches und unvorhergesehenes Geschehnis verstanden, das das abstrakte Zeitkontinuum, wie es für die Organisation von Temporalität in neuzeitlichen Gesellschaften bestimmend ist, wahrnehmungstechnisch unterbricht. Anderseits richtet sich die Ereigniskonzeption am Ritual und an den Funktionen der Zeremonie aus, die sich im Zuge von planbaren Events aktualisieren – für die zweite Position stehen vor allem die im Kontext der Theoriebildung zum Medienereignis einschlägigen Namen Daniel Dayan und Elihu Katz. Morgner negiert jedoch diese Unterscheidung des Ereignisses in Störung und Fest durch die Wahl seines Falles: Die Berichterstattung zur Kennedy-Ermordung umfasst gleichermaßen Nachrichten zum plötzlichen Einbruch des Todes wie zur durchorganisierten Beerdigung, wobei letztere gemäß des Verfassers semantisch und operativ an erstere anschließen. Im Zuge der Berichterstattung zur Ermordung werden – so Morgners Überlegung – Semantiken und Leitdifferenzen institutionalisiert, die die weitere Kommunikation dirigierten. Zentral sei dabei, wie der Verfasser materialreich und plausibel zeigt, die Leitunterscheidung Tragödie und Triumph, die jeweils gemeinsam aufgerufen werden, insofern das Triumphale den Rahmen markiere, auf dem die Tragödie Kontur und Bedeutung erlange.

Morgner geht zweitens mit seiner Studie über bisherige Untersuchungen zum Medienereignis hinaus, indem er die Auswahl des herangezogenen Materials so organisiert, dass seine Ergebnisse sowohl medienübergreifende als auch transkulturelle Validität beanspruchen können. So untersucht er die Berichterstattung zum Kennedy-Attentat in den USA, der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia in der Zeit direkt nach der Ermordung am 22. November bis zum 25. November 1963, und zwar durch je einen zentralen nationalen Fernsehsender (National Broadcasting Company (NBC), Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) und TV Malaysia Singapura) sowie je eine überregionale Tageszeitung (The New York Times, Frankfurter Allgemeine Zeitung, The Malay Mail) und je eine Zeitschrift (Life, Der Spiegel, The Straits Times). Vereinzelt betrachtet er darüber hinaus weitere publizistische Angebote, wie regionale Hörfunksender in den USA. Auf der Basis dieses umfangreichen Materials zeigt er Verfahren der Ereignisproduktion und -darstellung auf, die sich nicht ausschließlich auf das Fernsehen beziehen, wie es in vielen medientheoretischen Studien zum Ereignis der Fall ist. In diesen erscheint das Medienereignis als reines Fernsehereignis; allein die televisuellen Mechanismen der Herstellung von Ereignishaftigkeit werden herausgearbeitet. Demgegenüber argumentiert Morgner medienübergreifend. Dabei gelingt ihm der Spagat zwischen der Produktion von Aussagen mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, insofern sich diese auf alle publizistischen Medien beziehen, und von medienspezifischen Überlegungen, die Mediendifferenzen beachten bzw. in die Analyse einbeziehen. Im gleichen Maße schafft es der Verfasser, die Identifikation von transkulturell auftretenden Routinen der Ereignisberichterstattung mit der Benennung kultureller Eigenheiten zu verbinden. Beispielhaft zeigt sich das an Morgners Ausführungen zur Fernsehberichterstattung in Malaysia, die aufgrund der herrschenden Produktionsbedingungen der Ermordung Kennedys nur geringe Aufmerksamkeit schenkt.

Solcher Beobachtung kultureller wie medialer Differenzen zum Trotz formuliert Morgner aber das grundsätzliche Ziel, mittels der genauen Analyse der Berichterstattung zu Kennedy "ein Begriffsinventar zu entwickeln, das ausreichend abstrakt ist, um für die Beschreibung anderer globaler Phänomene der Massenmedien, zu anderen Zeiten und Entwicklungsständen des Systems der Massenmedien herangezogen werden zu können" (S. 297). Im Zentrum der Analyse steht dabei die in der Berichterstattung verwendete Semantik. Der Autor konzentriert sich diesbezüglich zum einen auf die Analyse der evozierten Zeitlichkeit. So werde das Ereignis z.B. als 'zeitliche Nullpunkte' konzipiert. Das heißt, es scheine etwas Neues zu begründen und darüber hinaus die Eigenschaft der Singularität zu besitzen, was es auch exzeptionell mache. Zum anderen geht es ihm um die "Publikumskonfiguration" (S. 213), wie sie sich in den Nachrichten zum Ereignis zeigt. Globalität – also die semantische Produktion eines "Weltpublikums" – sowie Allinklusion seien dabei die bestimmenden Merkmale der Ereignisdarstellung. Hervorzuheben ist im Rahmen von Morgners Semantikanalyse seine Auseinandersetzung mit der Bilddimension: Er legt eine Typologie der "Medienereignisbilder" (S. 138) vor, die Pressefotografie sowie televisuelle Aufnahmen umfasst und stringent auf seine Untersuchung der schriftsprachlichen Äußerungen aufbaut – schade nur, dass dem Leser nicht die Möglichkeit gegeben wird, die Ergebnisse anhand von Fotobeispielen nachzuvollziehen.

Um die Gültigkeit seiner anhand der Kennedy-Ermordung gewonnenen Ergebnisse auch jenseits dieses spezifischen Falls nachzuweisen, wendet Morgner sie abschließend auf zwei weitere Beispiele an: der Tod Lady Dianas und der Untergang der Titanic. Zu Zeiten der Titanic – darauf macht Morgner aufmerksam – dienen Zeitung und Zeitschrift als maßgebliche Verbreitungsmedien, während der Tod von Lady Diana unter anderem auch telemedial begleitet wird. Morgner argumentiert also dahingehend, dass sich die jeweiligen zeitgenössischen medialen Konstellationen zwar gravierend unterscheiden, dass diese Differenzen aber in der Regel ohne Effekt auf die Ereigniskonstruktion und -darstellung bleiben. Stattdessen lassen sich hinsichtlich der medialen Bearbeitung von Ereignissen grundlegende und historisch übergreifende Verfahren eruieren, die zum Beispiel die zeitliche Abfolge und Anordnung der Ereignisproduktion betreffen. Es wird also ein globaler Mechanismus der medialen Ereignisproduktion behauptet (und auch plausibel sowie materialreich vorgestellt). Morgners Ziel ist es, diese global gültigen Mechanismen zu benennen, wobei die Globalität selbst, also die weltweit synchrone Berichterstattung, Bestandteil der Ereignishaftigkeit ist. Medienereignisse zeichnen sich demnach durch hohe zeitliche Synchronisation aller Medien und publizistischen Organe sowie vermehrte Anschlusskommunikation aus.

Zusammenfassen lässt sich, dass es dem Autor gelingt, eine Fülle solcher Merkmale von Weltmedienereignissen anhand seines umfangreichen Materials herauszuarbeiten und zusammenzutragen. Er liefert mit seiner Studie eine dichte Beschreibung der spezifischen Eigenheiten der Medienereignisse, die globale Aufmerksamkeit erlangen. Dass dabei die von Morgner behauptete Unterscheidung zwischen weltweiten Medienereignissen und nationalen Nachrichten manchmal uneindeutig bleibt, fällt nicht ins Gewicht.

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